Die kulturelle Bedeutung von Bildern Schelske, Andreas

Vorwort
Die diesem Buch zugrundeliegenden Überlegungen versuchen, “alle” Bilder zu thematisieren, die aus Verwendungskontexten der visuellen Kommunikation bekannt sind. Allerdings wäre die gemeinte Variationsbreite zu umfangreich, wenn “alle” Bilder im einzelnen betrachtet oder kunsthistorisch eingeordnet werden würden. Die Überlegungen knüpfen aufgrund dieser Vielfalt nicht an bestimmte Bilder an. Vielmehr gelten sie einerseits den sozialen Systemen, in denen Bilder heutzutage als Kunst, Freizeitmalerei, Kult, Fernsehen, Werbung, Erinnerungsfotografie, Kino oder wissenschaftliche Untersuchungsmethode erwartet werden, und andererseits beziehen sie sich auf kulturelle Voraussetzungen, die Bilder aus zeichentheoretischer und wahrnehmungspsychologischer Sicht schaffen, um zwischenmenschliche Verständigung im visuellen Bereich zu ermöglichen.

Bilder sind zwar das Thema, aber sie bestimmen den Gang der Bemühungen nur insofern, wie sie innerhalb wissenschaftlicher Theorien als Zeichen, visuell Wahrnehmbares, Kommunikation, Sinn, Wissen, kulturelles und soziales Gedächtnis angesprochen werden können. Zu diesen Interessenschwerpunkten führt nicht die Frage: Was ist ein Bild? Denn Fragen solcher Struktur verleiten leicht zu Festschreibungen, die wenig mehr aufzeigen als die unterstellte Identität bildlicher Merkmale und die kulturelle Standortgebundenheit des Beobachters. Die leitende Fragestellung zielt deshalb darauf, zu erkunden, »wie« bildliche Darstellungsformen einer Kultur etwas visuell kommunizieren, um als Wissen und Gedächtnis innerhalb einer Gesellschaft sowohl Sinn als auch Bedeutung zu erhalten. Aufgrund der Komplexität dieser Frage ist es unerläßlich, Teilstücke zu bearbeiten, die das Thema “Bild” mit Untersuchungen über Bewußtsein, Bedeutung, Kultur und Gesellschaft verflechten.
Zweifelsohne sind vielschichtigere Verknüpfungen zu berücksichtigen als die hier genannten, wenn alle diejenigen Wissenschaftsdisziplinen herangezogen werden, die jene Frage nach den Bildern fachspezifisch zu beantworten suchen. Trotz des Überangebots an Theorien ist aber ein gewisses Maß an interdisziplinärer Vorgehensweise angestrebt, um beispielsweise wahrnehmungspsychologische Aussagen in soziologische Theorien zur Wahrnehmung zu integrieren oder um sich von der Semiotik darüber beraten zu lassen, welche Zeichen und Codes eine soziologische Kommunikationstheorie beachten muß, wenn deren Aussagen auch auf die visuelle Kommunikation zutreffen sollen. Die Semiotik von Charles Sanders Peirce bietet dabei eine tragfähige Begrifflichkeit, mit der die Zeichenhaftigkeit der Bilder differenziert werden kann. Trotz aller interdisziplinären Implikationen ist die Fragestellung soziologisch orientiert. Querverbindungen innerhalb der Soziologie sollen sich hier als fruchtbar erweisen, wenn beispielsweise Analysen des bildlich kommunizierten Wissens mit Thesen konfrontiert werden, mit denen die Wissenssoziologie sprachlich formuliertes Wissen beschreibt.

Man könnte fragen, wozu theoretische Orientierungen zur Bildkommunikation nötig sind. Schließlich versteht nahezu jeder Bilder, wie viele meinen. Daher verlieren manche Bildbetrachter selten viele Worte, wenn sie erklären sollen, was sie verstehen, wenn sie ein Bild verstehen. Sie gehen davon aus, daß jeder über Bilder im Bilde ist, weshalb es ihnen entbehrlich scheint, zu erklären, wie Bilder etwas mitteilen. Die anderen Bildbetrachter, denen viele Worte in den Sinn kommen, sobald sie über Bilder sprechen, vertreten manchmal die Meinung, daß Bilder in einer Art von Sprachlichkeit etwas darstellen. Bereits an diesem Punkt der Sprachlichkeit entzündet sich oft ein Streitgespräch, welches den Orientierungsbedarf verdeutlicht, der nötig ist, um zu beurteilen, worauf sich Gesellschaften einlassen, sobald sie ihre Kommunikation, ihr Wissen und Gedächtnis nicht mehr mit verbalen, sondern mit bildlichen Zeichen vermitteln. Doch nun kann ich hier nicht mehr viele Worte machen und möchte die Dankesworte nicht vergessen.

Zunächst danke ich meiner Lebensgefährtin Birgit Malzburg: ohne sie wäre an die vorliegende Schrift nicht zu denken gewesen; ohne sie wären die Gedanken nicht zum Versuch einer Theorie geworden.
Für hilfreiche Kritik, Korrektur und thematische Bewegungsfreiheit in meiner Auseinandersetzung danke ich Herrn Professor Dr. Peter Stromberger. Ihm und Herrn Professor Dr. Gregor Siefer danke ich besonders für die ermutigenden Gutachten, die meinem Vorhaben weiterhalfen. Dank gebührt in gleicher Weise der "Studienstiftung des deutschen Volkes", die mich mehrjährig mit einem Stipendium unterstützte. Für Diskussionen und fachliche Orientierung gilt mein großer Dank den Philosophinnen und Philosophen: Kirsten Hebel, PD. Dr. Angelika Karger, Dr. Susanne Lang, Dr. Margret Lohmann, Erik Porath, Dr. Nicole D. Schmidt und Dr. Christian Thies. Für die Endkorrektur danke ich Angelika Winkler, Caroline Schilling und nochmals Birgit Malzburg. Katharina Schill bin ich für die vielen Bücher dankbar. Ariane Epars und Hinrich Sachs danke ich für Inspirationen, die die aktuelle Kunst betreffen. Für die spontane Übernahme eines der Gutachten danke ich Herrn Professor Dr. Alexander Deichsel. Des weiteren gehört mein Dank Bernhard Reger und Michael Schill, die mich wahrlich nimmermüde all die Jahre unterstützten. Der nun nicht mehr steigerbare Dank gebührt meinen Eltern, Hanni und Günter Schelske.




 
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    Vorwort zum Stand der Forschung
    Einleitung: Bild
  Teil I Sehen von Zeichen in Bildern
  1.1. Einführung semiotischer Kategorien
  a) Code
  b) Syntaktik, Semantik, Pragmatik
  c) Zeichen
  d) Erstheit, Zweitheit, Drittheit
       
  1.2. Wie stellen Zeichen in Bildern »etwas« dar?
  a) Möglichkeiten der Mittel oder Zeichen auf Bildern
  b) Der Objektbezug von Bildern
  c) Der Interpretantenbezug von Bildern
       
  Teil II. Sehen und Erkennen
  2.1. Bedeutung und Bewußtsein in Differenz zur
Möglichkeit von Wahrnehmung
       
  2.2. Kann Sehen Sprache sein, und warum figurieren
Bilder nicht ausschließlich wie Zeichen?
  a) Semiotischer Exkurs zur Wahrnehmung von Zeichen
       
  2.3. Wie entsteht visuelle Wahrnehmung?
       
  2.4. Wie gelingt visuelle Kommunikation?
Modell zur visuellen Kommunikation
  a) Bedeutung und Bezeichnung bei der visuellen Kommunikation
  b) Bezeichnung als kulturelle Semiotik der Signifikation
       
  2.5. Wie muß man etwas kennen, um nicht blind zu sein?
  a) Erkennen eines ikonischen Signifikationscodes
       
  2.6. Der Sinn der Form
  a) Konsens und Konventionen im Sinn der Form
  b) Emotionsmotivierter Sinnkonsens
       
  2.7. Wie wissen Bilder etwas von etwas?
  a) Wissen als Distanz zur Natur
  b) Tradition und Konvention der kulturellen Form "Wissen"
  c) Tradition, Konvention und figurative Erkenntnis
  d) Kulturelle Sedimentierung von ikonischem Wissen
       
  2.8. Aufmerksamkeit als kommunikative Praxis von Bildern
       
  2.9. Bildkultur als anwesende Umwelt
  a) Exkurs zur Beziehung zwischen Kultur und Gesellschaft
  b) Anwesende Bildumwelt
  c) Wie unterliegt eine anwesende Bildumwelt sozial-
pragmatischen Bedeutungen?
       
