2.7. Wie wissen Bilder etwas von etwas? Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Will man in der Thematik der Wissenssoziologie zum Wissen einer Gesellschaft etwas sagen, beinhaltet dies nach Berger u. Luckmann [vgl. 1980/1ff., 72] die Analyse der gesellschaftlichen Konstruktion einer Wirklichkeit. Ihres Erachtens ist Wissen etwas, was Gesellschaften als eine Gewißheit über Wirklichkeiten anerkennen und als Realität konstruieren. Sie führen aus, daß diese Konstruktionen von Wissen nur dann als interpersonale Erfahrungsablagerung in Gesellschaften gelten kann, wenn sich Wissen mittels einer Zeichencodierung (93) objektiviert und tradiert hat. Hinzu kommt der dringend erforderliche Faktor, den Luhmann [vgl. 1992/129] angibt, daß das Wissen, soweit es in Zeichencodierungen organisiert ist, auf eine Kommunikation angewiesen ist, die es unermüdlich in jeweiligen Bedeutungsaktualisierungen einer Gesellschaft verfügbar hält. Fällt dieser Faktor weg, sobald beispielsweise Bildzeichen niemandem Erfahrungen ermöglichen oder als Kommunikation vorkommen, geht ebenfalls ihr Wissen verloren. Wissen benötigt folglich die kommunikative (Wieder-)Belebung durch Individuen und Gesellschaften, die die Referenzen einer Zeichencodierung interpretieren. Verkürzt behauptet: nur gesellschaftliche Kommunikation kann (bildliches) Wissen aktualisieren, (Bild-)Kultur ohne Gesellschaft und Interpretation weiß nichts. Wenn Bilder aber eine Zeichencodierung verkörpern, dann ist es nicht zu weit hergeholt, auch Bilder als segmentiertes und sedimentiertes Wissen einer Gesellschaft zu bestimmen. Obwohl Bilder überdies auf Kennen [s.S. 140] angewiesen sind, so lassen sie sich doch als Wissen eines Kollektivs oder einer Gesellschaft interpretieren. Ohne Wissen wäre keine Gesellschaft und auch keine Bildkultur vorhanden. Was aber wissen Individuen von Bildern, und wie stellen Bilder ihr Wissen für Individuen einsehbar dar?

Von einfachen Knipsbildern der Hobbyfotografen, Videoaufnahmen, vielen künstlerischen oder rituellen Malereien usw. läßt sich behaupten, daß sie in fast allen Existenzweisen einen Sinn in der repräsentierenden Form besitzen, um als kommunizierbares Wissen Geltung zu erlangen. Sinn der Form ist die unabdingbare Voraussetzung des Wissens und der Mitteilung von Wissen. Gleichfalls verwirklicht sich ohne Wissen keine visuelle Kommunikation und ohne visuelle Kommunikation kein Wissen. Gehlens [vgl. 1986/174] Anschluß an Malraux in den Kontext des Wissens gebracht, würde dann lauten, der Bildproduzent wird an dem kommunizierten Bildwissen zum Bildproduzenten, nicht an der Natur. Demnach schwingen in Bildern immer Wissenssegmente tradierter Bildformen mit, damit ein Bildproduzent überhaupt die kommunikative Performanz erreicht, visuelle Beobachtungen auch visuell als Wissensmodelle von etwas interpersonal zu kommunizieren. Um Wissen zu kommunizieren, müssen Individuen also einer Wissensgemeinschaft angehören, von der sie die Tradition des Wissens kennenlernen, damit sie den Wissensbestand erweitern können. Sie müssen daher die visuell kommunizierten Formen des Wissens akkommodieren und assimilierend ("ähnlichmachend") abduzieren [s.S. 149], wenn sie am Wissen einer Gesellschaft rezeptiv und kartographierend teilhaben wollen. Zunächst soll von Interesse sein, wie in visuellen Kommunikationscodes einzelnen Problemen "die Form »Wissen«" [Luhmann 1992/165] gegeben wird.

Fragestellungen bezüglich des Wissens und dessen kultureller Vermittlungsweisen müssen bei der visuellen Kommunikation unterschiedlich gelöst werden. Manchmal gibt die Darstellungsform, der Objektbezug oder aber der Interpretantenbezug die geforderte Antwort auf Wissensfragen. Die Schwierigkeit, bildliches Wissen zu bestimmen, besteht darin, daß für das visuell kommunizierte Wissen nicht ohne weiteres behauptet werden kann: "... Wissen [ist] als Wissen gesellschaftlich objektiviert, ... da es das Allgemeingut an gültigen Wahrheiten über die Wirklichkeit darstellt ..." [Berger u. Luckmann 1980/70], oder aber, "... daß Wissen wahres Wissen ist" [Luhmann 1992/134]. Ebenfalls heikel für Bilder ist die Vermutung, daß wir uns das Wissen in der "... Lebenswelt [im kommunikationstheoretischen Verständnis von Habermas] durch einen kulturell überlieferten und sprachlich organisierten Vorrat an Deutungsmustern repräsentiert denken" [Habermas 1988b/189]. All diese Thesen treffen und verfehlen Kennzeichen, die für das kulturell segmentierte und sedimentierte Wissen von Bildern erforderlich sind. Ob und wie das Wissen von Bildern solchen Anforderungen genügen kann, möchte ich in folgenden vier Unterkapiteln ausführen.


