a) Konsens und Konventionen im Sinn der Form Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Für kulturelle Kollektive werden Zeichenformen kommunikativ sinnvoll, wenn relativ viele Individuen die gleichen Wahrnehmungs- und Zeichengewohnheiten haben. Man könnte dann auch sagen, Sinn ist dort am sichersten zu erwarten, wo er unbefragt in Anspruch genommen wird. Daher schreibt sich in menschliche Lebenskontexte am augenfälligsten der Sinn ein, der sich, ohne weitere Erkundungen und Renitenzen zu provozieren, gewohnheitsmäßig etablieren kann. Die momentan am stärksten hervortretende, visuelle Gewohnheit, die in bezug auf moderne Bildformen unbefragt vorherrscht, erzeugt die Zentralperspektive. Diese fungiert als ein kulturelles Legizeichen, dessen Verwendung mit der Erwartungserwartung verbunden ist, daß man den Erkennungsgewohnheiten von Individuen nahezu weltweit entsprechen wird. Wenn ein Bildproduzent z.B. die Zentralperspektive verwendet, erwartet er die Erwartung des Betrachters, daß dieser etwas sehen will, was er auch als Zeichen der visuellen Kommunikation erkennen kann. Es ist also der Erkennungscode, der hinsichtlich der Zentralperspektive den visuellen Kommunikationsfluß aufrecht erhält. In der Präsenz der Form wird hier nämlich selbstverständlich ein Sinn der repräsentierenden Form erkannt, der das Bild als visuell kommunikative Veranschaulichung verständlich macht.
»Verständlich« im Bildzusammenhang heißt: das Bild vermittelt visuelle Informationen unter der Prämisse, daß der Rezipient die Information als optische Nachricht von etwas anderem visuell erkannt hat. Hier liegt eine Paradoxie der visuellen Kommunikation. Einerseits soll diese im ikonischen Objektbezug dem Gegenstand sehr ähnliche Informationen transferieren, und andererseits soll sie aber dem Gegenstand nicht so ähnlich sein, daß sie mit ihm im Zeichenmittel, d.h. in Form und Materialität, homöomorph wird. Wäre diese Merkmalsidentität der Fall, ginge die kommunikative Nachricht verloren. Allerdings gewöhnt sich der Bildbetrachter an die Nachricht: So sieht der Gegenstand in illustrativer Bezeichnung aus. Die gut vertraute Perspektive erlaubt dem Betrachter, den ikonischen Objektbezug auf den Gegenstand perspektivisch direkt in Form einer scheinbaren Durchsicht zu entfalten. Der Bildbetrachter vergißt den Nachrichtengehalt solcher scheinbaren Durchsichten (Perspektiven) auf den Gegenstand. Er nimmt die visuelle Information des ikonischen Objekts direkt wahr, indem er sie vorkommunikativ als »Bezeichnung ohne Zeichenbedeutung« [s.S. 129] verstehen kann. Das Vergessen des kommunikativen Aspekts von Bildern leistet die Erkennungsgewohnheit, die wenig Gelegenheit zum bewußten Wiedererkennen von legizeichenhaften Strukturen aufkommen läßt [s.S. 148].

Gewohnheiten wirken meist so, als ob sie einer Regel folgen, die es dem wahrnehmenden Individuum eröffnet, nichts mehr von einer Regel zu bemerken. Solche "vergessenen" Regeln weisen Bilder in der legizeichenhaften Materialeinteilung auf, wodurch sie im Sinn repräsentierender Bildformen für den Rezipienten zur möglichen Gewohnheit, zur zweiten "Natur" oder zweiten Wahrscheinlichkeit werden. Jenes gewohnheitsmäßige Wiedererkennen auf der Seite des Rezipienten wäre dann aber nichts anderes als ein Erkennungscode von Bildstrukturen. Rezipienten internalisieren den Sinn repräsentierender Form gewohnheitsmäßig, indem sie eine kulturelle Regel verinnerlichen und vergessen. In der beständigen Repetition verlieren Bilder nicht ihren Sinn, jedoch entschwindet ihr kommunikativer Mitteilungswert. Die Internalisierung erlaubt dem Bildbetrachter nämlich, daß er den ikonischen Objektbezug sofort erkennt, ohne zu bemerken, warum er es kann. Aufgrund des Erkennungscodes sieht er gewohnheitsmäßig durch das Bild hindurch. Er sieht scheinbar direkt auf das Objekt, ganz so, wie er bewegungslos durch das vergitterte (83) Fenster Dürers oder durch den Sucher einer Fotokamera den Gegenstand anstarren würde. Solche zu Fenstern verwandelten Bilder erscheinen im geradlinigsten Sinne des Wortes »gegenständlich«. Obwohl die fingierte Gegenständlichkeit an sich nichts kommuniziert, kann dennoch die simulierte Durchsicht auf das Objekt als ein Signifikationscode der Bildkommunikation aufgefaßt werden. Die syntaktischen Einteilungsformen von Bildern erlauben dem Betrachter eine Sichtweise auf ikonische Objektbezüge, die aus Gewohnheit in scheinbar direkter Referenz auf den Gegenstand wahrgenommen werden. Dies führen beispielsweise Videoamateure vor, die sich mit dem einäugigen Sucherbild ihrer Kamera eine ikonische Kartographie erstellen, die sie nicht kommunikativ, sondern informativ für die ein wenig unbeholfene Orientierung im Raum nutzen.

Beim ikonischen Signifikationscode basiert der hingenommene Sinn auf erlernten Formprinzipien, an die sich Individuen in struktureller Kopplung gewöhnt haben. Vermöge der kognitiven Schemata des Wahrnehmenden wird erst »etwas« zum Zeichen gemacht, weshalb der »Sinn im Sinn repräsentierender Form« an die kognitive Struktur des Wahrnehmenden gebunden bleibt [s.S. 84 (semiotischer Exkurs)]. Auf Kulturen bezogen folgt daraus, daß der Sinn der repräsentierenden Form als Zeichenregel generalisiert werden muß. Im Sinn der präsenten Form würde keine kommunikative Vertrautheit auftauchen, die einen Erkennungscode von Bildern stabilisieren könnte. Unerkannte Bilder oder Bilder ohne bekannte repräsentierende Codierung müßten erst als Bild erarbeitet werden, so wie es bei der Kunstbetrachtung im Fall von Sinzeichen vorkommt. Der kulturelle Signifikationscode in der Verbindung mit legizeichenhafter Bildeinteilung und ikonischem Objektbezug stabilisiert sich im visuellen Sinn, wodurch sich visuelle Kommunikation fürs erste kulturell anschlußfähig verwirklicht. Fürs erste deshalb, weil kulturelle Verallgemeinerungen außerdem in indexikalischen und symbolischen Objektbezügen vorkommen, denen hermeneutisch oder ikonographisch orientierte Kunsthistoriker und alle anderen erfahrungs- oder sprachorientierten Bildinterpreten nachspüren.

Wenn man Kritzelzeichnungen von sehr jungen Kindern oder den Künstlern Cy Twombly und Willem de Kooning betrachtet, kann man feststellen, daß ein pragmatischer Konsens über das Wahrgenommene gewiß erst in kommunikativer Bestätigung oder wechselseitiger Beobachtung erreicht wird. Bei alltäglichen Bildern indessen kennen die Individuen den kulturellen Konsens über die stilisierten Formen im Bildmedium. Selbst Luhmann [vgl. 1992/56] vermutet, daß mit der Bezeichnung »Konsens« eine individuelle Bewußtseinslage gemeint ist, über die durch Kommunikation (84) entschieden wird und die den Begriff der »Lebenswelt« berührt. Ohne "die Lebenswelt als Universum prinzipieller Anschaubarkeit" [Husserl 1954/130] zu problematisieren, verstehe ich unter »Konsens« (85) die kommunizierte Erwartungssicherheit einer gemeinsamen Wahrnehmung von bildlichen Formen, die in einer Gesellschaft aufgrund von Kontext-Nachrichten sinnvoll und kommunikativ anschlußfähig auftreten. Der Sinn der repräsentierenden Form basiert auf dem Konsens, daß ein figurativer Erkenntnisstil einer Epoche plausible Informationen bietet, wenn er die konventionellen und alltäglichen Darstellungscodes nutzt. Der Sinn repräsentierender Form und der Konsens über diesen bestimmen sich offenbar wechselseitig: der kommunikative Sinn der Form wird im Konsens und der Konsens im kommunikativen Austausch der Form gefunden. Hiermit verdeutlicht sich, warum der Sinn einer informationellen Ordnung dem kulturellen Sozialisierungsprozeß eines Individuums unterliegt. Der Sinn bildlicher Formen entsteht in der zeitrelationalen Vergesellschaftung von Sinn. Dieser wird von Individuuen in den Wahrnehmungsschemata vorbewußt und in der Wahrnehmung vorkommunikativ wiedererkannt, woraufhin er sich so zur kommunikativen Erkennungsgewohnheit von Bildern entwickelt. Ohne den zeit- und beobachterrelationalen Konsens über die informationelle Ordnung von Bildern stünde der Sinn der visuellen Kommunikation zumindest in Frage. Wohlgemerkt, ich meine hier keinen Konsens über die kommunikative Bedeutung der Form, sondern über den Sinn der bildlichen Form, welche durchaus unterschiedliche Bedeutungen in der Interpretation annehmen kann. Kommunikativer bzw. interpretativer Dissens setzt den Konsens bezüglich des bildlichen Signifikationsmediums einer Kultur weitgehend voraus.

