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Vorwort
zum Stand der Forschung |
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"Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise",
schreibt Luhmann [1987/7] im ersten Satz seiner Theorie "Soziale
Systeme". Seines Erachtens verstehen Soziologen unter Theorie
einerseits allgemeine begriffliche Anstrengungen und andererseits
knappe Hypothesen, die am Datenmaterial empirischer Erhebungen getestet
werden. Welche speziell empirischen und allgemein analytischen Theorien
der Soziologie, die sich mit Bildern beschäftigen, befinden sich
jedoch derzeit in einer Theoriekrise?
Will man soziologische Forschungsansätze finden, die sowohl eine
Empirie als auch Bilder untersuchen, dann kommt nur die Massenkommunikationsforschung
in Frage. In dieser soziologischen Perspektive wurde zwar empirisches
Material zur Kommunikator-, Inhalts-, Medien-, Rezipienten- und Wirkungsforschung
zusammengetragen, aber sie bietet meist nur oberflächliche Analysen
dafür, was Bilder sind, wie Bilder Inhalte kommunizieren und
was als Medium fungiert. Die Einsicht, daß Medien eine Wirkung
haben und daß sie selbst eine Botschaft sein können, trägt
wenig zum Verständnis bei, wie ein Medium beschaffen ist, wie
visuelle Kommunikation möglich wird und wie sich spezielle Zeichen
in Bildern unterscheiden lassen.
Bereits Alphons Silbermann u. Udo Michael Krüger [vgl. 1973/12ff.]
sowie Michael Kunczik [vgl. 1984/1ff.] registrierten ein Theoriedefizit
in der Forschung zur Massenkommunikation. An diesem Mangel, der schon
bei den Begriffen "Masse", "Medium" und "Kommunikation"
sichtbar wird, hat sich bis heute wenig geändert. Zwar sahen
Silbermann u. Krüger [vgl. 1973/15] einen Fortschritt auf
dem Gebiet der positivistisch orientierten Massenkommunikationsforschung,
aber diese strebt auch gegenwärtig keine eigenständige Theorie
der visuellen Kommunikation mittels Bildern an. Vielmehr übernimmt
beispielsweise Sabine Holicki [vgl. 1993] einzelne Fragmente
psychologischer und semiotischer Theorien, um die Wirkung von fotografischen
und sprachlichen Beschreibungen dreier Politiker zu messen. Doch davon
abgesehen, daß Holicki [vgl. 1993/102-107] die verbale
Sprache und Bilder als "Zeichensystem" (fehl-)deutet sowie
von einem "Sender-/Empfängermodell" ausgeht, möchte
sie den Informationsgehalt und die Bedeutung von Bildern dem objektivierenden
Konsens überlassen, den "unvoreingenommene Juroren"
bzw. "Experten" unter sich aushandeln. Zweifellos entwickeln
Betrachter während pragmatischer Interpretation eine Bedeutung,
nur wird es keine »unvoreingenommene« Bedeutung sein,
denn diese müßte von Menschen ohne Lebenserfahrung aktualisiert
werden. Eine tragfähige Theorie der Bedeutung wird somit bei
jenem aktuellen Ansatz nicht formuliert. Darum bekräftigen die
hier beispielhaft erwähnten Aussagen in der Medienwissenschaft,
daß die Soziologie eine Bildtheorie benötigt, die pragmatische
Bedeutungsinterpretationen während visueller Kommunikation präzise
darlegt. Zu einem ersten Verständnis der Massenkommunikation
mittels Bildern tragen die Sammelbände bei, die Bentele u. Hess-Lüttich
[vgl. 1981, 1985] zum Zeichengebrauch in Massenmedien veröffentlichten.
Sieht man von empirischer Forschung ab, so bietet die Soziologie zur
Massenkommunikation diverse kulturkritische Theorien an. Adorno, Horkheimer,
Ortega y Gasset und Neil Postmann geben kritische Positionen vor,
die bis heute tradiert werden. Selbstverständlich gibt es Gegenpositionen
zur Kritik an der Kulturindustrie und zur These des Kulturverfalls
durch Fernsehen [z.B. Maletzke 1988, Taylor u. Saarinen 1994]. All
diese Theorien zur Massenkommunikation verzichten jedoch auf eine
detaillierte Darlegung, wodurch sich die Kultur der Bilder auszeichnet
und wie mittels deren Formulierungen kommuniziert wird, denn kulturkritische
Theorien sind selten Theorien des kommunikativen Handelns. Teilweise
befinden sich die Theorien zur Krise der Kultur sogar selbst in einer
Krise, da ihre These des Kulturverfalls an Überzeugungskraft
verliert. Die kritischen und unkritischen Theorien zur Massenkommunikation
helfen daher nicht in jedem Fall weiter, wenn die Kommunikation mittels
Bildern geklärt werden soll. Einen guten Überblick über
Theorien zur Massenkommunikation bietet nach wie vor Denis McQuail,
obgleich eine Bildtheorie unerwähnt bleibt und ikonische Bilder
mittels eines Informationsbegriffs [vgl. McQuail 1994/249] angesprochen
werden, der ignoriert, daß Bilder vollständig andere Informationen
als Worte mitteilen.
Wurde innerhalb der Soziologie überhaupt eine kohärente
Theorie entwickelt, die die visuelle Kommunikation mittels Bildern
im allgemeinen aufgreift? Wie steht es beispielsweise um die lange
Tradition der Kunstsoziologie [hierzu Silbermann 1979; Henrich u.
Iser 1982]? Davon abgesehen, daß Kunstsoziologie bereits per
Definition keine Soziologie aller Bilder sein will, wird sie von Adorno
[vgl. 1973], Hauser [vgl. 1974] und Gehlen [vgl. 1986]
weitgehend als ästhetische Erfahrung, in historischer Betrachtungsweise
bzw. in der Analyse einzelner Schulen thematisiert. Zieht man z.B.
Luhmanns [vgl. 1995] aktuelle Theorie zur "Kunst der Gesellschaft"
exemplarisch heran, dann ist festzustellen, daß in dieser "kunstsoziologischen"
Systemtheorie das »Bild« kein Thema ist. Denn Luhmanns
Theorie will weder Bildkommunikation verstehen noch einzelne Kunstwerke
beobachten, sondern Kunst als ein "funktionales Äquivalent
zur [alltäglichen] Sprache" [Luhmann 1995/36] innerhalb
seines Untersuchungsprogramms der sozialen Systeme analysieren. Luhmanns
Systemtheorie trägt deshalb vor allem Grundlegendes zum gesellschaftlichen
Teilsystem »Kunst« und zum kommunikativen Gebrauch von
Kunstwerken bei. Sie legt jedoch genauso wie alle anderen soziologischen
Theorien zur Kunst lediglich vereinzelte Theoreme vor, die in der
Frage nach der Bildkommunikation weiterhelfen. Aufgrund dieses Mangels
und weil heutzutage Bilder zunehmend seltener im Kunstsystem verwendet
werden, sehe ich mich in meinem Vorhaben dazu gezwungen, nur vereinzelte
Aussagen der Kunstsoziologie aufzugreifen. Denn gleichwie Kunst einen
Ausnahmefall in bezug auf Bilder darstellt, so betrachtet Kunstsoziologie
allenfalls einen Spezialfall der Bildkommunikation.