   a) Wissen als Distanz zur Natur Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Damit Bilder die Form "Wissen" im kulturellen Bezugsrahmen halten, benötigen sie eine Form, die natürlichen und rein zufälligen Formen entgegensteht. Hätten sie eine wahrscheinliche Form, würden sie sich in nichts von natürlichen Gegenständen unterscheiden. Ohne widernatürliche und unwahrscheinliche Formen wären Bilder unfähig, etwas zu repräsentieren, was einem menschlichen Adressanten zurechenbar wäre. Zum Bild wird das Bild von etwas zunächst, wenn es in widernatürlicher Form den Abstand zum natürlichen Gegenstand wahrt. Erst hierdurch kann es ihn überhaupt informationell und nachrichtlich als eine figurative Erkenntnis repräsentieren. Über eine Bildkultur zu verfügen, heißt daher, Nachahmung (Mimesis) im Sinne eines kulturellen Abstandnehmens vom natürlichen Gegenstand. Für kommunikative Zwecke muß ein Ding auf ein Zeichen, d.h. ein kartographisches Modell von ihm, reduziert werden. Allein diese kulturelle Distanz ermöglicht Bildern eine repräsentierende Form, die "Wissen" in kommunizierbaren Zeichenkontexten hält. Die Form "Wissen" rückt daher von elementaren Kontingenzen der Natur ab. Das Wissen von ikonischen Bildern lebt jedoch davon, daß jene Distanz nicht allzu groß wird. Ansonsten wird die kulturell etablierte Ähnlichkeitstäuschung, die in der mimetischen Form vorzufinden ist, nicht mehr als visuelle Kommunikationsform von Individuen verstanden. Wenn der Abstand des Bildzeichens zur Natur am geringsten scheint, wenn es also die kulturalisierte Natur so augenscheinlich wiedererkennbar repräsentiert, daß wir meinen, die präsente Eigenschaft von ihm würde eine der materiellen Natur ähnliche Empfindung verursachen, wurde dieses Zeichen als Ikon benannt, weshalb ich das Wissen um Ähnlichkeiten als ikonisches Wissen bezeichne.

Das ikonische Wissen kommunizieren wir in einem Bildverständnis, in dem wir sofort verstehen, ohne unsere Assoziationsfähigkeit sehr zu bemühen, daß die kommunizierte Ähnlichkeit - in ihrer Referenz zu irgendeiner Welt - der Möglichkeit nach so gegeben sei [s.S. 40 (Ikon verstehen)]. Bildliche Ähnlichkeiten basieren nicht auf faktisch überprüfbaren Beziehungen zu wirklichen Beschaffenheiten einer Welt, sondern sie sind kommunikative Modelle (Kartographien), die von wirklichen Gegenständen stark abstrahieren, um über kulturell relevante Möglichkeiten von Ähnlichkeit zu kommunizieren. Die kommunikativen Modelle von Ähnlichkeiten verstehen wir, nicht weil sich Gegenstände und Bilder in irgendeinem physikalisch nachweisbaren Sachverhalt ähneln müssen, sondern weil wir die gleichartig bleibenden Darstellungscodes von Bildern kennengelernt haben und daher wissen, daß bildliche Objektbezüge nicht reale Gegenstände sind. Wittgensteins kaum ernst gemeinte Behauptung, "in Bild und Abgebildetem muß etwas identisch sein, damit das eine überhaupt ein Bild des anderen sein kann" [Wittgenstein 1990/Nr. 2.161], verliert ihre Berechtigung. Diese Identität von Merkmalen ist absolut kein Kriterium für ikonische und assoziative Bildhaftigkeit. Die repräsentierende Form, die in kultureller Sinncodierung von Bildern einen Sinn erhält [s.S. 170], ermöglicht dem Betrachter ein ikonisches Wissen von solchen optischen Sachverhalten, die, bis auf spärliche Ausnahmen (94), in keinem einzigen Punkt mit der Tatsächlichkeit von wirklichen Gegenständen übereinstimmen. Ikonisches Wissen ist somit nicht auf Merkmalsidentität zum Gegenstand angewiesen; insbesondere bei absoluter Identität wäre es als solches nicht erkennbar, wie die Erläuterungen zum Cyberspace zeigten [s.S. 78]. Für ikonisches Wissen ist lediglich die Merkmalskonvergenz unersetzbar, die es im Sinn an seinen codierten Darstellungssinn der Kultur bindet, an den ikonischen Signifikationscode also.

