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Die begriffliche Analyse derjenigen Fähigkeit, die wir als Gedächtnis
beobachten, verursacht fortwährend theoretische Verwicklungen [hierzu
Porath 1995]. Unverfänglich und auf Bilder gemünzt, läßt
sich für diese ein kultureller Gedächtnisbegriff darauf eingrenzen,
daß man mittels Bildern etliche Informationen und ikonische Nachrichten
veranschaulicht, die ohne die mediale Existenz der Bilder nie dergestalt
in Zeiträumen überlieferbar wären. Von dieser Bestimmung
ausgehend, mag zunächst für manchen dort eine unauflösliche
Zwickmühle vorliegen, wo Gedächtnis und Unbewußtes unter
dem Dach des bisher verwendeten Kulturbegriffs zueinanderfinden. Die folgenden
zwei Gedankengänge fallen deshalb zwar mit der Tür ins Haus, aber
sie lassen zumindest die Eingangspforten erkennen, zu welchem Raum sie Zutritt
gewähren. Das erste Tor stößt Freud mit seiner Bemerkung
über psychische Systeme auf. Er konstatiert, daß das pure Wahrnehmungssystem
"... keine Fähigkeit hat, Veränderungen zu bewahren,
also kein Gedächtnis ... [besitzt]. Umgekehrt sind unsere Erinnerungen,
die am tiefsten uns eingeprägten nicht ausgenommen, an sich unbewußt.
Sie können bewußt gemacht werden; es ist aber kein Zweifel, daß
sie im unbewußten Zustand alle ihre Wirkung entfalten" [Freud
1991/530; 1961/545]. Und diese ausgeprägte Wirkung, auf die es Freud
auch im sogenannten Wunderblock (105)
ankommt, entfaltet das Gedächtnis, indem es einzelne Wahrnehmungen
eher als andere unbewußt fixiert. Vergleichbares erläuterte die
visuelle Assimilation, deren Schemata einen bildbezogenen Erkennungscode
für Individuen ermöglichen [s.S. 148].
Soweit zur Auffassung Freuds, die die Verbindung zwischen unbewußten
Gedächtnisstrukturen und Wahrnehmung in bezug auf psychische Systeme
anspricht. Das andere Tor, welches einen Eingang zur Kultur als kollektives
Gedächtnis (106)
bietet, öffnen Lotman u. Uspenskij für soziale Systeme weit. Ihres
Erachtens kann Kultur "im weitesten Sinne des Wortes ... als das [biologisch]
nicht vererbbare Gedächtnis eines Kollektivs verstanden werden, das
in einem bestimmten System von Vorschriften und Verboten seinen Ausdruck
findet" [Übers. d. A. (107)].
Diese Konzeption der »Kultur als Gedächtnis« soll sowohl
als historische Schatzkammer von Artefakten (Texten/Bildern) aufzufassen
sein als auch einen generierenden Mechanismus beinhalten, der die gegenwartsbezogene
Realisierung von Codes durch die kulturelle Vergangenheit (Sedimentierung)
beeinflußt. Mit diesem generierenden Mechanismus stehen Lotman u.
Uspenskij [vgl. 1984/28; Lotman 1990/18, 272] der Kulturkonzeption
von Max Weber [s.S. 240] nahe, da sie kulturelle Sinnstiftungen als
axiologische Geltungen (Wertparameter) beschreiben, die für gegenwärtiges
und zukünftiges Handeln bereitstehen. Daher widersprechen sie teilweise
der Speicheranalogie, die Kultur als gedächtnishafte Einlagerung darstellt.
Für sie ist vielmehr eine Konstruktivität maßgeblich, da
sie beobachten, daß die jeweiligen, kulturellen Gegenwartskonstruktionen
das Erinnerungsvermögen verändern. Die Kultur hat demzufolge zahllose
Aufgaben, sogar so viele, daß bei Lotman ein Begriff der Gesellschaft
weitgehend fehlt. Trotzdem meint er nicht ganz unberechtigt, daß die
Kultur insoweit für Gesellschaften eine Gedächtnisfunktion übernimmt,
wie Kultur dafür sorgt, daß Individuen im Erinnerungsvermögen
eines gemeinsamen Zeichenvorrats überhaupt kommunizieren können.
Doch es bleibt die Frage: Wie können Bilder eine Funktion für
das kulturelle Gedächtnis von Gesellschaften übernehmen? Dafür
muß dargelegt werden, wie ein kulturelles Bildgedächtnis verfügbar
sein kann und wie dessen Übertragungsfähigkeiten ihren Zweck für
Gesellschaft erfüllen. Die angestrebten Klärungen werden deshalb
zuerst Interdependenzen zwischen Gedächtnis und Kultur ansprechen und
später ein kulturell Unbewußtes analysieren.
