|
Damit Bilder die Form "Wissen" im kulturellen Bezugsrahmen halten,
benötigen sie eine Form, die natürlichen und rein zufälligen
Formen entgegensteht. Hätten sie eine wahrscheinliche Form, würden
sie sich in nichts von natürlichen Gegenständen unterscheiden.
Ohne widernatürliche und unwahrscheinliche Formen wären Bilder
unfähig, etwas zu repräsentieren, was einem menschlichen Adressanten
zurechenbar wäre. Zum Bild wird das Bild von etwas zunächst, wenn
es in widernatürlicher Form den Abstand zum natürlichen Gegenstand
wahrt. Erst hierdurch kann es ihn überhaupt informationell und nachrichtlich
als eine figurative Erkenntnis repräsentieren. Über eine Bildkultur
zu verfügen, heißt daher, Nachahmung (Mimesis) im Sinne eines
kulturellen Abstandnehmens vom natürlichen Gegenstand. Für kommunikative
Zwecke muß ein Ding auf ein Zeichen, d.h. ein kartographisches Modell
von ihm, reduziert werden. Allein diese kulturelle Distanz ermöglicht
Bildern eine repräsentierende Form, die "Wissen" in kommunizierbaren
Zeichenkontexten hält. Die Form "Wissen" rückt daher
von elementaren Kontingenzen der Natur ab. Das Wissen von ikonischen Bildern
lebt jedoch davon, daß jene Distanz nicht allzu groß wird. Ansonsten
wird die kulturell etablierte Ähnlichkeitstäuschung, die in der
mimetischen Form vorzufinden ist, nicht mehr als visuelle Kommunikationsform
von Individuen verstanden. Wenn der Abstand des Bildzeichens zur Natur am
geringsten scheint, wenn es also die kulturalisierte Natur so augenscheinlich
wiedererkennbar repräsentiert, daß wir meinen, die präsente
Eigenschaft von ihm würde eine der materiellen Natur ähnliche
Empfindung verursachen, wurde dieses Zeichen als Ikon benannt, weshalb ich
das Wissen um Ähnlichkeiten als ikonisches Wissen bezeichne.
Das ikonische Wissen kommunizieren wir in einem Bildverständnis, in
dem wir sofort verstehen, ohne unsere Assoziationsfähigkeit sehr zu
bemühen, daß die kommunizierte Ähnlichkeit - in ihrer
Referenz zu irgendeiner Welt - der Möglichkeit nach so gegeben
sei [s.S. 40 (Ikon verstehen)]. Bildliche Ähnlichkeiten basieren
nicht auf faktisch überprüfbaren Beziehungen zu wirklichen Beschaffenheiten
einer Welt, sondern sie sind kommunikative Modelle (Kartographien), die
von wirklichen Gegenständen stark abstrahieren, um über kulturell
relevante Möglichkeiten von Ähnlichkeit zu kommunizieren. Die
kommunikativen Modelle von Ähnlichkeiten verstehen wir, nicht weil
sich Gegenstände und Bilder in irgendeinem physikalisch nachweisbaren
Sachverhalt ähneln müssen, sondern weil wir die gleichartig bleibenden
Darstellungscodes von Bildern kennengelernt haben und daher wissen, daß
bildliche Objektbezüge nicht reale Gegenstände sind. Wittgensteins
kaum ernst gemeinte Behauptung, "in Bild und Abgebildetem muß
etwas identisch sein, damit das eine überhaupt ein Bild des anderen
sein kann" [Wittgenstein 1990/Nr. 2.161], verliert ihre Berechtigung.
Diese Identität von Merkmalen ist absolut kein Kriterium für ikonische
und assoziative Bildhaftigkeit. Die repräsentierende Form, die in kultureller
Sinncodierung von Bildern einen Sinn erhält [s.S. 170], ermöglicht
dem Betrachter ein ikonisches Wissen von solchen optischen Sachverhalten,
die, bis auf spärliche Ausnahmen (94),
in keinem einzigen Punkt mit der Tatsächlichkeit von wirklichen Gegenständen
übereinstimmen. Ikonisches Wissen ist somit nicht auf Merkmalsidentität
zum Gegenstand angewiesen; insbesondere bei absoluter Identität wäre
es als solches nicht erkennbar, wie die Erläuterungen zum Cyberspace
zeigten [s.S. 78]. Für ikonisches Wissen ist lediglich die Merkmalskonvergenz
unersetzbar, die es im Sinn an seinen codierten Darstellungssinn der Kultur
bindet, an den ikonischen Signifikationscode also.