Für das ikonische Wissen möchte ich hier nochmals betonen: ein Bild erkennen wir visuell, wenn wir die vom Material reflektierte Lichtenergie so empfinden, daß wir zu dem visuellen Eindruck gelangen, unsere, konstruierte Information würde irgendeinem wirklichen oder fiktiven Arrangement ähneln. Da man Lichtempfindungen nicht gedanklich evozieren kann, lassen sich wirkliche Erfahrungen von Bildern nicht in der Wirkung identisch denken. Für ikonisches Wissen läßt sich in den meisten Fällen etwas überzogen sagen: im darstellenden Bild ordnen wir Materie so, daß sie uns kraft Lichtenergie die visuelle Information ermöglicht, die wir im individuellen Wahrnehmungssystem konstruieren und die wir als Zeichen für eine realistische oder fiktive Umwelt wiedererkennen. Solche optischen Informationen, in denen wir einen assoziierten Objektbezug als Ikon visuell wiedererkennen, teilt uns weder ein indexikalischer noch ein symbolischer Objektbezug als Nachricht mit. Diese beiden Objektbezüge kommunizieren aufgrund ihres kulturellen Leitgedankens grundsätzlich keine wiedererkennbare Ähnlichkeitsbeziehung zu optischen Informationen von natürlichen oder unwahrscheinlichen Gegenständen [s.S. 80, 106 (Licht)]. Aus diesem Grund läuft das Verständnis von Bildern am Bild vorbei, wenn es als symbolisches Wissen aufgefaßt wird. Denn ein Symbol erlangt seinen Mitteilungswert, indem das, was es mitteilen will, in der Regel nicht visuell und körperlich erfahrbar vorliegt. Der symbolische Objektbezug ist eine arbiträre Vorstellung, die keine optischen Informationen als Nachricht eines Ähnlichkeitsbezugs ermöglicht und voraussetzt. Das Symbol teilt daher für gewöhnlich (optisch) unähnliche Nachrichten mit. Zugegebenermaßen war dies in westlichen Kulturen vermutlich einmal anders. Wie gleich mit Foucault erörtert wird, beinhaltete auch das Symbol im Kult oder in vergleichbaren Umständen eine Ähnlichkeit, die als eine den Dingen ebenbürtige Kraft erfahren wurde. Beispielsweise verfügen im Islam nach wie vor die Wörter und religiösen Verse über eine Wirklichkeit konstituierende Kraft, die ein Motiv dafür bietet, warum sich in islamisch geprägten Kulturen eine weitgehende Bildabstinenz lange Zeit halten konnte.

Vor dem Hintergrund, daß Bilder zunehmend kommunikative Funktionen erfüllen sollen, bleibt es strittig, ob es zutrifft, wenn Foucault meint: "Die Ähnlichkeit wird künftig aus dem Gebiet der Erkenntnis herausfallen" [Foucault 1989/102]. Foucaults historische Analyse begründet, daß sich die verbale Sprache seit dem 17. Jahrhundert von ihrer ursprünglichen Form löste, "... ein wahres Zeichen der Dinge [zu sein], weil sie ihnen ähnelte" [Foucault 1989/67; vgl. Eco 1991a/79f.]. Den Namen ging mit dieser Veränderung ihre den Dingen ähnliche Kraft schrittweise verloren. So schrieb sich z.B. in die symbolische Bezeichnung »Löwe« eine Kraft ein, deren Ähnlichkeit in der körperlichen Kraft des Löwen hinterlegt war [vgl. Foucault 1989/67]. Mittlerweile haben sich die Namen verwandelt. Sie leben als Nomen weniger von der erfahrenen Kraft der Dinge, der Omen oder ihrer vorzeichenhaften Gegenstandsbedeutung, sondern sie erhalten ihre Zeichenbedeutungen mehr und mehr aus vollständig unähnlichen und sprachimmanenten Kontexten. Eine vergleichende Studie von nordamerikanischen Stadt- und mexikanischen Landkindern untermauert diese These: bei zunehmender Industrialisierung entfernten sich die Ähnlichkeiten der Dinge aus der Sprache der Kinder. Denn Stadtkinder stellten Gruppierungen nach solchen Ähnlichkeitskriterien zusammen, die von Nominalismen geleitet wurden, wohingegen Landkinder mehr konkrete und wahrnehmbare Attribute nannten, weil sie "... eine echte Beziehung zum Objekt als einem individuellen Ding ..." [Maccoby u. Modiano 1971/311; s.S. 69] aufnahmen. Infolge der Ausdifferenzierung westlicher und säkularisierter Kulturen leuchtet die historische Rekonstruktion Foucaults ein, daß Ähnlichkeit, die mit dem Wort eine den Dingen analog erfahrbare Kraft erhielt, aus dem diskursiven Sinn heutiger Erkenntnisgewinnung und Wissenschaft herausfällt. Auch wenn "die Sachen und die Wörter sich trennen [werden]" [Foucault 1989/76], so überzeugen folgende Thesen dennoch nicht:

"Das Auge wird zum Sehen und nur zum Sehen bestimmt sein ..." bzw. "Die durch die Augen gewonnenen Repräsentationen werden, wenn sie selbst entfaltet, von allen Ähnlichkeiten befreit und sogar von ihren Farben gereinigt sind, schließlich der Naturgeschichte das geben, was ihren eigentlichen Gegenstand bildet: das genau, was sie in jene wohlgeformte Sprache übergehen läßt, die sie bauen will." [Foucault 1989/76 bzw. 175]