Warum sollte man glauben, daß ein Bildatlas von ca. 1140 meist fotografisch
reproduzierten Bildmotiven, die zu 63 numerierten Tafeln zusammengestellt
wurden, die Funktion eines abgeschlossenen Bildgedächtnisses der Kultur
erfüllt, zumal Atlanten (Kartographien) ständigen Revisionen unterzogen
werden? Solch einen Versuch ins Riesenhafte unternahm Aby Warburg mit seinem
"Mnemosyne-Atlas". Warburgs pragmatischer Beobachtungsstand ist
zwar unwiederbringlich verloren und seit dem 2. Weltkrieg gilt auch
das originale Bildtafelwerk als verschwunden, aber dessen Sagengestalt macht
weiterhin als Beispiel eines kulturellen Gedächtnisses nachhaltigen
Eindruck [vgl. Rappl 1993]. Denn mit dem Atlas wollte Warburg nach Meinung
Gombrichs darauf hinweisen, daß "... das Bild ... im Kollektivgedächtnis
dieselbe Rolle [spielt] wie das »Engramm« im Zentralnervensystem
des Individuums. Es [sollte] ... eine Energieladung [darstellen], die durch
Berührung wirksam wird" [Gombrich 1992/381]. Wie speist aber ein
umfangreicher Bildspeicher die Erinnerung für Kollektive?
Wären beispielsweise die Archive von Fernsehsendern und Museen eine
unaufhörliche Erinnerungsmaschine? Zweifellos nicht, denn die Entleerung
jener Bildspeicher würde eine "Hoch-"Energieladung freisetzen,
deren aufgestaute Erinnerungsgewalt jede Kommunikation zwischen zur Zeit
lebenden Individuen blockiert. Wie sollten sich aber Individuen einer Kollektivität
nähern, wenn sie nicht miteinander kommunizieren, also nicht kollektiv
erinnern? Umgekehrt hätten die gedächtnishaften Stauräume,
in die insbesondere unsere Kultur archiviert wird, ihren Zweck verfehlt,
wenn sämtliche visuell kommunikativen Produkte ungesehen in ihnen gesammelt
werden würden. Denn Mitglieder einer Gesellschaft, die ihre Bilder
eigens für jene Gedächtnisdepots produzieren, kommunizieren nicht,
sondern sie pflegen meist (beispielsweise im Tal der Könige im alten
Ägypten) einen Totenkult mit einer kommunikativ einseitigen Beziehung
zum Jenseits oder zur Nachwelt, wodurch sie Gefahr laufen, daß die
Erinnerung an ihren Gedächtnisnachlaß verlorengeht. Dies ist
übrigens eine Unsicherheit und zugleich Entsorgungsweise von Lesmosyne
(gr. Lethe "(Fluß der) Vergessenheit"), der auch unsere
Kunstbilder infolge mnemotechnischer Musealisierung und betont marktstrategischer
Lagerung in Spekulationsdeponien (z.B. die Bilder von van Gogh in japanischen
Banktresoren) ausgesetzt sind. Für diese Gedächtnisdeponien bleibt
deshalb die monetär codierte Erinnerung eine letzte Hoffnung, die sich
in ferner Zeit über die Höhe des Preises und weniger über
den kommunikativen Inhalt erfüllt.
Die verstreuten Arbeiten von Warburg erschweren detaillierte Explikationen,
doch führt die Idee eines kulturellen Engramms in eine semiotische
Richtung. Diese zeichnet sich ab, sobald Engramm weniger als Erinnerungsbild
oder kartographisches Memory, sondern als segmentierte Spur eine kulturelle
Gedächtnisfunktion übernimmt. Wenn Zeichen das sozial Zeitliche
mittels materiell organisierten Kulturformen überdauern, bleibt von
ihnen zwar lediglich die segmentierte Spur, dennoch sichert diese als regelhafter
oder kultureller Stil fragmentarisch die kollektive Erinnerungsfähigkeit.
Dies meint nicht, daß Bedeutungen und Bezeichnungen identisch erinnert
werden, sondern ersteinmal, daß kultureller Sinn am unkompliziertesten
demonstrativ wird, sobald er durch eine widernatürliche Regel (Legizeichen)
indexikalische Aufmerksamkeit provoziert. Beispielsweise würde eine
Reliefplatte der Mayakultur [s.S. 243] uns nicht als kulturelle Formulierung
vorkommen, wenn sie uns im kulturellen Darstellungscode ohne Sinn der repräsentierenden
Form erscheint, weil sie stark von Natureinflüssen gezeichnet oder
in absolut allen Merkmalen einmalig ist. Ihre Gedächtnisfunktion wäre
für uns nicht zu entziffern, also vergessen. Fällt uns indessen
an der Reliefplatte etwas Kulturindizierendes auf, und entschlüsseln
wir ihren kulturellen Darstellungscode, indem wir in der fixierten Sinnstruktur
etwas als etwas sehen, so eröffnet sich der ikonische Objektbezug infolge
rhematischer Interpretation. Es wurde darauf hingewiesen [s.S. 253],
daß bei kulturverwandten Bildern vorwiegend die Bedeutungsinterpretationen
schwanken. Aber bei den kulturfremden Reliefplatten der Mayas kommen uns
sogar diverse ikonische Bezeichnungsfunktionen trotz des kulturellen Darstellungscodes
zweifelhaft vor. So mutmaßen manche, z.B. Erich von Däniken [1973/90ff.],
in einzelnen Zeichenfragmenten eine Ähnlichkeitsbeziehung zu raumfahrenden
Wesen unbekannter Welten, wohingegen andere Zahlenschreibungen in den ikonisch-symbolischen
Kopfglyphen erkennen. Aber die kulturelle Amnesie, die die monosemantischen
Ikons verschwinden ließ, zerstörte nicht alle Sinnfragmente der
Mayakultur. Einige der kulturellen Gedächtnisfunktionen sind weiterhin
intakt, da im Unterschied zu sozialen Bedeutungen etliche ikonische Bezeichnungsfunktionen
aus dem kulturellen Darstellungssinn ersichtlich sind. Der kulturelle Signifikationscode
der jahrhundertealten Reliefe tritt somit im Ikon deutlich (re-)konstruierbarer
auf als soziale Bedeutungen und symbolische Objektbezüge der Kultur.