Im sozialverständigten Konsens bekräftigen sich Individuen nicht die Notwendigkeit, die Bilder in eine irgendwie überprüfbare Ähnlichkeitsbeziehung zum Gegenstand stellen würde. Vielmehr bestätigen sie sich vorangehend, daß sie den vergesellschafteten Sinn der repräsentierenden Formen als eine kulturelle Konvention wiedererkennen können, unabhängig davon, ob die Referenz zum Gegenstand ähnlich oder unähnlich scheint. Das relevante Moment beinhaltet die kommunikativen Geltungsansprüche, die bei kultureller Kontextimmanenz dem Bildmedium zugestanden werden. Je nachdem, wie sich die kulturellen Geltungsansprüche bezüglich des Kommunikationsmediums etabliert haben, referieren Bilder über Realitäten, Sachverhalte, Fiktionen, Götter oder andere ästhetische Erfindungen. Beispielsweise fungiert die informationelle Ordnung, die ein in Öl gemaltes Schlachtengemälde offeriert, heutzutage nicht mehr als Dokument des realen Schreckens, weil sein referentieller Geltungsanspruch für Realitätskonstruktionen hinfällig geworden ist; den aktuell "sinnvollsten" Darstellungscode für solche Ereignisse verkörpert gegenwärtig die Liveaufzeichnung, die ihre Informationen mittels linearperspektivisch geordneter Pixel in Farbbildröhren zeitgleich verbreitet. Daß über letztere Kommunikationstechnik ein kultureller Konsens über den »Sinn der repräsentierenden Form« besteht, der seinen realitätskonstruierenden Geltungsanspruch durch informative und anschlußfähige Plausibilitätskriterien erlangt, ist - so denke ich - einsehbar. Was selbstverständlich nicht meint, daß jener realitätskonstruierende Geltungsanspruch den Betrachtern die tatsächliche Wirklichkeit [Zweitheit] spiegelt. Sie ahnen mittlerweile, daß die konstruierten Realitäten in der Bildkommunikation weitaus stärker geltungs- und normengeleitet mitgeteilt werden, als es die dynamische Erfahrung von wirklichen Gegenständen hergibt. Der heutzutage realitätskonstruierende Geltungsanspruch von televisionären Bildern dokumentiert deshalb eine historisch und sozial eingespielte "Interpretations-Praxis", wie sie sich beispielsweise in der "sozialen Bestimmung der Referenz" [Abel 1994/23] von Fotografien bestätigt, die scheinbar unvermittelt, weil optisch informativ, verstanden werden.

Der Sinn der Form wurde bei Massenmedien - vergleichbar dem verbalen Sprachmedium, das gleichfalls von Massen verwendet wird - offensichtlich mit der Kommunikation in die Allgemeinheit getragen und als Darstellungskonvention etabliert, damit Individuen das Veranschaulichte erkennen und in seiner Bedeutung fraglos verstehen. Aufgrund kultureller Erkennungsgewohnheiten wird die Leichtigkeit der optischen Informationsvermittlung vorwiegend als Realismus des Bildes eingeschätzt. Solche Realismuseinschätzungen stützen sich so gut wie nie auf Übereinstimmungen zwischen Bildmerkmalen und realen Gegenständen, sondern beruhen auf Erkennungsgewohnheiten bezüglich eines erwarteten Signifikationscodes. Nur dieser kann auf den stabilisierten Konsens hoffen, daß kultureller Realismus kraft tautologischer Sinnbestätigung realistisch und allgemein verifizierbar sein soll [vgl. Bourdieu 1983/89]. Die Vermittlung von visueller Information mit Zeichenbedeutung bleibt gewiß unverständlich und unrealistisch, wenn der präformierte Sinn der Form nicht kennengelernt wurde. Um beispielsweise den ikonischen Inhalt steinzeitlicher Malereien oder Satellitenfotos zu entziffern, also eine erste Zeichenbedeutung zu erkennen, wird man zunächst gezwungen sein, Formen als sinnvolle Einheiten zu bestimmen, und somit ihre Konventionen der Repräsentation zu lernen. Wenn kulturelle Konventionen nicht kennengelernt oder vollständig ignoriert wurden, behält visuelle Kommunikation einen interpretativen Möglichkeitsüberschuß, der den Austausch von Informationen/Nachrichten und damit Verstehen zeitweilig blockiert. Es gilt also keinesfalls nur für "realistische" Bilder, daß unverzügliche Kommunikation auf konventionelle und damit sinnstabile Darstellungscodes angewiesen ist.

Trotz aller Konventionen in der visuellen Kommunikation sind es nicht diese selbst, die den repräsentierenden Sinn von Bildern ermöglichen, sondern es ist "... der Sinn ..., der uns die Konvention verstehen läßt ..." [Gombrich 1984/285]. Erst wenn der Sinn im unbekannten Neuen einer Veranschaulichung verstanden ist, kann er sich in einer Konvention, Regel bzw. einem Darstellungscode etablieren. Folglich basieren Konventionen auf einem späteren Modus visueller Kommunikation, in der Sinn generalisiert wurde. Für den Sinn der ikonischen Formen ist eine starke Arbitrarität der Darstellungskonvention nicht zwingend. Wiedererkennbarkeit kann ebenfalls auf einer Erkennungsgewohnheit der gegenständlichen Umwelt beruhen. Individuen können deshalb frei von gesellschaftlichen Übereinkünften repräsentierenden Sinn in Bildern erkennen, wenn sie ihn spontan als eine unübliche Darstellung von bekannten Gegenständen wiedererkennen. Beispielsweise lassen sich in Farbklecksen (86) intuitiv repräsentierende Formen von etwas anderem wahrnehmen. Dies richtet sich zweifellos nicht gegen Habermas [vgl. 1971/189] und Apel [vgl. 1988/247], die gemeinsam mit Wittgenstein [vgl. 1990/207 (202.)] auf einem konventionellen Kommunikationscode beharren, da einerseits niemand privatim und nur einmal einer (Spiel-)Regel, Konvention oder kulturellen Codierung folgen kann, und andererseits die visuell kommunikative Verständigungspraxis kulturelle Regeln voraussetzt. Und dennoch, auch wenn es keine privatsprachliche Kommunikation geben kann, und gleichfalls das menschliche "Bildspiel" selbst Konventionen folgt, so kommt letzterem doch die Möglichkeit zu, es im Privaten nahezu ohne interpersonale Regel zu spielen. Gut, zu diesem "Bildspiel" gehört die Konvention, die Regel, irgendein Material und Malgrund zu nutzen, aber z.B. hat der Maler Francis Bacon [vgl. 1982/21] einst individuelle Spielarten erfunden, von denen er selbst meint, er könne sie nicht einmal selbst abermals nachspielen. Er kann also die Spontaneität, die ihn zu einer ikonischen Beschreibung führte, nicht in jedem Fall nochmals wiederholen (87) oder kommunikativ formieren. Übrigens ein Argument, warum Bilder zwar als Kommunikation, aber weder als Sprache noch als System aufzufassen sind. Denn erstens existiert für sie kein Notationssystem [vgl. Goodman 1973/203], welches die Transformation in eine vollständig andere Zeichencodierung (wie z.B. in der Musik) erlauben würde, um allgemeine Orientierungen für zukünftige Ausführung anzubieten. Und zweitens erlangt in Bildern auch Unsystematisches kommunikativen Sinn. Zusammengenommen bezieht sich der Sinn von Konventionen auf allgemeines, aber er hat, das wollte ich verdeutlichen, bei ikonischen Sinncodierungen manchmal anfänglich "... einen individuellen [und gesellschaftlich unkontrollierten] Modus der Stiftung" [Nadin 1991/218].

