b) Unmöglichkeiten eines kollektiv Bewußten und
Unbewußten für gesellschaftliche Bildkommunikation
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Je größer die Begriffe, desto größer die Anstrengungen, deren Inhaltsfokus auf die speziellen Fälle zu minimalisieren, die begriffen werden sollen. Einer dieser uneinholbaren Termini (lat.: "Grenzsteine") markiert das »kollektiv oder kulturell Unbewußte« und ein anderer das »kollektiv Bewußte«, welches auch als »Kollektivbewußtsein« oder »kollektive Vorstellung« formuliert wurde. Da Freud für menschliche Psychen erklärt, daß "das Unbewußte ... der größere Kreis [ist], der den kleineren des Bewußtseins in sich einschließt ..." [Freud 1991/599; 1961/616], konturiert die angestrebte Frage nach dem Kollektivbewußtsein die kleinere Kreisfläche, deren Verbindung zur umfassenderen des kollektiv Unbewußten nachfolgend aufgegriffen wird. Diese Reihenfolge vom Bewußten zum Unbewußten begründet sich durch den terminierenden Zirkel, dessen Öffnen die markierten Grenzlinien um so mehr verschwimmen läßt, desto größer die gekennzeichneten Kreisflächen sein sollen. Wie groß die abgezirkelte Kreisfläche auch sein mag, für uns als Beobachter hebt sich ein Unbewußtes nie durch Grenzerhaltung hervor, sondern formt sich in unmerklicher Union mit dem Bewußten vom vermeintlichen Kreis zur unüberblickbaren Kugel aus. So zur Kugel geformt, rundet sich ein Unbewußtes im Rücken desjenigen Seefahrers, der meint, er könnte bei Erreichen des sichtbaren Horizonts an das Ende einer vermeintlich flachen Welt gelangen.

In gleicher Weise wie das Unbewußte markiert der Terminus »Kollektivbewußtsein« ein Gebiet, das nach seiner historischen Entwicklung zu einer Ausdehnung kam, die allem und nichts theoretische Überlebenschancen einräumte. Um in der terminologischen Komplexität jedoch nicht zu versinken, möchte ich deren historische Genese unbeachtet lassen und vielmehr nach theoretischen Begriffsreduktionen erproben, ob in den gewonnenen Reformulierungen konzeptionelle Reserven stecken, die kulturelle Prinzipien der Bildkommunikation tragen.

Um Schiffbruch in jenen problematischen Fahrrinnen zu vermeiden, wird der Kurs durch unablässiges Ausloten der Begriffe bestimmt. Zuerst muß dem Begriff »Kollektivbewußtsein« die Tiefe des Bewußtseins genommen werden. Der Begriff »Kollektivbewußtsein« suggeriert vergeblich sprachliche Operationen auf der Ebene, auf der Bewußtsein in erster Ordnung unausgesprochen bleibt. Kollektivität ist ein Symptom von Bewußtsein. Sie benötigt die Aktualisierung von kommunikativer Gemeinsamkeit in zweiter Ordnung. Falls nämlich vom Kollektiv-Bewußtsein der Zähler Kollektivität sein soll, dann ist dieser dort zu konstituieren, wo er auch kollektiv ausgetragen wird. Und dieser Ort des Zählers ist der Kommunikationscode, der innerhalb seiner interpersonalen Bereiche durch kollektive Merkmalserwartungen und -beobachtungen aufrechterhalten wird. Der Kommunikationscode und die Kollektivität bedingen sich im Zähler wechselseitig, denn ohne die Existenz und weitere Ausbildung von interpersonalen Gemeinsamkeiten, so sehr man sich in diesen zeichenhaften "Masken" [lat. persona] auch täuschen mag, ist der kommunikative Austausch von (Da-)Nachrichten und die regelhafte Annäherung an Fremderwartungen unmöglich. Ebenfalls ist für gesellschaftliches Kulturvermögen Kollektivität die Prämisse.

So sehr aber der Zähler im Begriff des »Kollektivbewußtseins« seine Berechtigung findet, so sehr verfehlt er seinen Nenner des Bewußtseins. Denn in wessen Bewußtsein verwirklicht sich die »Gesamtheit aller Bewußtseinsprozesse« bzw. die Kollektivität? Zweifellos existiert die »Kollektivität von Bewußtseinsprozessen« nie im Bewußtsein eines Individuums, und ebenfalls ist sie als Gesamtheit der Bewußtseinsprozesse unbeobachtbar. Kollektive Gemeinsamkeiten lassen sich ausschließlich dann konstituieren, wenn ihnen durch Clusterbildung eine Regelhaftigkeit nachgesagt wird, so wie z.B. die Kunstgeschichte den Expressionismus und Kubismus durch eine Regelsetzung zum kategorisierenden Sprachzeichen bündelt. Solche Nachsagungen bauen sich innerhalb der Kommunikation auf und ab, nicht innerhalb eines Bewußtseins. Daher ist auch den Massenmedien nicht nachzusagen, sie würden sich an ein immenses Bewußtseinskonglomerat wenden. Sie lassen lediglich beobachten, daß sie für jedes einzelne Bewußtsein von Millionen attraktiv sind.

Mit dem zuvor Gesagten möchte ich den semantischen Fehlschluß vermeiden, kommunikative Kollektivität und psychische Systeme als eine Einheit zusammenzufassen, die oft in Worten des Kollektivbewußtseins, des kulturell und kollektiv Unbewußten eine Bezeichnung findet. Die semantische Schwäche begründete sich dadurch, daß das Kollektiv sich unmöglich in einem personalisierten Gesamtbewußtsein und Gehirn vereinigen kann, wie Durkheim [vgl. 1976/73, 87] es mitunter äußerst unglücklich metaphorisierte. Allerdings hat er durchaus gesehen: "... jedes individuelle Bewußtsein ist in sich verschlossen; es kann mit dem Bewußtsein der anderen nur mit Hilfe von Zeichen kommunizieren, in denen sich ihre Innenzustände ausdrücken" [Durkheim 1981/315]. Das Kollektiv denkt nicht kollektiv. Ausschließlich Individuen denken, wohingegen Kollektive kommunizieren. Es läßt sich daher nur metaphorisch sagen: Kommunikation ist der Denkprozeß des Kollektivs. Lediglich dieses metaphorische Wortverständnis schützt vor dem Irrtum, dem wir aufsitzen würden, sobald uns der Begriff »Kollektivbewußtsein« zu der Annahme führt, daß Personen, die sich in einem Kollektiv organisiert haben, auch in einem uniformen Bewußtsein handeln. Auf die kollektive Pflege von Kulturformen folgt nicht die Konsequenz, daß Artikulation und Verständigung mittels Zeichen uniforme Innenzustände eines Bewußtseins bedingen. Unsere exemplifizierten Symptome können einer soziokulturellen Normerwartung von kommunikativ anschlußfähigen Formen folgen, gleichwohl wir diese in bewußter Lüge [s.S. 27] und damit in Differenz zu unserem Bewußtsein darstellen können.

Aus den erwähnten Gründen muß der Begriff des »Kollektivbewußtseins« in seinem Nenner des Bewußtseins ersetzt werden. Ein soziologisch vernünftiger Ersatz ist der Begriff der »kollektiven Merkmale«. (109) Dieser Begriff markiert die soziologische Selbstreferenz, die in der kommunikativen Autopoiesis liegt, wenn sich regelsetzende Merkmalsbeobachtungen von Personen in kommunikationsinternen Elementclusterungen der Soziologie artikulieren. Solche Regelfixationen und Wiedererkennungsmerkmale (wie z.B. die Zentralperspektive) konstituieren Soziologen und andere Personen, wenn sie generalisierbare Merkmale in der (visuellen) Kommunikation wiedererkennen, um zwischen Kommunikation und Verhalten zu unterscheiden. Wenn im weiteren - mangels eines vorteilhafteren Begriffs - die kollektiven Merkmale angeführt werden, dann sollen diese kommunikative Sinnstrukturen beschreiben, die Personen nach allgemein erwarteten Differenzierungskriterien wahrnehmungsmäßig dissozieren, interpretieren und wiederum regelmäßig kommunikativ formieren. Gleichwohl ist der individuelle Gegenpol zu kollektiven Merkmalen darin zu sehen, daß Personen ebenso individuell besondere Interpretationen (Sinzeichen) entwickeln, die von einer gesellschaftlich vorgeordneten Regelerwartung unberührt bleiben [vgl. Adorno 1976/13f.].

Wegen aller genannten terminologischen Problematiken kennzeichne ich mit kollektiven Merkmalen den Bereich, in dem Individuen die kommunikative Koordination von Koordinationen (Handlungen) mittels eines anmerkbaren (funktionsindizierenden Legi-)Codes vornehmen. Diese kommunikativen Codierungen unterliegen zwar einer »kulturellen Drift«, d.h., ihre soziale Reproduktion verhindert fixierte Identität, aber sie verwirklichen in ihrer Synchronie (der Koordination von Koordinationen) eine operationale Kohärenz "unseres gemeinsamen [z.B.] In-der-Sprache-Seins" [Maturana u. Varela 1987/251, vgl. 226]. Dennoch zieht unser gemeinsames Im-Bilde-Sein eine andere kartographische Koordination von Koordinationen (Handlungen) als "In-der-Sprache-Sein" nach sich.

Aufgrund der sozialpsychologischen Unsicherheit, die in der wechselseitigen Dependenz zwischen kommunikativer Koordination und psychischen Systemen liegt, geht Lacan zu weit, wenn er postuliert, "... daß das Subjekt dem Zug des Symbolischen folgt ...", "... weil wohl oder übel dem Zug des Signifikanten als Sack und Pack alles psychologisch Gegebene folgt" [Lacan 1991/29]. Diese vollständige Knechtschaft, die Lacan [vgl. 1986/170f.] von der symbolischen Herrschaft einer unkreativen Kybernetik garantiert sieht, wird von Bildern in ihrer ikonischen Unbeirrbarkeit unterhöhlt. Dafür "spricht" bereits der schweigende Widerstand der Bilder gegen signifikante Sprach-Ketten, wie ihn letztlich sogar den Bildern unvergleichbare Traumgedanken aufweisen, wenn deren "bildliche" Verdichtung und Verschiebung die List sein soll, die die Zensur einer sprachlichen Ausdrucksweise überrumpelt [vgl. Freud 1991/285f.; 1961/284]. Es wird folglich zu beschreiben sein, wie visuelle Bildkommunikation auf psychische Systeme rückwirkt, und wie dieser Einfluß wiederum in kollektiven Kommunikations-Merkmalen außerhalb von sprachlichen Wahrheitsgaranten thematisiert wird.