Der Ausbruch der Ähnlichkeit aus dem sprachlichen Diskurs, das Vergessen leiblicher Erfahrbarkeiten, das Entschwinden dinglicher Bedeutungen aus dem verbalen Raum zeigen sich für eine sprachfokussierte Untersuchung stimmig. Diese verfehlt aber die Einsicht, daß gerade in den Naturwissenschaften (am deutlichsten in der Astronomie, Biologie und Medizin) die historische Entwicklung dahin tendiert, Ähnlichkeiten mit wachsender Vorliebe kraft Bilder und insbesondere mittels Fotografien, elektrischen Bildschirmen sowie Computeranimationen zu entwerfen. Dies heißt nicht, dargestellte Ähnlichkeitsunterstellungen würden als wissenschaftliche Erkenntnis gelten. In den Naturwissenschaften wird die sogenannte wissenschaftliche Wahrheit den indizierenden Meßwerten und unähnlichen Symbolen überantwortet. Was ich aber meine, ist, daß das Wissen um Ähnlichkeiten - jedenfalls derzeitig - kraft ikonischer Bilder weiterhin gesamtgesellschaftlich dokumentiert wird und zu Zeiten vor der ungegenständlichen Malerei auch konstant von Bildern mitgeteilt wurde.

Eigens die automatisierte Bilderzeugung verleitet Bildproduzenten zu einer bedenklichen Methode: sie stellen nämlich ein ikonisches Wissen her, welches über die Wirklichkeit benachrichtigen soll, die sie im Spiegelreflex des Bildsuchers ihrer Kamera sehen. Wenn sich auch die Sachen von den Wörtern trennen, wie Foucault oben zitiert schreibt, so ist doch zu sehen, wie sich fotochemische Bilder mit den Sachen sogar physikalisch verbunden zeigen. So wird ein ikonisches Wissen entworfen, welches die figurative Erkenntnis um Ähnlichkeit aus dem Sehen selbst entspringen läßt [s.S. 89]. Und dieses ikonische Wissen lebt ausgerechnet von der "Leuchtkraft", die der primären Gegenstandserfahrung ähnlich zu sein scheint. Die Ähnlichkeit ist nicht aus menschlicher Erkenntnis verschwunden, sondern sie radikalisiert zur Zeit sogar das gesamtgesellschaftliche Erkenntnisvermögen, da tatsächlich, wie jeder merken könnte, die massenmediale Bilderflut immer unaufhaltsamer persönliche Wirklichkeitskontakte ersetzt. Beispielsweise operieren in der endoskopischen Chirurgie mittlerweile Ärzte, die mit einer 3-D Brille ausgestattet vor einem Fernseher stehen, um von dort aus verlängerte Scheren in ausgespiegelten Körpern herumfahren zu lassen, ohne daß sie selbst einen direkten Sichtkontakt zum Patienten hätten. Entsprechendes passiert in der Biologie, wenn z.B. an der Biologischen Anstalt Helgoland die Wachstumsperioden von Algen berechnet werden, indem eine Videokamera ein grellgrün- und pinkfarbenes Computerbild erzeugt, welches anschließend - im bekundeten Glauben, daß das Bild der Alge entspricht - ausgemessen wird. In vergleichbarer Weise beobachten humanwissenschaftlich interessierte Pädagogen, Psychologen und Ethnologen Menschen mittels einer Video- bzw. Filmkamera, oder vermitteln Historiker und Archäologen ihr Wissen im Film oder in Computeranimationen. Die Ähnlichkeit fällt also keinesfalls aus der Kommunikation, die ein Wissen in der Wissenschaft und des Alltagslebens ermöglicht, weil "... die Ähnlichkeit für die Erkenntnis eine unerläßliche Einfassung [bildet]" [Foucault 1989/102]. Offenbar verhält es sich mit der Ähnlichkeit irgendwie anders als Foucault schrieb. Sie wird auch in der Wissenschaft relevant, der man temporäre Erkenntnis trotz zweifelhafter Wahrheit kaum aberkennen kann.
Horkheimer und Adorno heben Schellings Ansatz hervor, wenn sie ihm untadeliges Vertrauen in die Kunst nachsagen:

"Nach Schelling setzt die Kunst da ein, wo das Wissen die Menschen im Stich läßt. Sie gilt ihm als »Vorbild der Wissenschaft, und wo die Kunst sei, soll die Wissenschaft erst hinkommen (95) «." [Horkheimer u. Adorno 1984/35f.]

Für die automatisierte Bildproduktion in der Wissenschaft [s.S. 185 (Astronomiebeispiel)] und sonstigen Bildkommunikation lautet der letzte Satz eindeutig: wo die aufgezeigte Ähnlichkeit vom Bild schon ist, dort soll sich das diskursive oder mathematische Wissen erst noch einfinden. Damit stellt sich ein Grund heraus, warum sich mit Kunst und Bildern allein keine Wissenschaft machen läßt. Denn die subjektiven Formierungen von approximativen Ähnlichkeitsdarstellungen, dazu gehört auch das Verstehen ikonischer Beziehungen, hat keinen allgemein nachvollziehbaren Bedeutungsanspruch, der als Wahrheit zu interpretieren wäre. Es ist eben kein Ähnliches, kein Bild, kein Kunstwerk, kein Rätsel und kein Geheimnis wahrer als ein anderes.