Für das ikonische Wissen möchte ich hier nochmals betonen: ein
Bild erkennen wir visuell, wenn wir die vom Material reflektierte Lichtenergie
so empfinden, daß wir zu dem visuellen Eindruck gelangen, unsere,
konstruierte Information würde irgendeinem wirklichen oder fiktiven
Arrangement ähneln. Da man Lichtempfindungen nicht gedanklich evozieren
kann, lassen sich wirkliche Erfahrungen von Bildern nicht in der Wirkung
identisch denken. Für ikonisches Wissen läßt sich in den
meisten Fällen etwas überzogen sagen: im darstellenden Bild ordnen
wir Materie so, daß sie uns kraft Lichtenergie die visuelle Information
ermöglicht, die wir im individuellen Wahrnehmungssystem konstruieren
und die wir als Zeichen für eine realistische oder fiktive Umwelt wiedererkennen.
Solche optischen Informationen, in denen wir einen assoziierten Objektbezug
als Ikon visuell wiedererkennen, teilt uns weder ein indexikalischer noch
ein symbolischer Objektbezug als Nachricht mit. Diese beiden Objektbezüge
kommunizieren aufgrund ihres kulturellen Leitgedankens grundsätzlich
keine wiedererkennbare Ähnlichkeitsbeziehung zu optischen Informationen
von natürlichen oder unwahrscheinlichen Gegenständen [s.S. 80, 106
(Licht)]. Aus diesem Grund läuft das Verständnis von Bildern am
Bild vorbei, wenn es als symbolisches Wissen aufgefaßt wird. Denn
ein Symbol erlangt seinen Mitteilungswert, indem das, was es mitteilen will,
in der Regel nicht visuell und körperlich erfahrbar vorliegt. Der symbolische
Objektbezug ist eine arbiträre Vorstellung, die keine optischen Informationen
als Nachricht eines Ähnlichkeitsbezugs ermöglicht und voraussetzt.
Das Symbol teilt daher für gewöhnlich (optisch) unähnliche
Nachrichten mit. Zugegebenermaßen war dies in westlichen Kulturen
vermutlich einmal anders. Wie gleich mit Foucault erörtert wird, beinhaltete
auch das Symbol im Kult oder in vergleichbaren Umständen eine Ähnlichkeit,
die als eine den Dingen ebenbürtige Kraft erfahren wurde. Beispielsweise
verfügen im Islam nach wie vor die Wörter und religiösen
Verse über eine Wirklichkeit konstituierende Kraft, die ein Motiv dafür
bietet, warum sich in islamisch geprägten Kulturen eine weitgehende
Bildabstinenz lange Zeit halten konnte.
Vor dem Hintergrund, daß Bilder zunehmend kommunikative Funktionen
erfüllen sollen, bleibt es strittig, ob es zutrifft, wenn Foucault
meint: "Die Ähnlichkeit wird künftig aus dem Gebiet der Erkenntnis
herausfallen" [Foucault 1989/102]. Foucaults historische Analyse begründet,
daß sich die verbale Sprache seit dem 17. Jahrhundert von ihrer
ursprünglichen Form löste, "... ein wahres Zeichen der
Dinge [zu sein], weil sie ihnen ähnelte" [Foucault 1989/67; vgl.
Eco 1991a/79f.]. Den Namen ging mit dieser Veränderung ihre den Dingen
ähnliche Kraft schrittweise verloren. So schrieb sich z.B. in die symbolische
Bezeichnung »Löwe« eine Kraft ein, deren Ähnlichkeit
in der körperlichen Kraft des Löwen hinterlegt war [vgl. Foucault
1989/67]. Mittlerweile haben sich die Namen verwandelt. Sie leben als Nomen
weniger von der erfahrenen Kraft der Dinge, der Omen oder ihrer vorzeichenhaften
Gegenstandsbedeutung, sondern sie erhalten ihre Zeichenbedeutungen mehr
und mehr aus vollständig unähnlichen und sprachimmanenten Kontexten.
Eine vergleichende Studie von nordamerikanischen Stadt- und mexikanischen
Landkindern untermauert diese These: bei zunehmender Industrialisierung
entfernten sich die Ähnlichkeiten der Dinge aus der Sprache der Kinder.