Beabsichtigt man, etwas über Bildkommunikation zu erfahren, dann
ist man auch innerhalb der Disziplin »Kunstgeschichte«
unzureichend orientiert. Kunstgeschichte berichtet gemäß
ihrer Namensgebung von einigen Entwicklungen, die sie künstlerischen
Bildern in speziellen Epochen und Regionen zuschreibt; sie unterrichtet
beispielsweise über den symbolischen Inhalt einzelner Bilder,
über deren formalen Aufbau oder über deren historische Produktionsbedingungen.
Die Kunstgeschichte fertigt somit oft Theorien an, die über Kunst
sprechen, sie analysiert aber selten, wie Kommunikation durch Kunst
zustande kommt. Allerdings begann z.B. Felix Thürlemann [vgl. 1990]
erste Werkanalysen, die innerhalb der Kunstwissenschaft eine semiotische
Richtung einschlagen. Doch ist die dort vertretene, für Soziologen
relevante Zeichentheorie unzureichend, denn mit einer Handlungs- und
Wahrnehmungstheorie setzt sich Thürlemann nicht auseinander.
Wenn schon die Kunstgeschichte kaum Theorien zur visuellen Kommunikation
anbietet, so wäre zu vermuten, daß wenigstens die Lehre
des Kommunikationsdesigns über adäquate Theorien verfügt.
Den mir bekannten, sachdienlichsten Versuch legte Braun [vgl. 1993]
unlängst mit seinen "Grundlagen zur visuellen Kommunikation"
vor. Doch bleiben einerseits weite Teile seiner Schrift an Gestaltungsmaßgaben
der angewandten Gebrauchsgraphik orientiert. Andererseits sind seine
theoretischen Konzeptionen nicht etwa von Ansätzen des Kommunikationsdesigns
inspiriert, sondern von Theorien der Psychologie (R. Arnheim,
U. Neisser, J.J. Gibson, W. Metzger), der Semiotik
(U. Eco, M. Krampen) und der Philosophie (N. Goodman,
L. Wittgenstein). Wie ist also an den Stand der Forschung zur
visuellen Kommunikation anzuknüpfen, wenn deren Lehren sich bei
Theorien bedienen, die größtenteils nicht auf visuell kommunikatives
Handeln eingehen? Denn die zuvor genannten Psychologen problematisieren
allenfalls Wahrnehmungsphänomene hinsichtlich Bildern, die aufgezählten
Semiotiker beschäftigen sich mit allgemeinen Zeichenklassifikationen,
Goodman erklärt als Philosoph hauptsächlich, wie bildliche
Ähnlichkeit vorkommen soll, indessen bezieht Wittgenstein vorrangig
zur philosophischen Problematik verbaler Sprache Stellung.
Bei diesen Theoretikern der genannten Disziplinen werden soziologische
Ansätze kaum thematisiert, obwohl ihre Theorien für die
Soziologie und meine Überlegungen überaus relevant sind.
Es ist deshalb interdisziplinär zu arbeiten, falls eine soziologische
Theorie zur visuellen Kommunikation erstellt werden soll. Obwohl manche
meinen, daß Interdisziplinarität wieder unpopulär
geworden ist, kann kein anderer Weg eingeschlagen werden, weil die
Soziologie bisher selten Weittragendes zur Bildkommunikation beitrug.
Denn welche Theorien ergänzen die Soziologie, wenn beispielsweise
das Phänomen der visuellen Wahrnehmung soziologisch relevant
werden soll? Um bezüglich Wahrnehmung weiterführende Ideen
in die Soziologie einzubringen, bedient sich beispielsweise der Soziologe
Niklas Luhmann keineswegs der Aussagen von Soziologen. Er knüpft
zum Thema »Wahrnehmung« an Forschungsergebnisse an, die
innerhalb der Biologie, Kybernetik, Mathematik und Psychologie erarbeitet
wurden. Daher ist der heutige, oft konstruktivistische Stand der Wahrnehmungspsychologie
aufzuzeigen, wenn Wahrnehmung bezüglich Bildern interessiert.
Dient zum Thema »Wahrnehmung« ausschließlich die
Soziologie als Orientierungspunkt, dann ist kaum ein theoretisches
Fundament zu erzielen, von dem aus beispielsweise Pierre Bourdieu
Triftiges zu entgegnen ist. Denn von wo aus sollte gegen die "Elemente
zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung" [Bourdieu
1974/159] eine Argumentation vorgebracht werden, die analysiert, ob
die Bildwahrnehmung tatsächlich von einem kollektiv oder individuell
Unbewußten beeinflußt wird? Für eine solche Argumentation
müssen Ergebnisse der Wahrnehmungsforschung berücksichtigt
werden. Die Soziologie trägt zu diesem Thema zwar eigenständige
Aussagen bei, aber es ist zu prüfen, wie weit soziologische Aussagen
über psychische Systeme eine Theorie der Bildwahrnehmung tragen.
Werden philosophische Überlegungen zu einer Bildtheorie herangezogen,
so meint Oliver R. Scholz [vgl. 1991/12], daß der Beitrag
von Nelson Goodman [vgl. 1973] aus den neueren Ansätzen
herausragt. Scholz sieht in den Bemühungen Goodmans eine allgemeine
Symboltheorie ausgearbeitet, die auch eine Theorie der bildlichen
Darstellungen umfaßt. Wie weit reicht aber die Symboltheorie
Goodmans im Vergleich zu der universal anmutenden Semiotik, die Charles
Sanders Peirce [vgl. 1960] bereits weit vor der letzten Jahrhundertwende
begonnen hat? Um diese Reichweite zu beurteilen, müssen die semiotischen
Forschungsergebnisse zumindest partiell aufgezeigt werden. Denn die
an Peirce angelehnten Arbeiten von Max Bense [vgl. 1979], Umberto
Eco [vgl. 1991], Helmut Pape [vgl. 1989] und Gerhard Schönrich
[vgl. 1990] differenzieren wesentlich genauer als eine reine
Symboltheorie, wie sie Goodman und Susanne Langer [vgl. 1984]
in bezug auf Bilder vorlegen. Soll hinsichtlich Bildern eine zeichen-
und kommunikationstheoretische Auseinandersetzung aufgefunden werden,
dann führen auch die aktuellen Sammelbände kaum weiter,
die Gottfried Boehm [vgl. 1994], Michael Wetzel u. Herta Wolf
[vgl. 1994] herausgaben. Ebenso muß die symboltheoretisch
und psychoanalytisch orientierte Auseinandersetzung von Pazzini [vgl. 1992]
zurückgewiesen werden, sofern Bilder mittels semiotischer Differenzierungen
typisiert werden sollen.