Zum kulturellen Bildgedächtnis, dem materielle Überdauerungsfähigkeit
nur rudimentär (z.B. in Reliefplatten) gegeben ist, gehört es
banalerweise, daß seine Erinnerungsmöglichkeiten zumindest restaurierbar
sind. Was allerdings verschwindet, sind seine angestammten Beobachter, seine
zeicheninterpretierenden Gesellschaften. Luhmann hat auf den Faktor hingewiesen,
"... daß es das, was als Gedächtnis bezeichnet wird,
nur für einen Beobachter gibt" [Luhmann 1987/103 Fußn.].
Welche Beobachter gibt es aber, und was wird von ihnen im Gedächtnis
beobachtet? Vordergründig ist die Unterscheidung folgende: der Beobachter
erster Ordnung nimmt eine anwesende Umwelt visuell wahr, während der
der zweiten Ordnung sich gegenüber Zeichen kommunikativ verhält
[s.S. 111]. Von daher ist geklärt, daß, soweit Wissen kollektiv
gewußt werden soll, es eigens in den Kanälen der aktualisierten
Kommunikation fließen muß. Diese Disponibilität erlangt
ikonisches Wissen gleichfalls erst über visuelle Kommunikation: ikonisches
Wissen muß als Zeichen durchblickt werden, wenn es aus dem Bildgedächtnis
reaktiviert werden soll. Somit hängt die Gedächtnisfunktion eines
Trägermediums davon ab, wie und als was dessen Anwesenheit im "Auge"
des Beobachters als Information wahrgenommen bzw. als Nachricht kommunikativ
verstanden wird. Ich komme nach der Klärung des Gedächtniscodes
darauf zurück, daß auch ikonisches Wissen in keinem dauerhaften
Speichergedächtnis aufbewahrt werden kann, sondern in der veränderlichen
Pragmatik des gesellschaftlichen Beobachters jeweils neu konstruiert werden
muß. Festzuhalten ist: Das Erinnern des ikonischen Wissens ereignet
sich, wenn ein Bildgedächtnis in seinen kulturellen, also widernatürlichen
Darstellungscodes derart Aufmerksamkeit erregt, daß es in der Beobachtung
als eine Kommunikation verstanden wird, die ikonische Objektbezüge
thematisiert.
Im Hintergrund der dublierten Beobachterordnungen entstünde jedoch
ein Problem, falls folgende Formulierung Luhmanns zuträfe: "Das
System selbst reproduziert sich nur in der Gegenwart und braucht kein Gedächtnis"
[Luhmann 1987/103 Fußn.]. Im Sinne eines Wissens- oder Nachrichtenspeichers
ist die Behauptung berechtigt. Wir benötigen tatsächlich keine
Bildarchive, um beispielsweise die Signifikationscodes der Fernsehbilder
weiterhin zu verwenden. Und ebensowenig übernehmen Bildarchive dort
eine Gedächtnisfunktion, wo ihr ikonisches Wissen nicht in visuelle
Kommunikation umgesetzt werden kann, wo genannte Mayahieroglyphen den Einblick
in die ikonische Bezeichnungsfunktion verwehren. Das Problem entsteht vielmehr
dann, wenn die Gedächtnisfunktion von materiellen Notierverfahren (wie
sie z.B. in Bildarchiven, Museen, Kultstätten bewahrt werden) gegenüber
der von kulturellen Codes ohne Unterscheidung bleibt. Ohne erstere Mnemotechnik
des Archivs wären soziale Beziehungen zwar fortdauernd möglich,
aber ohne zweitere des Codes wäre visuelle und auch jede andere Form
der Kommunikation zumindest der restlosen Verwirrung ausgeliefert, wenn
nicht sogar vollständig undurchführbar. Der kulturelle Signifikationscode
selbst macht deshalb die kommunikative Anschlußfähigkeit als
eine synchronische Gedächtnisfunktion verläßlich. Denn verlieren
sich kommunikativ gemeinte Handlungen in diskontinuierlichen Formen, dann
wird es den betreffenden Interpreten selten gelingen, daß sie kommunikativ
gemeinte Formen von zufälligen Umweltereignissen zuverlässig unterscheiden
können. Gerät die synchronische Gedächtnisfunktion der Kultur,
der aktualisierte Signifikationscode, durcheinander, dann zieht die Übermittlung
von Nachrichten zwischen Personen zumindest keine kalkulierbare Wahrscheinlichkeit
der Verständigung nach sich. Kommunikation wäre dann ein zufälliges
Ereignis. Kommunikation ohne kulturelles Gedächtnis würde sich
deshalb mit einer unerwartbaren Kontingenz vollziehen, bei der die Mitteilung
von (ikonischem) Wissen einem äußerst zufälligen Phänomen
gleichkäme. Vergessen also Individuen die aktualisierte Struktur ihrer
Kommunikation, dann erinnern sie nicht mehr, was für sie Kommunikation
sein soll.