Denn Stadtkinder stellten Gruppierungen nach solchen Ähnlichkeitskriterien
zusammen, die von Nominalismen geleitet wurden, wohingegen Landkinder mehr
konkrete und wahrnehmbare Attribute nannten, weil sie "... eine
echte Beziehung zum Objekt als einem individuellen Ding ..." [Maccoby
u. Modiano 1971/311; s.S. 69] aufnahmen. Infolge der Ausdifferenzierung
westlicher und säkularisierter Kulturen leuchtet die historische Rekonstruktion
Foucaults ein, daß Ähnlichkeit, die mit dem Wort eine den Dingen
analog erfahrbare Kraft erhielt, aus dem diskursiven Sinn heutiger Erkenntnisgewinnung
und Wissenschaft herausfällt. Auch wenn "die Sachen und die Wörter
sich trennen [werden]" [Foucault 1989/76], so überzeugen folgende
Thesen dennoch nicht:
"Das Auge wird zum Sehen und nur zum Sehen bestimmt sein ..."
bzw. "Die durch die Augen gewonnenen Repräsentationen werden,
wenn sie selbst entfaltet, von allen Ähnlichkeiten befreit und sogar
von ihren Farben gereinigt sind, schließlich der Naturgeschichte das
geben, was ihren eigentlichen Gegenstand bildet: das genau, was sie in jene
wohlgeformte Sprache übergehen läßt, die sie bauen will."
[Foucault 1989/76 bzw. 175]
Der Ausbruch der Ähnlichkeit aus dem sprachlichen Diskurs, das Vergessen
leiblicher Erfahrbarkeiten, das Entschwinden dinglicher Bedeutungen aus
dem verbalen Raum zeigen sich für eine sprachfokussierte Untersuchung
stimmig. Diese verfehlt aber die Einsicht, daß gerade in den Naturwissenschaften
(am deutlichsten in der Astronomie, Biologie und Medizin) die historische
Entwicklung dahin tendiert, Ähnlichkeiten mit wachsender Vorliebe kraft
Bilder und insbesondere mittels Fotografien, elektrischen Bildschirmen sowie
Computeranimationen zu entwerfen. Dies heißt nicht, dargestellte Ähnlichkeitsunterstellungen
würden als wissenschaftliche Erkenntnis gelten. In den Naturwissenschaften
wird die sogenannte wissenschaftliche Wahrheit den indizierenden Meßwerten
und unähnlichen Symbolen überantwortet. Was ich aber meine, ist,
daß das Wissen um Ähnlichkeiten - jedenfalls derzeitig -
kraft ikonischer Bilder weiterhin gesamtgesellschaftlich dokumentiert wird
und zu Zeiten vor der ungegenständlichen Malerei auch konstant von
Bildern mitgeteilt wurde.
Eigens die automatisierte Bilderzeugung verleitet Bildproduzenten zu einer
bedenklichen Methode: sie stellen nämlich ein ikonisches Wissen her,
welches über die Wirklichkeit benachrichtigen soll, die sie im Spiegelreflex
des Bildsuchers ihrer Kamera sehen. Wenn sich auch die Sachen von den Wörtern
trennen, wie Foucault oben zitiert schreibt, so ist doch zu sehen, wie sich
fotochemische Bilder mit den Sachen sogar physikalisch verbunden zeigen.
So wird ein ikonisches Wissen entworfen, welches die figurative Erkenntnis
um Ähnlichkeit aus dem Sehen selbst entspringen läßt [s.S. 89].
Und dieses ikonische Wissen lebt ausgerechnet von der "Leuchtkraft",
die der primären Gegenstandserfahrung ähnlich zu sein scheint.
Die Ähnlichkeit ist nicht aus menschlicher Erkenntnis verschwunden,
sondern sie radikalisiert zur Zeit sogar das gesamtgesellschaftliche Erkenntnisvermögen,
da tatsächlich, wie jeder merken könnte, die massenmediale Bilderflut
immer unaufhaltsamer persönliche Wirklichkeitskontakte ersetzt. Beispielsweise
operieren in der endoskopischen Chirurgie mittlerweile Ärzte, die mit
einer 3-D Brille ausgestattet vor einem Fernseher stehen, um von dort aus
verlängerte Scheren in ausgespiegelten Körpern herumfahren zu
lassen, ohne daß sie selbst einen direkten Sichtkontakt zum Patienten
hätten. Entsprechendes passiert in der Biologie, wenn z.B. an der Biologischen
Anstalt Helgoland die Wachstumsperioden von Algen berechnet werden, indem
eine Videokamera ein grellgrün- und pinkfarbenes Computerbild erzeugt,
welches anschließend - im bekundeten Glauben, daß das Bild
der Alge entspricht - ausgemessen wird. In vergleichbarer Weise beobachten
humanwissenschaftlich interessierte Pädagogen, Psychologen und Ethnologen
Menschen mittels einer Video- bzw. Filmkamera, oder vermitteln Historiker
und Archäologen ihr Wissen im Film oder in Computeranimationen. Die
Ähnlichkeit fällt also keinesfalls aus der Kommunikation, die
ein Wissen in der Wissenschaft und des Alltagslebens ermöglicht, weil
"... die Ähnlichkeit für die Erkenntnis eine unerläßliche
Einfassung [bildet]" [Foucault 1989/102]. Offenbar verhält es
sich mit der Ähnlichkeit irgendwie anders als Foucault schrieb. Sie
wird auch in der Wissenschaft relevant, der man temporäre Erkenntnis
trotz zweifelhafter Wahrheit kaum aberkennen kann.