Der vorherige Absatz präzisiert, daß Goodman und übrigens auch Rorty [vgl. 1987/36] von einer ungenauen Prämisse ausgehen, wenn sie für bildliche Repräsentation grundsätzlich Konventionalität voraussetzen. Mit dieser Prämisse klärt Goodman zutreffend auf, daß in konventionellen Sinncodierungen "... kein Grad der Ähnlichkeit [zwischen Bild und wirklichem Gegenstand] eine hinreichende Bedingung für die Repräsentation" [Goodman 1973/16] ist. Aufgrund seiner linguistischen Schule mißlingt jedoch die findige Behauptung, daß Repräsentation von Zeichen an Denotation gekoppelt wäre; woraus nämlich folgen würde, daß ikonische Objektbezüge ohne denotativen Bezug zur faktischen Wirklichkeit, also mit sogenanntem "Null-Denotat" [s.S. 129], einfach nichts mehr per Ähnlichkeit repräsentieren oder ikonisch darstellen würden. Bei alldem vernachlässigt er zunächst die menschliche Fähigkeit des visuellen Wiedererkennens, das einzelne Segmente eines Sinns von Ähnlichkeitsbezügen früher als Konventionen individuell auffinden kann. Außerdem übersieht Goodman [vgl. 1973/16, 36, 84, 232, 265], daß gerade repräsentierender Sinn von Ähnlichkeit für visuelle Kommunikation unentbehrlich ist, weil in ikonischen Sinnkonstitutionen keinesfalls alles etwas anderes darstellen oder ikonisch bezeichnen ("repräsentieren") kann. Ähnlichkeit beruht zwar so gut wie nie auf faktisch überprüfbaren Verhältnissen zwischen Bildform und Gegenstandsform, aber sie gründet sich auf eine kommunikationsinterne Idee der Mimesis (Erkenntnisweise), die mit Präsenz über etwas anderes als das Präsente per möglicher Ähnlichkeit benachrichtigt. Diese Ähnlichkeit kann auch auf ein Wiedererkennen zurückgehen, das wir vor allen Konventionen und absteckbaren Systemgrenzen bemerken, wenn Kunstbilder, Farbflecken, Klecksbilder, Wolkenbilder, Sandstrukturen und der Spinat auf dem Teller zufällig irgend »etwas anderem« ähneln.

Entgegen Goodman können wir bemerken, sobald wir die allgemeine Bestimmung von Bildern aufgreifen, daß wir im Sinn der präsenten Form schon einen Sinn der repräsentierenden Form optisch wiedererkannt haben. Wenn gar nichts in einer Farbanordnung wiedererkannt wird, kann ich nicht einsehen, warum irgendwelche Farbflecken etwas anderes optisch (!) darstellen sollten. Denn für eine optische Repräsentation muß man den Sinn repräsentierender Form visuell wiedererkennen, irgendeine Idee (Vorstellung) von optischer Ähnlichkeit muß hergestellt werden können; ansonsten bezeichnet der Farbfleck allerhöchstens etwas auf indexikalische oder symbolische Weise. Für diese beiden Objektbezüge sind optische Informationen und eine Idee von Ähnlichkeit nicht substantiell. Anders ausgedrückt, wenn kein Sinn der repräsentierenden Form visuell wiederzuerkennen ist, kann ein Bild keine optischen Informationen vermitteln, die uns eine ikonische Bezeichnung von »etwas anderem« vor Augen führen. Aus diesem Grund muß ein Individuum, noch bevor es sich in optischen Darstellungskonventionen auskennt, zunächst vermöge seines Wahrnehmungssystems den Sinn repräsentierender Form wahrnehmend decodieren können. Angenommen, ein Individuum würde im Bild keinen Sinn der repräsentierenden Form sehen, wie sollte es jemals Darstellungskonventionen lernen oder innovativ entwickeln? Deshalb erhält kein ikonisches Bildzeichen eine Bedeutung, wenn der visuell wiedererkennbare Sinn der repräsentierenden Form unerkannt bleibt [s.S. 165]. Ob das repräsentierte Objekt existiert, ein Denotat hat oder nicht, ist ein späterer Modus der kulturellen Gebrauchs- und Geltungs-Kriterien von visueller Kommunikation. Kurz, nicht jedes Ähnlichkeitsurteil über repräsentierende Formen ist konventionell, sondern als Konvention etablieren sich die Darstellungsformen, die beschleunigte Kommunikation ermöglichen.

Die potentielle Möglichkeit des repräsentierenden Sinns fordert demnach, daß nicht schon jeder Bruch mit Darstellungskonventionen (z.B. irgendwelches Gekritzel) das Neue als Neues etabliert, sondern daß das Neue in der repräsentierenden Form in seinem Sinn erkannt und akzeptiert werden muß, damit es einen wichtigen Aspekt der Kultur von morgen aufzeigt. Würden Kulturen auf experimentelle Sinnstiftungen verzichten, verlören sie mit der Fähigkeit, zeitgemäße Bedeutung zu kreieren, auch die Möglichkeit, auf eine veränderte Gegenwart kommunikativ zu reagieren; allein kultische Visualisierungen versuchen einen ewigen Code durchzuhalten, damit sich die ritualisierte Gegenwart nicht verändert. Kulturelle Konventionen der repräsentierenden Form, also ikonische Signifikationscodes, gehen erst aus dem kommunikativen Fluß von sich bewährenden Formen hervor.

Da bildlicher Sinn vor Konventionen und Regeln auftaucht, verhindert dies die Annahme von Habermas, daß "... Sinn stets symbolisierter Sinn [ist]" [Habermas 1971/190]. Eine neue Form der Repräsentation kann nicht schon normativen oder gar objektiven Sinn symbolisieren, wenn sie in ihrem Sinnvorschlag erst noch zu erkennen ist. Die Zentralperspektive als symbolische Form [s.S. 234] hätte sich nicht weltweit durchgesetzt, wenn sie ausschließlich Sinn symbolisiert hätte, ohne daß dem Betrachter nicht auch sinnvolle Informationen veranschaulicht worden wären. Hinsichtlich Bildern greift der kommunikationstheoretische Ansatz von Habermas zu kurz. Seine Theorie realisiert zwar die Differenz zwischen "... raumzeitlich individuierten Gegenständen und symbolisch verkörperten Bedeutungen" [Habermas 1988b/328], verkennt in dieser Differenz jedoch die indifferenten Übergänge, wie sie eigens für Bilder und auch rituellen Skulpturen charakteristisch sind. Selbstverständlich schrieb Habermas keine Theorie des visuell kommunikativen Handelns. Gemessen an einer solchen, wäre seine Annahme nicht akzeptabel, daß Sinngehalte grundsätzlich an die Kommunikation mittels sprachlicher und tradierter Symbole angelehnt seien, die überdies einer Bezeichnungsregel und sogar einer sozialen Bedeutungsidentität folgen würden. Bezüglich Bildern wäre auch seine Behauptung untauglich, daß subjektiven Erlebnissen ohne intersubjektiv kommunizierbare Geltung kein Sinn beizumessen wäre [vgl. Habermas 1971/195, 1988a/164, 1988b/30ff.; s.S. 33 (Onomatopöie)]. Während Habermas [vgl. 1988a/163] sieht, daß jemand ohne vortheoretisches Wissen seiner Lebenskontexte nicht in die Sprache "einsteigen" kann, vernachlässigt er, daß Sinn neben jener pragmatischen gleichermaßen in der syntaktischen und semantischen Dimension aufgefunden werden muß, sobald jemand die Bedeutung symbolischer Bezeichnung im Sinn verstehen will.

Es stellt sich die Frage, wie eine Gegenstandsbedeutung und eine ikonische Zeichenbedeutung jemals erlebt werden könnten, wenn nicht infolge optisch wahrgenommener bzw. syntaktisch-semantischer Sinnstrukturen. Eine »Erlebnisgesellschaft«, wie sie Schulze [vgl. 1993/43ff.] sachgemäß inauguriert, wäre ohne subjektive, emotionale und vorkommunikative Sinnerlebnisse bzw. Sinnorientierungen kaum zusammenzuführen [hierzu Thies 1995/75ff.]. Deshalb wird man zumindest Bilderlebnissen nicht gerecht, wenn mit Habermas [vgl. 1971/188f.; 1988a/164] der doppelte Sinn der Form übergangen wird, um sich sofort den Durchgriff auf kommunikative Intersubjektivität von vermeintlich bedeutungsidentischen Symbolen zu sichern. Man müßte betreffs der Bilder sogar meinen, wenn "der Verstehensprozeß ... auf ungeklärte Weise mit einem Hervorbringungsprozeß rückgekoppelt" [Habermas 1988a/165] sein sollte, daß dann kaum jemand Bilder verstünde. Denn deren maschinell unterstützte Performanz wurde erst mit der Fotografie allgemein zugänglich und verhältnismäßig gleichförmig.