Allerdings beruht eigens auf dem Manko, daß Ähnlichkeit ohne Wahrheitsgeltung mitgeteilt und wiedererkannt wird, das kreative Denken, das Künstler und Wissenschaftler manchmal besonders beflügelt. Mit einer emotionalen Bedeutungshaftigkeit lassen sich nämlich Ähnlichkeiten imaginieren, die sich dem Denken einer folgerichtigen Alltagsrationalität selbstbeschwingt entziehen können. Die im Bewußtsein kreierten Ähnlichkeitsverhältnisse und ästhetisch motivierten Gefühlsorientierungen erfüllen hier ein anfängliches Erkenntnisinteresse, welches im Ikon über seinen ersten interpretierten Objektbezug verfügt. Die primäre Idee, daß etwas mit etwas anderem der Möglichkeit nach ähnlich sein könnte, kommunizieren Bilder als optisch wiedererkennbares, also ikonisches Wissen. Ein Wissen um Ähnlichkeiten überzeugt deshalb keinen Beobachter mit Argumenten eines kulturellen Symbolkontextes. Ikonisches Wissen überzeugt den Beobachter, wenn er sich selbst überzeugt. Kraft seines Assoziationsgeschicks muß er sich vom ikonischen Wissen zu einer intuitiven Idee bewegt sehen, die etwas von etwas anderem als Ähnlichkeit wiederzuerkennen meint, indem er ein eigensinniges Gefühl der Ähnlichkeit verspürt. Bemerkt er in Bildern keine Ähnlichkeiten mit etwas anderem, verspürt er keine emotionale Bedeutung, dann bleibt ihm das ikonische Wissen fern. Von diesem Wissen werden auch andere Beobachter ihn nicht überzeugen können, wenn er seinen intuitiven Eigenbeitrag nicht zu leisten vermag. Demnach erfordert ikonisches Wissen im assoziierten Wiedererkennen einen subjektiven Eigenbeitrag des Individuums. Soll die assoziierte Ähnlichkeit aber ein Wissen der Wissenschaft werden, muß sie in eine Sequenz von diskursiv abgefaßten Erkenntnissen übertragen werden, um innerhalb der sinnorientierten Regelbestimmung des symbolischen Wissens zur Wahrheitsgeltung zu gelangen.

Auf den kreativen und intuitiven Ausgangspunkt des ikonischen Wissens haben Ciompi [vgl. 1992/398f.] und Pape [vgl. 1989/182-188] hingewiesen, indem sie den der Wahrnehmung gegebenen Gefühlsqualitäten ein Erkenntnisinstrument zuschreiben, das reichhaltige Interpretationsmöglichkeiten erweckt. Ebenfalls formulierte Arnheim [vgl. 1972/254] den Begriff des "anschaulichen Denkens", um zu beschreiben, wie bildliche Kompositionen ihre Darstellungsformen vor allen sprachlichen Formulierungen erhalten können. Der Schritt, der später zu gehen ist, klingt hier schon an. Denn wo das vielfach Unbewußte des Ähnlichen im Bild war, soll das Denken des diskursiven Wissens erst werden. Relevant für das ikonische Wissen ist zunächst, daß es selbst in Bildern unauffällig mitkommuniziert wird, ohne eigentlich als kommunizierte Erkenntniskonstruktion bewußt zu sein, da es meist vorkommunikativ, zumindest aber vorsprachlich in seiner Ähnlichkeit wiedererkannt wird.

Für ikonische Bildzeichen ist zwar nicht Referenz auf vorzeichenhafte Wirklichkeit maßgebend, aber für sie ist mögliche Ähnlichkeit konstitutiv. Ähnlichkeit ist ein Bestandteil der Erkenntnis, die Menschen als Kommunikation konzeptualisieren. Jedoch stoßen technische Bilder auf ein Hindernis. Ihre Ähnlichkeiten weben Individuen verstärkt in eine Handlungsorientierung ein, die die Differenz zur "Natur" indifferent werden läßt. In dieser Indifferenz wird die visuelle Kommunikation als eine solche erfahren, deren Ähnlichkeit mit der "natürlichen" Umwelt gleichwertig sein könnte, da sie auch so erfahren werden soll. Die sogenannte »zweite Natur« des Menschen, also seine kulturelle Wahrscheinlichkeit, kommt ihm in automatisierten Bildformen als vorkommunikative »Natur« vor. Er sieht in der kulturellen Zentralperspektive eine »zweite Natur«, die ihm als »erste Natur« und nicht als Kultur vorkommt. In solcher Vorgehensweise entschwindet die »erste Natur« ins Bild und dieses aus der kulturellen Erkenntnis, deren »zweite Natur« Orientierung gegenüber ersterer bieten wollte. So geartet, verschwimmt im Auge des Betrachters die Bildwirklichkeit mit der Weltwirklichkeit differenzlos, was den Bildern den Anspruch abspenstig macht, weiterhin als Naturerkenntnis oder Realitätskonstruktion gelten zu dürfen. Denn dort, wo das konstruierte Bild mit der Natur identisch scheint, verschwindet die ikonische Erkenntnis dem Anschein nach von der Bildfläche [hierzu Horkheimer u. Adorno 1984/34].