  2.10. Wie kommt Gedächtnis und Unbewußtes in Bildkulturen vor?
  a) Exkurs zum sozialen Gedächtnis
  b) Unmöglichkeiten eines kollektiv Bewußten und
Unbewußten für gesellschaftliche Bildkommunikation
  c) Möglichkeiten eines kognitiv Unbewußten für
kulturelle Bildkommunikation
  d) Möglichkeiten eines affektiv Unbewußten für
kulturelle Bildkommunikation
       
  2.11. Wie wirkt die kommunikative Funktion von
mimetischer Ähnlichkeit
       
  Teil III. Die kulturelle Bedeutung von Bildern
  a) Bedeutung der Bildkultur für Systemintegration
  b) Bedeutung der Bildkultur für Sozialintegration
       
  IV. Schlußbetrachtung auf den soziologischen Ertrag
    Begriffsverweise


    Literaturverzeichnis


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  "Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise", schreibt Luhmann [1987/7] im ersten Satz seiner Theorie "Soziale Systeme". Seines Erachtens verstehen Soziologen unter Theorie einerseits allgemeine begriffliche Anstrengungen und andererseits knappe Hypothesen, die am Datenmaterial empirischer Erhebungen getestet werden. Welche speziell empirischen und allgemein analytischen Theorien der Soziologie, die sich mit Bildern beschäftigen, befinden sich jedoch derzeit in einer Theoriekrise?
Will man soziologische Forschungsansätze finden, die sowohl eine Empirie als auch Bilder untersuchen, dann kommt nur die Massenkommunikationsforschung in Frage. In dieser soziologischen Perspektive wurde zwar empirisches Material zur Kommunikator-, Inhalts-, Medien-, Rezipienten- und Wirkungsforschung zusammengetragen, aber sie bietet meist nur oberflächliche Analysen dafür, was Bilder sind, wie Bilder Inhalte kommunizieren und was als Medium fungiert. Die Einsicht, daß Medien eine Wirkung haben und daß sie selbst eine Botschaft sein können, trägt wenig zum Verständnis bei, wie ein Medium beschaffen ist, wie visuelle Kommunikation möglich wird und wie sich spezielle Zeichen in Bildern unterscheiden lassen.

Bereits Alphons Silbermann u. Udo Michael Krüger [vgl. 1973/12ff.] sowie Michael Kunczik [vgl. 1984/1ff.] registrierten ein Theoriedefizit in der Forschung zur Massenkommunikation. An diesem Mangel, der schon bei den Begriffen "Masse", "Medium" und "Kommunikation" sichtbar wird, hat sich bis heute wenig geändert. Zwar sahen Silbermann u. Krüger [vgl. 1973/15] einen Fortschritt auf dem Gebiet der positivistisch orientierten Massenkommunikationsforschung, aber diese strebt auch gegenwärtig keine eigenständige Theorie der visuellen Kommunikation mittels Bildern an. Vielmehr übernimmt beispielsweise Sabine Holicki [vgl. 1993] einzelne Fragmente psychologischer und semiotischer Theorien, um die Wirkung von fotografischen und sprachlichen Beschreibungen dreier Politiker zu messen. Doch davon abgesehen, daß Holicki [vgl. 1993/102-107] die verbale Sprache und Bilder als "Zeichensystem" (fehl-)deutet sowie von einem "Sender-/Empfängermodell" ausgeht, möchte sie den Informationsgehalt und die Bedeutung von Bildern dem objektivierenden Konsens überlassen, den "unvoreingenommene Juroren" bzw. "Experten" unter sich aushandeln. Zweifellos entwickeln Betrachter während pragmatischer Interpretation eine Bedeutung, nur wird es keine »unvoreingenommene« Bedeutung sein, denn diese müßte von Menschen ohne Lebenserfahrung aktualisiert werden. Eine tragfähige Theorie der Bedeutung wird somit bei jenem aktuellen Ansatz nicht formuliert. Darum bekräftigen die hier beispielhaft erwähnten Aussagen in der Medienwissenschaft, daß die Soziologie eine Bildtheorie benötigt, die pragmatische Bedeutungsinterpretationen während visueller Kommunikation präzise darlegt. Zu einem ersten Verständnis der Massenkommunikation mittels Bildern tragen die Sammelbände bei, die Bentele u. Hess-Lüttich [vgl. 1981, 1985] zum Zeichengebrauch in Massenmedien veröffentlichten.

Sieht man von empirischer Forschung ab, so bietet die Soziologie zur Massenkommunikation diverse kulturkritische Theorien an. Adorno, Horkheimer, Ortega y Gasset und Neil Postmann geben kritische Positionen vor, die bis heute tradiert werden. Selbstverständlich gibt es Gegenpositionen zur Kritik an der Kulturindustrie und zur These des Kulturverfalls durch Fernsehen [z.B. Maletzke 1988, Taylor u. Saarinen 1994]. All diese Theorien zur Massenkommunikation verzichten jedoch auf eine detaillierte Darlegung, wodurch sich die Kultur der Bilder auszeichnet und wie mittels deren Formulierungen kommuniziert wird, denn kulturkritische Theorien sind selten Theorien des kommunikativen Handelns. Teilweise befinden sich die Theorien zur Krise der Kultur sogar selbst in einer Krise, da ihre These des Kulturverfalls an Überzeugungskraft verliert. Die kritischen und unkritischen Theorien zur Massenkommunikation helfen daher nicht in jedem Fall weiter, wenn die Kommunikation mittels Bildern geklärt werden soll. Einen guten Überblick über Theorien zur Massenkommunikation bietet nach wie vor Denis McQuail, obgleich eine Bildtheorie unerwähnt bleibt und ikonische Bilder mittels eines Informationsbegriffs [vgl. McQuail 1994/249] angesprochen werden, der ignoriert, daß Bilder vollständig andere Informationen als Worte mitteilen.

Wurde innerhalb der Soziologie überhaupt eine kohärente Theorie entwickelt, die die visuelle Kommunikation mittels Bildern im allgemeinen aufgreift? Wie steht es beispielsweise um die lange Tradition der Kunstsoziologie [hierzu Silbermann 1979; Henrich u. Iser 1982]? Davon abgesehen, daß Kunstsoziologie bereits per Definition keine Soziologie aller Bilder sein will, wird sie von Adorno [vgl. 1973], Hauser [vgl. 1974] und Gehlen [vgl. 1986] weitgehend als ästhetische Erfahrung, in historischer Betrachtungsweise bzw. in der Analyse einzelner Schulen thematisiert. Zieht man z.B. Luhmanns [vgl. 1995] aktuelle Theorie zur "Kunst der Gesellschaft" exemplarisch heran, dann ist festzustellen, daß in dieser "kunstsoziologischen" Systemtheorie das »Bild« kein Thema ist. Denn Luhmanns Theorie will weder Bildkommunikation verstehen noch einzelne Kunstwerke beobachten, sondern Kunst als ein "funktionales Äquivalent zur [alltäglichen] Sprache" [Luhmann 1995/36] innerhalb seines Untersuchungsprogramms der sozialen Systeme analysieren. Luhmanns Systemtheorie trägt deshalb vor allem Grundlegendes zum gesellschaftlichen Teilsystem »Kunst« und zum kommunikativen Gebrauch von Kunstwerken bei. Sie legt jedoch genauso wie alle anderen soziologischen Theorien zur Kunst lediglich vereinzelte Theoreme vor, die in der Frage nach der Bildkommunikation weiterhelfen. Aufgrund dieses Mangels und weil heutzutage Bilder zunehmend seltener im Kunstsystem verwendet werden, sehe ich mich in meinem Vorhaben dazu gezwungen, nur vereinzelte Aussagen der Kunstsoziologie aufzugreifen. Denn gleichwie Kunst einen Ausnahmefall in bezug auf Bilder darstellt, so betrachtet Kunstsoziologie allenfalls einen Spezialfall der Bildkommunikation.