Warum ist überhaupt die semiotische Diskussion für eine
Soziologie visueller Kommunikation relevant? Wie Soziologen wissen,
hat Habermas [vgl. 1988] eine "Theorie des kommunikativen
Handelns" vorgelegt. Seine Theorie geht jedoch nahezu ausschließlich
von sprachlichen Zeichen aus. Hinzu kommt, daß er seine Theorie
an George Herbert Mead [vgl. 1988] und dem symbolischen Interaktionismus
orientiert. Diese sprachbezogene Theorielinie zieht sich durch weite
Bereiche der neueren Soziologie [vgl. z.B. Joas 1989; 1985; Helle
1977], wobei Peirce meist übergangen wird. Will man aber an die
Wurzeln der Theorie von Mead und Morris [vgl. 1973] heranreichen,
dann ist auf Peirce zurückzugreifen. Denn dieser ist der Urheber
des Begriffs »Pragmatismus« und einer Semiotik der indexikalischen
(gestischen) und symbolischen Zeichen, die Mead sehr vereinfacht anspricht.
Das ikonische Zeichen (Bild) berücksichtigt Mead indessen kaum,
weshalb es eventuell in der Kommunikationstheorie von Habermas geringfügige
Beachtung findet. Zwar wird die "Theorie des kommunikativen Handelns"
gegenwärtig viel kritisiert [hierzu Bolz 1993/59ff.], aber einzelne
Aspekte eines visuell kommunikativen Handelns lassen sich mit ihr
trotzdem aufzeigen, wenn das ikonische Zeichen (Bild) nicht ignoriert
wird. Denn die bisherige Diskussion innerhalb soziologischer Kommunikationstheorien,
die oft nur indexikalische (nonverbale) Gesten und (verbale) Symbole
unterscheiden, wird hinsichtlich Bildern nie und nimmer eine Verbesserung
verzeichnen, wenn sie weiterhin ikonische Zeichen (Bilder) als Symbole
mißversteht, keinen Begriff der (bildlichen) Ähnlichkeit
entwickelt und künftig nicht zwischen Syntaktik, Semantik und
Pragmatik der Zeichen differenziert. Dieses Defizit möchte ich
für die Soziologie in Orientierung an Peirce beheben, obwohl
seine kompliziert wirkende Semiotik eine soziologische Rezeption erschwert.
Manche Soziologen sehen gegenwärtig das Ende der Soziologie nahen.
Sicherlich werden meine Überlegungen zur visuellen Kommunikation
keine unbezweifelbaren Antworten erbringen, gleichwohl sehe ich außer
der Philosophie nicht eine andere Wissenschaftsdisziplin, die sich
ebenso, wie die Soziologie, folgende Fragen zumutet: Wie wissen Bilder
etwas? Wie erweisen sich Bilder als soziales und kulturelles Gedächtnis
für Gesellschaften? Was ist bildliches Wissen? Wie kommunizieren
Menschen mittels Bildern? Wie und wodurch äußern sich kulturelle
und gesellschaftliche Einflüsse in Bildern? Was ist das kommunikative
Prinzip von Bildern? Wo fungieren Bilder in sozialen Systemen? usw.
Bevor diese Fragen nicht andere Wissenschaftsdisziplinen stellen und
beantworten, verstehe ich sie als soziologische Fragestellungen. Jene
Fragestellungen sind auch dann an Theorien der Kommunikationswissenschaft,
Wissens-, Kultur- und Kunstsoziologie orientiert, wenn Antworten hervorragender
Soziologen mit Hypothesen anderer Disziplinen kritisiert und mit mir
stimmig scheinenden Weiterentwicklungen reformuliert werden. Da die
Soziologie jene Fragestellungen bisher meist nur in bezug auf die
symbolische Sprache beantwortete, hoffe ich mit der folgenden Auseinandersetzung
einen aktuellen Standpunkt aufzubauen, der die soziologische Theorie
zum Thema »visuelle Kommunikation mittels Bildern« erweitert.
Warum eine soziologische Theorie zur Bildkommunikation gegenwärtig
dringend erforderlich ist, muß in Anbetracht unserer gesellschaftlichen
Kommunikationsbedingungen nicht weiter begründet werden, denn
wir sehen fast alle täglich mehr Bilder, als wir Worte wechseln,
lesen oder schreiben.
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Einleitung:
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»Eiswüsten« nannte Walter Benjamin das große
Feld, welches es zu durchqueren gilt, sobald der Mensch am Anfang
seiner philosophischen Bewegtheit den historisch gewachsenen Philosophemen
gegenübersteht und sich die Einsicht des oben zitierten Seemanns
schleichend in ihre Antithese wendet. Bei der Vorstellung von Bildern
indessen scheint sich so mancher jener Eiswüste entledigen zu
wollen. Ein jeder faßt sich als Routinier auf, der begriffslos
auf der paradiesischen Bilderwoge zu surfen versteht. Der geübte
Blick manövriert sich ohne Sprache durch die Bilderströme;
ihm genügt das erfahrene Auge des Betrachters. Die schneller
werdenden Bildsequenzen der heutigen Filmstreifen erhöhen scheinbar
den Spaß an der Verdrängung des symbolischen Inhalts. Wenn
die amerikanischen Raketen im Irakkrieg die Bilder des Zielanfluges
zeigen, aber das Geschehen nach dem Auftreffen ausblenden, dann demonstriert
dies den Punkt, wo der scheinbare Verstand des hier technischen Auges
nach dem Aufprall auf den Grund urteilslos aussetzt. Leichtfertig
könnte man meinen, daß die Massenmedien die Schulung des
Verstandes zugunsten der Schulung des Auges abschütteln. Im routinierten
Bilderspaß verschwindet das manchmal lähmende, aber verstehende
Moment der Reflexion. Wenn auch der Titel dieser Arbeit bei manchem,
der an "die Bildergesellschaft" denkt, im ersten Eindruck
die vergnügliche Seite von Bildern suggeriert, so wird trotzdem
zuallererst die Eiswüste einer zeichentheoretischen Reflexion
durchquert werden müssen. So wie die moderne Kunst, die sich
in der Dialektik der heutigen Zeit dem bildsüchtigen Ruf nach
immer mehr Bildern durch Bildentzug widersetzt, ebenso werden vorerst,
dem Beispiel der Kunst folgend, die Bilder zunächst bis zur annähernden
Unkenntlichkeit in semiotische Theoreme zergliedert, um danach differenzierter
über die unterschiedlichsten Faktoren der Bildwahrnehmung und
-produktion sprechen zu können. Dieses Vorhaben wird mit Fragen
verbunden sein, wie sie die Fiktion des Ersatzes von Welterfahrung
durch Bilderfahrung provoziert, d.h., soziologische und semiotische
Erkundungen, die die Erkenntnisfragmente einer Welt berühren,
werden nun das Ungewisse von Bilderwelten angehen. Die theoretische
Reichweite bleibt somit auf kulturelle Ereignisse beschränkt.