Der Begriff der "Intersubjektivität" ist ohnehin zu verwerfen. Er greift infolge der kommunikativen Unerreichbarkeit eines Bedeutungskonsenses in Subjekten fehl. Statt der ausgeschlossenen Subjektreferenz von Kommunikation sprach ich von Interpersonalität [s.S. 45 Fußn. 12]. Diese charakterisiert die kommunikationsinterne Vergesellschaftung von Personen, indem sie deren kommunikative Anschlußfähigkeit durch Reziprozität (Wechselseitigkeit) einer Regel (Code) erwartbar hält. Interpersonalität setzt sich bei visueller Kommunikation aber erst durch, wenn erstens verwandte Erkennungsgewohnheiten der erfahrenen Bildpräsenz vorhanden sind, und wenn zweitens zumindest für zwei Bildbetrachter die Formpräsenz einen repräsentierenden Sinn wiedererkennen läßt. Daß die beiden Bildbetrachter etwas wiedererkannt haben, also repräsentierenden Sinn fanden, können sie sich dann sprachlich oder durch andere Gesten bestätigen. Demnach hängt Interpersonalität davon ab, daß irgend etwas kommuniziert und wechselseitig bestätigt wurde. Der Sinn der Form des ikonischen Bildes muß daher vorerst zu einem kommunikativen Reglement werden, damit das Bild augenblicklich interpersonal wahrgenommen werden kann. Konventionen regeln demnach den verallgemeinerten Sinn beider Formen«, damit, wie weiter oben erläutert [s.S. 171], auch visuelle Kommunikation nicht jedesmal erarbeitet, sondern ad hoc interpersonal im doppelten Sinn der Form verstanden wird. Interpersonalität benennt somit bezüglich des Sinns, daß visuelle Kommunikation sich zwecks schnellerer Informations- bzw. Nachrichtenvermittlung innerhalb eines kommunikativen Konsenses ereignet, der es kalkulierbar macht, welche visuell kommunikativen Darstellungsformen regelmäßig von Personen verstanden werden [s.S. 45 Fußn. 12]. Das kommunikative Element von Bildern bleibt auf die im Konsens abgesicherte Interpersonalität des Sinns weitgehend angewiesen. Infolge dieses Konsenses über ähnliche Differenzierungskriterien der Beobachter verhindern z.B. sehr innovative oder kulturfremde Malereien spontane Interpersonalität, weshalb sie in ihrem repräsentierenden Sinn der Form zu decodieren sind, wenn aus ihnen kulturelle Darstellungskonventionen folgen sollen. Ikonische Darstellungskonventionen sind grundsätzlich auf optisch erfolgreiche Sinnstiftungen angewiesen, falls sie in die visuell kommunikative Lage versetzt werden sollen, Sinn per "kulturellem Gesetz" zu symbolisieren. Denn die wenigsten Symbole sind visuell sinnfällig bzw. visuell kommunikativ plausibel.

Jene symbolisch verallgemeinerten Gesetze wollen umfassenden Einspruch verhindern. Sie erhalten eine kulturelle Konformität aufrecht, um interpersonale Kommunikationsmöglichkeiten herzustellen. Erst ein kulturelles Gesetz (Legizeichen) über Darstellungsformen ermöglicht eine Kommunikation, deren optische Nachrichten rasch verständlich werden. Beispielsweise kommuniziert es sich mit der technisch erzwungenen Konformität von Fotografien besonders leicht. Denn deren Gesetze im Legizeichen benachrichtigen scheinbar subjektunabhängig über die Existenz einer optischen Sache, obwohl einzelne "Paragraphen" täglich novelliert und durch ein menschliches Bewußtsein im Sinzeichen manipuliert werden. Eine Besonderheit erzeugen zentralperspektivisch erstellte Bilder dadurch, daß ihr repräsentierender Sinn aufgrund eines optischen "Naturgesetzes" (88) zum interpersonalen Legizeichen wird. Die Zentralperspektive wurde in der Epoche der Renaissance erfunden. Seit dieser Zeit gilt bis heute diejenige Wirklichkeit einstweilen als unumstößlich, die interpersonal beobachtbar, meßbar und berechenbar ist, woraufhin sie auch erst in allgemeinwahrscheinlichen "Naturgesetzen" beschrieben werden konnte. Die stark idealisierte Bedingung der optischen Perspektive wäre daher keine kulturelle Konvention. Sie beruht auf geometrischen und physikalischen Wahrscheinlichkeiten, die als optische Gesetzmäßigkeiten bezeichnet wurden [s.Fußn. 88]. Dies hat Goodman [vgl. 1973/28] unzutreffend beschrieben. Er meint die bildliche Perspektive (man denke hier z.B. an Fotografien) würden nicht den Gesetzen der Optik folgen. Doch liegt Goodman mit der Meinung richtig, daß die nicht idealisierte Zentralperspektive, deren Verwendung für visuelle Kommunikation, und ebenfalls die kulturbedingte Anpassung von Individuen an die unnatürlichen Wahrnehmungsverhältnisse von Bildern, eine kulturelle Konvention sind. Ohne Frage werden perspektivische Bilder, die die kulturell eingeführte Annäherung an ein "Naturgesetz" nutzen, in eine kommunikative Situation versetzt, wie sie absolut kein anderes Kommunikationsmedium hergibt. Denn jetzt erzeugt theoretisch jeder in identischen Verhältnissen den gleichen subjektunabhängigen Sinn repräsentierender Form. In identischen Konstellationen würde also jeder die gleichen optischen Zeichen von einer Begebenheit perspektivisch codieren. Diese Berechenbarkeit begründet das große Vertrauen in technisch erzeugte Perspektiven (Legizeichen). Selbst verbale Sprache wird unberechenbarer und unvoraussagbarer formuliert als die Perspektive, die einem syntaktischen Automatismus folgt. Selbstverständlich beruht auch dieses Vertrauen auf einer visuellen Gewohnheit. Es herrschen so gut wie nie idealisierte Darstellungsbedingungen vor, weshalb die alltägliche Bildperspektive eine konventionell etablierte Möglichkeit der Lüge bleibt.


   b) Emotionsmotivierter Sinnkonsens Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Maler waren über Jahrtausende die innovativsten Initiatoren von neuen Segmentierungserfindungen bildlicher Formen und ästhetischer Ideen. Zwar hatten die Erfinder der Perspektive und anderer Konventionen neben dem hauptsächlich ästhetischen Anspruch auch einen technischen, heutzutage aber sind es vielfach nur mit Technik beschäftigte Erfinder, die neue Darstellungscodes von Bildern durchsetzen. Über die massenmediale Durchsetzung von Holographien und 3D-Fernsehen konnte bisher allerdings kein langfristiger Konsens gefunden werden. Gleichwohl sind zeitgenössische Techniker nach wie vor bestrebt, bildliche Zeichencodierungen zu erfinden, um mittels evolutionierter Bilder über optische Wirklichkeiten zu berichten, oder wie in Simulationsbefürchtungen angedeutet, über deren Existenz hinwegzutäuschen. Offenbar haben die Malerei und die Kunst ihre Domäne abgegeben, aus der heraus sie innovative Darstellungscodierungen vorschlugen. Neuerdings installieren nichtkünstlerisch ambitionierte Techniker zeitgenössische Darstellungscodes in der (Welt-)Kultur. Die aktuelle Krise der Malerei demonstriert, daß die wenigsten im Kunstmarkt agierenden Künstler die Arbeit an optischen Codes interessiert, entweder weil sie keine Techniker sind, oder weil sie meinen, daß alle in ihrer Fähigkeit als Maler möglichen Codes ausgeschöpft sind. Künstler verfügen dann nur über vier Möglichkeiten: sie wiederholen schon bekannte Darstellungscodes, bedienen sich kultureller Codes von modernen Film- Video- und Computer-Technikern, flüchten sich in die Bearbeitung von dreidimensionalen Gegenständen oder halten sich aus dem aktuellen Kunstsystem heraus. Künstler verzichten daher zunehmend auf bildliche Zeichen und deren ursprüngliche "Freiheit", weil gegenwärtig industrielle Teams über das Medium und die primäre Bildencodierung im "Quali-" und Legizeichen dominieren. Dies heißt aber nichts anderes, als daß industrielle Teams die Vorschlagsautorität gewonnen haben, wie Konventionen vom Sinn der präsenten und der repräsentierenden Bildform einzuhalten sind. Die visuelle Kommunikation ist der einzige Bereich der gesellschaftlicher Kommunikation, wo einzelne und Teams berufen wurden, neue Konventionen (Gesetze) von kompletten Kommunikationssystemen zu formieren. Im Gegensatz zur verbalen Sprache, die in bezug auf verordnete Reformen verhältnismäßig stabil bleibt, sind primäre Bildencodierungen industriell und politisch wesentlich leichter zu etablieren, wie die Geschichte der Fotografie [vgl. Freund 1976] bzw. die deutsche Vergangenheit vor und nach 1945 bestätigt.