Abweichend zur obigen Formulierung, bemerkt Luhmann selbst undeutlich den
Unterschied: "Mit Hilfe eines Gedächtnisses können Erstvorfälle
das System binden" [Luhmann 1987/504], wodurch dieses auf weitere Ereignisse
sensibilisiert reagiert [hierzu Piaget 1974/43; Gibson 1982/274]. Zumindest
für diese evolutionäre Sensibilität des Kommunikationssystems
ist ein synchronisches Gedächtnis nötig, das einige Signifikationscodes
kultureller Verständigungsfunktionen stabilisiert. Mit diesen Signifikationscodes
ist gleichfalls ein Repertoire an deutbaren Erinnerungsmöglichkeiten
vorgegeben. Um die veränderliche Funktionstüchtigkeit des Kommunikationssystems
zeitweise zu stabilisieren, müssen allerdings auch dessen Betreiber
in der Lage sein, das jeweilig Zeitgenössische als ihren kulturellen
Signifikationscode zu erinnern oder zumindest in Margen wiederholter Gleichförmigkeit
zu (re-)konstruieren. Sicherlich ist der kulturelle Code selbst wandlungs-
und entwicklungsfähig, aber ohne eine gewisse Äquivalenzklasse,
in der Wiederholungen assoziativ als Legizeichen erkannt werden, würde
Bildkommunikation zur Aphasie neigen. Denn die Beobachter erster Ordnung
sind auch bei visueller Kommunikation darauf angewiesen, erstens den kulturellen
Darstellungscode als Anzeichen eines kommunikativen Appells zu konstruieren,
und zweitens einen teilweise wiederkehrenden Sinn im Darstellungscode zu
entziffern. Absolut ikonische Sinzeichen, die ja jede Regel vermissen lassen,
verfehlen daher jede Kollektivität; sie werden allenfalls individuell
gemerkt oder stellen vorerst Individualistisches dar. Deshalb wirkt sich
erst ein kultureller Signifikationscode als Mnemotechnik aus, denn er behält
die zeitgenössischen Thematisierungsformen bei, denen die Betreiber
des jeweiligen Codes (Legizeichen) eine wiederkehrend sinnbildende Funktion
anmerken. Somit trägt der Signifikationscode in den syntaktisch-semantischen
Thematisierungsformen ein kulturelles Gedächtnis, welches einerseits
in diachronischer Entwicklung auf die Gegenwart sowie die kommunikative
Sensibilität und Differenzierung einwirkt, aber für welches andererseits
in synchronischer Funktionserfüllung jene Diachronie auch vergessen
sein kann.
In Einzelheiten wäre das soeben erwähnte Fazit zur Synchronie
des Gedächtnisses zwar auch von Assmann u. Assmann [vgl. 1994/121ff.]
mit dem Begriff des "Funktionsgedächtnisses" berührt
worden, da eine Konkordanz in den Merkmalen (wie etwa konfigurierend, perspektivisch
rahmenbildend, sinnhaft und lebensgeschichtlich bewohnt) besteht. Jedoch
läßt man sich auf Komplikationen ein, wenn kulturelle Eigenschaften
gleichzeitig fallengelassen werden. Denn unzweideutig erfüllt der kulturelle
Signifikationscode (Stil) die Aufgabe, daß sowohl die synchronische
Funktion des Kommunikationssystems erhalten bleibt, als auch die diachronischen
Möglichkeiten einer Erinnerung von Sinn andauern. Weshalb es gleichfalls
- bei aller stimmigen Konstruktion der gedeuteten Erinnerung -
irreführend ist, wenn die diachronische Erinnerungsmöglichkeit
von jenen beiden Theoretikern als ein residuales Speichergedächtnis
beschrieben wird, dem Sinn und Struktur "abgehen" würde.
Denn für die meisten Kulturspuren der "langen" Menschheitsgeschichte
ist es unwahrscheinlich, daß wir den Sinn der Form auf kulturelle
Gedächtnisstätten [z.B. der Kultur der Mayas oder der Ägypter]
einseitig projizieren, oder die natürliche als kulturelle Wirklichkeit
"radikal konstruktivistisch" erfinden würden. Die Diachronie
des kulturellen Gedächtnisses von Bildern erinnern wir in zwei Assoziationsketten:
entweder wir nutzen assimilatorische Assoziationen, indem wir Zeichenklassen
und ikonische Bezeichnungsklassen nach unseren synchronischen Signifikationscodes
überformen, oder wir bilden akkommodierende Assoziationsketten, die
kulturell vergessene und daher ungebräuchlich wirkende Klassen (Konventionen)
[s.S. 176f.] sinnfindend als kulturellen Code konstituieren.