Die Ähnlichkeiten, an die einmal das Bild erinnerte, werden zwar kommuniziert, aber sie werden ohne die wesentliche Mitarbeit eines menschlichen Verstandes mitgeteilt. Die Ähnlichkeit, die deshalb aus dem kommunizierten Bildwissen seit neuestem entschwindet, ist die, die von einer menschlichen Erkenntnisfähigkeit produziert wurde. Die elektrifizierten Bilder rücken so innig an die menschliche Erlebniswelt heran, daß sie ihre ursprüngliche Distanz zur Natur zu verwirken scheinen. Angesichts der möglichen Dramatik formuliert Bredekamp nahezu apokalyptische Aussichten. Er sieht in der "Erosion des Distanzraumes" zur Natur die Kulturgeschichte liquidiert und prophezeit "... einen Rückfall in die Unmittelbarkeit der Wilden ..." [Bredekamp 1991/283], obwohl wilde Unmittelbarkeit durchaus etwas für sich hätte. Aber dennoch, übersteigerte Behauptungen neigen zur Klarheit. Denn tatsächlich verliert der fortgeschrittene Mensch seinen individuellen Bezugspunkt zu den Dingen, sobald er das automatisierte Bild so erlebt, als ob dessen Kultur mit der Natur konvergierend wäre. Der ikonische Abstand zur Natur und auch die unmittelbare Naturerfahrung gehen dann verloren, wenn das kommunizierte Wissen über kulturalisierte Natur zu einer solchen Geltung gelangt, wie es paradoxerweise ein wirkliches Naturding hatte. So betrachtet, besitzen technische Bilder in modernen Kulturen nur soviel an organisierten Deutungsmustern, wie wirkliche Gegenstände solchen Mustern gehorchen. Da wir Gegenstände aber vielfach pragmatisch in Handlungen verwenden, hat dies zur Folge, daß die ikonische Veranschaulichung von Objekten sich aus der reflektierten Erkenntnis entfernt. Die ikonische Veranschaulichung wird nämlich selbst zur unbedachten Umweltvoraussetzung für alle weiteren Erkenntnisse herangezogen. Selbst Maler, die einmal das Wesen der Natur erkennen wollten, verzichten auf eine innenorientierte und empirische Sicht. Sie malen schon seit längerer Zeit nach Konzeptualisierungen, die fotomechanisch von einer Natur oder gegenständlichen Wahrscheinlichkeit kartographiert wurden. Die Ähnlichkeit verschwindet also nicht aus der kommunikativen Erzeugung von Wissen, sondern sie verschwindet aus der reflektierten Erkenntnisfähigkeit der Individuuen, wenn diese ikonischen Wissenserwerb den Konzepten von Automaten überlassen. Im weiteren kommunizieren Individuen die figurativen Erkenntnisse des Automaten zu einem großen Teil in einem Bewußtsein, das hauptsächlich die Ähnlichkeiten vorkommunikativ wiedererkennt, das also bildliche Ähnlichkeiten nicht zeichenhaft, sondern quasi gegenständlich erlebt [s.S. 66].
Das kommunizierte Bildwissen indoktriniert die Naturerfahrung so energisch, bis sie eben »bildschön« anmutet oder »wie gemalt«, »wie im Film« zum Vorschein kommt. Eine solche Sprechweise beunruhigte einige Theoretiker. Nach Adorno [vgl. 1973/108ff.] würden jene Vorstellungen die genuine Schönheit der Natur mindern, weil die Natur schweigen will. Allerdings gaben sich die Gelehrten bei der Überzeugung, daß die Natur Natur, die Dinge Dinge und ein Tisch Tisch heißen soll, wesentlich gelassener. Der Imperativ einer Sprachkultur wurde eher geduldet als der Bild- oder visuelle Vorstellungsimperativ einer Bildkultur, weil das Bild nicht als kommunikatives Mittel verstanden wurde, sondern als Herrschaftsanspruch über das Reich der freien Phantasie. Die Geschichte der Bilderstürme, wie auch das Gebot, daß man sich von Gott kein Bild machen dürfe, sprechen hier eine deutliche Sprache, obwohl in dieser Historie zweifellos die symbolischen Machtansprüche deutlich entscheidender als die ästhetischen (ikonischen) Herrschaftsansprüche waren, wie Warnke [vgl. 1988/11] anmerkt. Der Bildimperativ einer Kultur wirkt zwar keinesfalls so rigide wie der Sprachimperativ, dennoch nimmt er deutlichen Einfluß auf die ikonische Vorstellungskraft, welche Merkmale irgendeinem Objekt ähneln könnten. Um dies festzustellen, muß man nur jemand zeichnen oder beschreiben lassen, wie der Mars, ein Dinosaurier, ein Pharao, der amerikanische Präsident, ein Indianer, ein Atom oder eine DNA aussieht. Diese Beispiele präzisieren, warum Bilder eindeutig ikonisches Wissen über etwas kommunizieren. Beispielsweise wird ein Präsident in einer Menschenmenge problemlos unter tausend anderen Personen wiedererkannt, während kaum jemand in der Lage ist, den Präsidenten wiedererkennbar zu zeichnen oder optisch zu beschreiben. Bilder sind demnach in der Lage, die visuelle Wahrnehmung von etwas zu lehren, wie beispielsweise impressionistische Gemälde den Betrachter lehrten, die Augen zu öffnen, damit er tatsächlich farbige Schatten in der Natur wahrnimmt [hierzu Gombrich 1984/27ff.]. Bildlich darstellende Sinncodierungen produzieren somit ein ikonisches Wissen, das sowohl etwas Ungesehenes sichtbar macht als auch verifizierende Wahrnehmung hinsichtlich der Natur modifiziert bzw. ungewohnt koordiniert. Dies führten jüngst die fotogrammetrischen Aufnahmen der Anlage von Stonehenge vor. Sie zeigen Höhenunterschiede auf, die hinsichtlich ihrer "Natur" imperzeptibel waren.