Um aber jeglicher Pathetik und jeglichem orientierungslosen Amüsement
zu entfliehen, leite ich gleich hier den Fortgang der Untersuchung
mit einer Bilddefinition ein, auf die ich mich im weiteren stützen
werde. Wenn ein Bild als ein Ding verstanden wird, in das man sich
begriffslos einfinden kann, dann ist darin nicht geradewegs inbegriffen,
daß es auch zeichenlos ist. Auch in den heutigen Bilderwelten
ist ein Bild in seiner immensen Vielfalt sowohl ein Gegenstand als
auch ein optisch wahrnehmbares Zeichen. Obwohl die Sichtbarkeit des
Bildes eine Materialität voraussetzt, so läßt doch
erst die bildliche Zeichenstruktur eine sozial orientierte Kommunikation
entstehen, deren Bedeutungen innerhalb von gesellschaftlichen und
kulturellen Kommunikationssituationen interpretiert werden. Ohne den
Kontext einer soziokulturellen Zeichenstruktur wären Bilder außerstande,
eine soziale Bedeutungssphäre auszubilden. Demzufolge wird zu
fragen sein, welche potentiellen Sinnsphären Bilder in gesellschaftlicher
Realitätskonstruktion erzielen. Die im folgenden zu erläuternde,
definitorische Voraussetzung für alle Überlegungen lautet:
Bilder sind flächige, sozial bedeutungsmögliche Gegenstände,
auf denen Mitteilungen von Kulturen in einer unwahrscheinlichen Form
von Zeichen segmentiert und sedimentiert sind, um etwas per Anschaulichkeit
zu bezeichnen.
Hinter dieser relativ strengen, an Gegenständlichkeit und Zeichenhaftigkeit
orientierten Bilddefinition verbergen sich drei Prämissen, die
als Grundlage der weiteren Untersuchung gelten sollen:
Die 1. Prämisse geht von Bildern aus, die sich als sozial
bedeutungsmögliche Flächen mitteilen. Solche Bilder reduzieren
die vier Raum-Zeit-Dimensionen auf zweidimensionale Flächen,
um wiederum vier Dimensionen vorstellbar zu machen, also quasi zu
einer Idee von potentiell erfahrbarer Welt rückführen [vgl.
Flusser 1989/8]. Mit dieser von Vilém Flusser bemerkten Reduktion
auf zwei Dimensionen der Fläche haben sich moderne sowie archaische
Gesellschaften anstehende Transportprobleme von Mitteilungen erleichtert.
Unter Mitteilungen will ich etwas verstehen, was innerhalb eines Zeitraumes
als Zeichen transportierbar bleibt. Bilder erfüllen diese im
Begriff der Mitteilung liegende Anforderung. Sinnfällig beinhalten
und sind sie kulturell hergestellte Zeichen, die sie durch eine im
Begriff der Kulturgeschichte erfaßte Zeitspanne transportieren.
Die 2. Prämisse lautet demzufolge: Bilder sind und tragen
Zeichen. Zu Zeichen einer Kultur werden Bilder dann, wenn sich deren
Verwendungsweise innerhalb einer Gesellschaft wiederholt. Unwiederholter
Gebrauch eines Gegenstandes verhindert, daß dieser zum Zeichen
einer und in einer Kultur wird. Umberto Eco [vgl. 1991/47f.; 1977/9ff.]
unterstreicht diesen Gedanken. Seiner Meinung nach wird die Verwendungsweise
eines Steines erst dann zur Kultur, wenn sich dessen Funktion und
damit sein Mitteilungswert von einem Menschen des einen Tages auch
von demselben Menschen des nächsten Tages konzeptualisieren läßt.
Diesem zeitbezogenen Brückenschlag im reduzierten Blickwinkel
auf das Bild folgend, ermöglicht die einmalige Verwendung eines
Bildes keine Kultur. Zu einem Teil der Kultur entfaltet sich das Bild,
sobald dessen Funktion als Mitteilungsträger über eine gewisse
Bedeutung verfügt, die ihm ein Mensch über einen Zeitraum
hinweg zugesteht. Als solch konkretisiertes Zeichen der Kultur ist
das Bild in seiner Funktion und möglichen Verwendungsweise von
Menschen determiniert. Das Bild als Zeichen zeigt im Auftreten seine
Funktion an, indem es als solches wiedererkannt wird. Ansonsten wäre
die Funktion jedesmal von neuem zu bestimmen. Kultur entsteht deshalb
dann, wenn die Funktion eines Gegenstandes oder eines Bildes zum Zeichen
dieser Funktion geworden ist. Unumgänglich kann ein Gegenstand
einzig zum Zeichen seiner Funktion innerhalb und nicht außerhalb
einer Kultur werden. Dennoch existiert Kultur eigens deshalb, weil
es vorgängig möglich ist, da? Gegenstände als Zeichen
ihrer konkreten Funktion determiniert oder, mit Niklas Luhmann gesprochen,
generalisiert werden können. Ohne Differenzwahrnehmung zur Umwelt
wäre die Zeichenfunktion des Gegenstandes als kulturimmanente
Kommunikationsmöglichkeit gefährdet, was zur Folge hätte,
daß eine Segmentierung und Sedimentierung im Zeitverlauf verhindert
werden würde, ja da? sich selbst Kultur nicht zwischen Personen
entwickeln könnte.
Aus dem Dargestellten folgt die 3. Prämisse, daß Kultur
durch die reproduzierte "Segmentierung" [Eco 1977/186; 1991/113ff.]
und produzierte Sedimentierung von Zeichen in einer zwar wandelbaren,
aber dennoch vorhandenen Funktion und Bedeutung entsteht. Diese reproduzierte
Gliederung von kulturellen Formen und Inhalten wird vielfach als die
"zweite Natur des Menschen" [Berger 1988/7] bezeichnet.
Nimmt man die "zweite Natur" des Menschen, seine Kultur,
genauer, so deutet sich an, daß sie eine »zweite Wahrscheinlichkeit«
menschlichen Handelns ist, dessen kulturelle Zeichen sich gegenüber
der Natur durch Unwahrscheinlichkeit anzeigen.
Eine Kulturforschung, die darauf abstellt, die Differenzierungen und
Segmentierungen verschiedener Zeichen innerhalb soziokultureller Bedingungen
zu untersuchen, versucht - vergeblich -, unkritisch zu sein.
Sie bietet sich jedoch an, weil die Bedeutung von Bildern im Allgemeinen
von Interesse ist. Orientiert ist diese Betrachtungsweise in Teilen
an der Kulturdefinition von Eco, um mittels semiotischer Differenzierungskriterien
eine allgemeine Beschreibung des Kulturellen von Bildern auszuarbeiten.
Was dabei abhanden kommt, ist die Ausrichtung auf kulturelle Werte
innerhalb einer Epoche, wie sie beispielsweise die Kritische Theorie
und, eher ungeprüft, die aktuelle Kunstkritik thematisiert. Jedoch
kann in der Beschreibung der Bildverwendung kein Standpunkt der kulturellen
Wertvorstellung eingenommen werden, weil kulturelle Wertvorstellungen
unvergleichbar sind. Daß jede wissenschaftliche Beobachtungsweise
einen Standpunkt beinhaltet, der sich mit einer Wertvorstellung verbindet,
ist innerhalb der Wissenschaften in weiten Teilen anerkannt und im
soziologischen Positivismusstreit ausführlich diskutiert worden.