Beabsichtigt man, etwas über Bildkommunikation zu erfahren, dann ist man auch innerhalb der Disziplin »Kunstgeschichte« unzureichend orientiert. Kunstgeschichte berichtet gemäß ihrer Namensgebung von einigen Entwicklungen, die sie künstlerischen Bildern in speziellen Epochen und Regionen zuschreibt; sie unterrichtet beispielsweise über den symbolischen Inhalt einzelner Bilder, über deren formalen Aufbau oder über deren historische Produktionsbedingungen. Die Kunstgeschichte fertigt somit oft Theorien an, die über Kunst sprechen, sie analysiert aber selten, wie Kommunikation durch Kunst zustande kommt. Allerdings begann z.B. Felix Thürlemann [vgl. 1990] erste Werkanalysen, die innerhalb der Kunstwissenschaft eine semiotische Richtung einschlagen. Doch ist die dort vertretene, für Soziologen relevante Zeichentheorie unzureichend, denn mit einer Handlungs- und Wahrnehmungstheorie setzt sich Thürlemann nicht auseinander.
Wenn schon die Kunstgeschichte kaum Theorien zur visuellen Kommunikation anbietet, so wäre zu vermuten, daß wenigstens die Lehre des Kommunikationsdesigns über adäquate Theorien verfügt. Den mir bekannten, sachdienlichsten Versuch legte Braun [vgl. 1993] unlängst mit seinen "Grundlagen zur visuellen Kommunikation" vor. Doch bleiben einerseits weite Teile seiner Schrift an Gestaltungsmaßgaben der angewandten Gebrauchsgraphik orientiert. Andererseits sind seine theoretischen Konzeptionen nicht etwa von Ansätzen des Kommunikationsdesigns inspiriert, sondern von Theorien der Psychologie (R. Arnheim, U. Neisser, J.J. Gibson, W. Metzger), der Semiotik (U. Eco, M. Krampen) und der Philosophie (N. Goodman, L. Wittgenstein). Wie ist also an den Stand der Forschung zur visuellen Kommunikation anzuknüpfen, wenn deren Lehren sich bei Theorien bedienen, die größtenteils nicht auf visuell kommunikatives Handeln eingehen? Denn die zuvor genannten Psychologen problematisieren allenfalls Wahrnehmungsphänomene hinsichtlich Bildern, die aufgezählten Semiotiker beschäftigen sich mit allgemeinen Zeichenklassifikationen, Goodman erklärt als Philosoph hauptsächlich, wie bildliche Ähnlichkeit vorkommen soll, indessen bezieht Wittgenstein vorrangig zur philosophischen Problematik verbaler Sprache Stellung.
Bei diesen Theoretikern der genannten Disziplinen werden soziologische Ansätze kaum thematisiert, obwohl ihre Theorien für die Soziologie und meine Überlegungen überaus relevant sind. Es ist deshalb interdisziplinär zu arbeiten, falls eine soziologische Theorie zur visuellen Kommunikation erstellt werden soll. Obwohl manche meinen, daß Interdisziplinarität wieder unpopulär geworden ist, kann kein anderer Weg eingeschlagen werden, weil die Soziologie bisher selten Weittragendes zur Bildkommunikation beitrug. Denn welche Theorien ergänzen die Soziologie, wenn beispielsweise das Phänomen der visuellen Wahrnehmung soziologisch relevant werden soll? Um bezüglich Wahrnehmung weiterführende Ideen in die Soziologie einzubringen, bedient sich beispielsweise der Soziologe Niklas Luhmann keineswegs der Aussagen von Soziologen. Er knüpft zum Thema »Wahrnehmung« an Forschungsergebnisse an, die innerhalb der Biologie, Kybernetik, Mathematik und Psychologie erarbeitet wurden. Daher ist der heutige, oft konstruktivistische Stand der Wahrnehmungspsychologie aufzuzeigen, wenn Wahrnehmung bezüglich Bildern interessiert. Dient zum Thema »Wahrnehmung« ausschließlich die Soziologie als Orientierungspunkt, dann ist kaum ein theoretisches Fundament zu erzielen, von dem aus beispielsweise Pierre Bourdieu Triftiges zu entgegnen ist. Denn von wo aus sollte gegen die "Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung" [Bourdieu 1974/159] eine Argumentation vorgebracht werden, die analysiert, ob die Bildwahrnehmung tatsächlich von einem kollektiv oder individuell Unbewußten beeinflußt wird? Für eine solche Argumentation müssen Ergebnisse der Wahrnehmungsforschung berücksichtigt werden. Die Soziologie trägt zu diesem Thema zwar eigenständige Aussagen bei, aber es ist zu prüfen, wie weit soziologische Aussagen über psychische Systeme eine Theorie der Bildwahrnehmung tragen.
Werden philosophische Überlegungen zu einer Bildtheorie herangezogen, so meint Oliver R. Scholz [vgl. 1991/12], daß der Beitrag von Nelson Goodman [vgl. 1973] aus den neueren Ansätzen herausragt. Scholz sieht in den Bemühungen Goodmans eine allgemeine Symboltheorie ausgearbeitet, die auch eine Theorie der bildlichen Darstellungen umfaßt. Wie weit reicht aber die Symboltheorie Goodmans im Vergleich zu der universal anmutenden Semiotik, die Charles Sanders Peirce [vgl. 1960] bereits weit vor der letzten Jahrhundertwende begonnen hat? Um diese Reichweite zu beurteilen, müssen die semiotischen Forschungsergebnisse zumindest partiell aufgezeigt werden. Denn die an Peirce angelehnten Arbeiten von Max Bense [vgl. 1979], Umberto Eco [vgl. 1991], Helmut Pape [vgl. 1989] und Gerhard Schönrich [vgl. 1990] differenzieren wesentlich genauer als eine reine Symboltheorie, wie sie Goodman und Susanne Langer [vgl. 1984] in bezug auf Bilder vorlegen. Soll hinsichtlich Bildern eine zeichen- und kommunikationstheoretische Auseinandersetzung aufgefunden werden, dann führen auch die aktuellen Sammelbände kaum weiter, die Gottfried Boehm [vgl. 1994], Michael Wetzel u. Herta Wolf [vgl. 1994] herausgaben. Ebenso muß die symboltheoretisch und psychoanalytisch orientierte Auseinandersetzung von Pazzini [vgl. 1992] zurückgewiesen werden, sofern Bilder mittels semiotischer Differenzierungen typisiert werden sollen.