Insofern für Bilder die »Kultur als Gedächtnis« bezeichnet
wird, ist folglich weder die Wissensspeicherung noch die Kommunikation gemeint,
sondern der ikonische Signifikationscode. Dessen Reproduktion und kulturelle
Konvergenz ermöglichen überhaupt erst visuelle Kommunikation und
bringen diese in Gang. Diese stabilisierende Gedächtnisleistung erbringt
Kultur, sooft diese dafür Sorge trägt, daß ikonisches Wissen
in optischen Kommunikationscodes mobilisiert werden kann. Und selbst dann
hält Kultur die mnemotechnische Reserve parat, wenn ihre ursprünglichen
Beobachter verstorben sind, da gestalteter Sinn repräsentierender Form
die Interpretation von Bedeutungen ermöglicht. Dies heißt selbstverständlich
nicht, wie Assmann meint, daß das "kulturelle Gedächtnis
... den Wissensvorrat einer Gruppe [bewahrt]" [Assmann 1988c/13], sondern
daß es lernenden Beobachtern einen kulturellen Rahmen von Möglichkeiten
bietet, um ikonisches Wissen zu (re-)konstruieren. Die Erinnerungsfähigkeit,
welche in der veränderlichen Reproduktion von kulturellen Darstellungscodes
und der nachbildenden Konstruktion von optischen Nachrichten erzeugt bzw.
verwertet wird, hat ihre vorrangige Aufgabe nicht in der »Möglichkeit
zur kommunikativen Wirklichkeit«, die in der Kultur als diachronisches
Gedächtnis »etwas« von versunkenen oder vergangenen Kulturformen
erinnern läßt. Die Erinnerungsfähigkeit der aktualisierten
Kommunikation liegt in der »Notwendigkeit zur kommunikativen Wirklichkeit«
(108),
wie sie vitale Kulturen für synchronische Kommunikation und kommunikative
Anschlußfähigkeit benötigen. Denn das, was ich Kultur als
synchronisches Gedächtnis nennen möchte, tritt ebenfalls und sogar
vorrangig als figurativer Imperativ auf, sobald es subjektive Mitteilungsinteressen
(Sinzeichen) unter Androhung von Mißverständnissen in präskribierte
Rahmendefinitionen (Legizeichen) der jeweiligen Epoche und Zeit drängt.
Den letzten Zusammenhang knüpfte Maurice Halbwachs, indem er ein soziales
Gedächtnis dafür verantwortlich machte, daß historische
Gegebenheiten innerhalb der Kommunikation oder Oral History erzählerisch
überdauern. Dieser Begriff vom kollektiven, sozialen und neuerdings
auch "kommunikativen Gedächtnis" [Assmann 1994/119] trägt
zwar nicht das von mir kulturell Gemeinte, trotzdem ist "die Erinnerung
... in sehr weitem Maße eine Rekonstruktion der Vergangenheit mit
Hilfe von der Gegenwart entliehenen Gegebenheiten ..." [Halbwachs
1985/55], die im Sinne einer zu eigen gemachten "Denkungsart"
[Halbwachs 1985/3] verwendet werden. Während Halbwachs die entliehenen
Gegebenheiten, welche Erinnerungen determinieren, anteilig von sozialen
und historischen Konditionen vorbereitet sah, sind jene Gegebenheiten jedoch
lohnender als kulturelle und damit oft als historische Maßgaben zu
sehen. Kollektivität setzen gewiß beide Perspektiven voraus.
Auch wenn jedes kollektive Gedächtnis von der Sozialität seiner
Beobachter abhängt, so liegt im Sozialen doch nicht das Organ oder
Werkzeug, aus welchem historische Reminiszenzen erworben werden [vgl. Schmidt
1991a/47]. Das Soziale als Wirkungsbeziehung gibt es ausnahmslos in aktivierten
Komponenten, es läßt sich deshalb nicht selbst aufbewahren oder
irgendwo deponieren. Gleichfalls entziehen sich interpretierte Bedeutungen
der Ablagerung. Das Problem eines sozialen oder kommunikativen Gedächtnisses
für bildnutzende Gesellschaften sei noch zurückgestellt. Zumindest
sollte vage erkennbar sein, daß das soziale etwas anderes als das
kulturelle Gedächtnis meint, da sich ausschließlich letzteres
im Sinn der Formen sedimentieren und materialisieren kann.
Ein unzureichendes Argument wäre es, wollte man die Kultur als Gedächtnis
im allgemeinen dadurch klären, daß Bilder als materielle Medien
einige Zeit überdauern. Denn diese historische Gedächtnisform
betrifft lediglich die Diachronie von Kulturformen. Zwar würde deren
"versteinerter" Code eine kulturelle Erinnerung ermöglichen,
dies aber nur dann, wenn irgendeine bestehende Kultur eine vitale Gedächtnisfunktion
der Synchronie entwickelt hat. Einerseits wäre nämlich eine Gesellschaft
mit einem toten oder vergessenen Gedächtnis ohne Kultur, und andererseits
könnte sie auch kein materialisiertes Gedächtnis frei von Kulturformen
entwickeln oder verstehen. Einzig die generative Reproduktion einer bestehenden
Kultur sichert dessen Erinnerungsfunktion als Gedächtnis. Die gesuchte
Gedächtnisleistung der Kultur stützt sich folglich nicht auf die
Wiederentdeckung von seinerzeit entfallenen Artefakten. Ebensowenig betrifft
die momentan gemeinte Gedächtnisleistung die kollektiven Erinnerungen,
die in weitergereichten Erzählungen von Mythen, Lebenserinnerungen
und sonstigen Geschichten eine Zeitlang überdauern, zumal Hejl [vgl.