Wenn also gleichwohl in einigen Passagen Kritik an Kultur oder Wissenschaft
auftaucht, um aktuelle Verwendungsweisen von Bildern in industrialisierten
Kulturen prägnanter aufzuzeigen, sollte sie als kultur- bzw.
wissenschaftsimmanent verstanden werden. Insofern wird die Untersuchung
verschiedene Standpunkte und nicht durchgängig starre Positionen
einnehmen, was kulturgemäß eine kritische Wertvorstellung
ist, die beinhaltet, daß es nie eine einzig wahre Position ohne
blinden Fleck gegeben hat. Eigentlich weiß es jeder: die kulturellen
Kartographien jeder Art von Zeichenirrgärten zeigen einen Eingang
ohne universalen Ausgang.
Von dem Ausgangspunkt ausgehend, daß Bilder sich als segmentierte
Zeichen einer Kultur präsentieren, bleibt für den Fortgang
der Überlegungen weiterhin die Frage offen, was Zeichen sind
und wie sie sich unterscheiden. Diesen eingangs erwähnten, bilderlosen
Pfad durch das Eis der semiotischen Theorie prägt den einführenden
Teil I so weit wie nötig, um ein breites Fundament für
alle weiteren Fragen vorzubereiten. Zeichen werden dementsprechend
die Grundlage aller Überlegungen sein, die im Zusammenhang mit
der kulturellen Bedeutung von Bildern erforderlich sind, obwohl semiotische
Klassifikationen und Identifikationen wenig mehr hinsichtlich Bildern
beschreiben als eben Unterschiede zwischen Zeichen.
Den Gedankengang der Untersuchung bestimmen Bilder im Besonderen und
Zeichen im Allgemeinen. Deshalb wird nach der semiotischen Fundierung
im ersten Teil der Teil II sondieren, welche wahrnehmungspsychologischen
Voraussetzungen die Bildrezeption und Produktion erfordert. Wenn Paul
Klee schreibt, "Wenn ich ein ganz wahres Selbstporträt
malen sollte, so sähe man eine merkwürdige Schale. Und drinnen,
müßte man jedem klar machen, sitze ich, wie der Kern in
einer Nuß. Allegorie der Überkrustung könnte man dieses
Werk auch nennen." [Paul Klee 1956/8]
dann heißt dies, da? es wirklich etwas zu sehen gibt, das in
der Tat gerade die zeitgenössische Kunst - anders als das
Illusionsmarketing der visuellen Werbung - teilweise vergißt
oder auch vergessen will, da sie aus dialektischen Gründen gegenwartsnah
sein möchte. Nicht alles, was es zu sehen gibt, fällt aber
der allegorischen Überkrustung anheim. Paul Klee beschreibt eine
Bewegkraft, die alle Bilderwelten betrifft. Denn was der Rezipient
in dem fiktiven Bild von Klee wahrnehmen könnte, wäre die
Wirklichkeit der merkwürdigen Schale, wenn er schon einmal Schalen
gesehen hätte, oder er darauf hingewiesen würde, da? es
eine Schale sei, was er in dem Bild sähe. Der Kern ist jedoch
das, was der Betrachter nicht sehen kann; er befindet sich in seinem
angeeigneten Bedeutungskontext, der ihm mitteilt, da? Paul Klee sich
so symbolisiert, nämlich als Kern unter einer Schale. Genau darin
liegt der weiterführende Sachverhalt: der Bilderproduzent Paul
Klee hätte dieses Bild gemalt, weil die an sich sichtbare Oberfläche
seine wahre Realität unbeschrieben läßt. Dies besagt
nicht, da? seine wahre Realität wirklich in dem Bild für
jedermann erkennbar wäre, sondern nur, da? Klee symbolisch zu
verstehen gibt, wie er sich seine vierdimensionale Realität visualisiert
in zwei Dimensionen vorstellt, was er über sie denkt und welche
subjektiven Erfahrungen er mit ihr verbindet. Die Realität an
sich bleibt auch für Paul Klee mehr, als für ihn wahrnehmbar
ist, und außerdem mehr, als er verbalisiert, deshalb hat Klee
dieses wahre Bild vermutlich nicht gemalt. Umgekehrt läßt
sich auch mehr verbalisieren als überhaupt Wirklichkeit ist,
denn sehen läßt sich Paul Klee hinter der Schale nicht.
Die Frage wäre nun, wie Paul Klee dem Betrachter klarmachen will,
da? er selbst der Kern ist bzw. wie er alles in allem darauf kommt,
da? es hinter Schalen Kerne geben kann.
Die angedeutete Problematik demonstriert: Wenn es um die Bedeutung
von Bildern geht, kommen Faktoren der Wahrnehmung, der Sprache, visueller
Zeichen, der Kultur und Gesellschaft in Betracht. Der häufig
unbedacht vorausgesetzte Faktor ist das visuelle Erkennen bzw. das
Wahrnehmungssystem, mit dem der Betrachter einen Gegenstand als einen
solchen wahrnimmt. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang, wie
stark gesellschaftliche Einflüsse das visuelle Erkennen verändern.
Die Problemstellung, die sich dem anschließt, ist, ob überhaupt
und wenn wie das visuell Erkannte in Begriffe eines kulturellen Sprachcodes
eingegliedert ist. Notwendig wird diese Orientierung an Verbalisierungen,
weil die Sprache auch einen Teil der Bedeutung von Bildern bestimmt.
Ebenso scheint ungewiß, welche Strukturen in Bildern vorhanden
sind, die nicht in und als Sprache zu erfassen sind. Trotz des sprachlichen
Einflusses auf die Wahrnehmung von Bildern fragen die Kapitel in dem
Teil II vorrangig nach der Wahrnehmung von Bildern und weniger nach
den vermittelten Inhalten und Bedeutungen, also nicht nach der kommunikativen
Funktion, sondern danach, wie Individuen Bilder sehen können
und mit welcher Erkenntnisfähigkeit sie Bilder erstellen. Zu
vermuten ist, da? Kulturen mehrere Faktoren implizieren, die für
eine Ähnlichkeit in der Darstellung sorgen. Aufgrund dieser Faktoren
verfolgen die ersten fünf Kapitel des Teils II in psychologischer
Ausrichtung, wie Individuen Bilder wahrnehmen und erstellen, und welche
Einflüsse für eine verwandte Gestaltung innerhalb von Kulturen
in Betracht kommen. Das Ende des Teils II wird sich dann, sofern Begriffe
der Form im Kapitel 2.6., des Wissens von Bildern im Kapitel 2.7.,
des bildlichen Kommunikationsprinzips im Kapitel 2.8., der Bildkultur
als anwesende Umwelt im Kapitel 2.9. und des Gedächtnisses im
Kapitel 2.10. geklärt sind, mit der Problematik eines kulturell
Unbewußten im Kapitel 2.11. auseinandersetzen, welches sich
für die sogenannte Präsemiotik und den Vorgang der bildlichen
Schöpfung und Wahrnehmung verantwortlich zeigen soll. In diesem
Abschnitt wird sich zeigen, ob die wahrnehmungspsychologische Fundierung
der Semiotik eine unbewußte und vorkommunikative Bildwahrnehmung
zu tragen vermag. Ein Ziel dabei ist, die Darstellung und Wahrnehmung
eines optischen Codes durch ein kulturgeprägtes Unbewußtes
aufzuhellen. Das Kapitel 2.11. wird den Begriff der mimetischen Ähnlichkeit,
der für Theorie der visuellen Kommunikation eine sehr umstrittene
Rolle spielt, in zusammenfassender Betrachtung darstellen.