Warum ist überhaupt die semiotische Diskussion für eine Soziologie visueller Kommunikation relevant? Wie Soziologen wissen, hat Habermas [vgl. 1988] eine "Theorie des kommunikativen Handelns" vorgelegt. Seine Theorie geht jedoch nahezu ausschließlich von sprachlichen Zeichen aus. Hinzu kommt, daß er seine Theorie an George Herbert Mead [vgl. 1988] und dem symbolischen Interaktionismus orientiert. Diese sprachbezogene Theorielinie zieht sich durch weite Bereiche der neueren Soziologie [vgl. z.B. Joas 1989; 1985; Helle 1977], wobei Peirce meist übergangen wird. Will man aber an die Wurzeln der Theorie von Mead und Morris [vgl. 1973] heranreichen, dann ist auf Peirce zurückzugreifen. Denn dieser ist der Urheber des Begriffs »Pragmatismus« und einer Semiotik der indexikalischen (gestischen) und symbolischen Zeichen, die Mead sehr vereinfacht anspricht. Das ikonische Zeichen (Bild) berücksichtigt Mead indessen kaum, weshalb es eventuell in der Kommunikationstheorie von Habermas geringfügige Beachtung findet. Zwar wird die "Theorie des kommunikativen Handelns" gegenwärtig viel kritisiert [hierzu Bolz 1993/59ff.], aber einzelne Aspekte eines visuell kommunikativen Handelns lassen sich mit ihr trotzdem aufzeigen, wenn das ikonische Zeichen (Bild) nicht ignoriert wird. Denn die bisherige Diskussion innerhalb soziologischer Kommunikationstheorien, die oft nur indexikalische (nonverbale) Gesten und (verbale) Symbole unterscheiden, wird hinsichtlich Bildern nie und nimmer eine Verbesserung verzeichnen, wenn sie weiterhin ikonische Zeichen (Bilder) als Symbole mißversteht, keinen Begriff der (bildlichen) Ähnlichkeit entwickelt und künftig nicht zwischen Syntaktik, Semantik und Pragmatik der Zeichen differenziert. Dieses Defizit möchte ich für die Soziologie in Orientierung an Peirce beheben, obwohl seine kompliziert wirkende Semiotik eine soziologische Rezeption erschwert.

Manche Soziologen sehen gegenwärtig das Ende der Soziologie nahen. Sicherlich werden meine Überlegungen zur visuellen Kommunikation keine unbezweifelbaren Antworten erbringen, gleichwohl sehe ich außer der Philosophie nicht eine andere Wissenschaftsdisziplin, die sich ebenso, wie die Soziologie, folgende Fragen zumutet: Wie wissen Bilder etwas? Wie erweisen sich Bilder als soziales und kulturelles Gedächtnis für Gesellschaften? Was ist bildliches Wissen? Wie kommunizieren Menschen mittels Bildern? Wie und wodurch äußern sich kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse in Bildern? Was ist das kommunikative Prinzip von Bildern? Wo fungieren Bilder in sozialen Systemen? usw. Bevor diese Fragen nicht andere Wissenschaftsdisziplinen stellen und beantworten, verstehe ich sie als soziologische Fragestellungen. Jene Fragestellungen sind auch dann an Theorien der Kommunikationswissenschaft, Wissens-, Kultur- und Kunstsoziologie orientiert, wenn Antworten hervorragender Soziologen mit Hypothesen anderer Disziplinen kritisiert und mit mir stimmig scheinenden Weiterentwicklungen reformuliert werden. Da die Soziologie jene Fragestellungen bisher meist nur in bezug auf die symbolische Sprache beantwortete, hoffe ich mit der folgenden Auseinandersetzung einen aktuellen Standpunkt aufzubauen, der die soziologische Theorie zum Thema »visuelle Kommunikation mittels Bildern« erweitert. Warum eine soziologische Theorie zur Bildkommunikation gegenwärtig dringend erforderlich ist, muß in Anbetracht unserer gesellschaftlichen Kommunikationsbedingungen nicht weiter begründet werden, denn wir sehen fast alle täglich mehr Bilder, als wir Worte wechseln, lesen oder schreiben.



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»Eiswüsten« nannte Walter Benjamin das große Feld, welches es zu durchqueren gilt, sobald der Mensch am Anfang seiner philosophischen Bewegtheit den historisch gewachsenen Philosophemen gegenübersteht und sich die Einsicht des oben zitierten Seemanns schleichend in ihre Antithese wendet. Bei der Vorstellung von Bildern indessen scheint sich so mancher jener Eiswüste entledigen zu wollen. Ein jeder faßt sich als Routinier auf, der begriffslos auf der paradiesischen Bilderwoge zu surfen versteht. Der geübte Blick manövriert sich ohne Sprache durch die Bilderströme; ihm genügt das erfahrene Auge des Betrachters. Die schneller werdenden Bildsequenzen der heutigen Filmstreifen erhöhen scheinbar den Spaß an der Verdrängung des symbolischen Inhalts. Wenn die amerikanischen Raketen im Irakkrieg die Bilder des Zielanfluges zeigen, aber das Geschehen nach dem Auftreffen ausblenden, dann demonstriert dies den Punkt, wo der scheinbare Verstand des hier technischen Auges nach dem Aufprall auf den Grund urteilslos aussetzt. Leichtfertig könnte man meinen, daß die Massenmedien die Schulung des Verstandes zugunsten der Schulung des Auges abschütteln. Im routinierten Bilderspaß verschwindet das manchmal lähmende, aber verstehende Moment der Reflexion. Wenn auch der Titel dieser Arbeit bei manchem, der an "die Bildergesellschaft" denkt, im ersten Eindruck die vergnügliche Seite von Bildern suggeriert, so wird trotzdem zuallererst die Eiswüste einer zeichentheoretischen Reflexion durchquert werden müssen. So wie die moderne Kunst, die sich in der Dialektik der heutigen Zeit dem bildsüchtigen Ruf nach immer mehr Bildern durch Bildentzug widersetzt, ebenso werden vorerst, dem Beispiel der Kunst folgend, die Bilder zunächst bis zur annähernden Unkenntlichkeit in semiotische Theoreme zergliedert, um danach differenzierter über die unterschiedlichsten Faktoren der Bildwahrnehmung und -produktion sprechen zu können. Dieses Vorhaben wird mit Fragen verbunden sein, wie sie die Fiktion des Ersatzes von Welterfahrung durch Bilderfahrung provoziert, d.h., soziologische und semiotische Erkundungen, die die Erkenntnisfragmente einer Welt berühren, werden nun das Ungewisse von Bilderwelten angehen. Die theoretische Reichweite bleibt somit auf kulturelle Ereignisse beschränkt.

Um aber jeglicher Pathetik und jeglichem orientierungslosen Amüsement zu entfliehen, leite ich gleich hier den Fortgang der Untersuchung mit einer Bilddefinition ein, auf die ich mich im weiteren stützen werde. Wenn ein Bild als ein Ding verstanden wird, in das man sich begriffslos einfinden kann, dann ist darin nicht geradewegs inbegriffen, daß es auch zeichenlos ist. Auch in den heutigen Bilderwelten ist ein Bild in seiner immensen Vielfalt sowohl ein Gegenstand als auch ein optisch wahrnehmbares Zeichen. Obwohl die Sichtbarkeit des Bildes eine Materialität voraussetzt, so läßt doch erst die bildliche Zeichenstruktur eine sozial orientierte Kommunikation entstehen, deren Bedeutungen innerhalb von gesellschaftlichen und kulturellen Kommunikationssituationen interpretiert werden. Ohne den Kontext einer soziokulturellen Zeichenstruktur wären Bilder außerstande, eine soziale Bedeutungssphäre auszubilden. Demzufolge wird zu fragen sein, welche potentiellen Sinnsphären Bilder in gesellschaftlicher Realitätskonstruktion erzielen. Die im folgenden zu erläuternde, definitorische Voraussetzung für alle Überlegungen lautet:
Bilder sind flächige, sozial bedeutungsmögliche Gegenstände, auf denen Mitteilungen von Kulturen in einer unwahrscheinlichen Form von Zeichen segmentiert und sedimentiert sind, um etwas per Anschaulichkeit zu bezeichnen.
Hinter dieser relativ strengen, an Gegenständlichkeit und Zeichenhaftigkeit orientierten Bilddefinition verbergen sich drei Prämissen, die als Grundlage der weiteren Untersuchung gelten sollen:
Die 1. Prämisse geht von Bildern aus, die sich als sozial bedeutungsmögliche Flächen mitteilen. Solche Bilder reduzieren die vier Raum-Zeit-Dimensionen auf zweidimensionale Flächen, um wiederum vier Dimensionen vorstellbar zu machen, also quasi zu einer Idee von potentiell erfahrbarer Welt rückführen [vgl. Flusser 1989/8]. Mit dieser von Vilém Flusser bemerkten Reduktion auf zwei Dimensionen der Fläche haben sich moderne sowie archaische Gesellschaften anstehende Transportprobleme von Mitteilungen erleichtert. Unter Mitteilungen will ich etwas verstehen, was innerhalb eines Zeitraumes als Zeichen transportierbar bleibt. Bilder erfüllen diese im Begriff der Mitteilung liegende Anforderung. Sinnfällig beinhalten und sind sie kulturell hergestellte Zeichen, die sie durch eine im Begriff der Kulturgeschichte erfaßte Zeitspanne transportieren.