Bilder erhalten ihre Priorität vor Sprache seltener, weil sie sich als optische Sondierungshilfe oder Sehschule inszenieren, und öfter deshalb, weil sie ikonisches Wissen über abwesende Dinge und Personen in ihrer Kommunikation anwesend werden lassen. Entgegen Foucault hat das ikonische Zeichen auch im heutigen Zeitalter nicht aufgehört, eine Weltverbundenheit aufzuzeigen, die "... feste und geheimnisvolle Bänder der Ähnlichkeit oder der Affinität markiert" [Foucault 1989/92]. Beispielsweise stellt man sich bei einem Arbeitgeber mit einem Bewerbungsfoto vor, damit er einen optischen und emotionsmotivierten Eindruck davon gewinnt, wie es wäre, wenn er den Bewerber jeden Tag sehen müßte. Ikonisches Wissen über Ähnlichkeiten und optisch Wiedererkennbares ist aus Kulturen nie ohne weiteres wegzudenken und wird gegenwärtig sogar verstärkt in ikonischen Signifikationscodes kommuniziert. Denn die Isolation der Individuen voneinander hat sich derart erhöht, daß sie den eigentlich repräsentierenden Sinn als präsenten Sinn erfahren. In diesem Surrogat tatsächlicher Interaktion finden sie eine Orientierung an vermeintlich präsenter Öffentlichkeit vor, deren globale und gesellschaftlichen Sachverhalte sich im Wohnzimmer - dem oft präferierten Lebensraum - privatisieren. Ikonische Veröffentlichungen offerieren hier optisch kartographierte Wirklichkeitsbereiche, die Individuen zu einem Wissenserwerb heranziehen, den sie immer weniger persönlich einholen können. Deshalb ziehen sie bildliche Ähnlichkeiten heran, um sich infolge dieses ikonischen Wissens mit dem verbunden zu fühlen, von dem sie ansonsten abgeschnitten wären, weil es für sie eine oft unerreichbare Wirklichkeit und soziokulturelle Öffentlichkeit darstellt.

Bilder leiten demnach Vorstellungen, egal ob diese der empirischen Wirklichkeit entgegenkommen oder nicht. Dies ist nichts Neues. Selbst der Begriff "Bild" konnotiert eine Verbindung zum Schöpferischen, Bildenden, Eingebildeten und Phantasierten, worin sich ein Interesse und Bedürfnis nach Bildern partiell begründet. Denn Bilder verallgemeinern subjektive Wahrnehmungsaugenblicke und Vorstellungen auf einer visuell kommunikativen Ebene, die es allen anderen Gesellschaftsmitgliedern mehr oder weniger ermöglicht, eine in Graden gleichwertige Anschauung zu den optisch dargestellten Objekten aufzubauen, obwohl dessen Interpretationen der Bedeutung oftmals in subjektive Meinungen abdriften. In dieser sozialen Orientierung und Kommunikation bzw. persönlichen Anregung, wie sich etwas vorgestellt werden könnte, kann ich nicht allzuviel Gefährliches erkennen, weil die Kommunikation über Ideen für jedes menschliche Kollektiv eine unersetzbare Bedingung ist.

Die Gleichwertigkeit der kommunikativen Beziehungen, die in modernen Bildkulturen angestrebt wird, verkehrt sich jedoch ins Negative, wenn die körper- und subjektgebundene Naturerfahrung dem Bildimperativ so stark folgt, daß die Natur und überdies das Äußere des Menschen den kommunizierten Formen zu folgen haben. Die Retusche des ikonischen Wissens, beispielsweise die retuschierte Bildschönheit von inszenierten Fotomodellen, gibt hier vor, wie man sich als kommunikativ anschlußfähige Person geben kann. Die natürliche Wahrscheinlichkeit der menschlichen Gestalt wird selbst zur zweiten Wahrscheinlichkeit der Kultur sozialisiert. In diesem Fall soll nicht mehr das Bild der Natur, sondern die Natur dem kulturellen Bildwissen ähnlich werden. Hier taucht meines Erachtens eine bedrohliche Entfremdung auf, denn wenn die Natur und das Äußere des Menschen eben n i c h t »wie gemalt«, »bildschön« oder »wie im Film« erscheinen, sollen beide dem Vor-Bild ähnlich gestaltet werden. Die Enttäuschung darüber, daß die Natur bzw. der Blick in den Spiegel nicht mit der ikonischen Wissensrepräsentation konvergiert, motiviert heutige Gesellschaftsmitglieder offenbar intensiviert, ihre Natur der kulturellen Eigengesetztlichkeiten von Bildern anzupassen, also nur die synthetisierte als die genuine Natur anzuerkennen. Dies verwundert kaum, da wir schließlich mehr Bilder, mehr ikonisches Wissen von synthetisierter Natur als die Natur selbst wahrnehmen. Gleichrangiges passiert auch auf der Ebene sozialer Kontakte. Denn wie zu beobachten ist, ersetzen Bilder verstärkt persönliche Kontakte, wodurch es geschehen kann, daß sie direkten Kontakten vorgezogen werden. Die anwesende Wirklichkeit, die ikonisches Wissen mit Bildpräsenz verwirklicht [Zweitheit], läßt sich nämlich wesentlich selbstverständlicher als körper- und raumbezogene Wirklichkeiten (Non-Ego) in das zeichenhafte Wissen (Ego) über soziale Realitäten eingliedern. In dieser Tendenz wird das televisionär Reale natürlicher als die Natur selbst.