Wer weiß schon, auf welche Weise sich ein Unbewußtes strukturiert? Wenn es sich jedoch in Bildern mitteilen würde, die den materiellen Bildern unserer Alltagswelt gleichen, dann ist ein Unbewußtes von Individuen im bildlichen Bereich keinesfalls wie eine Sprache strukturiert, weil Bilder der Sprache ungleich artikuliert werden: Bilder sprechen nicht über das Gemeinte, sie zeigen es, dem Traumgedanken vergleichbar, mit einer "Verdichtungsquote ..., [die] - strenggenommen - unbestimmbar" ist [Freud 1991/285; 1961/285]. Deshalb ist im weiteren zu untersuchen, ob bildliche Zeigehandlungen einige Merkmale aufweisen, für die im Bewußtsein der Kommunizierenden eine gemeinsame Basis supponiert werden kann, die sowohl unbewußt als auch vorkommunikativ, aber selten mit sprachlicher "Bestimmtheit" interpretiert wird. Einen Anhaltspunkt dafür bietet die Kultur als synchronisches Gedächtnis [s.S. 270]. Dessen Funktion verwirklicht sich zwar kollektiv, aber sie verwirklicht sich kaum kontinuierlich kommunikativ, falls das am Bildgegenstand orientierte Handeln ohne finale Interpretation dynamisch andauert. Somit erzeugt der kulturelle Signifikationscode für Individuen eine Vertrautheit, die in der kognitiven Leistung der vorkommunikativen Bildwahrnehmung mündet und die in Hinsicht auf die strukturelle Kopplung an den Darstellungscode kognitiv unbewußt sein kann. Hieran wird sich später die Folgerung anschließen, daß visuelle Kommunikation eine Interpretationspraxis voraussetzt, die gegenüber dem kulturellen Darstellungscode kennengelernt wird und die vielfach kulturell unbewußt die Prämisse dafür ist, w i e Assoziationsketten des Ähnlichkeitsbezugs eher geschlossen werden als andere. Allerdings wird ein kulturell Unbewußtes zum Schluß nicht als ein Affektives bestimmt, sondern muß als kulturell Kognitives kategorisiert werden, wenn es den Charakterzug kollektiver Merkmale tragen soll. Von diesen kollektiven Merkmalen ausgehend, möchte ich zumindest die Sichtgrenze der erwähnten Kugel konturieren, indem erkennbar wird, daß ein kulturell Unbewußtes von Individuen an das synchronische Gedächtnis der Kultur strukturell gekoppelt sein kann, also ein kulturell Unbewußtes mit dem synchronischen Gedächtnis der Kultur korrelieren kann, dem sich unbewußt, vorbewußt im Anblick einer anwesenden Bildumwelt und schließlich bewußt bedient wird.

Zunächst jedoch zur Frage: Wie und wo wird der Begriff der kollektiven Merkmale für Bilder relevant, und wie ersetzt er den des Kollektivbewußtseins? Bild- und Kunsttheoretiker erfanden den Begriff des »Kollektivbewußtseins« zwar nicht, jedoch zogen sie ihn heran, wenn sie wie Durkheim - der vermutliche Urheber des Begriffs »Kollektivbewußtsein« - untersuchen, "... wie denn ein Geist mit einem anderen zu kommunizieren vermag" [Durkheim 1987/144]. Diese Frage verfolgte für eine Bildtheorie insbesondere Muka_ovsky´ [vgl. 1986]. Er entwickelte in den 30er Jahren eine Theorie, die sich auf ein »kollektives Bewußtsein« stützt, wie es Durkheims Zeitgenossen Saussure [vgl. 1931/117] für die strukturalistische Linguistik erläuterte. Allerdings bekundet die Idee, die im Entwurf des kollektiven Bewußtseins steckt, eine enge Verwandtschaft zu vielen Klassikern, denen »Verstehen« zu der Zeit als ein komplexes Phänomen vorkam, zu der Kommunikation infolge massenmedialer Technik sowohl eine größere Interpersonalität anstrebte als auch konstant komplexer wurde. Mead [vgl. 1988/196, 216ff.; Helle 1977/88f.] arbeitete beispielsweise die allgemeinen Formen der Kommunikation zu einer vergesellschafteten Normenverpflichtung aus, die die subjektive Psyche kraft des »verallgemeinerten Anderen« internalisiert und die als sogenanntes "me" für alle soziokulturellen Imperative und Erwartungserwartungen sorgt, denen das spontaner handelnde "I" nachzukommen hat. Auf Vergleichbares wies Wittgenstein [s.S. 177] hin, der konventionelle Konzeptualisierungen von der Notwendigkeit einer durch Öffentlichkeit kontrollierten Regeleinhaltung abhängig machte. Und diese Idee rekapituliert auch Muka_ovsky´ [vgl. 1986/51f.], wenn er den Künstler als denjenigen schildert, der bei ästhetischen Kommunikation partiell den Normenkomplex seiner Gesellschaft einhält. Welcher Komplex normiert aber ästhetische Bildkommunikation, oder, genauer gesagt, welcher kann in dieser als Norm beobachtet und wiederum von Individuen regelfolgend formiert werden?

All jene erwähnten Positionen beziehen sich vorrangig auf kommunikative Darstellungshandlungen, die ein Akteur nie nach den Bewußtseinsprozessen, sondern nach den Verständigungshandlungen seiner Mitmenschen arrangiert. Oben angeführtes Insistieren auf der kollektiv kontrollierten Normenverpflichtung läuft auf das hinaus, was auch Durkheim mit der folgenden, um den Positivismus bereinigten Zitatverfremdung (110) unterstellt werden kann: etwas soziokulturell darzustellen, heißt im Ergebnis, in gewissem Maß, auf interpersonale Weise etwas regelfolgend darzustellen; es heißt deshalb auch, unter dem Gesichtspunkt der kommunikativen Anschlußfähigkeit etwas zu formieren. Ikonische Bilder weisen diese interpersonale Regel der Kultur hauptsächlich im Legizeichen auf, welches sich mit der kommunikativ anschlußfähigen Rahmung indiziert. Trotzdem schlagen selbst die regelfolgenden Zeichenbezüge [s.S. 51] eine interpersonale Regel aus, die sich in der gesellschaftlichen Gesamtheit in absoluter Identität repetieren soll. Deshalb hat sich Mead [vgl. 1973/196] getäuscht, als er den »verallgemeinerten Anderen« als eine Instanz beschrieb, die ein Individuum verinnerlichen kann, um die idealtypische Haltung einer ganzen Gemeinschaft einzunehmen. Diese angenommenen Verschwandtschafts- und Ähnlichkeitsklassen, die Personen in Erwartung einer sicheren Anschlußfähigkeit wiederum regelgeleitet artikulieren, unterliegen jedoch einer soziokulturellen Drift, da "eineiige Zwillinge" in der sozialen Exemplifikation von Kommunikation eher ausnahmsweise vorkommen. Insbesondere die konsumsüchtige Forderung nach immer wieder Neuem und das Wettstreiten um unwillkürliche Aufmerksamkeit in der Bildkommunikation treiben die soziokulturelle Drift an, die das steuerlose Wegkommen vom Nahen zum uferlosen Ziel hat. Dieses diachronische Driften ist unvermeidlich, sofern keine einfachen mathematischen Regeln befolgt werden, wie z.B. die relativ zeitstabile Zentralperspektive von trivialen Bildmaschinen.

Bereits die Unmöglichkeit, eine Regel direkt zu beobachten, unterhöhlt die Annahme von einer kollektiv beständigen Identität. Um eine Regel zu situieren, muß der Beobachter in einem Dritten schlußfolgern, daß z.B. eine Gemeinsamkeit zwischen einem Vergangenen und einem Gegenwärtigen wiederzuerkennen und anzunehmen ist. Infolgedessen internalisiert ein Beobachter innerhalb seiner sozialen Raum-Zeit-Koordinaten die kulturellen Darstellungsregeln, in deren erfahrenen Merkmalen er etwas wiedererkennt, was ihm als die regelgeleitete Exemplifizierung eines Legizeichens vorkommt. Die Regeln, die ein Individuum aber konstruiert, gehorchen keineswegs einem Determinismus, der aus der (meinigen) Beobachtung von Sozialisationsmedien kausal ableitbar wäre. Denn die ermittelten Regeln sind eine Konstruktion von Erkennungscodes, die auf die Orientierung an Sozialisationsmedien ebenso verweisen wie auf den wiedererkennenden Beobachter selbst. Dieses relationale Verhältnis führt manchen Beobachter zu Regeln, die ihm zwar so vorkommen, als ob sie unumstößlich wären, die aber trotzdem absolute Identitätsbehauptungen verbieten, die z.B. manchmal Kunsthistoriker aus pragmatischen Gründen zu beobachten meinen [s.S. 148 Wiedererkennen].

Sieht man von kulturellen Legizeichen ab, deren kommunikative Konvergenz zeitrelational konstruiert wird, so liegt die Schwierigkeit für ikonische Bilder darin, daß die Herstellung von persönlich motivierten Ähnlichkeitsbezügen weder von kollektiven Merkmalen noch von "kollektiven Vorstellungen" in eine imperative Regel gedrängt werden kann, "... die das Ergebnis einer ungeheuren Zusammenarbeit [ist], die sich nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit ausdehnt" [Durkheim 1981/37]. Divergierend von Symbolcodierungen, deren Semantik sich auf einem kulturell eingespielten Minimalkonsens gründet, sprechen die subjektiv variierten Ikons und deren Interpretationsmöglichkeiten dagegen, daß Bildproduzenten im "synchronischen" Raum und in "diachronischer" Zeit sich an einer geregelten Gemeinsamkeit orientieren. Der kollektiven Normierung widersetzen sich Bilder, indem selbst bei deren massenmedialer Herstellung strikt vermieden wird, daß sich ihr ikonischer Objektbezug, der für den Bruchteil einer Sekunde "global" synchron verläuft, zur wiederholten und damit potentiell konsensfähigen Konvergenz entwickelt. Der unikale Charakter des Ikons widersetzt sich einer kollektiven Übereinstimmung auch dann, wenn symbolische oder indexikalische Objektbezüge konvergierend hinsichtlich divergierenden Ikons geäußert werden. Beispielsweise besagt die symbolische Feststellung "das sind alles Autos" nicht, es wären immer die gleichen Veranschaulichungen von Autos zu sehen. Deshalb gilt für das bildliche Konstituens, also für den ikonischen Objektbezug per Ähnlichkeit, daß die Rede von einer Norm, einer Regel, dem Meadschen "me", dem kollektiven Bewußtsein, der kollektiven Vorstellung und auch der »kollektiven Merkmale« für Bilder ins Referenzlose läuft. Von daher zerschellt an der ikonischen Klippe auch der Begriff der »kollektiven Identität«, mit dem Habermas in Anlehnung an Durkheim einen normativen Konsens beschreibt, der nicht langsam "erzielt" wird, sondern der sich "... gleichursprünglich mit der [symbolisierten] Identität der Gruppe her[-stellt]" [Habermas 1988b/85].