1991/317] mit J. Goody und I. Watt [vgl. 1981/50] zu diesem »sozialen
Gedächtnis« bemerkt, daß in schriftlosen Gesellschaften
die Erinnerungen übereinstimmender Bedeutungen wenig mehr als sechs
bis acht Generationen zurückreichen. Es wäre allerdings zu überprüfen,
ob diese Gesellschaften auch bilderlos waren, da sie anderenfalls sehr wahrscheinlich
über Erinnerungsfiguren, Denkmäler oder Gedenkbilder verfügten,
die über größere Generationsfolgen Möglichkeiten einer
Wissensaktualisierung boten. Was aber annehmbar scheint, ist, daß
jene Gesellschaften kaum alle sechs bis acht Generationen ihre Sprache,
ihre kulturellen Signifikationscodes, von Grund auf neu entwickelt haben.
Und genau in dieser Kontinuität kristallisiert sich der Erinnerungsfaktor
für Bilder: die von kulturellen Legizeichen abhängigen Ikons,
also die ikonischen Signifikationscodes, erbringen eine Gedächtnisleistung,
solange sie historisch gewachsene Kulturperspektiven in sich entwickelnden
Strukturen in eine andere Zeit tragen. In dieser Aufgabe birgt der Code
jedoch zwei Besonderheiten, die einem Gedächtnis zu widersprechen scheinen.
Die erste Eigenheit kommt dem ikonischen Signifikationscode als Gedächtnis
dort zu, wo ihm die materialisierte Hinterlassenschaft im historischen Artefakt
verweigert wird. Beispielsweise lassen die Navajo-Indianer nachfolgende
Generationen scheinbar ohne kulturelle Erbschaft zurück, wenn sie ihre
traditionellen Sandbilder für kurzzeitige Heilungsrituale mit Sand
und anderen trockenen Utensilien streuen, um die zügige Verwischbarkeit
der Zeichnungen zu gewährleisten und deren Permanenz zu vermeiden [vgl.
Hatcher 1974/24ff.; T.C. McLuhan 1985/145; Congdon-Martin 1990]. Diese situative
Darstellungsweise, die als Gedächtnis in Betrieb zu charakterisieren
ist, bedingt sich durch eine phasische Vorschrift. In dieser schreitet der
kulturelle Signifikationscode mit den jeweils aktualisierten Konstruktionen
fort, sobald seine Beobachter ihn zur situativen Kommunikation ikonischen
Wissens nutzen und verändern. Demgemäß erhält die Kultur
als synchronisches Gedächtnis den jeweiligen Status quo eines ikonischen
Signifikationscodes aufrecht, ohne daß seine Benutzer dessen Genese
erinnern und stets dessen Wandel beobachten, wie es z.B. auch beim perspektivischen
Realismus der Fernsehbilder vorkommt. Selbst Extremfälle des Vergessens,
die vollständig die Erinnerung an vergangene Sedimente verwehren, verkraftet
die synchronische Form des kulturellen Gedächtnisses, solange dessen
Funktionstüchtigkeit durch bruchlose Kommunikation erhalten bleibt.
Unter manchen Umständen ist Vergessen sogar erforderlich, weil stark
fragmentierte oder enorm pluralistische Kulturen, die jede Kulturform erinnern
wollen, ihre interpersonale Kommunikation hemmen, so daß sie zumindest
Verstehens- und gegebenenfalls Vergesellschaftungsprobleme bekommen. Kurz:
Bilder besitzen im kulturellen Stil veränderlicher Legizeichen dann
ein synchronisches Gedächtnis, wenn dessen phasischer Code eine kommunikative
Kontinuität gewährleistet, die Lernbereitschaft hinsichtlich einer
Gegenwärtigkeit durch Vergessen der Vergangenheit ermöglicht.