Die 2. Prämisse lautet demzufolge: Bilder sind und tragen Zeichen. Zu Zeichen einer Kultur werden Bilder dann, wenn sich deren Verwendungsweise innerhalb einer Gesellschaft wiederholt. Unwiederholter Gebrauch eines Gegenstandes verhindert, daß dieser zum Zeichen einer und in einer Kultur wird. Umberto Eco [vgl. 1991/47f.; 1977/9ff.] unterstreicht diesen Gedanken. Seiner Meinung nach wird die Verwendungsweise eines Steines erst dann zur Kultur, wenn sich dessen Funktion und damit sein Mitteilungswert von einem Menschen des einen Tages auch von demselben Menschen des nächsten Tages konzeptualisieren läßt. Diesem zeitbezogenen Brückenschlag im reduzierten Blickwinkel auf das Bild folgend, ermöglicht die einmalige Verwendung eines Bildes keine Kultur. Zu einem Teil der Kultur entfaltet sich das Bild, sobald dessen Funktion als Mitteilungsträger über eine gewisse Bedeutung verfügt, die ihm ein Mensch über einen Zeitraum hinweg zugesteht. Als solch konkretisiertes Zeichen der Kultur ist das Bild in seiner Funktion und möglichen Verwendungsweise von Menschen determiniert. Das Bild als Zeichen zeigt im Auftreten seine Funktion an, indem es als solches wiedererkannt wird. Ansonsten wäre die Funktion jedesmal von neuem zu bestimmen. Kultur entsteht deshalb dann, wenn die Funktion eines Gegenstandes oder eines Bildes zum Zeichen dieser Funktion geworden ist. Unumgänglich kann ein Gegenstand einzig zum Zeichen seiner Funktion innerhalb und nicht außerhalb einer Kultur werden. Dennoch existiert Kultur eigens deshalb, weil es vorgängig möglich ist, da? Gegenstände als Zeichen ihrer konkreten Funktion determiniert oder, mit Niklas Luhmann gesprochen, generalisiert werden können. Ohne Differenzwahrnehmung zur Umwelt wäre die Zeichenfunktion des Gegenstandes als kulturimmanente Kommunikationsmöglichkeit gefährdet, was zur Folge hätte, daß eine Segmentierung und Sedimentierung im Zeitverlauf verhindert werden würde, ja da? sich selbst Kultur nicht zwischen Personen entwickeln könnte.

Aus dem Dargestellten folgt die 3. Prämisse, daß Kultur durch die reproduzierte "Segmentierung" [Eco 1977/186; 1991/113ff.] und produzierte Sedimentierung von Zeichen in einer zwar wandelbaren, aber dennoch vorhandenen Funktion und Bedeutung entsteht. Diese reproduzierte Gliederung von kulturellen Formen und Inhalten wird vielfach als die "zweite Natur des Menschen" [Berger 1988/7] bezeichnet. Nimmt man die "zweite Natur" des Menschen, seine Kultur, genauer, so deutet sich an, daß sie eine »zweite Wahrscheinlichkeit« menschlichen Handelns ist, dessen kulturelle Zeichen sich gegenüber der Natur durch Unwahrscheinlichkeit anzeigen.

Eine Kulturforschung, die darauf abstellt, die Differenzierungen und Segmentierungen verschiedener Zeichen innerhalb soziokultureller Bedingungen zu untersuchen, versucht - vergeblich -, unkritisch zu sein. Sie bietet sich jedoch an, weil die Bedeutung von Bildern im Allgemeinen von Interesse ist. Orientiert ist diese Betrachtungsweise in Teilen an der Kulturdefinition von Eco, um mittels semiotischer Differenzierungskriterien eine allgemeine Beschreibung des Kulturellen von Bildern auszuarbeiten. Was dabei abhanden kommt, ist die Ausrichtung auf kulturelle Werte innerhalb einer Epoche, wie sie beispielsweise die Kritische Theorie und, eher ungeprüft, die aktuelle Kunstkritik thematisiert. Jedoch kann in der Beschreibung der Bildverwendung kein Standpunkt der kulturellen Wertvorstellung eingenommen werden, weil kulturelle Wertvorstellungen unvergleichbar sind. Daß jede wissenschaftliche Beobachtungsweise einen Standpunkt beinhaltet, der sich mit einer Wertvorstellung verbindet, ist innerhalb der Wissenschaften in weiten Teilen anerkannt und im soziologischen Positivismusstreit ausführlich diskutiert worden. Wenn also gleichwohl in einigen Passagen Kritik an Kultur oder Wissenschaft auftaucht, um aktuelle Verwendungsweisen von Bildern in industrialisierten Kulturen prägnanter aufzuzeigen, sollte sie als kultur- bzw. wissenschaftsimmanent verstanden werden. Insofern wird die Untersuchung verschiedene Standpunkte und nicht durchgängig starre Positionen einnehmen, was kulturgemäß eine kritische Wertvorstellung ist, die beinhaltet, daß es nie eine einzig wahre Position ohne blinden Fleck gegeben hat. Eigentlich weiß es jeder: die kulturellen Kartographien jeder Art von Zeichenirrgärten zeigen einen Eingang ohne universalen Ausgang.
Von dem Ausgangspunkt ausgehend, daß Bilder sich als segmentierte Zeichen einer Kultur präsentieren, bleibt für den Fortgang der Überlegungen weiterhin die Frage offen, was Zeichen sind und wie sie sich unterscheiden. Diesen eingangs erwähnten, bilderlosen Pfad durch das Eis der semiotischen Theorie prägt den einführenden Teil I so weit wie nötig, um ein breites Fundament für alle weiteren Fragen vorzubereiten. Zeichen werden dementsprechend die Grundlage aller Überlegungen sein, die im Zusammenhang mit der kulturellen Bedeutung von Bildern erforderlich sind, obwohl semiotische Klassifikationen und Identifikationen wenig mehr hinsichtlich Bildern beschreiben als eben Unterschiede zwischen Zeichen.