In den ikonischen Objektbezügen und deren rhematischen Bedeutungen sind Bilder zu sehr individuell motiviert, als daß sie von gesellschaftlichen Verpflichtungen ohne weiteres, z.B. ohne Symbole, vereinnahmt werden könnten. Den verallgemeinerten Imperativen einer "kollektiven Identität" - die überwiegend totalitäre Systeme für Symbole herbeireden, um Legitimitätsansprüche durchzusetzen - sperren sich ikonische Objektbezüge schon deshalb, weil ihre Auswahl nach ästhetischen, individuell- und emotions-motivierten Kriterien einer kollektiv verbindlichen Orientierung entgegenläuft, worin im übrigen ihre eskapistische Tendenz gegenüber dem Konformitätszwang anderer Kommunikations- und Sozialisationsmedien liegt. Insbesondere Antikonventionalität ist ein Charakteristikum, das sich in der Kunst - ein Ziel der Berufswünsche vieler Jugendlicher - und in den Massenmedien nachhaltig formuliert, um nonkonforme Personalität zu beweisen. Denn den Versuch, das Nichtgestrige vorzuführen, bietet die Kulturindustrie als "Action News" an, die die "Erwartung des Unerwarteten" [Bolz 1993/123] erwartbar machen soll.

Mit umgekehrtem Erklärungszweck beschrieb Durkheim [vgl. 1981/495f.] die Repräsentationen, die in Kollektiven einer Interpretationsregel folgen. Er legte für mimetische (ikonischen) Objektbeziehungen dar, daß sich bei deren Anschauung ein Gefühl der Regelmäßigkeit dann einstellt, wenn sie sich in ständiger Repetition zu einer "gebieterischen Denkregel" entwickeln. Andernfalls verlaufen mimetische Objektbeziehungen nicht innerhalb erwartungssicherer Interpretationen, die z.B. bei interpersonalen Interpretationserwartungen bezüglich einer symbolischen Wappenverwendung aufzufinden sind. Die oftmals erwartbaren Konventionen einiger Symbolverwendungen missionieren Individuen sicherlich nicht derart, daß ihr Bewußtsein von einer "gebieterischen Denkregel" eingenommen werden könnte. Aber im minimalen Rahmen folgen Symbole und ihre Interpretationen interpersonalen Regeln, deren Bekanntheit die Teilnehmer voneinander erwarten. Solchen Erwartungserwartungen verweigern sich ikonische Objektbeziehungen vollständig. Denn deren Interpretationen schaukeln sich in subjektiven Affekten hoch, die sich von autoritären Lernimperativen deshalb kaum kommandieren oder dirigieren lassen, weil man etwas Unerwartetes nicht als Unerwartetes nochmals wiederholen oder gar befehlen kann. Da aber von ikonischen Bildern heutzutage erwartet wird, daß sie in der Kultur durch Unerwartetes faszinieren, widerstreitet ihre Plötzlichkeit einer erwartungssicheren, symbolischen Koordination von Koordinationen (Handlungen). In diesem Verzicht auf interpersonale Regelerwartungen zerstreuen sich Affekte in subjektiven Interpretationen, deren Verbindlichkeit ohne Symbole ungewiß ist. Eine unstete Gewißheit über erwartbare Affekte bezüglich ikonischen Zeichen ist allenfalls dann vorhanden, wenn ein emotionsmotivierter Sinnkonsens in kleinen Gruppen als wechselseitiges Miterleben projiziert wird, wie beispielsweise eine an (jugendlichen) Lebensstilen orientierte Werbung, die spezifischen Lebensgefühlen modische Formulierungen gibt. Ansonsten haben "... die sozialen Gefühle ohne Symbole nur eine ungewisse Existenz" [Durkheim 1981/316] und kommunikative Fortdauer. Die Unregelmäßigkeiten im Ikon weisen demnach keine interpersonalen Merkmale auf, von denen sich die im Kollektiv vergesellschafteten Personen bedeutungsparallel angesprochen fühlen.

Sofern man von zeichenwirksamen Umgebungsräumen einmal absieht, verliert ein Bild ganz ohne kollektive Merkmale den kommunikativen Appell, der es interpersonal anschlußfähig macht. Diesen Appell erlangt ein ikonisches Bild, wenn dessen Darstellungsstil im Vergleich zu bekannten Stilen einen wiedererkennbaren Normenkomplex beobachten läßt, wie z.B. in den Darstellungsstilen von Lifestyle-Magazinen und der allgemeinen Zentralperspektive. Denn vergleichbar dem, was Durkheim [vgl. 1981/367] für die soziale Konstruktion einer Person feststellte, gilt auch für Bilder, daß das, was ein Bild zur Klasse der Bilder zugehörig macht, das ist, was es im Darstellungsstil mit anderen Bildern der eigenen Kultur gemeinsam hat. Mit dieser Klassifikation allgemeiner Darstellungskennzeichen entsteht ein kultureller Sinnkontext, dessen legizeichenhafter Rahmen einen kommunikativen Sinn für Exemplifikationen indiziert.

Infolge des kulturellen Sinnkontextes ist ikonische Bildkommunikation nicht auf einen pragmatischen Konsens angewiesen, der den Inhaltsaspekt der Objektbezüge betrifft, sondern sie ist einem kollektiven Merkmal verpflichtet, das sich aus dem kulturellen Darstellungsstil herleitet. Dessen Verbindlichkeit signalisiert eine kulturelle Adressierung, mit der sich Personen im kommunikativen Beziehungsaspekt verständigen. Diese Adressierung entsteht tatsächlich mit der Kommunikation kulturell gleichursprünglich, da jede als Kommunikation erkannte Handlung zumindest eine zwischenmenschliche Beziehung gleichursprünglich stiftet, gleichwohl gemeinte Inhaltsaspekte und Motive nicht notwendigerweise vom reziproken Verstehen begleitet sein müssen. Das für Kommunikation Unentbehrliche ist, daß der Adressat die Anschrift, das Anzeichen am Bild, auf sich bezieht, sich also als Adresse für das kommunikative Ansinnen des anderen nimmt. Für eine derartig allgemeine Adressierung benötigen Bilder ein kollektives Merkmal, mit dem sie Kulturmitglieder interpersonal anschreiben können. Dennoch bietet diese kulturelle Bildadressierung keine Erwartungssicherheit dafür, wie ihre kommunikative Bedeutung interpretiert werden wird, sondern sie bietet ausschließlich eine Sicherheit dafür, daß sie als interpersonales Zeichen interpretiert werden wird. Diese Normerwartung verbindet sich untrennbar mit dem Begriff der Funktion, deren interpersonale Anschlußfähigkeit durch die Normerwartung stabilisiert wird [vgl. Muka_ovsky´ 1989/129/1]. Ein Bild kann zwar ohne interpersonale Legi-Merkmale seine kommunikative Funktion erfüllen, wenn es zufällig als Sinzeichen etwas per Ähnlichkeit bezeichnet, aber es ist wegen dieser Autonomie ohne erwartungssichere Adresse. Es muß deshalb seinen kommunikativen Anschluß an irgend jemanden einer Zufälligkeit überlassen, die ohne hinzugesprochene Worte höchstunwahrscheinlich jemandem von selbst als Verständigungsabsicht auffällt. Der kommunikativ autonome, warme Milchfleck auf der Tischdecke adressiert sich nämlich nicht ohne weiteres als Bild, Kunst oder gar als Mama, wie es beispielsweise Kinder nach Mißverständnissen anläßlich ihrer kommunizierten Differenzierungskriterien verwundert beobachten müssen, wenn sie den Fleck als Zeichen für Mama interpretieren.

Mit letzterem begründet sich gleichfalls ein Unterschied zur verbalen Sprache und anderen Symbolcodierungen. Deren Koordinationskraft, die beim Verstehen durchaus abgelehnt werden kann, basiert neben dem adressierten Beziehungsaspekt hauptsächlich auf dem wechselseitig erwartbaren Minimalkonsens über die Inhaltsaspekte der Symbole. Bildkommunikation erzielt indessen ihre kommunikative Anschlußfähigkeit, indem sie kulturelle Beziehungsaspekte mittels Darstellungscodes stiftet, deren Konvergenz die Betrachter als kulturellen Bildtyp erwarten. Wäre desgleichen der Objektbezug von einzelnen Ikons konsensuell gebunden, würde heutige Bildkommunikation ihre Anziehungskraft verlieren, weil damit der optische Informationsgehalt, vergleichbar der kultsymbolischen Bildverwendung, für lange Zeit annähernd identisch wäre, was die visuelle Sinnesfreude von Fernsehzuschauern und manchen Kunstbetrachtern erheblich schmälern würde. Somit bereiten die kollektiven Merkmale der Kultur ein Verständigungsmilieu vor, das zwar im ikonischen Signifikationscode nach kommunikativen Beziehungsaspekten verlangt, das aber keineswegs notwendigerweise einer Kollektivität des interpretativen Verstehens den Weg bereitet. Vielmehr franst die Homogenität der Bildkultur, die insbesondere die Kulturindustrie weltumspannend als kollektive Merkmale verbreitet, in der Heterogenität von Gesellschaften und pragmatischen Bedeutungen aus. Dies geschieht um so drastischer, je umfangreicher Bilder außerhalb eines Symbolgeflechts etwas rein ikonisch repräsentieren. Denn ohne diese semantische Vernetzung erhalten die subjektiven Wert- und Bedeutungsorientierungen im Ikon und Rhema einen Verstehens(-vor-)sprung, der trotz kollektiv plausibler Bildkultur höchst selten in kollektiv geteilten Bedeutungsdifferenzierungen (sprachlichem Verstehen) aufgeholt werden kann. Das Im-Bilde-Sein entsagt sich deshalb jeder Hoffnung auf ein vergesellschaftetes In-der-Sprache-Sein eines Kollektivs. Vergesellschaftet sich ein Kollektiv ausschließlich mittels ikonischer Bilder, dann leistet es sich Bedeutungsinterpretationen, die hinsichtlich erfolgender Koordinationen (Handlungen) ungebundener nicht sein könnten. Die Bilder stiften daher vorauseilend eine Globalisierung der kulturellen Beziehungen, ohne daß sie im nachhinein über Grenzen hinweg in den Bedeutungen vergesellschaftet werden. Sie erhalten allenfalls vagabundierende Bedeutungen, die im Verzicht auf sozial globalisierte Bindungen sich eher in unvermuteten als in vermuteten Handlungsplazierungen und Bewußtseinspositionen aktualisieren. Wie verdeutlicht sich dies?