Horkheimer und Adorno heben Schellings Ansatz hervor, wenn sie ihm untadeliges
Vertrauen in die Kunst nachsagen:
"Nach Schelling setzt die Kunst da ein, wo das Wissen die Menschen
im Stich läßt. Sie gilt ihm als »Vorbild der Wissenschaft,
und wo die Kunst sei, soll die Wissenschaft erst hinkommen (95)
«." [Horkheimer u. Adorno 1984/35f.]
Für die automatisierte Bildproduktion in der Wissenschaft [s.S. 185
(Astronomiebeispiel)] und sonstigen Bildkommunikation lautet der letzte
Satz eindeutig: wo die aufgezeigte Ähnlichkeit vom Bild schon ist,
dort soll sich das diskursive oder mathematische Wissen erst noch einfinden.
Damit stellt sich ein Grund heraus, warum sich mit Kunst und Bildern allein
keine Wissenschaft machen läßt. Denn die subjektiven Formierungen
von approximativen Ähnlichkeitsdarstellungen, dazu gehört auch
das Verstehen ikonischer Beziehungen, hat keinen allgemein nachvollziehbaren
Bedeutungsanspruch, der als Wahrheit zu interpretieren wäre. Es ist
eben kein Ähnliches, kein Bild, kein Kunstwerk, kein Rätsel und
kein Geheimnis wahrer als ein anderes.
Allerdings beruht eigens auf dem Manko, daß Ähnlichkeit ohne
Wahrheitsgeltung mitgeteilt und wiedererkannt wird, das kreative Denken,
das Künstler und Wissenschaftler manchmal besonders beflügelt.
Mit einer emotionalen Bedeutungshaftigkeit lassen sich nämlich Ähnlichkeiten
imaginieren, die sich dem Denken einer folgerichtigen Alltagsrationalität
selbstbeschwingt entziehen können. Die im Bewußtsein kreierten
Ähnlichkeitsverhältnisse und ästhetisch motivierten Gefühlsorientierungen
erfüllen hier ein anfängliches Erkenntnisinteresse, welches im
Ikon über seinen ersten interpretierten Objektbezug verfügt. Die
primäre Idee, daß etwas mit etwas anderem der Möglichkeit
nach ähnlich sein könnte, kommunizieren Bilder als optisch wiedererkennbares,
also ikonisches Wissen. Ein Wissen um Ähnlichkeiten überzeugt
deshalb keinen Beobachter mit Argumenten eines kulturellen Symbolkontextes.
Ikonisches Wissen überzeugt den Beobachter, wenn er sich selbst überzeugt.
Kraft seines Assoziationsgeschicks muß er sich vom ikonischen Wissen
zu einer intuitiven Idee bewegt sehen, die etwas von etwas anderem als Ähnlichkeit
wiederzuerkennen meint, indem er ein eigensinniges Gefühl der Ähnlichkeit
verspürt. Bemerkt er in Bildern keine Ähnlichkeiten mit etwas
anderem, verspürt er keine emotionale Bedeutung, dann bleibt ihm das
ikonische Wissen fern. Von diesem Wissen werden auch andere Beobachter ihn
nicht überzeugen können, wenn er seinen intuitiven Eigenbeitrag
nicht zu leisten vermag. Demnach erfordert ikonisches Wissen im assoziierten
Wiedererkennen einen subjektiven Eigenbeitrag des Individuums. Soll die
assoziierte Ähnlichkeit aber ein Wissen der Wissenschaft werden, muß
sie in eine Sequenz von diskursiv abgefaßten Erkenntnissen übertragen
werden, um innerhalb der sinnorientierten Regelbestimmung des symbolischen
Wissens zur Wahrheitsgeltung zu gelangen.
Auf den kreativen und intuitiven Ausgangspunkt des ikonischen Wissens haben
Ciompi [vgl. 1992/398f.] und Pape [vgl. 1989/182-188] hingewiesen, indem
sie den der Wahrnehmung gegebenen Gefühlsqualitäten ein Erkenntnisinstrument
zuschreiben, das reichhaltige Interpretationsmöglichkeiten erweckt.