Den Gedankengang der Untersuchung bestimmen Bilder im Besonderen und Zeichen im Allgemeinen. Deshalb wird nach der semiotischen Fundierung im ersten Teil der Teil II sondieren, welche wahrnehmungspsychologischen Voraussetzungen die Bildrezeption und Produktion erfordert. Wenn Paul Klee schreibt,
"Wenn ich ein ganz wahres Selbstporträt malen sollte, so sähe man eine merkwürdige Schale. Und drinnen, müßte man jedem klar machen, sitze ich, wie der Kern in einer Nuß. Allegorie der Überkrustung könnte man dieses Werk auch nennen." [Paul Klee 1956/8]
dann heißt dies, da? es wirklich etwas zu sehen gibt, das in der Tat gerade die zeitgenössische Kunst - anders als das Illusionsmarketing der visuellen Werbung - teilweise vergißt oder auch vergessen will, da sie aus dialektischen Gründen gegenwartsnah sein möchte. Nicht alles, was es zu sehen gibt, fällt aber der allegorischen Überkrustung anheim. Paul Klee beschreibt eine Bewegkraft, die alle Bilderwelten betrifft. Denn was der Rezipient in dem fiktiven Bild von Klee wahrnehmen könnte, wäre die Wirklichkeit der merkwürdigen Schale, wenn er schon einmal Schalen gesehen hätte, oder er darauf hingewiesen würde, da? es eine Schale sei, was er in dem Bild sähe. Der Kern ist jedoch das, was der Betrachter nicht sehen kann; er befindet sich in seinem angeeigneten Bedeutungskontext, der ihm mitteilt, da? Paul Klee sich so symbolisiert, nämlich als Kern unter einer Schale. Genau darin liegt der weiterführende Sachverhalt: der Bilderproduzent Paul Klee hätte dieses Bild gemalt, weil die an sich sichtbare Oberfläche seine wahre Realität unbeschrieben läßt. Dies besagt nicht, da? seine wahre Realität wirklich in dem Bild für jedermann erkennbar wäre, sondern nur, da? Klee symbolisch zu verstehen gibt, wie er sich seine vierdimensionale Realität visualisiert in zwei Dimensionen vorstellt, was er über sie denkt und welche subjektiven Erfahrungen er mit ihr verbindet. Die Realität an sich bleibt auch für Paul Klee mehr, als für ihn wahrnehmbar ist, und außerdem mehr, als er verbalisiert, deshalb hat Klee dieses wahre Bild vermutlich nicht gemalt. Umgekehrt läßt sich auch mehr verbalisieren als überhaupt Wirklichkeit ist, denn sehen läßt sich Paul Klee hinter der Schale nicht. Die Frage wäre nun, wie Paul Klee dem Betrachter klarmachen will, da? er selbst der Kern ist bzw. wie er alles in allem darauf kommt, da? es hinter Schalen Kerne geben kann.

Die angedeutete Problematik demonstriert: Wenn es um die Bedeutung von Bildern geht, kommen Faktoren der Wahrnehmung, der Sprache, visueller Zeichen, der Kultur und Gesellschaft in Betracht. Der häufig unbedacht vorausgesetzte Faktor ist das visuelle Erkennen bzw. das Wahrnehmungssystem, mit dem der Betrachter einen Gegenstand als einen solchen wahrnimmt. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang, wie stark gesellschaftliche Einflüsse das visuelle Erkennen verändern. Die Problemstellung, die sich dem anschließt, ist, ob überhaupt und wenn wie das visuell Erkannte in Begriffe eines kulturellen Sprachcodes eingegliedert ist. Notwendig wird diese Orientierung an Verbalisierungen, weil die Sprache auch einen Teil der Bedeutung von Bildern bestimmt. Ebenso scheint ungewiß, welche Strukturen in Bildern vorhanden sind, die nicht in und als Sprache zu erfassen sind. Trotz des sprachlichen Einflusses auf die Wahrnehmung von Bildern fragen die Kapitel in dem Teil II vorrangig nach der Wahrnehmung von Bildern und weniger nach den vermittelten Inhalten und Bedeutungen, also nicht nach der kommunikativen Funktion, sondern danach, wie Individuen Bilder sehen können und mit welcher Erkenntnisfähigkeit sie Bilder erstellen. Zu vermuten ist, da? Kulturen mehrere Faktoren implizieren, die für eine Ähnlichkeit in der Darstellung sorgen. Aufgrund dieser Faktoren verfolgen die ersten fünf Kapitel des Teils II in psychologischer Ausrichtung, wie Individuen Bilder wahrnehmen und erstellen, und welche Einflüsse für eine verwandte Gestaltung innerhalb von Kulturen in Betracht kommen. Das Ende des Teils II wird sich dann, sofern Begriffe der Form im Kapitel 2.6., des Wissens von Bildern im Kapitel 2.7., des bildlichen Kommunikationsprinzips im Kapitel 2.8., der Bildkultur als anwesende Umwelt im Kapitel 2.9. und des Gedächtnisses im Kapitel 2.10. geklärt sind, mit der Problematik eines kulturell Unbewußten im Kapitel 2.11. auseinandersetzen, welches sich für die sogenannte Präsemiotik und den Vorgang der bildlichen Schöpfung und Wahrnehmung verantwortlich zeigen soll. In diesem Abschnitt wird sich zeigen, ob die wahrnehmungspsychologische Fundierung der Semiotik eine unbewußte und vorkommunikative Bildwahrnehmung zu tragen vermag. Ein Ziel dabei ist, die Darstellung und Wahrnehmung eines optischen Codes durch ein kulturgeprägtes Unbewußtes aufzuhellen. Das Kapitel 2.11. wird den Begriff der mimetischen Ähnlichkeit, der für Theorie der visuellen Kommunikation eine sehr umstrittene Rolle spielt, in zusammenfassender Betrachtung darstellen.
Der letzte Teil III dieser Arbeit beschäftigt sich mit den Zeichen, die in Bildern auf verschiedene Bedeutungen hinweisen. Hier ist nicht allein die kommunikative Funktion aufgehoben, sondern gleichfalls das Problem, welche Funktionen die Bilder außerdem übernehmen. Da die Frage nach der Bedeutung von Bildern eng an den Sinn von Bildern gekoppelt ist, wird sich zeigen müssen, in welchem Sinn sie als ein Kulturobjekt Orientierung leisten. Denn gerade Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit findet sich in der modernen Gesellschaft ebenso wie in bildnerischen Zeichen. Der Teil III wird darlegen, wie Zeichen in Bildern Sinn erhalten, um innerhalb einer Kultur kommunikative Bedeutungen zu formulieren. Möglicherweise setzt sich gerade ein Teil der Kultur aus permanenter Subjektivierung von gesellschaftlichen Strukturen zusammen, die objektiv sinnlos oder zumindest orientierungslos erscheinen. Für eine solche Untersuchung sind die sozialen Kontexte der pragmatischen Zeichendimension anzusprechen. Denn semiotische Strukturen erweisen sich insoweit als gesellschaftlich bestimmt, wie davon ausgegangen wird, daß Zeichenkommunikation an die ko-orientierte Praxis von Personen gebunden bleibt. Die unterschiedlichen sozialen Herkunfts- und Verwertungskontexte von Bildern lassen auch verschiedene Bedeutungszusammenhänge entstehen. So kann sich die Bedeutung eines Fotos, das den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zeigt, beispielsweise dadurch verändern, daß es Verwandten als persönliche Erinnerung dient, Patrioten als Zeichen der Vaterlandsliebe gilt, Kindern einen sympathischen Onkel veranschaulicht und ausländischen Gästen die Wiedererkennung Weizsäckers erleichtert. Welche kulturelle Bedeutung die privaten Malereien an Hochschulen, Graffities einer jugendlichen Subkultur oder aber Bilder in Museen haben, hängt sicherlich von ihren sozialen Herkunfts- und Verwertungskontexten ab. An diesen Beispielen läßt sich erkennen, daß soziokulturelle Zusammenhänge die Kontexte der Bedeutung, Wahrheit und Geltung von Bildern leiten. Vorerst sei behauptet, daß Bilder verschiedene Zeichen mit einer kulturellen Bedeutung vermitteln, die im Teil III aus soziologischer Sicht betrachtet wird.

Insgesamt wird die folgende Untersuchung soziologische, semiotische, psychologische und philosophische Thematisierungen in Anspruch nehmen. Diese sich gegenwärtig wieder trennenden Wissenschaftsperspektiven ermöglichen dann Aussagen darüber, wie Bilder verstanden werden, warum Bilder betrachtet werden und welche Bedeutungen sie in der Kultur vermitteln bzw. welche Kultur für sie eine Verwendung hat. (1)


----Fußnote----
(1) Instruktionen: Übernommene Klammern und Anführungszeichen in Zitaten werden durch diese Klammern ( ), diese Anführungszeichen ' ' oder diese » « gekennzeichnet. Kursive Schreibweisen sind in Zitaten übernommen. Diese Klammern [ ] und diese Auslassungskennzeichnungen ... sind in Zitaten eigenständig gesetzt. Außerhalb von Zitaten sind tragende Begriffe bei erster Einführung durch eine solche Linie unterstrichen und durch solche » « Klammern vereinzelt hervorgehoben. Undeutliche oder doppeldeutig gemeinte Sprachbildungen sind durch solche " " Anführungszeichen hervorgehoben. Um Begriffe zu kennzeichnen, die einer philosophisch durchgehaltenen Begriffsbestimmung folgen, aber manchmal auch im Alltag verwendet werden, sind diese Begriffe teilweise kursiv geschrieben, wie z.B. Möglichkeit. Die kursive Schrift kennzeichnet ebenfalls, daß die Begriffe meist im Index aufgenommen wurden. In einigen Fällen kennzeichnen kursiv geschriebene Wörter nur besondere Betonungen der Bedeutung. Auf Texte beziehe ich mich näher mit [vgl. ...] und entfernter mit [hierzu ...]. Querverweise sind im vorliegenden Text durch solche Bemerkungen [s.S. 9] angegeben.