Von Kommunikation zwischen Menschen kann gesprochen werden, sobald jemand Formen eines anderen wahrnimmt und sie in Interpretationsakten aufgreift, in denen er sowohl individuell als auch gesellschaftlich bekannte Kontexte für irgendeine Bedeutung herstellt, um diese in jenen Kontexten als Nachricht zu verstehen. Damit soll auch der Fall impliziert sein, "... daß das Individuum keine Sprachsymbole entwickeln könnte, wenn es nicht fähig wäre, auf nichtsprachliche und nichtgesellschaftliche Zeichen zu reagieren ..." [Morris 1934/18]. Die Möglichkeit ist also gegeben, daß ein Bildbetrachter sich von den Anforderungen entlastet, die die Bedeutungsinterpretationen seiner »verallgemeinerten Anderen« (gesellschaftlichen Kontexte) ihm nahelegen wollen. Für ihn reicht es aus, um visuell im Bilde zu sein, wenn er den (kulturellen) Sinn der repräsentierenden Form durchschaut, d.h. kennengelernt hat. Jede gesellschaftliche Verstehensanforderung, die ihn zu generalisierten Bedeutungen zwingen will, kann er dabei durchaus vergessen. Sicherlich assoziiert ein solcher Betrachter irgendeine Bedeutung bezüglich des Gesehenen, doch muß und kann er sie nicht so interpretieren, wie sie seine Gesellschaft oder "seine Weltgesellschaft" als verallgemeinerte Haltung konstituiert hat. Ein neues Ikon, ein erstmaliges Bild, ein aktuelles Foto aus einem subjektiven Blickwinkel ist nicht von einer interpersonal geteilten Bedeutung okkupiert, sondern diese muß, wenn es zu einer kollektiven Besetzung kommen soll, nachträglich innerhalb eines symbolischen Kommunikationskontextes vergesellschaftet werden. Bleibt dies aus, verlieren Bedeutungen ihre gesellschaftliche Rückbindung, weshalb eine ikonische Semantik sich polypragmatisch, also sozial unkalkulierbar, interpretieren läßt.

Die Kalkulierbarkeit der Bedeutungen erhöht sich mit der Konventionalität, mit der eine kulturelle Semantik sozial integriert wird. Solchermaßen stabilisierte Bedeutungen beobachten Habermas, Durkheim und Muka_ovsky´ dann, wenn sie eine regelgeleitete und repetitiv gleichförmige Äußerung identifizieren, aufgrund der sie einem Kollektiv eine pragmatische Norm der Bedeutung unterstellen. Sie beobachten also nicht Bewußtseinsprozesse, sondern sie beschreiben kollektive Merkmale, die Individuen als Symptom ihres Bewußtseins artikulieren, wenn sie sich verallgemeinerter Bedeutung verpflichtet wissen. "Stoßen sie [die Individuen] denselben Schrei aus, sprechen sie dasselbe Wort und machen sie dieselben Gesten in bezug auf den denselben Gegenstand, dann sind sie und fühlen sie sich [in der Beobachtung von Durkheim] im Einklang" [Durkheim 1981/315]. Gleichermaßen stellt sich für Habermas [vgl. 1988b/95f.] der "Kern des Kollektivbewußtseins" in einem normativen Konsens her, der neben individueller Orientierung an vergesellschafteten Symbolen auch auf Bedeutungsidentität angewiesen sein soll, so divergierend deren Kontexte auch ausfallen mögen.

Muka_ovsky´, der die vergebliche Idee des "Kollektivbewußtseins" auf die Kunst anwendet, beschreibt jene sozialintegrative Orientierung. Für ihn wird ein künstlerisches Werk zu einer kollektiven Angelegenheit, sobald z.B. ein "Kritiker ... mit seiner individuellen Haltung in beträchtlichem Maße die Haltung der übrigen Wahrnehmenden gegenüber dem Werk [formt]" [Muka_ovsky´ 1986/54]. Worüber verfügt jedoch der Kritiker? Er verändert die Wahrnehmung der Betrachter zwar, dies aber nur dort, wo er symbolisch formulierte Interpretationen zur Verfügung stellt, um willkürliche Aufmerksamkeit im Sinne der Whorf-Hypothese [s.S. 257] zu koordinieren. Kollektive Merkmale autorisieren sich daher erst mit einer symbolischen Sprache, der sich die ikonischen Bilder vielfach entziehen, sofern in diesen selbst auf symbolisierte Autoritäts- und Geltungsansprüche verzichtet wurde.

Die aufbegehrende Energie der Bilder, die sich den Fängen eines sprachlichen Nachtrags entsagt, wird zwar gewollt, aber sie bereitet dennoch eine (kunsthistorische) Streitfrage darin, wie sie zur kollektiven Angelegenheit werden soll. Die Gegenstandsbedeutung und Non-Ego-Erfahrung gegenüber ikonischen Bildern widersetzt sich nämlich denjenigen Berührungen, die mit Wortwechseln alles als kollektive Angelegenheit ergreifen wollen. Sprache formt zwar die sprachliche Haltung der Wahrnehmenden, aber sie leitet die kennenlernende Wahrnehmung zu einem wesentlich geringeren Teil an, als die Bilder selbst. Als artikulierte Haltung beschreibt Sprache daher etwas, das als Symptom des Bewußtseins einen sozialen Anknüpfungspunkt bietet, der gegenüber anderen Betrachtern die wahrgenommene Bildinformation anschlußfähig generalisiert, so denn die Worte nicht fehlen. Man vermittelt in sozialen Situationen nicht, wie man vorkommunikativ wahrgenommen hat, sondern man richtet aus, wie Wahrnehmung in sprachlicher Haltung wahrgenommen wurde, um sich in zweiter Ordnung von kollektiven Angelegenheiten mitzuteilen. Aus diesem Grund bieten Symbolverwendungen, Bildtitel und kunsthistorische Texte die sozialintegrativen Geltungsorientierungen an, die als Sprache anschlußfähig sind. Sprache ermöglicht also sowohl Normenkonformität als auch Normenorientierung, indem sie die Erfahrung und die Herstellung eines ikonischen Sujets anleitet. Sie bietet daher erwartungssichere Kontexte für interpersonale Bedeutungen. An diesen symbolischen Kontexten orientieren sich gewiß viele Bildner, indem sie sozial bedeutsame Autoritäten in ihren symbolisierten Themenstellungen anerkennen. Sie symbolisieren beispielsweise ihre Freunde, ihren Urlaub, historische Ereignisse oder die politische Gegenwart in ikonischen Bildern. Die dabei intendierten Bedeutungen gehen über individuelle Strukturen hinaus, sie gehören deshalb zu Strukturen, deren Merkmale ein Kollektiv stützt [vgl. Muka_ovsky´ 1986/51]. Die Mitglieder eines Kollektivs verfügen jedoch nicht über ein kollektives Bewußtsein, wenn sie sich an einem erlernten Komplex von Bedeutungserwartungen orientieren, den sie spontan auf jedes Werk applizieren, um manche Ikons so in Symbole zu transponieren, daß diese in die jeweilige Synchronie der gesellschaftlichen Kommunikation passen.

Alle oben genannten Beobachtungen enthüllen weder ein Kollektivbewußtsein noch die Kommunikation mit Bildern. Sie beschreiben lediglich Zeichen, die infolge individueller Orientierung an vergesellschafteten Symbolen verwandt verlaufen und ein kommunikatives Symptom eines Bewußtseins sind. Daher kommunizieren gleichfalls Bilder mittels Ikons und Einzelsymbolen nur etwas, was zwar die Existenz von sozialen Gefühlen darstellt, was aber nicht gleich Interpretationen nach sich zieht, die auch intersubjektiv gleichlaufend im Kollektivbewußtsein erlebt werden. Eventuell gehört deshalb zur Bildbetrachtung das Gebot des miterlebenden Schweigens, um möglichen Dissens in einen verbindlichen Konsens zu überführen, der es bei Unsagbarkeiten beläßt, wie beispielsweise bei religiösen Symbolen oder sonstigen vorsprachlichen Realitäten. Jeder Begründungsversuch, der die kollektive Gültigkeit eines symbolisierten Zugehörigkeitsgefühls beweisen soll, zerstört nämlich die Botschaft, die im Symbolismus einer "intersubjektiven" Gemeinsamkeit gemeint und als gleichursprüngliche Lebenswelt geglaubt ist. Vor dem religiösen Symbol, vor dem ikonischen Kunstwerk oder einer Lebensstilwerbung sind wir also solange scheinbar gleich, wie wir expressives Schweigen beobachten und diese Haltung als kommunizierten Anlaß der emotionalen Gleichheit projizieren. Insbesondere die televisionären Massenmedien provozieren einen kommunikativen Beziehungsaspekt, der uns bis zur Besinnungslosigkeit kulturalisiert, während wir im kommunikativen Inhaltsaspekt bis zur unvergesellschafteten Bedeutungsisolation verstummen. Konsensuelles Schweigen verschweigt somit den Dissens, den Personen entstehen ließen, wenn sie ihrer verständige Übereinkunft nach ihre bedeuteten Referenz im Bewußtsein befragen würden oder erklären müßten. Je weniger nämlich das mögliche Reaktionsverhalten erwartet werden kann, desto sozial unauffälliger ist der Versuch, durch nicht-verbale Kommunikation stillschweigende Übereinkunft zu signalisieren [vgl. Siegrist 1970/56]. Wird Schweigen untolerierbar, dann kommt interpersonalen Symboläußerungen eine integrative Autorität zu, die sie in bezug auf Ikons ausspielen. Denn in Symbolen suchen Personen eine sozialintegrative Orientierung, die in beredeter Gleichheitsbeziehung den unvergesellschafteten Augenblick am Ikon vergesellschaftet, ohne dessen subjektiven Erlebnismoment selbst zu zerstören; deshalb muß man Bilder trotz allem Gerede auch höchstpersönlich betrachten, sofern sie erlebnisorientiert genutzt werden sollen.

Das Ikon ist eine unvergesellschaftete Bezeichnung. Es ist zwar von seiten seiner Darstellungsform sinnhaft auf die Kultur(-Mitglieder) bezogen, indem es etwas kulturell zur anwesenden Umwelt erhebt, aber von seiten der Pragmatik wartet die Bedeutung des Ikons auf dessen nachträgliche Vergesellschaftung, um dort symbolisch oder indexikalisch in Bedeutungskontexte verwoben zu werden. Verzichtet man auf die Vergesellschaftung der interpretativen Bedeutung, bieten ikonische Bilder zwar kulturell allgemeine, jedoch keine sozial allgemeinen Orientierungen. Niemand wird also ohne weitere Zeichen nachvollziehen, was jemand angesichts eines Bildes verstanden hat, sondern er wird allenfalls ein indexikalisches Anzeichen registrieren, daß jemand etwas als Kultur wahrgenommen hat. Mit Webers Begriff beschrieben: man kann gegenüber der kulturellen Bildkommunikation "massenhaft gleichartiges Handeln" [Weber 1968/195] beobachten, vergleichbar den Passanten auf der Straße, die bei einem Regenschauer mit dem Aufspannen des Regenschirms (Bildschirms) reagieren. Für die wahrnehmungshandelnden Bildbetrachter impliziert dies jedoch kaum, daß sie eine Interpretation aktualisieren, die sinnhaft auf den Bildproduzenten oder andere Personenkreise bezogen ist. Ihre unwillkürliche Aufmerksamkeit folgt vielmehr dem Vorfall, der sich in Farb- und Formverläufen des Bildgegenstandes ereignet. Diese Orientierung an der direkten Gegenstandsbedeutung geschieht im vorkommunikativen Bewußtsein, welche das kommunikative Ansinnen weitgehend in Wahrnehmung versickern läßt [s.S. 66]. Folglich ist Wahrnehmung kein soziales Handeln.