Aus der fortwährenden Gegenwartsnähe ergibt sich die zweite Eigenheit
der Kultur als synchronisches Gedächtnis. Diese Eigenheit rührt
daher, daß dem Beobachter die synchronische Kultur aus dem Blick gerät,
sobald deren mnemotechnische Darstellungsstruktur die selbstverständliche
Regel dafür bietet, wie etwas durch deren vertraute Perspektive kommuniziert
werden soll. Mit Aufmerksamkeit verfolgen die Beobachter nämlich kaum
den Darstellungscode, den sie oft unbewußt miterinnern, und der ihnen
das kulturelle Gedächtnis verwirklicht, wenn sie in kulturellen Darstellungskonventionen
etwas sehen oder darstellen. Und deshalb verwirklicht ihnen das synchronische
Gedächtnis der Bildkultur eine anwesende Umwelt, die sie bei passiv-wahrnehmungsmäßigem
Sehen vorkommunikativ beobachten. Exemplifizieren die Beobachter hingegen
etwas bei aktiven Kommunikationshandlungen, dann folgen sie der Kultur als
synchronischem Gedächtnis oft aus internalisierter Gewohnheit. Das
synchronische Gedächtnis ist deshalb die zweite Wahrscheinlichkeit
("Natur") des Menschen, die die Erwartungssicherheit für
Kommunikation stabilisiert. Infolgedessen stellt die Kultur als synchronisches
Gedächtnis (im Sinne der »Notwendigkeit zur kommunikativen Wirklichkeit«)
den unbeobachteten Handlungsrahmen bereit, in dem eine Schaustellung als
visuelle Kommunikation zu verstehen ist. Ansonsten fällt die Handlung
als Gedächtnisstörung auf, die zum Zwischenfall führt, bei
dem unverständige Kommunikationspartner entweder auf Erinnerung der
kulturellen Regel, also auf Einhaltung des figurativen Imperativs, drängen,
oder selbst Kreativität und Lernfähigkeit einbringen, um die Kulturform
für sich als Kommunikation zu er-sinnen. Konkret trägt dies beispielsweise
ein Porträtierter vor, wenn er meint, seine Proportionen wären
nicht "realistisch" oder vollständig unerkennbar bebildert,
weshalb er in der Illustration seiner Physiognomie kaum oder kein ikonisches
Wissen über sich wiedererkennt. So gesehen übernimmt die Kultur
als synchronisches Gedächtnis die Rolle einer "stilbildenden Macht"
[vgl. Warburg n. Gombrich 1992/359]. Denn alle Kommunikationspartner müssen
dem kulturellen Stil in einigen Graden folgen, wenn ihre bildnerischen Werke
als kommunikative Objektivationen mit einer Verständigungsabsicht beurteilt
werden sollen.
Mit dieser stilistischen »Notwendigkeit zur kommunikativen Wirklichkeit«
kündigt sich der Blickwinkel an, unter dem später die Kultur als
synchronisches Gedächtnis und das kulturell Unbewußte von Bildern
partiell kongruent sind. Denn jener Bildbetrachter des Porträts ist
sich selten bewußt darüber, daß die kulturelle Kompetenz,
über die er im Erkennungscode verfügt, über ihn verfügt,
sobald er auf der syntaktisch-semantischen Regeleinhaltung insistiert, die
er ansonsten oft vorkommunikativ hinnimmt [hierzu Bourdieu 1974/120; s.S. 146
(Erkennungscode)].
Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, daß die »Kultur
als Gedächtnis« in unteren und oberen Modi auftritt, wo sie zwei
Variationen des Unbeobachteten impliziert. Die (Bild-)Kultur als unterer,
diachronischer Gedächtnismodus verläuft sich in anwesender Umwelt,
wenn sie nicht oder noch nicht als kommunikatives Element beobachtet wird.
Hingegen kann die (Bild-)Kultur im oberen, synchronischen Gedächtnismodus
ebenfalls einen unbeobachteten Status erlangen, wenn sie die Kontinuität
einer anwesenden Bildumwelt ohne kommunikative Nachricht ermöglicht.
Im unteren Modus, wo die Erinnerungspotentialität auf ein materiell
beständiges Medium angewiesen ist, bietet die Kultur daher die »Möglichkeit
zur kommunikativen Wirklichkeit« von Zeichen, insofern alles, was
im Bild-Zeichen unbeobachtet bleibt, als visuell kommunikative Realität
vergessen ist. Von daher gibt diese Kultur als diachronisches Gedächtnis,
wie es in Warburgs Mnemosyne-Atlas, Bildarchiven, Tontafeln und sonstigen
Artefakten überdauert, die ikonischen Wissensfragmente frei, die der
konstruierende Beobachter vom Beobachtungspunkt seiner strukturellen Wahrnehmungskopplung
und Interpretationsfähigkeit gewissermaßen kreativ oder sinnfindend
einbringt. Denn erst im Wahrnehmungssystem des sinnfindenden Beobachters
entfaltet sich die kulturelle Potentialität der Diachronie zur Aktualität
einer Synchronie, d.h., es werden infolge der visuell kommunikativen Abduktion
[s.S. 149] vergessene Spezialfälle akkommodiert, wodurch diese
in synchronische Kommunikation einfließen. Somit gehört der diachronische
Gedächtnismodus, z.B. Warburgs artefaktischer Atlas, eher zur Lesmosyne,
aus deren Quelle mögliche und vergessene Sinnformen in die kulturellen
Orientierungsmaßstäbe der Gegenwart fließen. Doch lassen
solche kulturellen Sinnfindungsakte die sozialkommunikativen Bedeutungsfeststellungen
unberührt.