Der letzte Teil III dieser Arbeit beschäftigt sich mit den Zeichen,
die in Bildern auf verschiedene Bedeutungen hinweisen. Hier ist nicht
allein die kommunikative Funktion aufgehoben, sondern gleichfalls
das Problem, welche Funktionen die Bilder außerdem übernehmen.
Da die Frage nach der Bedeutung von Bildern eng an den Sinn von Bildern
gekoppelt ist, wird sich zeigen müssen, in welchem Sinn sie als
ein Kulturobjekt Orientierung leisten. Denn gerade Sinnlosigkeit und
Orientierungslosigkeit findet sich in der modernen Gesellschaft ebenso
wie in bildnerischen Zeichen. Der Teil III wird darlegen, wie Zeichen
in Bildern Sinn erhalten, um innerhalb einer Kultur kommunikative
Bedeutungen zu formulieren. Möglicherweise setzt sich gerade
ein Teil der Kultur aus permanenter Subjektivierung von gesellschaftlichen
Strukturen zusammen, die objektiv sinnlos oder zumindest orientierungslos
erscheinen. Für eine solche Untersuchung sind die sozialen Kontexte
der pragmatischen Zeichendimension anzusprechen. Denn semiotische
Strukturen erweisen sich insoweit als gesellschaftlich bestimmt, wie
davon ausgegangen wird, daß Zeichenkommunikation an die ko-orientierte
Praxis von Personen gebunden bleibt. Die unterschiedlichen sozialen
Herkunfts- und Verwertungskontexte von Bildern lassen auch verschiedene
Bedeutungszusammenhänge entstehen. So kann sich die Bedeutung
eines Fotos, das den damaligen Bundespräsidenten Richard von
Weizsäcker zeigt, beispielsweise dadurch verändern, daß
es Verwandten als persönliche Erinnerung dient, Patrioten als
Zeichen der Vaterlandsliebe gilt, Kindern einen sympathischen Onkel
veranschaulicht und ausländischen Gästen die Wiedererkennung
Weizsäckers erleichtert. Welche kulturelle Bedeutung die privaten
Malereien an Hochschulen, Graffities einer jugendlichen Subkultur
oder aber Bilder in Museen haben, hängt sicherlich von ihren
sozialen Herkunfts- und Verwertungskontexten ab. An diesen Beispielen
läßt sich erkennen, daß soziokulturelle Zusammenhänge
die Kontexte der Bedeutung, Wahrheit und Geltung von Bildern leiten.
Vorerst sei behauptet, daß Bilder verschiedene Zeichen mit einer
kulturellen Bedeutung vermitteln, die im Teil III aus soziologischer
Sicht betrachtet wird.
Insgesamt wird die folgende Untersuchung soziologische, semiotische,
psychologische und philosophische Thematisierungen in Anspruch nehmen.
Diese sich gegenwärtig wieder trennenden Wissenschaftsperspektiven
ermöglichen dann Aussagen darüber, wie Bilder verstanden
werden, warum Bilder betrachtet werden und welche Bedeutungen sie
in der Kultur vermitteln bzw. welche Kultur für sie eine Verwendung
hat. (1)
----Fußnote----
(1) Instruktionen:
Übernommene Klammern und Anführungszeichen in Zitaten werden
durch diese Klammern ( ), diese Anführungszeichen ' ' oder diese
» « gekennzeichnet. Kursive Schreibweisen sind in Zitaten
übernommen. Diese Klammern [ ] und diese Auslassungskennzeichnungen ...
sind in Zitaten eigenständig gesetzt. Außerhalb von Zitaten
sind tragende Begriffe bei erster Einführung durch eine solche
Linie unterstrichen und durch solche » « Klammern vereinzelt
hervorgehoben. Undeutliche oder doppeldeutig gemeinte Sprachbildungen
sind durch solche " " Anführungszeichen hervorgehoben.
Um Begriffe zu kennzeichnen, die einer philosophisch durchgehaltenen
Begriffsbestimmung folgen, aber manchmal auch im Alltag verwendet
werden, sind diese Begriffe teilweise kursiv geschrieben, wie z.B.
Möglichkeit. Die kursive Schrift kennzeichnet ebenfalls, daß
die Begriffe meist im Index aufgenommen wurden. In einigen Fällen
kennzeichnen kursiv geschriebene Wörter nur besondere Betonungen
der Bedeutung. Auf Texte beziehe ich mich näher mit [vgl. ...]
und entfernter mit [hierzu ...]. Querverweise sind im vorliegenden
Text durch solche Bemerkungen [s.S. 9] angegeben.
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Teil I. Sehen
von Zeichen in Bildern |
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1.1. Einführung
semiotischer Kategorien |
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Die Prämisse, da? Bilder bedeutungsmögliche
Flächen sind, auf denen mimetische Mitteilungen in einer kulturellen
Form von hergestellten Zeichen segmentiert sind [s.S. 8], involviert
die zeichengebrauchende Begabung des Menschen. Der Austausch von kulturellen
Zeichen stiftet Gesellschaft, und umgekehrt bringt Gesellschaft kulturelle
Zeichen hervor. Ohne Zeichen wäre der Mensch dem Augenblick seiner
Wahrnehmung ausgeliefert. Ohne sie wäre ihm eine interaktive
Möglichkeit genommen, die für ihn eine Zeit- als auch eine
Raumdistanz im sozialen Handeln überbrücken könnte.
Wer am Leben der Gesellschaft teilhaben will, für den bleibt
es unumgänglich, sich eines Zeichenrepertoires in der Kommunikationssituation
zu erinnern. Kulturelle Zeichen stellen daher das erinnerungsfähige
Mittel der Gesellschaft bereit, um auf jeweils neue Situationen kommunikativ
zu reagieren. Verschwände dieser erinnerungsfähige Halt
im kulturellen Zeichen, so würde jede andersartige Situation
eine Aktualisierung und angemessene Erzeugung eines völlig neuen
Zeichenrepertoires erfordern. Dies besagt nicht, da? Zeichen keiner
interpretatorischen Veränderung unterliegen. Kommunikation an
sich beinhaltet schon Veränderung, sobald sich ihr Verständnis
als fruchtbar erweisen kann.