   Teil I. Sehen von Zeichen in Bildern Inhaltsverzeichnis   Home
 

   1.1. Einführung semiotischer Kategorien Inhaltsverzeichnis   Home
  Die Prämisse, da? Bilder bedeutungsmögliche Flächen sind, auf denen mimetische Mitteilungen in einer kulturellen Form von hergestellten Zeichen segmentiert sind [s.S. 8], involviert die zeichengebrauchende Begabung des Menschen. Der Austausch von kulturellen Zeichen stiftet Gesellschaft, und umgekehrt bringt Gesellschaft kulturelle Zeichen hervor. Ohne Zeichen wäre der Mensch dem Augenblick seiner Wahrnehmung ausgeliefert. Ohne sie wäre ihm eine interaktive Möglichkeit genommen, die für ihn eine Zeit- als auch eine Raumdistanz im sozialen Handeln überbrücken könnte. Wer am Leben der Gesellschaft teilhaben will, für den bleibt es unumgänglich, sich eines Zeichenrepertoires in der Kommunikationssituation zu erinnern. Kulturelle Zeichen stellen daher das erinnerungsfähige Mittel der Gesellschaft bereit, um auf jeweils neue Situationen kommunikativ zu reagieren. Verschwände dieser erinnerungsfähige Halt im kulturellen Zeichen, so würde jede andersartige Situation eine Aktualisierung und angemessene Erzeugung eines völlig neuen Zeichenrepertoires erfordern. Dies besagt nicht, da? Zeichen keiner interpretatorischen Veränderung unterliegen. Kommunikation an sich beinhaltet schon Veränderung, sobald sich ihr Verständnis als fruchtbar erweisen kann.
Wenn auch Kommunikation und Gesellschaft aufeinander angewiesen sind, so versteift sich dies nicht darauf, da? Worte die einzigen Zeichen wären, denen soziale Relevanz zukommt. Gerade die Zeichenverständigungen, die außerhalb von Wortfeldern liegen, implizieren eine hohe Affinität zum soziologischen Begriff der Sozialintegration und zu deren Gegebenheit. Insbesondere Zeichenverständigungen in visuellen, taktilen und olfaktorischen Bereichen setzen eine große Nähe der Lebensbereiche voraus, um auf ein "Verständnis" hoffen zu können. So läßt sich beispielsweise der Parfümduft mit dem systemtheoretischen Begriff der Differenzwahrnehmung noch bestimmen, verweigert sich aber der Chance einer Systemintegration, die eine operativ verwendbare System/Umweltdifferenz benötigt. Um sich solchen systemfernen Vermittlungsvorgängen von Zeichen zu nähern, und im späteren die Mitteilung von optischen Zeichen in Bildern aus einer gesellschaftstheoretischen Sicht zu erhellen, befaßt sich folgender Teil mit einer semiotischen Fundierung des Problemkreises. Eine Zeichentheorie ist für denjenigen erforderlich, der visuelle Kommunikation verstehen möchte. Sie bietet einen erklärenden Ansatz, indem sie die Verbindung zwischen Bildern, Sehen, Erfahrung und Sprache detailliert aufzeigt. Die semiotische Theorie wird deshalb die Basis für alle weiteren Untersuchungen sein, damit unterscheidbar bleibt, ob zur Sprache gebracht wird, wie Bilder zu ihren Formen kommen, wie sie sich auf ein Objekt beziehen oder wie sie interpretiert werden können.



   a) Code Inhaltsverzeichnis   Home
  Gemessen an der Vielfalt von Zeichen und Zeichenrelationen wäre es nicht nur eine Engführung, sondern für die angekündigte Fragestellung schlichtweg irreführend, Bilder in Analogien zu sprachlichen Zeichen aufzugreifen. Der Begriff der Sprache hat in bezug auf Bilder wenig anderes als Verwirrung in den entsprechenden Theorien entfesselt. Der bedeutendste Code ist zwar die Schrift und das Sprechen, trotzdem führen diese Verbalisierungen nur eines unter den vielen Zeichenphänomenen vor, in denen der kommunikative Akt auf einem präliminierten Code basiert. [vgl. Eco 1972/236]. Nicht jeder vorverhandelte Code muß eine Sprache sein, und selten verharrt er im Gebrauch unverändert. Unter einem Code, wie er sich von Kodex, Gesetz und der Verabredung eines Normenschlüssels ableitet, verstehe ich relational invariante Informations- und Zeichenstrukturen, die verhältnismäßig regelhafte Produktions- und Reproduktionsabläufe von Informationen, Nachrichten und Zeichen erwarten lassen. Ein dementsprechender Code entsteht aus der Konstruktion einer Regel, die ausschließlich in und von Kollektiven konstruiert wird, da einem privaten Subjekt die Kongruenz einer Regelbefolgung aus einer Fremdposition unkontrollierbar ist.
Es lassen sich eine Reihe von Phänomenen der Kommunikation aufzählen, die einem Code folgen. So sind beispielsweise Gestik, Mimik, Tanz, Ritus, Sprache, Bilder, Kunst, Poesie, Theater, Handels- und Geldverkehr über einen Code geregelte Zeichen. Der Unterschied zwischen Bildern und Kunst oder Sprache und Poesie beispielsweise besteht in der Regelung der Codes innerhalb der soziokulturellen Verwendungsweisen. Nach Bystrina [vgl. 1981/305f.; 1983/51ff.] und Bentele [vgl. 1984/132ff., 295f.] sind Bilder und die natürliche Sprache in erster Gliederung durch den primären Code der Form bzw. des Lautes geregelt. Der primäre Code strukturiert »informationelle Prozesse«, wie z.B. Erkennungs- und Produktionscodes von Bildern auf der Ebene der Form- und Farbwahl. Von besonderem Interesse ist der primäre Code, weil er Invarianten der Form- und Farbwahrnehmung benennt und dadurch soziokulturelle Komponenten der Erkennungsgewohnheiten und Regeln unter dem Einfluß semiotischer Kontexte aufgreift. Mit einem sekundären Code wird im Fall der Bilder die aktualisierte Kompositionsregel von kommunikativen Zeichen innerhalb einer Bildgattung bestimmt. Mit ihm entschlüsselt sich die lebenskontextbezogene Komposition einer privaten Erinnerungsfotografie oder eines religiösen Bildes, welche nicht gleich Kunst ist und auch nicht sein soll. Erst die durch sekundäre Codes geregelten Bilder ermöglichen Kommunikation, weil hier die Farbe und Form eine zeichenhafte Einheit bilden, die mit einem Signifikat und einer Bedeutung verknüpft werden kann. Ist der sekundäre Code erkannt, so strukturiert der tertiäre Code die spezielle Gattung, die ein Werk z.B. als Kunst, Kult oder Poesie markiert.
Mit dem sekundären und tertiären Code sind bereits spezifische Verwendungskontexte und Zuordnungsvorschriften von Zeichen angesprochen. Grundlegend für Verwendungsweisen von Zeichencodes ist jedoch, und dies ist die allgemein akzeptierte Minimalbedingung für den Zeichenbegriff in semiotischen Theorien, da? in einem relationalen Bezug eine zeichenhafte Einheit für eine andere Einheit steht, im Sinn der scholastischen Formulierung "aliquid stat pro aliquo" (etwas steht für etwas) folgend. Ein Code beinhaltet demnach eine Zuordnungsvorschrift, so instabil sie auch sein mag, die angibt, welche zeichenhafte Einheit in welcher Relation zu etwas anderem steht, wie z.B. Worte hinsichtlich Gegenständen Orientierung leisten, das christliche Kreuz auf das Christentum verweist, Geld den Tauschwert von Waren angibt oder eine Erinnerungsfotografie einen Freund zeigt. Überdies regelt ein Code, wie Zeichen in Beziehungen zu Zeichen gleicher Art stehen, z.B. die Grammatik, Syntaktik und Phonetik der Sprache.