Trotz aller Problematiken ist deutlich zu erkennen, daß Bilder deshalb eine große Macht über die Vorstellungswelt des Menschen gewinnen konnten, weil ihr ikonisches Wissen vielfach in einer vermuteten Ähnlichkeitsbeziehung zu faktisch erfahrbaren Wirklichkeiten steht und obendrein zeitweilig wie eine vitale Wirklichkeit erfahren wird. Ein Großteil aller visuell kommunikativen Werbung beruht auf dieser vermuteten Ähnlichkeitsbeziehung, deren symbolische und manchmal kultische Kraft mittels ikonischen Wissens aufgeladen wird. Dem Kult verwandt versucht nahezu jeder, seine Stärke mit dem Image eines Jaguar-Auto zu betonen, dem Lebensgefühl einer »Lucky Strike« Werbung mit seiner Zigarettenpackung zu ähneln oder die Ästhetik eines populären (Foto-)Modells mit einem einstmals von ihm angelegten Kleidungsstück zu verkörpern und durch Ähnlichkeit zu fetischisieren.

Obwohl seit der Renaissance Ähnlichkeiten forciert aus dem Wissensbegriff herausgehalten wurden, da sie sich keinen eindeutig interpersonalen und logischen Kriterien unterordnen lassen, sollte plausibel geworden sein, daß sie trotzdem in den Wissenschaften und überall sonst als ikonisches Wissen kommuniziert werden. Infolge eines ikonischen Signifikationscodes, z.B. der renaissancistischen Zentralperspektive, kommunizieren und behaupten Bilder ein ikonisches Wissen, das in Kulturen irgendeiner kulturellen Einheit ähnlich sein soll [s.S. 155, 138]. Ob die kulturelle Einheit eine Wirklichkeit zeigt oder nicht, ist eine Frage der Referenz, die dem ikonischen Zeichen konventionell zugetraut wird. Wie man weiß, genießt die Foto- und Videotechnik gegenwärtig das größte Vertrauen, wenn etwas als ikonisches Wissen von einer Wirklichkeit indexikalisch referiert wird. Der Fotokünstler Jeff Wall (z.B. im Bild "... Hokusai" 1993) und computersimulierte Filme (Jurassic Park, Terminator II) erschüttern allerdings die gesellschaftliche Zuversicht, daß der Index im ikonischen Foto als Veranschaulichung unserer empirisch konstruierten Faktizität gelten kann. Die ehemalige Überprüfbarkeit, z.B. bei der fotografischen Perspektivaufnahme, besaß eine konventionelle Gültigkeit, die man als ein symbolisches Wissen bezeichnen kann, welches Individuen auch unabhängig von der Anwesenheit eines Fotos konventionell anerkennen oder eben nicht mehr anerkennen. Um aber indexikalische Faktizität oder eine neue ikonische Erkenntnis behaupten zu können, müssen Bilder einem Code des Wissens gehorchen. Sie müssen irgendeine kulturelle Tradition aufweisen, damit ihrer Referenz geglaubt oder zumindest ihr Inhalt kommunikativ relevant wird. Denn "... zum Gewinn neuen Wissens ist immer auch eine Reproduktion alten Wissens erforderlich" [Luhmann 1992/220], weshalb "... das Neue ... seinen Sinn nur im Verhältnis zum Bestehenden" [Durkheim 1987/158] durchsetzt. Dies wird im nächsten Unterkapitel ausgeführt.


----Fußnoten----

(93) Berger u. Luckmann [vgl. 1980/72] verwenden den Begriff "Zeichensystem", den ich verworfen hatte [s.S. 33, 177].


(94) Ausnahmen betreffen die Farbe sowie homologe Kopien von Bildern und von anderen zweidimensionalen Gegenständen [s.S. 181 Fußn. 88 (Perspektive)].


(95) Von mir ungeprüft, wird diese Schellingsche Textstelle wie folgt angegeben: "Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Fünfter Hauptabschnitt. Werke. Erste Abteilung. Band II. S. 623" [Horkheimer/Adorno 1984/36].




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