Wenn auch Kommunikation und Gesellschaft aufeinander angewiesen sind,
so versteift sich dies nicht darauf, da? Worte die einzigen Zeichen
wären, denen soziale Relevanz zukommt. Gerade die Zeichenverständigungen,
die außerhalb von Wortfeldern liegen, implizieren eine hohe
Affinität zum soziologischen Begriff der Sozialintegration und
zu deren Gegebenheit. Insbesondere Zeichenverständigungen in
visuellen, taktilen und olfaktorischen Bereichen setzen eine große
Nähe der Lebensbereiche voraus, um auf ein "Verständnis"
hoffen zu können. So läßt sich beispielsweise der
Parfümduft mit dem systemtheoretischen Begriff der Differenzwahrnehmung
noch bestimmen, verweigert sich aber der Chance einer Systemintegration,
die eine operativ verwendbare System/Umweltdifferenz benötigt.
Um sich solchen systemfernen Vermittlungsvorgängen von Zeichen
zu nähern, und im späteren die Mitteilung von optischen
Zeichen in Bildern aus einer gesellschaftstheoretischen Sicht zu erhellen,
befaßt sich folgender Teil mit einer semiotischen Fundierung
des Problemkreises. Eine Zeichentheorie ist für denjenigen erforderlich,
der visuelle Kommunikation verstehen möchte. Sie bietet einen
erklärenden Ansatz, indem sie die Verbindung zwischen Bildern,
Sehen, Erfahrung und Sprache detailliert aufzeigt. Die semiotische
Theorie wird deshalb die Basis für alle weiteren Untersuchungen
sein, damit unterscheidbar bleibt, ob zur Sprache gebracht wird, wie
Bilder zu ihren Formen kommen, wie sie sich auf ein Objekt beziehen
oder wie sie interpretiert werden können.
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a) Code |
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Gemessen an der Vielfalt von Zeichen
und Zeichenrelationen wäre es nicht nur eine Engführung,
sondern für die angekündigte Fragestellung schlichtweg irreführend,
Bilder in Analogien zu sprachlichen Zeichen aufzugreifen. Der Begriff
der Sprache hat in bezug auf Bilder wenig anderes als Verwirrung in
den entsprechenden Theorien entfesselt. Der bedeutendste Code ist
zwar die Schrift und das Sprechen, trotzdem führen diese Verbalisierungen
nur eines unter den vielen Zeichenphänomenen vor, in denen der
kommunikative Akt auf einem präliminierten Code basiert. [vgl.
Eco 1972/236]. Nicht jeder vorverhandelte Code muß eine Sprache
sein, und selten verharrt er im Gebrauch unverändert. Unter einem
Code, wie er sich von Kodex, Gesetz und der Verabredung eines Normenschlüssels
ableitet, verstehe ich relational invariante Informations- und Zeichenstrukturen,
die verhältnismäßig regelhafte Produktions- und Reproduktionsabläufe
von Informationen, Nachrichten und Zeichen erwarten lassen. Ein dementsprechender
Code entsteht aus der Konstruktion einer Regel, die ausschließlich
in und von Kollektiven konstruiert wird, da einem privaten Subjekt
die Kongruenz einer Regelbefolgung aus einer Fremdposition unkontrollierbar
ist.
Es lassen sich eine Reihe von Phänomenen der Kommunikation aufzählen,
die einem Code folgen. So sind beispielsweise Gestik, Mimik, Tanz,
Ritus, Sprache, Bilder, Kunst, Poesie, Theater, Handels- und Geldverkehr
über einen Code geregelte Zeichen. Der Unterschied zwischen Bildern
und Kunst oder Sprache und Poesie beispielsweise besteht in der Regelung
der Codes innerhalb der soziokulturellen Verwendungsweisen. Nach Bystrina
[vgl. 1981/305f.; 1983/51ff.] und Bentele [vgl. 1984/132ff., 295f.]
sind Bilder und die natürliche Sprache in erster Gliederung durch
den primären Code der Form bzw. des Lautes geregelt. Der primäre
Code strukturiert »informationelle Prozesse«, wie z.B.
Erkennungs- und Produktionscodes von Bildern auf der Ebene der Form-
und Farbwahl. Von besonderem Interesse ist der primäre Code,
weil er Invarianten der Form- und Farbwahrnehmung benennt und dadurch
soziokulturelle Komponenten der Erkennungsgewohnheiten und Regeln
unter dem Einfluß semiotischer Kontexte aufgreift. Mit einem
sekundären Code wird im Fall der Bilder die aktualisierte Kompositionsregel
von kommunikativen Zeichen innerhalb einer Bildgattung bestimmt. Mit
ihm entschlüsselt sich die lebenskontextbezogene Komposition
einer privaten Erinnerungsfotografie oder eines religiösen Bildes,
welche nicht gleich Kunst ist und auch nicht sein soll. Erst die durch
sekundäre Codes geregelten Bilder ermöglichen Kommunikation,
weil hier die Farbe und Form eine zeichenhafte Einheit bilden, die
mit einem Signifikat und einer Bedeutung verknüpft werden kann.
Ist der sekundäre Code erkannt, so strukturiert der tertiäre
Code die spezielle Gattung, die ein Werk z.B. als Kunst, Kult oder
Poesie markiert.
Mit dem sekundären und tertiären Code sind bereits spezifische
Verwendungskontexte und Zuordnungsvorschriften von Zeichen angesprochen.
Grundlegend für Verwendungsweisen von Zeichencodes ist jedoch,
und dies ist die allgemein akzeptierte Minimalbedingung für den
Zeichenbegriff in semiotischen Theorien, da? in einem relationalen
Bezug eine zeichenhafte Einheit für eine andere Einheit steht,
im Sinn der scholastischen Formulierung "aliquid stat pro aliquo"
(etwas steht für etwas) folgend. Ein Code beinhaltet demnach
eine Zuordnungsvorschrift, so instabil sie auch sein mag, die angibt,
welche zeichenhafte Einheit in welcher Relation zu etwas anderem steht,
wie z.B. Worte hinsichtlich Gegenständen Orientierung leisten,
das christliche Kreuz auf das Christentum verweist, Geld den Tauschwert
von Waren angibt oder eine Erinnerungsfotografie einen Freund zeigt.
Überdies regelt ein Code, wie Zeichen in Beziehungen zu Zeichen
gleicher Art stehen, z.B. die Grammatik, Syntaktik und Phonetik der
Sprache.