Zweifellos zerfließen die Unterscheidungen zwischen reaktivem Wahrnehmen, das ohne soziale Bedeutungsorientierung auskommt, und spezifisch sozialem Handel, welches an anderen Personen orientiert ist [vgl. Weber 1968/301]. An jeder Bildrezeption ist gewiß eine soziokulturelle Interpretationspraxis beteiligt, mit der beispielsweise Stummfilme interpretiert werden. Obwohl dessen filmische Ausdrucksformen kulturell sinnhaft am Betrachter orientiert sind, steht aber kaum zu erwarten, daß sie auch sozial sinnhaft an seinem Verhalten orientiert sind. Denn das Verhalten des Betrachters und seine Interpretationen werden selten der Erwartungserwartung entsprechen, die der Bildproduzent als Zeichenbedeutung intendiert hat. Vielmehr läßt sich erwarten, daß der Betrachter Unerwartetes oder gar nichts interpretiert, wenn er sich mit der stummen Welt von anwesender Komplexität konfrontiert. Aus diesem Grund machen sich Stummfilme mit Texteinblendungen, Symbolen, überzeichneter Gestik bzw. indizierender Mimik sozial verständlich, um ihre Unbestimmtheiten in erwartungsstabilere Bestimmtheiten zu überführen. Mit nichts anderem als Ähnlichkeiten läßt sich zwar ein emotionsmotivierter Sinnkonsens erzeugen, jedoch enthalten sie sich der mitgeteilten Bestimmtheit, die etwas anderes erwartbar macht als Nachahmung und optische Erkennbarkeit von kulturellen Bildthematisierungen (Semantik). Denn bei papageienhafter Nachahmung von Ähnlichkeitsmerkmalen ist das Verhalten keineswegs so orientiert, daß dessen "stillschweigende Vereinbarung" [Weber 1968/198], die aus der Akzeptanz der Kulturformen herrührt, ein geltendes Einverständnis bezüglich interpersonaler Bedeutungen signalisiert. Bilder widerstreiten deshalb dem Einverständnishandeln, dem eine kollektive Geltung dadurch zuteil werden soll, daß ein kommunikativ Handelnder aus ko-orientierten Erwartungen heraus agiert.

Im Unterschied zu einer Sprachgemeinschaft [hierzu Weber 1968/196f.] verzichtet ein Kollektiv der Bildkommunikation auf die sinnhaften Bedeutungen, die auf die Erwartungen bauen, daß ein kommunikativ Handelnder sein Verhalten auch von jedem anderen so erwarten kann, wie er es selbst infolge seiner Interpretation aktualisiert. Der visuell kommunikativ Handelnde hat lediglich eine geringe Chance, seine erwarteten Bedeutungsinterpretationen mit den interpretierten Bedeutungen des anderen korrespondieren zu lassen. Diese Wahrscheinlichkeit korrespondierender Bedeutung, wie sie ja eine kollektive Bedeutungsgeltung beansprucht, ist überaus gering, weil dem ikonischen Wissen oft ein emotionsmotiviertes Verhalten folgt, dessen innenorientierter Zufallscharakter sich selten von fremdorientierten Erwartungsstrukturen über Bedeutungen ablenken läßt. Wenn also ikonisches Wissen ausschließlich kulturell an anderen orientiert ist, es aber kein Einverständnis impliziert, welches Verhalten es zur Folge hat, dann ist es insofern partiell außersozial, wie es keine praktische Notwendigkeit nach sich zieht, die Bedeutungen erwartbar stabilisiert. Von daher begründet sich einerseits die Unmöglichkeit eines Bewußten und Unbewußten, das zu kollektiven Merkmalen neigt, die die sozialen Bedeutungsinterpretationen von ikonischer Kommunikation betreffen. Andererseits muß im nächsten Abschnitt geklärt werden, ob die kulturellen Darstellungsformen kollektive Merkmale aufweisen, da kulturelle Ko-Orientierungen bewußt und unbewußt zumindest teilweise vorhanden sind.

Abschließend ergeben sich zwei Beurteilungen für die mangelnde soziale Ko-Orientierung, die aus der unkalkulierbaren Bedeutung von Bildern folgt. Wenn man will, kann man diese soziale "Koordination ohne Wahrheit" [Miller 1986/436], die infolge ikonischen Wissens (z.B. massenmedial) zur Aufhebung vergesellschafteter Bedeutungen führt, mit Max Miller - ohne seiner Untersuchung sozialer Koordinationsprobleme gerecht zu werden - als den "absoluten Terror" [Miller 1986/436] verstehen. Oder man sieht im ikonischen Wissen eine kreative Kontingenz, die sich dem »argumentativen Wahrheits-Terror« einer sozialen Sprachautorität entzieht, indem sie (wie z.B. in der Kunst) nicht vordenkbare Möglichkeiten eines Nicht-Identischen zu inszenieren sucht. Ganz gleich, wie man dies beurteilen mag, festzuhalten ist: ikonisches Wissen ohne symbolische Ko-Orientierungen reduziert keinesfalls soziale Koordinationsprobleme, sondern es provoziert diese. Denn Individuen fehlen zwangsläufig adäquate Worte für unikal Vorkommendes, und ebenso versagt ihnen jede Wahrheit für konventionslose, ikonische Bezeichnungen. Mit diesem Verzicht auf verbalen und wahrheitsorientierten Reizschutz liegen Chance und Debakel für Gesellschaften dicht beieinander. Chance deshalb, weil Individuen ihr Bewußtsein in einer Kulturperspektive konzeptualisieren können, die aus subjektiver Stellungnahme etwas kommuniziert, was Gesellschaften über ein sehr zeitnahes Orientierungsmaß benachrichtigen kann, sofern sie bereit sind, Individuen von Traditionsimperativen zu entlasten. Ästhetische Auflehnung wäre daher fehlsichtig bewertet, wenn man ihr, die ja den Sinnen zugehörig ist, ein Verbrechen gegenüber betriebsblinder Wahrheits- oder Sprachautorität vorwirft [hierzu Marcuse 1984/171ff.]. Debakel deshalb, weil Individuen ihr Bewußtsein in einem heimatlosen Bedeutungskontext konzeptualisieren können, der sie in soziale Isolation treibt, sofern diese von einer Erlebnisgesellschaft nicht mehr eingeholt werden will oder kaum mehr mit kollektiv entwickelten Bedeutungen versorgt wird, wie es beispielsweise erfolglosen Künstlern widerfährt.


   c) Möglichkeiten eines kognitiv Unbewußten für
kulturelle Bildkommunikation
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Das vorangegangene Kapitel begründete, warum Bilder in ihrer ikonischen Semantik und in ihrer rhematischen Pragmatik zu einer Offenheit tendieren, die Differenz ohne Bedeutungsidentität beobachten läßt. Aus diesem Grund mußte das sogenannte »Kollektivbewußtsein«, welches ich als die Beobachtung von kollektiven Merkmalen aufgriff, für die gesellschaftliche Pragmatik verworfen werden. Für die gesellschaftliche Pragmatik stellte sich das proportionale Verhältnis heraus, daß ikonische Bilder um so weniger eine erwartungssichere Koordination von Koordinationen (Handlungen) verwirklichen, je weniger sie an vergesellschafteten Symbolen partizipieren. Gleichwohl Gesellschaftsmitglieder aufgrund dieser mangelnden Ko-Orientierung weitgehend Bedeutungsinterpretationen entwickeln, die hinsichtlich ikonischer Bilder ohne erwartbare Parallelität auskommen, involviert dies trotzdem keine Gültigkeit für die syntaktischen Formen der Bildkultur. Sobald wir z.B. den ikonischen Signifikationscode von Bildern betrachten, erkennen wir durchaus kulturell konvergierende Syntaktiken wieder. Denn wir akkommodieren den Sinn im Sinn soweit, daß uns Darstellungsformen zur kulturellen Konvergenz werden, indem wir Sinn assimilativ als exemplifiziertes Sinzeichen eines Legizeichens wiedererkennen. Daher fungiert Bildkultur für uns als eine solche Notwendigkeit, die anschlußfähige Weiterführung nicht dem Zufall überläßt. Trotzdem umfaßt diese kulturelle Anschlußwahrscheinlichkeit nicht die eingrenzbare Erwartungssicherheit, mit welchen Bedeutungsverknüpfungen jemand fortfahren wird. Ikonische Kulturformen inhärieren ausschließlich eine Wahrscheinlichkeit dafür, daß überhaupt jemand der organisierten Komplexität eine signifizierende Ähnlichkeit ansehen wird. Wie aber Bildkultur, die sich im Vergleich zur Natur durch Unwahrscheinlichkeit anzeigt, als eine Wahrscheinlichkeit generalisiert wird, deren synchronische Gedächtnisform an menschliche Individuen unbewußt und bewußt Anschluß findet, werden folgende Ausführungen beschreiben.

Die jetzt kommenden Überlegungen konzentrieren sich auf den kulturellen Bildaspekt. Mit Kultur wurde der Bildstil bezeichnet, der in Medienformungen zur Rigidität neigt. Diese gewisse Unnachgiebigkeit war die Prämisse für den kulturellen Signifikationscode, dem infolge struktureller Kopplung hohe Anschlußwahrscheinlichkeit an Wahrnehmung anvertraut wird. Die Anschlußwahrscheinlichkeit ordnete ich dem abstrakten Existenzmodus zu, den ich mit Eco als "Semiotik der Signifikation" und als Kultur beschrieb [s.S. 131]. Ich lasse also die kommunikative Verständigung, die eine sozialorientierte Bedeutungsaktualisierung impliziert, weitgehend unberücksichtigt, wenn ich das Verhältnis von Bild-Kultur und kognitiver Bild-Wahrnehmung beschreibe. Eine solche Auslassung hat allein theoretischen Sinn, da jede Wahrnehmung einer bedeutungsgeleiteten Pragmatik folgt. Es existiert keine Wahrnehmung, die niemals eine Bedeutung in Affekten, Emotionen oder kognitiven Aktualisierungen bewirkt hätte. Wenn ich aber einer tradierten oder produzierten Bildkultur die Möglichkeit zugestehe, daß sie innerhalb eines Kulturkreises eine hohe Anschlußwahrscheinlichkeit hat, dann müssen ihr kollektive Merkmale zukommen, denen die beteiligten Individuen zumindest kognitiv verwandt folgen können, so denn "das Wesen der Identität ... kognitiv [ist]" [Mead 1988/216]. Ein Beleg für die kognitive Sinn-Verwandtschaft ist darin zu sehen, daß Bilder bei Einhaltung einiger Legizeichen ihren ikonischen Objektbezug für kulturalisierte Mitglieder meist monosemantisch freigeben. Welche Affekte und polypragmatischen Bedeutungen ein Bild erzeugt, ist für Kollektive unvorhersehbar; für deren Mitglieder ist es lediglich wahrscheinlich, daß sie ein Bild als Bild wahrnehmen werden. Wie kommt es aber zu der kognitiven Wahrscheinlichkeit einer Wahrnehmung, und wie läßt sich die Untrennbarkeit von kognitivem und affektivem Bewußtsein unterscheiden? Außerdem ist ungeklärt, wie ein kognitiv und affektiv Unbewußtes vorkommen kann, und wie dieses über eine Relevanz für visuelle Kommunikation verfügt.