Ebenfalls formulierte Arnheim [vgl. 1972/254] den Begriff des "anschaulichen
Denkens", um zu beschreiben, wie bildliche Kompositionen ihre Darstellungsformen
vor allen sprachlichen Formulierungen erhalten können. Der Schritt,
der später zu gehen ist, klingt hier schon an. Denn wo das vielfach
Unbewußte des Ähnlichen im Bild war, soll das Denken des diskursiven
Wissens erst werden. Relevant für das ikonische Wissen ist zunächst,
daß es selbst in Bildern unauffällig mitkommuniziert wird, ohne
eigentlich als kommunizierte Erkenntniskonstruktion bewußt zu sein,
da es meist vorkommunikativ, zumindest aber vorsprachlich in seiner Ähnlichkeit
wiedererkannt wird.
Für ikonische Bildzeichen ist zwar nicht Referenz auf vorzeichenhafte
Wirklichkeit maßgebend, aber für sie ist mögliche Ähnlichkeit
konstitutiv. Ähnlichkeit ist ein Bestandteil der Erkenntnis, die Menschen
als Kommunikation konzeptualisieren. Jedoch stoßen technische Bilder
auf ein Hindernis. Ihre Ähnlichkeiten weben Individuen verstärkt
in eine Handlungsorientierung ein, die die Differenz zur "Natur"
indifferent werden läßt. In dieser Indifferenz wird die visuelle
Kommunikation als eine solche erfahren, deren Ähnlichkeit mit der "natürlichen"
Umwelt gleichwertig sein könnte, da sie auch so erfahren werden soll.
Die sogenannte »zweite Natur« des Menschen, also seine kulturelle
Wahrscheinlichkeit, kommt ihm in automatisierten Bildformen als vorkommunikative
»Natur« vor. Er sieht in der kulturellen Zentralperspektive
eine »zweite Natur«, die ihm als »erste Natur« und
nicht als Kultur vorkommt. In solcher Vorgehensweise entschwindet die »erste
Natur« ins Bild und dieses aus der kulturellen Erkenntnis, deren »zweite
Natur« Orientierung gegenüber ersterer bieten wollte. So geartet,
verschwimmt im Auge des Betrachters die Bildwirklichkeit mit der Weltwirklichkeit
differenzlos, was den Bildern den Anspruch abspenstig macht, weiterhin als
Naturerkenntnis oder Realitätskonstruktion gelten zu dürfen. Denn
dort, wo das konstruierte Bild mit der Natur identisch scheint, verschwindet
die ikonische Erkenntnis dem Anschein nach von der Bildfläche [hierzu
Horkheimer u. Adorno 1984/34].
Die Ähnlichkeiten, an die einmal das Bild erinnerte, werden zwar kommuniziert,
aber sie werden ohne die wesentliche Mitarbeit eines menschlichen Verstandes
mitgeteilt. Die Ähnlichkeit, die deshalb aus dem kommunizierten Bildwissen
seit neuestem entschwindet, ist die, die von einer menschlichen Erkenntnisfähigkeit
produziert wurde. Die elektrifizierten Bilder rücken so innig an die
menschliche Erlebniswelt heran, daß sie ihre ursprüngliche Distanz
zur Natur zu verwirken scheinen. Angesichts der möglichen Dramatik
formuliert Bredekamp nahezu apokalyptische Aussichten. Er sieht in der "Erosion
des Distanzraumes" zur Natur die Kulturgeschichte liquidiert und prophezeit
"... einen Rückfall in die Unmittelbarkeit der Wilden ..."
[Bredekamp 1991/283], obwohl wilde Unmittelbarkeit durchaus etwas für
sich hätte. Aber dennoch, übersteigerte Behauptungen neigen zur
Klarheit. Denn tatsächlich verliert der fortgeschrittene Mensch seinen
individuellen Bezugspunkt zu den Dingen, sobald er das automatisierte Bild
so erlebt, als ob dessen Kultur mit der Natur konvergierend wäre. Der
ikonische Abstand zur Natur und auch die unmittelbare Naturerfahrung gehen
dann verloren, wenn das kommunizierte Wissen über kulturalisierte Natur
zu einer solchen Geltung gelangt, wie es paradoxerweise ein wirkliches Naturding
hatte. So betrachtet, besitzen technische Bilder in modernen Kulturen nur
soviel an organisierten Deutungsmustern, wie wirkliche Gegenstände
solchen Mustern gehorchen. Da wir Gegenstände aber vielfach pragmatisch
in Handlungen verwenden, hat dies zur Folge, daß die ikonische Veranschaulichung
von Objekten sich aus der reflektierten Erkenntnis entfernt. Die ikonische
Veranschaulichung wird nämlich selbst zur unbedachten Umweltvoraussetzung
für alle weiteren Erkenntnisse herangezogen. Selbst Maler, die einmal
das Wesen der Natur erkennen wollten, verzichten auf eine innenorientierte
und empirische Sicht. Sie malen schon seit längerer Zeit nach Konzeptualisierungen,
die fotomechanisch von einer Natur oder gegenständlichen Wahrscheinlichkeit
kartographiert wurden. Die Ähnlichkeit verschwindet also nicht aus
der kommunikativen Erzeugung von Wissen, sondern sie verschwindet aus der
reflektierten Erkenntnisfähigkeit der Individuuen, wenn diese ikonischen
Wissenserwerb den Konzepten von Automaten überlassen. Im weiteren kommunizieren
Individuen die figurativen Erkenntnisse des Automaten zu einem großen
Teil in einem Bewußtsein, das hauptsächlich die Ähnlichkeiten
vorkommunikativ wiedererkennt, das also bildliche Ähnlichkeiten nicht
zeichenhaft, sondern quasi gegenständlich erlebt [s.S. 66].