   b) Syntaktik, Semantik, Pragmatik Inhaltsverzeichnis   Home
  Damit ein Zeichen für etwas anderes stehen kann, gehorcht es häufig, aber insbesondere in Bildern, keineswegs in jeder Hinsicht einer Regel oder einem Code. Der Begriff des Codes verallgemeinert in zu umfassender Weise. Er übergeht einzelne Dimensionen, in denen ein Zeichen codiert ist. Um einen Code zu lokalisieren, muß man fragen, welche Dimensionen des Zeichens er ordnet. Für die Beschreibung eines Codes möchte ich daher differenzieren, ob ein Zeichen in seiner materiellen Segmentierung, in seiner Bezeichnungsfunktion oder in seiner Bedeutungsfunktion codiert ist. Diese drei Dimensionen, die die Zeichen auf Codes in Syntaktik, Semantik und Pragmatik prüfen, werden später offenlegen, daß Bilder selten in der semantischen und pragmatischen Dimension codiert sind. Wie die Zeichendimensionen aufzufassen sind, klärt folgende Begriffsdefinition.
Die erste Dimension des Zeichens beschreibt der Begriff der Syntaktik. Mit Syntaktik wird angesprochen, ob und wie Zeichen, bzw. Zeichenmittel in formaler Relation untereinander verknüpft sind. In dieser Dimension werden z.B. Bilder danach beurteilt, welchen Darstellungsstil sie im Verhältnis zu anderen Bildern aufweisen und ob deren materielle Einteilungen einem primären Code folgen.

Ohne den langen Streit zu explizieren [hierzu Apel 1973/9ff.; Morris 1988/68ff.], wie die zweite Dimension des Zeichens, die Semantik, aufgefaßt werden könnte, möchte ich sie mit Bense u. Walther [vgl. 1973/19, 88; Walther 1974/70] etwas rigoroser als Morris [vgl. 1973/324] definieren. Mit ihnen fasse ich die zweite Dimension des Zeichens als Bezeichnungsfunktion eines Zeichens auf. Sie schildert die bezeichnende Beziehung des Zeichens zum Objekt als Semantik. Mit Semantik beschreibt die von Peirce abgeleitete Semiotik, erheblich abweichend vom alltäglichen Sprachgebrauch und linguistischen Theorien, ausschließlich die Bezeichnungsfunktion ganz und gar ohne Bedeutungsfunktion von Zeichen. Die semantische Dimension thematisiert, obwohl dies auf Bilder nicht in allen Zeichenschichten zutrifft, da? das Vorhandensein einer Zeichenrelation durch ein Verhältnis zwischen zwei Einheiten (ein Zeichen u. ein Objektbezug) im Begriff der Signifikation bestimmt ist, also eine zeichenhafte Einheit mit etwas anderem, einem kulturellen Objekt, einer kulturellen Idee oder einem Erlebnis korreliert und somit bezeichnet. Die Überlegenheit dieser Bestimmung liegt darin, wie sich jedenfalls für Bilder zeigen wird, daß Bedeutung auf die pragmatische Kompetenz eines Interpretierenden und auf die Institutionalisierungen einer Gesellschaft zurückgeht, aber niemals in den Zeichen selbst verortbar ist.

Georg Klaus [vgl. 1968/565] und Wulf Hund [vgl. 1976/39ff.; Kritik v. Vigener 1979/51ff.] drängen darauf, daß neben der Semantik auch die Sigmatik beachtet werden sollte. Unter dem sigmatischen Aspekt greifen sie die Beziehung zwischen Bezeichnung und bezeichnetem Objekt ohne Interpretation auf. Obwohl gerade bei Bildern die interpretationslose Bezeichnungsfunktion eine Rolle spielt, löst sich die Bezeichnung grundsätzlich nie von interpretierten Bedeutungen ab. Aus diesem Grund, und weil Klaus bzw. Hund mit der Sigmatik zu einer widerspiegelungstheoretischen Version der Semiotik gelangen, die - sicher unrichtig - Zeichen als Wahrnehmungsabbilder der Wirklichkeit beschreibt, verschwindet die Sigmatik in der Semantik.

Im dritten Aspekt wird, Benses und Walthers [vgl. 1973] Auslegung der Morrisschen Theorie folgend, die pragmatische Bedeutungsfunktion eines Zeichenmittels dadurch bestimmt, daß der Zeichenverwender vermöge von Interpretationen einen Interpretanten aktualisiert. Denn mit dem Interpretanten konstituiert der Interpret einen Gedanken, einen Begriff, der das Zeichenmittel in seiner Bedeutungsfunktion für etwas anderes interpretiert, also eine Bedeutung für semantisch bezeichnete Objekte feststellt. Insofern spricht Pragmatik die Beziehung an, die zwischen dem Interpretanten und dem bezeichneten Objektbezug eine Bedeutungsfunktion entstehen läßt. In dieser Dimension der Pragmatik fungiert alles das als ein Zeichen, was innerhalb einer sozialen Konvention von einem R e z i p i e n t e n "... als etwas aufgefaßt werden kann, das für etwas anderes steht" [Eco 1991/38]. Noch genauer trifft die von Eco vorgenommene Erweiterung das Verständnis von Bildern, indem er den Begriff der »Konvention« durch »mögliche Interpretation« ersetzt. Dadurch ergibt sich, da? "... die Interpretation durch einen Interpreten, die anscheinend das Zeichen charakterisiert, als mögliche Interpretation durch einen möglichen Interpreten zu verstehen ist" [Eco 1991/39]. Der Begriff der Möglichkeit unterstreicht den Sachverhalt, daß ein Interpret ohne weiteres von sozialen Konventionen der Bedeutung abrücken kann und er in Bilder jeweilige Bedeutungen hineinlegen kann, mit denen der Bildproduzent und niemand sonst rechnet. Insbesondere Bilder unterliegen einer Pragmatik, deren Möglichkeiten oft von keiner Konvention dirigiert werden, weshalb sie einem vielfältigen Bedeutungswandel ausgesetzt sein können.

Ein ontologischer Nachteil, welcher der Pragmatik von Bildern entspricht, besteht darin, daß ein Zeichen erst infolge der Bedeutungszuweisung eines Rezipienten zum Zeichen erhoben wird. Ohne die Interpretation eines Zeichens als Zeichen befände sich dieses als solches außerhalb jeder Realitätskonstruktion. Insofern geht die pragmatische Zeichendimension auf die Bewußtseinserlebnisse von Rezipienten ein, die kulturgemäß in verschiedenen sozialen Herkunfts-, Verwertungs- und Verwendungskontexten differierende Bedeutungszusammenhänge interpretieren und dementsprechend variierende Wirkungen des Zeichens aktualisieren, also verschiedene Handlungsmöglichkeiten konkretisieren. Dieser Blickwinkel einer Pragmatik, die als "offene Frage" [Putnam 1995] in Kontexten eines unabschließbaren Ungefährs nomadisiert, wird in allen weiteren Teilen den kommunikativen Bedeutungsaspekt von Zeichen ansprechen. Konsequenterweise müssen dabei ebenfalls Aspekte der Semantik und Syntaktik beachtet werden. Erst alle drei Dimensionen führen zum vollständigen Verständnis von Zeichen und Bildern.



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