Zwei Begriffspaare sind offenzulegen, die für Bewußtseinssysteme zur Disposition stehen, nämlich kognitiv/affektiv und unbewußt/bewußt. Das erste Paar benennt die unzertrennlichen, aber polarisierten Bewußtseinsprozesse, die sich auf affektiver Seite eher dem emotionalen, energetischen und konkret körperlichen Erfahrungen zuordnen lassen, während sie auf kognitiver Seite eher die erkenntnismäßigen Aktivitäten des Wahrnehmens, Vorstellens, Lernens, Urteilens, Handelns und Denkens einbeziehen [vgl. Ciompi 1992/11, 47]. Das zweite Paar unbewußt/bewußt nuanciert folglich die Pole des ersten Paares nochmals nach ihrem Bewußtseinsgrad. Zunächst möchte ich den kognitiven Pol mit der Differenzierung von unbewußt/bewußt näher erläutern.
Die Polarität unbewußt/bewußt übernehme ich von jemanden, der sich kaum um sie gekümmert hat, nämlich Luhmann. Allerdings erkenne ich bei ihm eine Parallele zur Theorie, die Ciompi [vgl. 1992/65f.] und Piaget [vgl. 1976/68] vertreten. Diese beiden beschreiben als ein primär Unbewußtes alles das, was trotz operationaler Schemata nicht in bewußten Konzeptualisierungen verfügbar ist, wofür dem handelnden Individuum also keine bewußtwerdenden Vorstellungen und Ideen gegenwärtig sind. Gleichwohl siedelt Ciompi das verdrängt Unbewußte Freudscher Provenienz in einem affektiv Unbewußten an, zu diesem jedoch später. Denn jenem kognitiv Unbewußten vergleichbar konstruiert Luhmann ein Unbewußtes, das "... als positiver Zustand eines Beobachters ..." [Luhmann 1995a/146], "... aber nicht in ausdifferenzierter Reflexivität, sich selbst ermöglicht" [Luhmann 1987/612 Fußn.]. Damit verpflichtet er Unbewußtes und Bewußtes auf die Unterscheidung zwischen Medium und Form.

"Als Medium wäre das Bewußtsein dann die lose Kopplung möglicher Bewußtseinszustände, die nur durch Grenzen der Kompatibilität von Sinn beschränkt wäre; als Form wäre Bewußtsein dann die strenge Kopplung aktualisierter Sinnelemente, die als Gedanken ausgewählt und als Struktur erinnert wird." [Luhmann 1995a/146].

Obwohl Luhmann die Freudsche Psychoanalyse umformulieren möchte, trifft er vorrangig ein kognitiv Unbewußtes, wie es Piaget verdeutlicht. Nach dessen Meinung verfügt ein kognitiv Unbewußtes über sensomotorische (Perzeptions-) und operationale Schemata, die in Strukturen entwickelt sind. "Die Schemata drücken aus, was das Subjekt 'tun' kann, aber nicht, was es denkt. Zum Subjekt gehören außerdem affektive und individuelle Schemata, zum Beispiel Tendenzen, Triebe etc." [Piaget 1976/65, Übers. d. A.]. Zwei Aspekte führen momentan weiter.

Erstens beschreiben Piaget und Luhmann gleichermaßen das (kognitiv) Unbewußte als Grenze der Kompatibilität, deren Schemata die bereits entwickelte Bandbreite bewußter Aktualisierungen kennzeichnen. Demnach fassen sie das (kognitiv) Unbewußte als eine assimilierte Struktur auf, die infolge unbewußter Schemata mögliche Verwirklichungen begrenzt. Diese von Piaget und Luhmann angesprochenen Grenzen der Möglichkeit sind deshalb eine Drittheit der Erstheit, d.h. eine erlernte bzw. erinnerte Struktur individueller Möglichkeiten. Beide Theorien beschreiben daher, wie Individuen kognitiv unbewußt drittheitliche Legizeichen assimilatorisch als Sinzeichen abduzieren, um einen deutenden Gedanken zu aktualisieren [s.S. 97 (Assimilation), 149  (Abduktion)]. Handelt es sich indessen um den für Menschen potentiell sichtbaren Wahrnehmungsbereich, ist Luhmanns obigem Zitat zu entgegnen, daß die »Grenzen der Kompatibilität von Sinn« nur dann eingeschränkt sind, falls mögliche Bewußtseinszustände einen Sinn als kulturelle Konvention projizieren. Denn ausschließlich abduzierte Konventionen limitieren die visuelle Kommunikation zwecks Grenzerhaltung. Das kognitiv Unbewußte eines Individuums baut sich deshalb über die formalen Sinnstrukturen einer Konvention auf, die es hinsichtlich des kulturellen Bildstils verinnerlicht. Entfaltet es aber »Sinn als Möglichkeit« vom Quali- zum unvorhergesehenen Sinzeichen akkommodativ, entledigt es sich zeitweise hemmender Barrieren, die ihm kraft verinnerlichter Konventionen die offenen Formen von Kunstwerken einengten. Unumwunden muß aber gesagt werden, daß Bewußtseinssysteme, denen ja eine Regel privatim unkontrollierbar ist, niemals eine für sie tatsächlich stabile Konvention internalisieren können, es kommt ihnen und ihren kontrollierenden Beobachtern, die ja selbst in kultureller Synchronie driften, nur so vor. Die Drift individueller Kulturkompetenz ist in der Diachronie unvermeidlich, wie man an der Veränderung seiner eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten und visuellen Zensurmechanismen über Jahrzehnte bemerkt.

Zweitens zielt, sofern man von Akkommodation bei Piaget und von Interpenetration bei Luhmann einmal absieht, individuelle Kulturkompetenz auf die erlernten Möglichkeiten, die einem Individuum zur Verfügung stehen, um legizeichenhaften als sinzeichenhaften Sinn zu erkennen. Mit nachahmenden Worten: Kulturkompetenz involviert die kennengelernte Möglichkeit, was ein Individuum in Bildern wahrnehmend erkennen kann, sie involviert nicht, was ein Individuum dazu an "vergesellschafteten" und affektiven Bedeutungen denkt bzw. fühlt. Sinkt die Kulturkompetenz aber aus dem konzeptualisierten Bewußtsein ab, so eröffnet sie die Möglichkeit, daß sie als gut adaptierte Aktion unbewußt wird, um von dort aus sensomotorische Regulationen zu dirigieren, die zur unwillkürlichen Gewohnheit geworden sind [vgl. Piaget 1976/65]. Auf diese Weise parallelisiert sich der Erkennungscode hinsichtlich Bildern mit einem kognitiv Unbewußten, das den Betrachtern die vorkommunikative Wahrnehmung einer anwesenden Bild-Umwelt verwirklicht [s.S. 98, 147, 248].

Im [kognitiv] unbewußten Zustand, der für das Bewußtsein als Medium fungiert, "[operiert das Bewußtsein zwar] ... mit Bewußtsein, aber es ist sich dessen nicht [in Konzeptualisierungen] bewußt und etabliert insofern intern auch keine Bezugspunkte für kritische Steuerung und Selbstkontrolle" [Luhmann 1987/612 Fußn.]. Die synchronische Gedächtnisfunktion der Kultur ermöglicht daher für ein Individuum ein kognitiv Unbewußtes. Denn kritische Steuerung und Selbstkontrolle sind entweder von (emotionsmotivierter) Aufmerksamkeit oder von bewußten Bedeutungen zu erwarten, jedoch nicht von akkommodierten Schemata, die gegenüber dem synchronischen Gedächtnis der Bildkultur ihre assimilative Verstetigung finden. Aus diesem Grund neigt das synchronische Gedächtnis der Bildkultur dazu, sofern in ihm kontinuierlich die Syntaktik von Legizeichen repliziert wird, den Beobachter unkritisch werden zu lassen. Demgegenüber tendiert das diachronische Gedächtnis der Bildkultur und ebenso die Kunst zum Kritischen, da beide infolge ihrer überraschenden Uneinsichtigkeit bewußtwerdende Konzeptualisierungen provozieren. Beispielsweise ist der Realismus der Zentralperspektive für Betrachter eine unkritisch gewordene Kulturform, die an kollektive Merkmalserwartungen höchstwahrscheinlich und meist unbewußt anschließen kann. Hingegen macht die mittelalterliche Bedeutungsperspektive heutzutage kaum eine Realismushypothese plausibel, die unkritisch oder gar kognitiv unbewußt hingenommen wird. Kunst und das diachronische Kulturgedächtnis haben eins gemeinsam: ihre »Möglichkeiten zu kommunikativen Wirklichkeiten« wirken gegenüber eingespielter Synchronie noch bzw. längst wieder "unzeitgemäß". Dies passiert kulturgemäß, weil kommunikative Beziehungsaspekte, die sich niemals gesamtkulturell synchronisieren lassen, in und zwischen den Zeiten bewußt wie unbewußt in den Formen driften, obwohl bedeutete Inhaltsaspekte, die z.B. innere Konflikte oder Liebe ausdrücken sollen, über lange Perioden konvergieren.