Das kommunizierte Bildwissen indoktriniert die Naturerfahrung so energisch,
bis sie eben »bildschön« anmutet oder »wie gemalt«,
»wie im Film« zum Vorschein kommt. Eine solche Sprechweise beunruhigte
einige Theoretiker. Nach Adorno [vgl. 1973/108ff.] würden jene Vorstellungen
die genuine Schönheit der Natur mindern, weil die Natur schweigen will.
Allerdings gaben sich die Gelehrten bei der Überzeugung, daß
die Natur Natur, die Dinge Dinge und ein Tisch Tisch heißen soll,
wesentlich gelassener. Der Imperativ einer Sprachkultur wurde eher geduldet
als der Bild- oder visuelle Vorstellungsimperativ einer Bildkultur, weil
das Bild nicht als kommunikatives Mittel verstanden wurde, sondern als Herrschaftsanspruch
über das Reich der freien Phantasie. Die Geschichte der Bilderstürme,
wie auch das Gebot, daß man sich von Gott kein Bild machen dürfe,
sprechen hier eine deutliche Sprache, obwohl in dieser Historie zweifellos
die symbolischen Machtansprüche deutlich entscheidender als die ästhetischen
(ikonischen) Herrschaftsansprüche waren, wie Warnke [vgl. 1988/11]
anmerkt. Der Bildimperativ einer Kultur wirkt zwar keinesfalls so rigide
wie der Sprachimperativ, dennoch nimmt er deutlichen Einfluß auf die
ikonische Vorstellungskraft, welche Merkmale irgendeinem Objekt ähneln
könnten. Um dies festzustellen, muß man nur jemand zeichnen oder
beschreiben lassen, wie der Mars, ein Dinosaurier, ein Pharao, der amerikanische
Präsident, ein Indianer, ein Atom oder eine DNA aussieht. Diese Beispiele
präzisieren, warum Bilder eindeutig ikonisches Wissen über etwas
kommunizieren. Beispielsweise wird ein Präsident in einer Menschenmenge
problemlos unter tausend anderen Personen wiedererkannt, während kaum
jemand in der Lage ist, den Präsidenten wiedererkennbar zu zeichnen
oder optisch zu beschreiben. Bilder sind demnach in der Lage, die visuelle
Wahrnehmung von etwas zu lehren, wie beispielsweise impressionistische Gemälde
den Betrachter lehrten, die Augen zu öffnen, damit er tatsächlich
farbige Schatten in der Natur wahrnimmt [hierzu Gombrich 1984/27ff.]. Bildlich
darstellende Sinncodierungen produzieren somit ein ikonisches Wissen, das
sowohl etwas Ungesehenes sichtbar macht als auch verifizierende Wahrnehmung
hinsichtlich der Natur modifiziert bzw. ungewohnt koordiniert. Dies führten
jüngst die fotogrammetrischen Aufnahmen der Anlage von Stonehenge vor.
Sie zeigen Höhenunterschiede auf, die hinsichtlich ihrer "Natur"
imperzeptibel waren.