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b) Syntaktik,
Semantik, Pragmatik |
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Damit ein Zeichen für etwas anderes
stehen kann, gehorcht es häufig, aber insbesondere in Bildern,
keineswegs in jeder Hinsicht einer Regel oder einem Code. Der Begriff
des Codes verallgemeinert in zu umfassender Weise. Er übergeht
einzelne Dimensionen, in denen ein Zeichen codiert ist. Um einen Code
zu lokalisieren, muß man fragen, welche Dimensionen des Zeichens
er ordnet. Für die Beschreibung eines Codes möchte ich daher
differenzieren, ob ein Zeichen in seiner materiellen Segmentierung,
in seiner Bezeichnungsfunktion oder in seiner Bedeutungsfunktion codiert
ist. Diese drei Dimensionen, die die Zeichen auf Codes in Syntaktik,
Semantik und Pragmatik prüfen, werden später offenlegen,
daß Bilder selten in der semantischen und pragmatischen Dimension
codiert sind. Wie die Zeichendimensionen aufzufassen sind, klärt
folgende Begriffsdefinition.
Die erste Dimension des Zeichens beschreibt der Begriff der Syntaktik.
Mit Syntaktik wird angesprochen, ob und wie Zeichen, bzw. Zeichenmittel
in formaler Relation untereinander verknüpft sind. In dieser
Dimension werden z.B. Bilder danach beurteilt, welchen Darstellungsstil
sie im Verhältnis zu anderen Bildern aufweisen und ob deren materielle
Einteilungen einem primären Code folgen.
Ohne den langen Streit zu explizieren [hierzu Apel 1973/9ff.; Morris
1988/68ff.], wie die zweite Dimension des Zeichens, die Semantik,
aufgefaßt werden könnte, möchte ich sie mit Bense
u. Walther [vgl. 1973/19, 88; Walther 1974/70] etwas rigoroser als
Morris [vgl. 1973/324] definieren. Mit ihnen fasse ich die zweite
Dimension des Zeichens als Bezeichnungsfunktion eines Zeichens auf.
Sie schildert die bezeichnende Beziehung des Zeichens zum Objekt als
Semantik. Mit Semantik beschreibt die von Peirce abgeleitete Semiotik,
erheblich abweichend vom alltäglichen Sprachgebrauch und linguistischen
Theorien, ausschließlich die Bezeichnungsfunktion ganz und gar
ohne Bedeutungsfunktion von Zeichen. Die semantische Dimension thematisiert,
obwohl dies auf Bilder nicht in allen Zeichenschichten zutrifft, da?
das Vorhandensein einer Zeichenrelation durch ein Verhältnis
zwischen zwei Einheiten (ein Zeichen u. ein Objektbezug) im Begriff
der Signifikation bestimmt ist, also eine zeichenhafte Einheit mit
etwas anderem, einem kulturellen Objekt, einer kulturellen Idee oder
einem Erlebnis korreliert und somit bezeichnet. Die Überlegenheit
dieser Bestimmung liegt darin, wie sich jedenfalls für Bilder
zeigen wird, daß Bedeutung auf die pragmatische Kompetenz eines
Interpretierenden und auf die Institutionalisierungen einer Gesellschaft
zurückgeht, aber niemals in den Zeichen selbst verortbar ist.
Georg Klaus [vgl. 1968/565] und Wulf Hund [vgl. 1976/39ff.; Kritik
v. Vigener 1979/51ff.] drängen darauf, daß neben der Semantik
auch die Sigmatik beachtet werden sollte. Unter dem sigmatischen Aspekt
greifen sie die Beziehung zwischen Bezeichnung und bezeichnetem Objekt
ohne Interpretation auf. Obwohl gerade bei Bildern die interpretationslose
Bezeichnungsfunktion eine Rolle spielt, löst sich die Bezeichnung
grundsätzlich nie von interpretierten Bedeutungen ab. Aus diesem
Grund, und weil Klaus bzw. Hund mit der Sigmatik zu einer widerspiegelungstheoretischen
Version der Semiotik gelangen, die - sicher unrichtig -
Zeichen als Wahrnehmungsabbilder der Wirklichkeit beschreibt, verschwindet
die Sigmatik in der Semantik.
Im dritten Aspekt wird, Benses und Walthers [vgl. 1973] Auslegung
der Morrisschen Theorie folgend, die pragmatische Bedeutungsfunktion
eines Zeichenmittels dadurch bestimmt, daß der Zeichenverwender
vermöge von Interpretationen einen Interpretanten aktualisiert.
Denn mit dem Interpretanten konstituiert der Interpret einen Gedanken,
einen Begriff, der das Zeichenmittel in seiner Bedeutungsfunktion
für etwas anderes interpretiert, also eine Bedeutung für
semantisch bezeichnete Objekte feststellt. Insofern spricht Pragmatik
die Beziehung an, die zwischen dem Interpretanten und dem bezeichneten
Objektbezug eine Bedeutungsfunktion entstehen läßt. In
dieser Dimension der Pragmatik fungiert alles das als ein Zeichen,
was innerhalb einer sozialen Konvention von einem R e z i p i e n t e n
"... als etwas aufgefaßt werden kann, das für
etwas anderes steht" [Eco 1991/38]. Noch genauer trifft die von
Eco vorgenommene Erweiterung das Verständnis von Bildern, indem
er den Begriff der »Konvention« durch »mögliche
Interpretation« ersetzt. Dadurch ergibt sich, da? "... die
Interpretation durch einen Interpreten, die anscheinend das Zeichen
charakterisiert, als mögliche Interpretation durch einen möglichen
Interpreten zu verstehen ist" [Eco 1991/39]. Der Begriff der
Möglichkeit unterstreicht den Sachverhalt, daß ein Interpret
ohne weiteres von sozialen Konventionen der Bedeutung abrücken
kann und er in Bilder jeweilige Bedeutungen hineinlegen kann, mit
denen der Bildproduzent und niemand sonst rechnet. Insbesondere Bilder
unterliegen einer Pragmatik, deren Möglichkeiten oft von keiner
Konvention dirigiert werden, weshalb sie einem vielfältigen Bedeutungswandel
ausgesetzt sein können.
Ein ontologischer Nachteil, welcher der Pragmatik von Bildern entspricht,
besteht darin, daß ein Zeichen erst infolge der Bedeutungszuweisung
eines Rezipienten zum Zeichen erhoben wird. Ohne die Interpretation
eines Zeichens als Zeichen befände sich dieses als solches außerhalb
jeder Realitätskonstruktion. Insofern geht die pragmatische Zeichendimension
auf die Bewußtseinserlebnisse von Rezipienten ein, die kulturgemäß
in verschiedenen sozialen Herkunfts-, Verwertungs- und Verwendungskontexten
differierende Bedeutungszusammenhänge interpretieren und dementsprechend
variierende Wirkungen des Zeichens aktualisieren, also verschiedene
Handlungsmöglichkeiten konkretisieren. Dieser Blickwinkel einer
Pragmatik, die als "offene Frage" [Putnam 1995] in Kontexten
eines unabschließbaren Ungefährs nomadisiert, wird in allen
weiteren Teilen den kommunikativen Bedeutungsaspekt von Zeichen ansprechen.
Konsequenterweise müssen dabei ebenfalls Aspekte der Semantik
und Syntaktik beachtet werden. Erst alle drei Dimensionen führen
zum vollständigen Verständnis von Zeichen und Bildern.
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