Wie streng ist aber ein kollektives Merkmal zu formulieren, das für Mitglieder einer Kultur streckenweise kognitiv unbewußt andauert? Ist es überhaupt auf der Ebene eines Unbewußten anzusiedeln? Muß es nicht leistungsfähiger auf die Ebene eines Vorbewußten überführt werden, da es zumindest im Sinne Freuds bewußtseinsfähig werden kann? Unbewußte Limitationen der angesprochenen kulturellen Stilart wie auch Gewohnheiten sind allemal kraft bewußter Kritikfähigkeit zu durchbrechen. Wer sprach überhaupt vom Unbewußten bezüglich der Bilder? Hierzu zitierte ich Bourdieu [s.S. 146]. Er formulierte die Annahme, daß jede Wahrnehmung einen unbewußten Code (Regel) einschlösse, allzu drastisch. Er überzeugt zwar damit, daß Individuen nicht sehen, "... was ihnen erst zu sehen ermöglicht ...", wenn sie durch ihre "Brillen der Bildung" [Bourdieu 1974/164] blicken, um etwas zu sehen. Jedoch ist ihm in Abrede zu stellen, der blinde Fleck, den jene Bildung mit sich bringt, würde zum kollektiv Unbewußten der Gesamtkultur aufrücken. Es ist nämlich fraglich, ob Bildungs- und andere Institutionen, wie z.B. die Schule, über die uneingeschränkte Macht verfügen, das "... kollektive Erbe in ein sowohl individuell als kollektiv Unbewußtes zu verwandeln" [Bourdieu 1974/139]. Wenn man Individuen im jeweiligen Zwischenergebnis ihrer kulturellen Sozialisation mit unserer gegenwärtigen Sprache als Institution "beobachtet", folgt daraus nicht, daß man den Durchgriff auf unkritische Steuerung ihres Bewußtseins geschafft hätte, zumal kulturelle Sozialisationsinstanzen und deren Bedeutung ebenfalls nur Zwischenergebnisse von vergesellschafteten einzelnen sind. Die Einheit vom kulturellen Stil und von sozialer Bedeutung formuliert sich als differenzerzeugende "Bedeutung im Werden" [Bourdieu 1974/184], deren Dynamizität im Individuum (z.B. bei jugendlicher Musikvideokultur, Werbung) kritische Relevanz annehmen kann.

Um etwa eine Marionettenschule für Menschen einzurichten, fehlen dem kulturellen Code die Fäden, die sowohl direkte Verbindung zu Bewußtseinsgliedern des Individuums aufnehmen, als auch alle Entscheidungen so aus dem Off vorsteuern, daß diese Steuerung als das unsichtbar Absolute eines kollektiv Unbewußten verborgen bleibt. Die kommunikative Praxis von Bildern, welche ich als Aufmerksamkeit formulierte, ereignet sich vor dem Hintergrund des Unkritischen, doch changieren Hinter- wie Vordergründe stets vom Unkritischen ins Kritische und umgekehrt [s.S. 229]. Kognitiv unbewußt sind deshalb allenfalls die synchronischen Gedächtnisformen, die den perspektivischen Hintergrund als unkritisch gewordenes Medium für visuelle Kommunikation umgrenzen.
Wenn aber beispielsweise jemandem die Zentralperspektive zur unbedenklichen Gewohnheit geworden ist, dann deutet dies auf den Gesichtspunkt, daß er momentan vor dem Hintergrund einer gedanklich beruhigten Konstruktion auf Besonderheiten aufmerksam wird. Grundsätzlich verwehrt es ihm aber keine soziokulturelle Macht, die Gesichtspunkte seiner Aufmerksamkeit zu verändern. Es geht lediglich ein beschleichender Impuls zu gedanklich beruhigten Konstruktionen von kulturellen Legizeichen aus. Denn diese rücken zum unkritischen Medium auf, sobald sie bei hoher Anschlußwahrscheinlichkeit jemandem so vorkommen, als ob sie den regelgeleiteten Rahmen bereitstellen, den Sinzeichen-Formen für ihre kommunikativ wirksame Exemplifikation benötigen. Andernfalls wirken z.B. künstlerisch freie Sinzeichen nur möglicherweise, aber nicht notwendigerweise kommunikativ, denn sie sind wegen ihrer mangelnden Regelbefolgung nur durch Zufall als ikonisches Wissen wiederzuerkennen. Folglich tendieren Bildbetrachter zum kognitiv Unbewußten, wenn ihnen das synchronische Kulturgedächtnis zu dem erwartbar gleichförmigen Hintergrund-Medium geworden ist, in dem sie individuelle Formulierungen mit hoher Anschlußwahrscheinlichkeit monosemantisch erkennen. Oder mit zitierten Worten beschrieben: "vor dem Hintergrund habitualisierten Handelns öffnet sich ein Vordergrund für Einfall und Innovation" [Berger u. Luckmann 1980/57]. Für Bilder zeigt sich die Habitualisierung in der unkritischen Metakommunikation des kulturellen Beziehungsaspekts, da in diesem visuell kommunikative Kartographien aufgezeigt werden, die mit Bekanntem über Unbekanntes, Abwesendes oder Innovatives benachrichtigen. Lediglich in der Kunst wird die innovative Kommunikation über Kommunikation erwünscht, um habitualisiertes Handeln zu verunsichern.

Aufgrund struktureller Kopplung an kulturelle Legizeichen, die zu visuellen Gewohnheiten verleiten, ist Bourdieu kaum darin zu folgen, daß ein kognitiv Unbewußtes der Kultur ausgerechnet in der Kunst anzutreffen ist, da Kunst es im affektiven Regelverstoß zu durchbrechen sucht. Dessenungeachtet wäre es plausibel gewesen, wenn Bourdieu die massenmediale Bildkommunikation herangezogen hätte, um kognitiv unbewußte Kompositionsregeln zu bestimmen, die Betrachtern und Produzenten zum synchronischen Kulturgedächtnis werden. Denn für Individuen tendiert das kollektive Erbe, welches sie im diachronischen Gedächtnis beobachten, dann zum kognitiv Unbewußten, wenn sie im synchronischen Gedächtnis jenem Vermächtnis verwandte Sinnkonstitutionen projizieren, die einzelne Beobachtungen unbewußt eher an sich binden als andere [s.S. 264 (Freud), S. 273 (Bourdieu)]. Ansonsten entstehen Inkompatibilitäten, die Individuen und Kollektiven entweder besonders in den oder aus dem bewußten Blick geraten, wie es insbesondere hinsichtlich künstlerisch "autonomer" Bilder anzutreffen ist.

In der heutigen Kultur hat die kommunikative Komplexität und Erinnerungsarbeit derart drastisch zugenommen, daß zweifelhaft ist, ob alle ausdifferenzierten Teilsysteme in äquivalenter Unbewußtheit beobachten. Deshalb ist ein kognitiv Unbewußtes sicher nicht gesamtkulturell ausprägt, soweit ich es für Bilder sehe. Äußerstenfalls erlangen traditionelle Dauerspuren, die sich in einzelnen Signifikationsstilen über eine Epoche erstrecken, die Stärke eines kulturellen Projektionsstils, der sich aus gewohnter Sinnverinnerlichung am Sinn der Bildformen tautologisch bestätigt [s.S. 170 Sinn hat Sinn]. Andererseits dauert es mitunter Jahrhunderte, bis ästhetische Spekulationen sich soweit zum Code etablieren, daß diesem kognitive Unbewußtheit nachzusagen wäre [vgl. Eco 1991/338].

Inwiefern stabilisiert sich ein kultureller Code als unbewußte Institution? Folgt man dem theoretischen Wagnis von Berger u. Luckmann [vgl. 1980/63], dann fungiert auch verbale Sprache in deren verankerten Codierungen wie eine kulturelle Institution, wo sie eine eigene Realität konstituiert, die dem Individuum in den regelfolgenden Zeichenbezügen als zwingendes, soziales Faktum gegenübersteht. Davon abgesehen, daß sich verbale Sprachpragmatiken mit jeder situativen Sprechhandlung aus institutionalisierten »Vorschriften« graduell absondern, (111) also weder gänzlich willkürlich noch komplett zwanghaft exemplifiziert werden, geht es mir um den zwingenden Charakter, den Mario Erdheim mit Freud in Institutionen entdeckt. Es ist nämlich strittig, ob die Zwanghaftigkeit, die auch visuelle Kommunikation im Legizeichen partiell aufweist, wie folgt aufzufassen ist: "Unbewußt muß all das werden, was die Stabilität der Kultur, vor allem aber ihre Herrschaftsstruktur bedroht" [Erdheim 1991/275].

Ohne Frage stabilisieren verallgemeinerte Strukturen kollektiv erwartbare (Bild-)Kultur. Die sogenannte, lebensweltliche Hintergrundverständigung eines "impliziten Wissens" [Miller 1986/265] bietet die soziologische Beschreibung dafür, wie vor unbefragtem ("Welt-")Hintergrund exemplifizierte Vordergründe kommuniziert werden. Vorauszusehende Stabilisierungen können Individuen bewußt als kulturelle Herrschaft, aber auch als kognitiv unbewußte Legitimationsstruktur ihrer ikonischen Wissensinterpretation vorkommen, wie z.B. der interpretierte Realismus hinsichtlich der fraglosen Zentralperspektive. Kann man aber für Bilder insgesamt vermuten, daß die Legitimationsstruktur, deren Normativität sich aus Legizeichen herleitet, tatsächlich eine ist, die im Imperativ der Kultur unbewußt und sogar kollektiv unbewußt werden müßte? Was passiert beispielsweise, wenn ein Maler bei jeder Gelegenheit seine Freunde auf den Kopf gestellt porträtiert? Ihre dringlichste Frage wird sich darauf richten, warum er sie verkehrt herum veranschaulicht, und ob er nicht mal eine realitätsgetreue Darstellung von ihnen anfertigen könne. Selbst wenn der Maler Baselitz heißt, bemerkt die soziale Gruppe sofort, daß er die normative Legitimationsstruktur verlassen hat, und daß er seinen Zuschauern wenigstens Rechenschaft für die abweichende Darstellungsweise schuldet. Während Baselitz sich wohl nicht auf größere Legitimationsprobleme einstellen muß, wird dem Hobbymaler weniger selbstverständlich die soziale Position eines Künstlers, sonder eher eines kleinen Verrückten zugesprochen werden. Wie auch immer, der Kern der Sache ist, daß das Verlassen von institutionalisierten Kommunikationscodes prompt bewußte Aufmerksamkeit erzeugt. Gerade die Formen, die aus kultureller Normativität ausbrechen, entledigen sich in der Bildkommunikation unbewußter Affirmation und fordern die Lernbereitschaft der Betrachter heraus. Hinzu kommt, daß ein Bildner ohne Maschinen, wie etwa Fotoapparate selten die kulturelle Syntaktik interpersonal unterschiedslos reproduzieren kann, wodurch er sich seiner individuierten Eigenarten nicht erwehren kann. Für die Institutionalisierung eines Signifikationscodes ist Erdheim deshalb zu entgegnen, daß vieles, was aus der Symmetrie der Bild-Kultur ausbricht, auf irgendeine Art kommunikative Bewußtheit erweckt. Andererseits ist ihm aber beizupflichten, daß der kulturelle Signifikationscode immer dann zur unbewußten Institution tendiert, wenn deren Funktionieren die visuelle Kommunikation vor unbedenklichem Hintergrund garantiert. Institutionalisierte Unbewußtheit gegenüber dem synchronischen Gedächtnis gewährleistet die Konzentration auf Formen, die im Vordergrund kommunikative Wirksamkeit erhalten.