Bilder erhalten ihre Priorität vor Sprache seltener, weil sie sich
als optische Sondierungshilfe oder Sehschule inszenieren, und öfter
deshalb, weil sie ikonisches Wissen über abwesende Dinge und Personen
in ihrer Kommunikation anwesend werden lassen. Entgegen Foucault hat das
ikonische Zeichen auch im heutigen Zeitalter nicht aufgehört, eine
Weltverbundenheit aufzuzeigen, die "... feste und geheimnisvolle
Bänder der Ähnlichkeit oder der Affinität markiert"
[Foucault 1989/92]. Beispielsweise stellt man sich bei einem Arbeitgeber
mit einem Bewerbungsfoto vor, damit er einen optischen und emotionsmotivierten
Eindruck davon gewinnt, wie es wäre, wenn er den Bewerber jeden Tag
sehen müßte. Ikonisches Wissen über Ähnlichkeiten und
optisch Wiedererkennbares ist aus Kulturen nie ohne weiteres wegzudenken
und wird gegenwärtig sogar verstärkt in ikonischen Signifikationscodes
kommuniziert. Denn die Isolation der Individuen voneinander hat sich derart
erhöht, daß sie den eigentlich repräsentierenden Sinn als
präsenten Sinn erfahren. In diesem Surrogat tatsächlicher Interaktion
finden sie eine Orientierung an vermeintlich präsenter Öffentlichkeit
vor, deren globale und gesellschaftlichen Sachverhalte sich im Wohnzimmer
- dem oft präferierten Lebensraum - privatisieren. Ikonische
Veröffentlichungen offerieren hier optisch kartographierte Wirklichkeitsbereiche,
die Individuen zu einem Wissenserwerb heranziehen, den sie immer weniger
persönlich einholen können. Deshalb ziehen sie bildliche Ähnlichkeiten
heran, um sich infolge dieses ikonischen Wissens mit dem verbunden zu fühlen,
von dem sie ansonsten abgeschnitten wären, weil es für sie eine
oft unerreichbare Wirklichkeit und soziokulturelle Öffentlichkeit darstellt.
Bilder leiten demnach Vorstellungen, egal ob diese der empirischen Wirklichkeit
entgegenkommen oder nicht. Dies ist nichts Neues. Selbst der Begriff "Bild"
konnotiert eine Verbindung zum Schöpferischen, Bildenden, Eingebildeten
und Phantasierten, worin sich ein Interesse und Bedürfnis nach Bildern
partiell begründet. Denn Bilder verallgemeinern subjektive Wahrnehmungsaugenblicke
und Vorstellungen auf einer visuell kommunikativen Ebene, die es allen anderen
Gesellschaftsmitgliedern mehr oder weniger ermöglicht, eine in Graden
gleichwertige Anschauung zu den optisch dargestellten Objekten aufzubauen,
obwohl dessen Interpretationen der Bedeutung oftmals in subjektive Meinungen
abdriften. In dieser sozialen Orientierung und Kommunikation bzw. persönlichen
Anregung, wie sich etwas vorgestellt werden könnte, kann ich nicht
allzuviel Gefährliches erkennen, weil die Kommunikation über Ideen
für jedes menschliche Kollektiv eine unersetzbare Bedingung ist.
Die Gleichwertigkeit der kommunikativen Beziehungen, die in modernen Bildkulturen
angestrebt wird, verkehrt sich jedoch ins Negative, wenn die körper-
und subjektgebundene Naturerfahrung dem Bildimperativ so stark folgt, daß
die Natur und überdies das Äußere des Menschen den kommunizierten
Formen zu folgen haben. Die Retusche des ikonischen Wissens, beispielsweise
die retuschierte Bildschönheit von inszenierten Fotomodellen, gibt
hier vor, wie man sich als kommunikativ anschlußfähige Person
geben kann. Die natürliche Wahrscheinlichkeit der menschlichen Gestalt
wird selbst zur zweiten Wahrscheinlichkeit der Kultur sozialisiert. In diesem
Fall soll nicht mehr das Bild der Natur, sondern die Natur dem kulturellen
Bildwissen ähnlich werden. Hier taucht meines Erachtens eine bedrohliche
Entfremdung auf, denn wenn die Natur und das Äußere des Menschen
eben n i c h t »wie gemalt«, »bildschön«
oder »wie im Film« erscheinen, sollen beide dem Vor-Bild ähnlich
gestaltet werden. Die Enttäuschung darüber, daß die Natur
bzw. der Blick in den Spiegel nicht mit der ikonischen Wissensrepräsentation
konvergiert, motiviert heutige Gesellschaftsmitglieder offenbar intensiviert,
ihre Natur der kulturellen Eigengesetztlichkeiten von Bildern anzupassen,
also nur die synthetisierte als die genuine Natur anzuerkennen. Dies verwundert
kaum, da wir schließlich mehr Bilder, mehr ikonisches Wissen von synthetisierter
Natur als die Natur selbst wahrnehmen. Gleichrangiges passiert auch auf
der Ebene sozialer Kontakte. Denn wie zu beobachten ist, ersetzen Bilder
verstärkt persönliche Kontakte, wodurch es geschehen kann, daß
sie direkten Kontakten vorgezogen werden. Die anwesende Wirklichkeit, die
ikonisches Wissen mit Bildpräsenz verwirklicht [Zweitheit], läßt
sich nämlich wesentlich selbstverständlicher als körper-
und raumbezogene Wirklichkeiten (Non-Ego) in das zeichenhafte Wissen (Ego)
über soziale Realitäten eingliedern. In dieser Tendenz wird das
televisionär Reale natürlicher als die Natur selbst.