Jener industriell beherrschende Einfluß auf den Sinn der Form legt Individuen nicht vollends fest. Lediglich die Farbqualitäten und die künstlichen Perspektiven (89) von automatischen Instrumenten sind intolerant. Der syntaktische Bildaufbau im Sinzeichen läßt hingegen subjektive Ungebundenheiten vollständig zu, sogar vollständiger als irgendeine andere Zeichenkommunikation es vermag. Der Fotograf beispielsweise kann eine mathematisch unendlich große Anzahl von An- oder eigentlich Absichten innerhalb der technischen und subjektunabhängigen Notwendigkeiten (Gesetze/Legizeichen) seines Instruments verwirklichen. Trotzdem wird einzelnen Fotografien die gesellschaftliche Auszeichnung "Kunst" meist dann verliehen, wenn für unsere Kultur deutlich ist, daß sie weniger auf automatischer, sondern weitgehend auf individuell künstlerischer Entscheidung beruht. Es ist nämlich kreatives Geschick aufzubringen, wie z.B. die Künstlerin Astrid Klein zeigt, sobald bei der ikonischen Darstellung eines dreidimensionalen Gegenstandes dem konzeptionellen Automatismus der künstlichen Perspektive einer Black Box entflohen werden soll, um unterhalb des interpersonalen Sinns noch Freiheiten eines subjektiven Sinns wiederzuerkennen. Auf der anderen Seite basiert gerade der durchschlagende Erfolg der automatisierten Bildproduktion darauf, daß interpersonaler Sinn per Knopfdruck aus dem Apparat kommt. Die visuelle Kommunikation ist bisher das einzige Kommunikationssystem, welches in seinem kommunikativ anschlußfähigen Sinn der Form soweit automatisiert werden konnte, daß es annähernd unabhängig vom menschlichen Bewußtsein eine kommunikationswirksame Syntaktik und Semantik als Symptom einer Maschine situationsadäquat fabriziert und mitteilt.

Nach Vermutungen Ecos [vgl. 1991a/80f.] traten im Mittelalter fundamentale Unsicherheiten aufgrund sozialer und natürlicher Katastrophen auf, was zur Konsequenz geführt haben mag, daß ein symbolisches Repertoire ausgearbeitet wurde, um sich der furchterregensten Aspekte der Natur entledigen zu können. Ein vergleichbares Krisenphänomen kündigt sich gegenwärtig an. Denn die symbolisch kommunizierten Zeichenwelten wachsen so unüberblickbar an, daß deren Komplexität nur unter großem Zeitaufwand Orientierung bietet. Der daraus resultierenden Verunsicherung begegnen moderne Informationsgesellschaften mit der automatisierten Beschleunigung eines kommunikativen Sinns, der über ikonische Formen verbreitet wird. Denn dadurch, daß heutige Gesellschaften ihre Kommunikation vom verbalen und symbolischen auf den visuell kommunikativen Bereich verlagern, versuchen sie wesentlich komplexere Informationen zu reduzieren und zu vermitteln, wodurch sie Zeitverzögerungen in der Erstellung des kommunikativen Sinns scheinbar unterbinden. "Scheinbar" zweifelsohne deshalb, weil ikonische Bilder oft in einem kommunikativen Sinn erstellt werden, der zwar während des visuellen Wahrnehmens zügig informiert und nahezu vorkommunikativ verständlich wird, der aber aufgrund seines rhematischen Interpretantenbezugs allenfalls prälogische Orientierung bietet. Diese rasche Orientierungsweise hat schlicht zur Folge, daß sich die durch Bildautomaten verkürzten Zeitspannen bei der Überführung in verbalsymbolische Kommunikationscodes wieder zeitlich ausdehnen, wenn konsequente oder gar aussagenlogische Entscheidungen getroffen werden sollen. Die einzige Zeitreduktion für nicht technisierte, also menschliche Entscheidungsprozesse besteht darin, daß visuelle Informationen nicht mehr vor Ort von Individuen eingeholt werden, weshalb diese später andernorts zur praxeologischen Interpretation verpflichtet sind, wenn mehr als die visuelle Information und die prälogische Identitätsmöglichkeit (im Rhema) verstanden und handlungsrelevant werden soll. Allerdings wird es in der medizinischen Diagnostik (Expertensysteme) probiert und von militärischen Langstreckenraketen längst vorgeführt, wie Automaten aufgrund von Bildern zielorientierte Maßnahmen innerhalb ihrer Decodierungs- und Interpretationsprogramme weitgehend "eigenständig" treffen können [zu letzterem Virilio 1989/188].

Aus dieser Zeitdiskrepanz zwischen der visuell verfolgbaren Sinnproduktion und der praktischen Unabwendbarkeit, im diskursiven Sinn Entscheidungen treffen zu müssen, ensteht das eigentliche Problem für moderne Gesellschaften. Die semantischen Bildautomaten produzieren mehr sinnorientierte Kommunikation als Individuen in verbaler Sprache überhaupt mit gleicher Geschwindigkeit erfassen können; dies führen Astronomen eindringlich vor, wenn sie in einer Nacht soviel an Bildinformationen erzeugen, daß sie Jahre für das wissenschaftliche Verständnis brauchen. Um es auf einen Satz zu bringen: die Bildautomaten, genaugenommen sind es syntaktisch-semantische Sinnautomaten, lassen eine sinnorientierte Kommunikation entstehen, deren organisierte Komplexität zu einer informationellen Entropie auswächst, die Individuen im optischen Nachrichtengehalt weitgehend widerspruchslos hinnehmen müssen. Denn die informationelle Entropie, die Bilder veranschaulichen, erlaubt in ihrer ikonischen Ähnlichkeitsbehauptung grundsätzlich keinen logischen, an propositionalen Plausibilitätskriterien orientierten Widerspruch. Zuletzt entwickelt sich dieser semantische Sinn tendenziell zum überkomplexen Unsinn.

Wie diese informationelle Überkomplexität von optischen Nachrichten zu bewältigen sei, darüber haben sich Beschäftigte des japanischen "Ministry of Post and Telecommunications" (MTP) ihre Gedanken gemacht. Sie berechneten für den Informationswert eines stehenden Bildes 80 Worte pro Minute und veranschlagten für ein laufendes Farbfernsehbild sogar 1200 Worte pro Minute [vgl. Hensel 1990/66]. Wer kann jedoch 1200 Worte in der Minute oder 200 Seiten (72000 Worte) dieser Arbeit pro Stunde lesen und handlungsrelevant verstehen? Der drollige Versuch vom japanischen MTP dokumentiert die verbreitete Hilflosigkeit, die entsteht, wenn mit Begriffs-Konzepten einer Nachrichten-Gesellschaft die Aktualität einer Informations-Gesellschaft verstanden werden soll. Es ist unerheblich, was alles unter dem Modewort »Informationsgesellschaft« firmieren soll; Bilder nehmen ihr Sonderrecht innerhalb einer authentischen Informations-Gesellschaft jedenfalls dadurch in Anspruch, daß sie tatsächlich vorrangig visuelle Informationen ermöglichen und zu einem wesentlich geringeren Teil verbalisierbare und negierbare Nachrichten mitteilen. Insbesondere bewegte, aber auch stehende Bilder werden nämlich kaum sprachlich, sondern emotional bewältigt und mit Bedeutungen belegt.