Es ließe sich psychoanalytisch metaphorisieren, die kulturelle Zentralperspektive wäre eine hintergründige Herrschaft, die immer dann zum unbewußten Widerstand aufriefe, wenn es ihr an den normativen Kragen ginge, dabei hätte sie sich allerdings schon mit tonloser Stimme ins Bewußtsein gedrängt. Sobald ihre Herrschaft in (Kunst-)Bildern malträtiert wird, spürt man sogar eine bewußtwerdende Freude oder Verärgerung dabei. Für unbewußte Herrschaft ist Zwang oder Gewalt das falsche Mittel, ihre Durchsetzung bedarf der Widerstandslosigkeit, wie sich gleich zeigt.
Trifft für die oben genannte, unbewußte Funktionsgewährleistung die zweite globale Kraft zu, die Erdheim [vgl. 1991/270ff.] den Institutionen zuschreibt, wenn er von diesen eine kollektive Unbewußtheit vorangetrieben sieht, die Individuen ihrer Reflexionsfähigkeit berauben soll? Ich meine, Erdheims These, daß Individuen sich von Institutionen zu deren unbewußten Verwendung drängen lassen, verfehlt zumindest kommunikative Institutionen. Denn einem Individuum, dessen Bewußtsein ohne Orientierung an kulturellen Institutionen, an Sprache und an kulturellen Codes wäre, fiele es schwer, überhaupt komplexe Reflexions- und Kritikfähigkeit zu erlangen. Ohne die Bildung von gedanklich beruhigten Konstruktionen, die sich infolge institutionalisierter Codes ermöglichen, ist Kommunikation zwar theoretisch vollständig bewußt, praktisch aber undurchführbar, da Medium und Form, Gedächtnis und Kommunikation im zeitgleichen Bewußtseinsgrad zusammentreffen müßten. Deshalb benötigt Bildkommunikation einen institutionalisierten Rahmen, der ihr die unkritische Anschlußwahrscheinlichkeit an Wahrnehmung ermöglicht. Dieser institutionalisierte Rahmen kann nämlich für Individuen solange kognitiv unbewußt wirken, wie er als synchronisches Kulturgedächtnis so verwendet wird, als ob er ein widerstandsloses Medium für die mögliche Aufnahme von kommunikativ wirksamen Formen wäre.
Selbstverständlich passiert es gleichfalls materiellen Medien, daß lediglich deren aufgenommene Formen und weniger deren Gegenstandsbedeutung bewußtwerdende Botschaften erlangen; aber materielle Medien (z.B. Ölfarbe) unterscheiden sich von institutionalisierten Codierungen dadurch, daß sie als solche ungeformt sind. Beispielsweise setzte sich die Zentralperspektive als eine kulturelle Institution durch: sie leistet als synchronisches Gedächtnis-Medium der Aufnahme von beliebigen Formen (Sinzeichen) scheinbar keinen Widerstand. Die kulturelle Institution »Zentralperspektive« reduziert somit mögliche Komplexität auf das synchronische Gedächtnis-Medium normativ, wodurch sich die organisierte Komplexität von verwirklichten Exemplifizierungen (Sinzeichen) enorm steigern läßt, wie z.B. die Fotografie dokumentiert. Zumindest für die Perspektive kann daher gelten: kulturelle Institutionen fungieren als widerstandslose Medien, deren autoritäre Kontrollfunktion so unsichtbar scheint, daß in ihnen angeblich jede Form thematische Aufnahme findet. Diese Widerstandslosigkeit erzielte für die Zentralperspektive den Nebeneffekt, daß sie zum unkritischen Massen-Medium aufrückte, welches Individuen bei der Auswahl von wahrnehmbaren Darstellungsformen kognitiv unbewußt nutzen, doch keineswegs nutzen müssen. Infolge der institutionalisierten Möglichkeiten, die das synchronische Gedächtnis der Kultur jedem anvertraut, erlangen perspektivische Bilder ihre monosemantische Anschlußwahrscheinlichkeit an Bewußtseinssysteme. Der konsensbereite Bildner "... stellt sich darauf ein; die visuelle Kompetenz seines Publikums muß sein Medium sein" [Baxandall 1987/54]. Fiele jegliche Stabilisierung weg, wären Bewußtseinssysteme zur orientierungssuchenden Reflexion gezwungen, die jeweils aktual Sinn ohne wiedererkennbare Sinnerfahrungen generieren müßte; Reflexion schlüge ganz ohne Kontakt zu kommunikativen Institutionen, ohne synchronisches Kultur-Gedächtnis in zeitweiligen Irritationen fehl. Infolgedessen gelingt visuelle Kommunikation außerhalb aller kulturellen Institutionen ausschließlich aleatorisch. Dieser Zufälligkeit überlassen, decodiert ein Individuum den doppelten Sinn der Form unvorhergesehen und kontextlos als eigene Kreation, die selten mit Sinn- bzw. Bedeutungskontexten des Produzenten übereinstimmt, und die bei Kunstereignissen wohlweislich nicht mit Eindeutigem korrespondiert, um die Demobilisierung des Denkens abzuwehren.

Trotz allem liefe ein unkritisches Plädoyer für Institutionen fehl. Schließlich üben sich diese in der unvollendbaren Macht, den Individuen einiges an möglicher Kreativität aus dem Kopf zu schlagen. In den kulturellen Institutionen ist deshalb unvollständig vorentschieden, wie Individuen etwas darstellen werden. Nichtsdestoweniger steigert eine gewisse Institutionalisierung die individuelle Reflexionskomplexität eher, als daß sie sie beschränkt. Kommunikative Institutionen involvieren somit eine Ambivalenz: einerseits limitieren ihre Medialitäten individuelle Kreativität, um dieser zeichenwirksame Kontexte zu verleihen, wohingegen sie andererseits die emanzipatorische Relationierung in exemplifizierte Formen benötigen, um überhaupt kommunikative und damit bewußtwerdende Wirkung für Individuen zu realisieren. Zumindest für Bilder fungiert daher institutionalisierte Herrschaft als ein interpersonales Duchgangsmedium, das in Graden durch Formen verletzt werden muß, wenn kommunikative Aufmerksamkeit bewirkt werden soll. Nur das unverletzte, traditionelle Medium schweigt, wenn dessen Institutionalisierung wiederholt zur identischen Replikation kommt. Insbesondere Künstlern obliegt nicht folgende Formulierung ihres Kollegen Daniel Buren: "Wenn früher die weiße Leinwand als Medium gleichzeitig Gewähr und Hindernis war für Experimente, so ist heute die Gewähr der Institution das einzige Medium des Künstlers" [Buren 1990/325]. Burens Aussage mag für Fotografen gelten, die die automatische Perspektive als kognitiv unbewußte Institution nutzen. Andere Bildner, z.B. Video-, Graffitikünstler, verstehen es durchaus, gegen Institutionen so zu verstoßen, daß ihre Arbeiten nicht "bloß eine miserable Dekoration in den Händen der heutigen 'Künstler' ... [sein müssen], als da sind Museumsdirektoren, Ausstellungsorganisatoren, Kunstkritiker, Kunsthistoriker, Sammler ..." [Buren 1990/325].

Wenn der Gang durch die Institutionen das einzige Medium für Formulierungen wäre, dann geriete der ästhethische Ausbruch zum normativen Einbruch jeglicher kognitiven Lernbereitschaft und Individualität. Persönlichkeit ohne Individualität, Legizeichen ohne exemplifizierte Sinzeichen wären die theoretische, aber lebenspraktisch unbeobachtbare Folge. Daher adressiert sich Interpersonalität mit dem institutionalisierten Anschlußmedium, dem synchronischen Kulturgedächtnis, während sich in diesem Individualität als Kommunikativität einer aktualisierten Form mitteilt.
Diese aktualisierte Form hätte Mead [vgl. 1988/210, 216ff.] beachten müssen, als er im "me" (Legizeichen) die synchronische Perspektivenübernahme des "generalisierten Anderen" ansprach, um zu zeigen, daß das "me" die Individualsicht der einzelnen in Institutionen transzendiert. Das "me" adressiert auch für Bilder ausschließlich einen konsensuellen Bereich, den Personen aufgrund ihrer eigenen Beobachtungen der anderen normativ erwarten, um sich kommunikativ im "I" (Sinzeichen) zu exemplifizieren. Das "me" ist ein verallgemeinertes Medium. Es spricht als generalisierte Perspektive jedoch nicht und liegt auch nicht im Individuum, sondern es indiziert den konsensuellen Hintergrundbereich, das synchronische Kulturgedächtnis, von dem sich sprechende, sich äußernde Individuen eine erwartungssichere Kommunikation erhoffen. Gleichwohl ahnen sie zumindest gefühlsmäßig, daß jede aktualisierte Beobachtung und Formulierung in jenem Gedächtnis von individuellen Pertubationen und Vergessen begleitet sind. Trotzdem ist ein solch konsensueller Bereich in institutionalisierten Medien nicht die einzige Möglichkeit, wie Individuen sich kommunikativ beeinflussen. Denn nichtidentische und antikonventionelle Kunst übt kommunikativen Einfluß aus, aber selbstverständlich keinen, dessen Folgekoordinationen auch nur annähernd abzusehen wären.


----Fußnoten----

(109) Etymologisch kommt Merkmal von Mal, dessen reichhaltige Bedeutung folgendermaßen angegeben wird: 1) Schwedisch: »mål« im Sinne von "Abstecken, Abgemessenes, Maß". 2) Mittelhochdeutsch: Fleck, Zeichen, Befleckung, Sünde, Schande". 3) Und im heutigen Sprachgebrauch wird es verwendet, "um die Wiederholung einer gleichen Lage zu verschiedenen Zeitpunkten anzugeben" [Duden Etymologie 1989 Mannheim], also im Sinne eines (An-Merk-)Zeichens.


(110) Das Original lautet: "Logisch zu denken heißt in der Tat immer, in gewissem Maß, auf unpersönliche Weise denken; es heißt auch sub specie aeternitatis denken" [Durkheim 1981/583], d.h., "unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit" zu denken. Hinzuzufügen ist noch, daß eine "Unperson" gerade das Gegenteil von einer Adresse ist, die man kommunikativ erreichen könnte, da sich z.B. in »unpersönlichen« Gesprächen die Person nicht angesprochen fühlt.


(111) Sprache und auch Bilder sind kein System [vgl. Luhmann 1992/51], weil keine klare Grenze zwischen System und Umwelt per Konvention gezogen werden kann und sprachlicher und bildlicher Sinn stets vor Konventionen möglich ist. Und deshalb sind Replikabildungen der legizeichenhaften Codierung etwas, das so tut, als ob es als eine Institution und Regel zu begreifen wäre, obwohl insbesondere bei Bildern bewußtseinsmäßig mehr gelingt als instituiert war.





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