Trotz aller Problematiken ist deutlich zu erkennen, daß Bilder deshalb
eine große Macht über die Vorstellungswelt des Menschen gewinnen
konnten, weil ihr ikonisches Wissen vielfach in einer vermuteten Ähnlichkeitsbeziehung
zu faktisch erfahrbaren Wirklichkeiten steht und obendrein zeitweilig wie
eine vitale Wirklichkeit erfahren wird. Ein Großteil aller visuell
kommunikativen Werbung beruht auf dieser vermuteten Ähnlichkeitsbeziehung,
deren symbolische und manchmal kultische Kraft mittels ikonischen Wissens
aufgeladen wird. Dem Kult verwandt versucht nahezu jeder, seine Stärke
mit dem Image eines Jaguar-Auto zu betonen, dem Lebensgefühl einer
»Lucky Strike« Werbung mit seiner Zigarettenpackung zu ähneln
oder die Ästhetik eines populären (Foto-)Modells mit einem einstmals
von ihm angelegten Kleidungsstück zu verkörpern und durch Ähnlichkeit
zu fetischisieren.
Obwohl seit der Renaissance Ähnlichkeiten forciert aus dem Wissensbegriff
herausgehalten wurden, da sie sich keinen eindeutig interpersonalen und
logischen Kriterien unterordnen lassen, sollte plausibel geworden sein,
daß sie trotzdem in den Wissenschaften und überall sonst als
ikonisches Wissen kommuniziert werden. Infolge eines ikonischen Signifikationscodes,
z.B. der renaissancistischen Zentralperspektive, kommunizieren und behaupten
Bilder ein ikonisches Wissen, das in Kulturen irgendeiner kulturellen Einheit
ähnlich sein soll [s.S. 155, 138]. Ob die kulturelle Einheit
eine Wirklichkeit zeigt oder nicht, ist eine Frage der Referenz, die dem
ikonischen Zeichen konventionell zugetraut wird. Wie man weiß, genießt
die Foto- und Videotechnik gegenwärtig das größte Vertrauen,
wenn etwas als ikonisches Wissen von einer Wirklichkeit indexikalisch referiert
wird. Der Fotokünstler Jeff Wall (z.B. im Bild "... Hokusai"
1993) und computersimulierte Filme (Jurassic Park, Terminator II) erschüttern
allerdings die gesellschaftliche Zuversicht, daß der Index im ikonischen
Foto als Veranschaulichung unserer empirisch konstruierten Faktizität
gelten kann. Die ehemalige Überprüfbarkeit, z.B. bei der fotografischen
Perspektivaufnahme, besaß eine konventionelle Gültigkeit, die
man als ein symbolisches Wissen bezeichnen kann, welches Individuen auch
unabhängig von der Anwesenheit eines Fotos konventionell anerkennen
oder eben nicht mehr anerkennen. Um aber indexikalische Faktizität
oder eine neue ikonische Erkenntnis behaupten zu können, müssen
Bilder einem Code des Wissens gehorchen. Sie müssen irgendeine kulturelle
Tradition aufweisen, damit ihrer Referenz geglaubt oder zumindest ihr Inhalt
kommunikativ relevant wird. Denn "... zum Gewinn neuen Wissens
ist immer auch eine Reproduktion alten Wissens erforderlich" [Luhmann
1992/220], weshalb "... das Neue ... seinen Sinn nur im Verhältnis
zum Bestehenden" [Durkheim 1987/158] durchsetzt. Dies wird im nächsten
Unterkapitel ausgeführt.
----Fußnoten----
(93)
Berger u. Luckmann [vgl. 1980/72] verwenden den Begriff "Zeichensystem",
den ich verworfen hatte [s.S. 33, 177].
(94)
Ausnahmen betreffen die Farbe sowie homologe Kopien von Bildern und von
anderen zweidimensionalen Gegenständen [s.S. 181 Fußn. 88
(Perspektive)].
(95)
Von mir ungeprüft, wird diese Schellingsche Textstelle wie folgt
angegeben: "Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Fünfter
Hauptabschnitt. Werke. Erste Abteilung. Band II. S. 623" [Horkheimer/Adorno
1984/36].
|