Jenes widerspruchslos hinzunehmende Sonderrecht ikonischer Bilder macht den modernen Menschen zeitweilig glauben, die Welt sähe womöglich so aus, wie sie im präsenten und repräsentierenden Sinn der Bilder angeboten bzw. bezeichnet ist. Das kontinuierliche »Wie« im Fluß befindlicher Formen katapultiert hier das »Was« des Inhalts aus dem kommunikativen Kontext der Symbole, d.h., die informationelle Entropie im Inhalt von Bilderwelten degeneriert entweder zur Ähnlichkeit mit der Welt oder zur entähnlichten Ästhetisierung der Darstellungsform, so daß symbolische Inhalte solch ikonischer Nachrichten irgendwie und irgendwann einmal möglich werden können. Bei kritischer Auslegung automatischer Bilderzeugung wäre das einzige, was dem widerspruchslos hinzunehmenden Sonderrecht noch entgegnet werden könnte, daß ikonische Weltrepräsentationen (Weltbilder) einfach nicht schön sind, weiter nichts [s.S. 43 (Rhema)]. Je nach normativer Haltung eröffnen sich hier zwei Beurteilungsmöglichkeiten: einerseits kann man den kollektiv verbindenden Sinnkonsens, der ikonischen Formen nachfolgt, als die Zerstörung des symbolischen Interpretationsrahmens verstehen, wie z.B. Kleinspehn [vgl. 1989/157ff.] im Anschluß an A. Lorenzer kritisch einwendet, oder man bejaht andererseits das prälogische Sonderrecht ikonischer Formen, weil es eine erste Gelegenheit bietet, daß Individuen sich aufgrund leichtverständlicher Sinnlichkeit kommunikativ vergesellschaften, um sich überhaupt irgendwann einmal auf der symbolischen Ebene der Kommunikation einfinden zu können. Der symbolische, in diesem Zusammenhang der ikonische Interaktionismus der Kleidermode und der der Bewerbungsfotos für Arbeitgeber wären zwei Beispiele dafür, wie optische Sinnlichkeit kommunikative Anknüpfungspunkte bietet, die zu subjektiven Zugehörigkeitsverhältnissen oder zu vermeintlich gleichen Lebensgefühlen führen. Solche subjektiven Zugehörigkeitsverhältnisse, die durch ein Schönheitsempfinden ikonischer Formen provoziert werden, möchte ich als »emotionsmotivierten Sinnkonsens« verstehen, damit deutlich bleibt, daß Schönheit zwar kommunikativ bestätigt werden kann, aber keinesfalls interpersonal kontrollierbaren Funktionskriterien gehorcht.

Der emotionsmotivierte Sinnkonsens benennt im weitläufigen Sinne von "Vergemeinschaftung" [Weber 1972/21] eine subjektiv verallgemeinerte Situation, in der Individuen erstens Formen betrachten, zweitens diese Formen aus einer Spontaneität heraus für objektadäquat halten, also einen ikonischen Ähnlichkeitsbezug wahrnehmen, und drittens, daß sie sich subjektive Emotionen oder ästhetische Urteile reziprok bestätigen, obwohl ihnen die Plausibilitäts- und Differenzierungskriterien des jeweils anderen unbekannt sind. Sie sagen oder signalisieren positiv schweigend eventuell: schöner, netter Mensch auf dem schönen Bild. Wie mit dem kommunikativen Beziehungsaspekt aufgegriffen [s.S. 114, 140], vermute ich, daß ein solcher emotionsmotivierter Sinnkonsens anhand von ästhetischen Geschmacksurteilen durchaus dazu beiträgt, erste approximative Zugehörigkeitsverhältnisse und kommunikative Anknüpfungspunkte zu finden, obwohl symbolische Inhalte noch inkommunikabel ausbleiben. Andererseits besteht die Möglichkeit, daß ein Geschmacksdissens eine soziale Ausdifferenzierung begünstigt, in der ohne symbolische Begründungen im »Wie« der kulturellen Formen signalisiert wird, welche persönlichen Beziehungsaspekte und Differenzierungskriterien an welchen Sozialisationsmedien ausgebildet wurden [hierzu Bourdieu 1982/57ff.].
Kulturgemäß werden ästhetische Sachlagen unterschiedlich empfunden, je vehementer jedoch Bildformen in den kulturellen Raum eindringen, desto eindringlicher wird das ästhetische Empfinden von Individuen bearbeitet. Denn ganz allgemein werden "ethnozentrische" Tendenzen von Gesellschaften bzw. Gruppen eher verhindert, und die Wahl von neuen Beziehungspartnern wird unterstützt, wenn Ähnlichkeiten zwischen Kulturen bzw. Subkulturen bemerkt oder erst entwickelt werden [vgl. Antweiler 1994/147f.; Schulze 1993/183]. Zwar gehorchen ästhetische Kriterien subjektiven und innenorientierten Urteilen, die einem unspezifizierbaren Sinnkonsens unterliegen, dennoch lassen sie sich durch Medien in zwei Weisen beeinflussen: erstens infolge einer Enkulturation, indem Individuen (inter-)kulturelle Bilderwelten als biographische Sozialisationsinstanz annehmen, wodurch sie die überlieferten Formen (z.B. der Television) unumgänglich auch mit affektiven Bedeutungen verbinden. Und zweitens entsteht in der Kultur mit der Übernahme externer Kulturformen und der Überformung durch diese ein Prozeß der Akkulturation, der mittels Bildmedien partiell affektive Bedeutungen und ästhetische Formen langfristig verändert. Diese beiden Prozesse zusammengenommen stärken die These, daß die weltweit verbreiteten Medien das ästhetische Empfinden ganzer Kulturkreise missionieren, indem sie es verändern und eventuell vereinheitlichen. Denn die farbenprächtigen Formen der Kulturindustrie tauchen allseits gleichförmig auf und werden allseits, wenn auch nicht mit gleicher Bedeutung, so doch im Sinn der Form gleich verwendet. Diese interkulturelle Präsenz der Medienbilder erreicht im fortgeschritten Stadium einen Status, der den gefühlsmäßigen Einwand, daß etwas nicht schön oder nicht sympathisch ist, weitgehend lahmlegt, da alle Formen den gleichen Darstellungsgesetzen (Legizeichen) folgen. Das Fremde würde dann zum interkulturell Eigenen oder zur Bedrohung des kulturell Eigenen.

Der weltweit gleichlaufenden Ästhetisierung von Bilderwelten folgt, daß erstens Medienkonzerne (z.B. die Frauenzeitschrift "Elle") weltweit kommunikativ und ökonomisch agieren können, und daß zweitens ein gefühlsmäßig ermunterter Einwand unterbunden wird, sofern "Schönheit" bzw. die Suche nach Wohlgefallen, die Möglichkeit eines ersten emotionsmotivierten Sinnkonsenses bereitstellen kann, wie in der Kleidermode. Und exakt diesen Wohlgefälligkeits-Konsens verfolgen globale Strategien (90) der Medienkonzerne. Denn diese interessieren sich dafür, wie kulturelle Sprach- und Reflexionsbarrieren der symbolischen Kommunikation zu unterlaufen sind. Die Ausgaben für globale Werbung beispielsweise werden von 303 Billionen im Jahr 1990 auf vermutlich 780 Billionen Dollar im Jahr 2000 steigen [vgl. Mowlana 1985/86]. Und wie man sieht, funktioniert die Werbung meist aufgrund visuell einprägsamer Formen, deren ästhetisches Spektrum sich auf das stilistisch Signifikante reduziert. Je einfacher Formen nämlich sind (z.B. Benetton Mode), desto schneller können sie mit subjektiven Wohlgefälligkeitsurteilen belegt werden [hierzu Raab 1976]. Aber dennoch befürchtet Mowlana [vgl. 1985/217], ausgerechnet touristische Erzählungen von internationalen Begegnungen würden einen Einfluß ausüben, der das weltweite Kommunikationsnetz emotional auseinanderdriften läßt. Die Zoll- und Handelsabkommen im Jahr 1994 (GATT) über "Fernsehen ohne Grenzen" kündigen an, daß man sich auch heutzutage darüber streiten kann, ob Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anzustreben ist oder nicht; worüber man jedoch weniger disputieren kann, ist, ob ikonische Formen eine erste und besonders leicht zugängliche Emotions- und Kommunikationsmöglichkeit verkörpern, die kraft affektiver Assoziierungs-Chancen mühelos jede kulturelle Hürde der symbolischen Sprache bezwingt. Dies hatte beispielsweise die christliche Kirche früh erkannt. Sie teilte mit der spätmittelalterlichen Bilderbibel »biblia pauperum« ("Armenbibel") die wichtigsten Stationen der Heilsgeschichte und eine Zusammenschau von Neuem und Altem Testament auf visuell kommunikativem Wege mit, um die des Lesens Unkundigen zu erreichen. Die nominelle Ästhetisierung der Bilderwelt, die im Grunde in trivialisierte Stilisierung abrutscht, folgt demnach nicht primär einer ökonomischen Aktion, wie Welsch [vgl. 1993a/7] schreibt, sondern einer kommunikativen Strategie (91), die die Kulturindustrie sekundär kommerziell nutzt, vergleichbar dem Modell der christlichen Kirche.

Ein Problem für Gesellschaften taucht auf. Im emotionsmotivierten Sinnkonsens überwiegt eine Kommunikationssituation, in der es Individuen ermöglicht ist, in wohlgefälliger Übereinstimmung von sprachlicher Kommunikation isoliert zu bleiben. Denn Bildbetrachter erleben ihre vermeintliche Verbundenheit vorrangig im Konsens des Schweigens. So kann es passieren, daß Bilder eine projizierte Verbundenheit von innenorientierten Gefühlswelten stiften, in denen sich das Individuum von jeder weiteren Kommunikation isoliert oder isolieren läßt, da jeder ästhetisch motivierte Widerspruch zunächst auf Unverständnis stoßen wird, wodurch in der Regel verbale Bemühungen erforderlich werden. Ganz im Gegensatz zur Rede, die nach Luhmann u. Fuchs [vgl. 1989/105] im Sprechen Anschlußfähigkeit signalisiert, während Schweigen Reflexion vermitteln soll, erhalten Bilder ihre kommunikative Anschlußfähigkeit im ästhetischen Schweigen und verhindern innerhalb vorübergehender Zeitspannen manchmal sogar Reflexion. Ergänzend bemerkt Grassi [vgl. 1970/68f.], daß bereits vor dem christlichen Mittelalter das Schweigen, welches die Unzulänglichkeit der Sprache bekundete, eine Bedeutung erhielt, die das bildhaft Erste einer ursprünglichen Sicht unterstrich, indem sie als eine dem unaussprechlich Göttlichen zumindest nahestehende erfahren wurde. Die schweigend erfahrene Bildkommunikation des Schönen und Ästhetischen im weitesten Sinne, provoziert offenbar seit längerer Zeit eine Möglichkeit, in der sich Individuen im Konsens der Einsamkeit gemeinsam fühlen können oder wollen, wie z.B. in Kinos, Museen, Kirchen, Tempeln oder vor dem Fernseher.

Bei gemeinschaftlicher Bilderfahrung verbindet sich Einsamkeit sicherlich mit kommunikativer Interaktion. Der Widersinn von hauptsächlich technisierter Bildkommunikation tritt dort besorgniserregend hervor, wo Individuen ihre kommunikative Vergesellschaftung in der Isolation von sozialen Wechselwirkungen realisieren, ohne daß ihre gemeinschaftliche Einsamkeit, aufgrund isolierter Bildbetrachtung, aufhebbar wäre. Der Konsum televisionärer Bilder mündet daher in der Paradoxie, daß sich Betrachter das Bedürfnis nach Kommunikation befriedigen, indem sie ihre soziale Isolation und ihr Schweigen mit der vergesellschaftenden Sichtbarkeit des Bildes zusammentreffen lassen [hierzu Sennett 1983/319]. In diesem Schweigen erleben die Bildbetrachter ihre eigene Verhinderung aller weiteren Kommunikation als befriedigende Kommunikation. Eine zusätzliche Kommunikationshemmung kommt auf, sobald ästhetische Botschaften beim Sehen auf innenorientierter Erfahrungsebene interpretiert werden, aber nicht mehr vom verbalorientierten Verstehen durchbrochen werden müssen, weil sich der ikonische Signifikationscode bei großer Vertrautheit vorkommunikativ, also weitgehend resistent gegen verbale Interpretationen, wahrnehmen läßt. In dieser Begleiterscheinung visueller Kommunikation trennt sich kulturelles Weltbürgertum von sozialorientierter Kommunikation, insofern der ikonische Signifikationscode von Massenmedien kulturelle Verwandtschaftsgrade anbahnt, obwohl Bedeutungsinterpretationen (verbal-)symbolischer und indexikalischer Inhalte innerhalb sozial kooperativer und individueller Interpretationen ortsansässig bleiben oder ausbleiben.

Das wohl Erstaunlichste bei der im Konsens des Schweigens abgesicherten Sinnfabrikation ist aber, daß moderne Kulturen den Anschein von logisch orientierten oder verbalcodierten Entscheidungsprozessen geben, während sie sich in ihren Kommunikationscodes mehr und mehr prälogisch orientieren, wenn sie in ihren Bildern sich selbst oder etwas anderes infolge einer Ähnlichkeitsbeziehung wiedererkennen. Eine verwandte prälogische Sinnorientierung der Kommunikationscodes fand sich bisher nur in Kulturen, die ins Material umgesetzte Zeichen im Sinne eines Kultes verstanden haben. Denn im Kult herrscht ein magisches Denken vor, welches seinen grundsätzlichen Glauben darauf stützt, "... daß ein Ereignis oder eine Handlung mehr bedeuten [soll] als im unmittelbaren Vorgang enthalten zu sein scheint" [Boesch 1983/83]. Einer solchen kultischen Kommunikationssituation gehorchen ebenfalls Individuen moderner Kulturen in zwei Interpretationstendenzen: erstens dann, wenn sie anfangen, ikonische Ähnlichkeitsbehauptungen innerhalb von diskursiven Sinnkonstitutionen zu interpretieren; und zweitens, wenn sie den repräsentierenden Sinn von Bildern insoweit vergessen, daß das Bild auf den typischen Kultgegenstand zurückfällt, indem sie es in den Handlungskomplex eines Rituals (92) verrücken, in dessen zeitlichen Rahmen das präsente Bildzeichen den geschilderten Gegenstand in jeder Hinsicht stellvertretend ersetzt. Letztere Auffassungskompetenz fordert für gewöhnlich die automatische Bilderzeugung von heutigen Individuen, sobald diese infolge des Sinns repräsentierender Form zu der vorschnellen Meinung tendieren, sie würden in laufenden Bildern etwas von der Weltwirklichkeit sehen.

In der präsentierenden Eigenschaft von ikonischen Bildern liegt die Ritualfunktion, die die repräsentierende Eigenschaft ins Vergessen treibt, um in prälogischer Kommunikationstechnik emotionsmotivierte Handlungen zu provozieren. Dies demonstrierten nicht zuerst und nicht zuletzt die amerikanischen Regierungen, als sie besonders prägnante Bilder von unschönen, weil zerstückelten Soldaten zum äußeren Anlaß nahmen, die übrigen Kämpfer aus dem Kriegsgebiet von Vietnam und Somalia abzuziehen. Hier wird deutlich, daß Bilder, sobald ihre Repräsentation als wirklichkeitsnahe Präsenz erfahren wird, den Betrachter emotionaler ansprechen können als diskursive Sinnkonstitutionen. Der Betrachter braucht sich hier die unschönen Objektbezüge des schönen Zeichenmediums (die unschönen Toten im brillanten Bildmedium des Fernsehens) nicht mehr denken (vorstellen), sobald er sie direkt mit eigenen Augen als empirisch wiedererkennbare Wirklichkeit erlebt, wenn er scheinbar durch das perspektivische und farbige Bild hindurchblickt. Die eigentlich in Bildern vorzufindende Distanz zur referierten Wirklichkeit wird offenbar zur kultischen Instanz von unverhüllter Wirklichkeitserfahrung herangezogen, und dann per Geschmacksurteil prälogisch ausgewertet. Das annähernde Bilderverbot vom Kriegsschauplatz im Irak, wo das Bild zur Waffe gegen die UNO-Moral geworden wäre, untermauert, daß diskursiv vermitteltes Wissen um ca. 100 000 Leichen die Grenzen des "guten" Geschmacks weniger leicht verständlich antastet als anschauliches Wissen der Bilder. Dies stellt übrigens ein Argument dar, warum Medienbilder keinesfalls immer vom mediatisierten Publikum reaktions- bzw. gedankenlos mit Genuß konsumiert werden. Die von Bolz übersehene Dialektik des Medienbildes findet sich nämlich dort, wo sich zwar die - hinter dem schützenden Schirm geborgene - Öffentlichkeit den "Schrecken zur Lust" [Bolz 1993a/11] werden läßt, sich ihr aber andererseits ebenso »die Lust zum Schrecken« wandelt. Kraft Mimesis attackiert somit der Bildschirm manchmal die Emotionen, die er abwehren soll.


----Fußnoten----


(83) Dürer entwickelte seine Zentralperspektive aus einem Fadenraster, welches in einen Rahmen gespannt, die fixierte Sicht auf einen Gegenstand konkretisierte und so berechenbar auf ein Linienraster des Malgrundes übersetzbar wurde.


(84) Luhmann geht allerdings zu weit, wenn er schreibt: "Mit der Bezeichnung »Konsens« kann nur die Bewußtseinslage der Umwelt des Gesellschaftssystems gemeint sein, soweit sie als Medium für Formen fungiert, über die durch Kommunikation entschieden wird" [Luhmann 1992/56]. Bilder opponieren dagegen. Sie ermöglichen eine konsensuelle Bewußtseinslage, in der Umwelt wahrgenommen wird, obwohl diese durch Kommunikation und das System erst hergestellt wurde, also einen (Sinn-)Konsens innerhalb der visuellen Kommunikation beinhalten.


(85) "In der allgemein [und traditionell] gebräuchlichen Terminologie wird 'Consensus' mit 'individueller Übereinstimmung' gleichgesetzt. Zwei oder mehr Individuen nehmen unabhängig voneinander auf ein gemeinsames Objekt ihrer Wahrnehmung, Beurteilung, Entscheidung Bezug. Das Ausmaß, in welchem die einzelnen Mitglieder in ihren Wahrnehmungen, Beurteilungen, Entscheidungen übereinstimmen, wird als Ausmaß des Consensus bezeichnet [Siegrist 1970/6]. An dieser Ausgangsdefinition kritisiert Siegrist zutreffend, daß ein Konsens in den Bezeichnungsformen nicht auch einen in den Bedeutungsinterpretationen nach sich ziehen muß, da für die letzteren auch Kontext-Nachrichten relevant werden. Er kommt daraufhin zur folgenden Definition, der ich mich anschließe: "'Consensus' heißt das zwischen Interaktionspartnern aufgrund reflexiver Ko-Orientierung erreichte Einverständnis" [Siegrist 1970/55].


(86) Der chinesische und japanische Taoismus besitzt beispielsweise eine "künstlerische" Konvention, Tuschbilder aufgrund einer Zufälligkeit entstehen zu lassen, obwohl sie erst dann repräsentieren, wenn in ihnen etwas gesehen wird, wenn in der Bezeichnungsform eine kulturelle Einheit zur Bedeutung gelangt [vgl. Chung-yuan 1985/208ff.].


(87) Zwar hat auch die Sprache (z.B. im Beziehungsaspekt des Gesangs) etwas Unwiederholbares, da Gleiches in identischen Zeitsituationen unsagbar ist, aber - darauf kommt es an - man kann die syntaktisch-semantische Bezeichnung in deckungsgleicher Regelbefolgung nochmals darstellen.


(88) Nach Peirce besteht das allen Naturgesetzen zugrunde liegende Kennzeichen darin, "... daß jede als Naturgesetz bezeichnete Aussage als Grundlage für Voraussagen dienen kann und auch dazu dient" [Peirce 1991/293]. Unter bilduntypischen Umständen und im theoretischen Idealfall, den Bilder (A) [s.Abb. 11] fast nie verwirklichen, beschreibt die Linearperspektive in geometrischen Gesetzen eine Darstellungsweise, die bei einäugiger, röhrenförmiger und körperlich unbewegter Sicht auf ein bekanntes Objekt so erfahren werden könnte, als ob sie eine naturgesetzliche Darstellung wäre [hierzu Rehkämper 1993]. Hinzu kommt aber, was Rehkämper übersehen hat, daß eine ideale Perspektive nur dann als naturidentisch erfahren wird, wenn die Entfernungsakkommodationen des Auges in der Beobachtung von Einzelheiten unverändert bleiben. Diese Unveränderlichkeit erfüllt nur das Bild (B), das in Größe und Entfernung mit dem Gegenstand (C), z.B. einer Hauswand, identisch ist. Wenn aber das Bild (B) mit dem Gegenstand (C) in den Entfernungen identisch scheint, dann ist das Bild kein Bild mehr, sondern eben eine vorgetäuschte glatte Hauswand, die nichts Dreidimensionales an sich haben darf. Denn wäre die Hauswand mit einem Balkon ausgestattet, dann würde das Auge im perspektivischen Bild gleiche und in der Wirklichkeit unterschiedliche Entfernungsakkommodationen wahrnehmen. Die perspektivische Darstellung (A) entspricht demnach keinesfalls der natürlichen Wahrnehmung, sondern ist eine kulturelle Konvention für visuelle Kommunikation. Aber unter idealisierten Bedingungen und unter der naturgesetzlichen Prämisse, daß sich Licht auf kurzen Distanzen geradlinig ausbreitet, sanktioniert das Verhalten des Lichts (entgegen Goodmans [vgl. 1973/30] Behauptung, daß es nicht so geschieht) auf jeden Fall die Modalitäten solcher zweidimensionalen Abstraktion, die versucht, die Linearität der "Lichtstrahlen" (z.B. die Camera obscura) auf der Bildfläche einzufangen. Demnach partizipiert die Linearperspektive in Bildern teilweise an der kulturell erwarteten Naturgesetzlichkeit der Lichtausbreitung. Damit meine ich, daß die Idealbedingung der perspektivischen Darstellung keine kulturelle Konvention ist, weil die optischen Gesetze der Lichtausbreitung vermutlich überall und auch demnächst noch gelten werden. Trotzdem ist es aber eine kulturelle Übereinkunft, daß wir die relative Annäherung an ein optisches Naturgesetz nutzen, um mit Bildern visuell kommunizieren zu können. Diese relative Annäherung verändert sich in Graden ständig. Im weiteren werden uns unrealistisch erscheinende Perspektiven in anderen Kulturen durchaus als realistisch anerkannt. Kulturbedingte Realismusinterpretationen (Rhema) haben mit der Linearperspektive (Legizeichen) nichts gemeinsam. Sie gehorchen einer bildbezogenen Erkennungsgewohnheit.


(89) Jeder Fotograf wird bemerken, daß die diversen Objektive sehr unterschiedliche Veranschaulichungsfehler und Verzerrungen der Linearperspektive an den Rändern des Fotos verursachen. Offensichtlich vollstreckt jedes Objektiv ein wenig eigene Darstellungsgesetze.


(90) Der emotionsmotivierte Sinnkonsens spielt ebenso in den Absichten von Künstlern eine bedeutende Rolle. Sie müssen und wollen in der interkulturellen Kunstwelt lokale Sprach- und Interpretationsbarrieren überwinden, wie mir eine Diskussion mit chinesischen und russischen Konzeptualisten (Sergei Anrufriev, Kirill Prebrjenski, Kong Chang Ain, Wang Iang Ping, Wu Shan Zhuan) in Hamburg 1993 zeigte, wenn sie darauf abstellen, daß Kunst entweder ein gutes oder ungutes Gefühl verursacht. Ebenso belegt der Modekonzern (United Colors Of) Benetton in seiner "Global Vision" [Iiyama 1993] eine vorsymbolische Kommunikationsstrategie, die mittels eines corporate designs eine emotionale Verbundenheit weltweit vorantreiben soll.


(91) Diese Besonderheit kritisiert Welsch (1993a) und sie wurde bereits im Mittelalter von Bernhard von Clairvaux (1090-1153) angesprochen. "Die Augen werden geblendet von den vergoldeten Reliquien, und die Geldbeutel gehen auf. Man stellt wunderschöne Bilder eines heiligen Mannes oder einer heiligen Frau zur Schau, und je kräftiger die Farben dieser Bildwerke sind, für desto heiliger hält man die Dargestellten" [Clairvaux zit. n. Eco 1991a/20]. Ob das, was die Kulturindustrie produziert, tatsächlich schön ist, ist allerdings eine unentscheidbare Frage.


(92) Beispielsweise bildet "nach ägyptischen Vorstellungen ... das Götterbild nicht den Leib eines Gottes ab, sondern ist der Leib eines Gottes" [J. Assmann 1988b/152]. Denn im Ritual konstituiert sich die Überzeugung, "... daß religiöse Vorstellungen mit der Wirklichkeit übereinstimmen und religiöse Verhaltensregeln begründet sind" [Geertz 1983/78].




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