Wenn auch jene Kreativität eine mögliche Erinnerungsweise von
kulturellem Sinn begründet, so muß hier beachtet werden, daß
dieser mögliche, kulturelle Atavismus vielfach von der Notwendigkeit
gegenwärtiger Sinnstrukturen überformt wird. Damit ist gemeint,
daß die oben beschriebenen »Notwendigkeiten zu kommunikativen
Wirklichkeiten« [s.S. 270, 273] in starkem Maße kontrollieren,
was in beispielsweise historischen Bildern gesehen bzw. erinnert wird. Die
Kultur als synchronisches Gedächtnis beeinflußt nämlich
die Beobachtungen, die das ikonische Wissen diachronischer Möglichkeit
in Kommunikation umsetzen. Der zeitgenössische Gedächtniscode
im synchronischen Modus moduliert deshalb die Nachrichten, die der Beobachter,
sofern er die Sozialisationsmedien seiner Kultur erfahren hat, in der Kultur
als diachronisches Gedächtnis konstruieren wird. Bleibt der Beobachter
von seiner visuell kommunikativen Kompetenz gegängelt, wird er selten
den kulturellen Sinn finden, in dem die Bilder erstellt worden sind. Woraus
strenggenommen für ihn folgt, daß er gegenüber dem kulturellen
Bildgedächtnis einerseits seine eigene Unfähigkeit der Erinnerung
erfährt, und andererseits bestätigt findet, daß die optischen
Konstruktionen seiner Gegenwart die einsichtigeren Konstruktionen sind.
Beispielsweise veränderte sich unsere synchronische Kommunikationserfahrung
dahingehend, daß uns historische Bilder ohne Perspektive ein ikonisches
Wissen vermitteln, welches in seinem Nachrichtengehalt über eine optische
Wirklichkeit "wertlos" bleibt. Was mitnichten darauf hinausläuft,
daß solche Bilder wertlos seien, sondern daß diese im Inhaltsaspekt
eine Wertvorstellung vergangener Zeiten vorführen, deren realitätskonstituierende
Kraft uns entfallen ist (z.B. Höhlenmalerein, frühe indische u.
ägyptische Malereien, Holzschnitte vor dem 15. Jahrhundert). Aufgrund
dessen verlieren sie auch ihre Konnektivität zu unseren Bildern einer
Weltrepräsentation und wirken optisch anachronistisch und fiktional.
Vom Vergessen erheblich stärker betroffen ist der kommunikative Beziehungsaspekt,
der sich mit dem kulturellen Darstellungscode ausdrückt. Dessen indexikalischer
Objektbezug auf soziokulturelle Beziehungen und Emotionen, die im Bild unerkennbar
sind und nicht identisch nacherlebt oder nachemotionalisiert werden können,
muß entweder über Analogieschlüsse zur heutigen Verwendung
und lebensweltlichen Erfahrung oder über Schriftquellen konstruiert
werden. Die Rekonstruktionen, die z.B. Kunsthistoriker im symbolischen Gebrauch
der Farben Gold und Ultramarinblau leisten [s.S. 260 Fußn. 102],
bleiben jedoch symbolisch und daher nicht emotional erinnert.
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Die Formulierung der (Bild-)Kultur als Gedächtnis beantwortete die
Frage: »Wie« erinnern wir in Kollektiven »etwas«
als »etwas anderes«, so daß es von uns in einer sozialen
Bedeutung aktualisiert wird? Damit ist jedoch nicht geklärt, welche
sozialen Bedeutungen infolge des kulturellen Gedächtnisses erinnert
werden können. Der ikonische Signifikationscode als kulturelles Gedächtnis
verwirklicht zwar mögliche und notwendige Rahmen, in denen Bilder als
visuelle Kommunikation zu verstehen sind, dennoch ist unbegründet,
worin sich neben jenen kulturellen Kontexten das sogenannte soziale oder
kommunikative Gedächtnis erweisen kann. Wie steht es also um diese
mit Halbwachs [s.S. 270] angesprochene Gedächtnisfunktion, die
die Bedeutung eines Bildes für Gesellschaften bewahren soll?
Nach Halbwachs [vgl. 1985/36] bedienen sich Personen alltäglicherweise
eines "sozialen Gedächtnisses", indem sie mittels kollektiv
erarbeiteter Bedeutungen das interpretativ erinnern, was ihre Gruppenangehörigen
an historischen Erzählungen, Formeln, Chroniken, Gedenktafeln usw.
für sie hergerichtet haben. Das soziale Gedächtnis (re-)konstruiert
die historischen Bedeutungen, nach denen sich die Gruppenmitglieder bei
Interaktionen wiederholt richten, die den Mitgliedern etwas Vergessenes
ausrichten, und die alles im allem als Bedeutung konzeptualisiert werden
können. Wie dauerhaft kann eine solche Erinnerung der sozialen Bedeutungen
aber sein? Übersetzt man den Terminus "soziales Gedächtnis"
provisorisch mit »Gesellschaft als Gedächtnis«, dann verrät
dies bereits die Mortalität, die den Bedeutungen mit dem Absterben
einer Gesellschaft widerfährt. Annähernd unsterblich sind lediglich
ganz allgemeine Bedeutungen, wie z.B. die der visuellen Kommunikation mit
Bildern, die über lange Zeiträume verhältnismäßig
übereinstimmend von Gesellschaften erinnert werden, so denn deren Mitglieder
über viele Generationen weiterleben.
Infolge der Labilität von Gesellschaften ist auch deren soziales Gedächtnis
schwankend. Bilder sind daher vollständig überfordert, wenn sie
Bedeutungen über lange Zeit in ikonische Bezeichnungen identisch und
unsterblich speichern sollen. Ein solches Speichergedächtnis, in dem
die Identität der Bedeutungen bewahrt bleiben soll, existiert für
Gesellschaften notwendigerweise deshalb nicht, weil deren Mitglieder aus
ihrer Gegenwartskonstruktion heraus andere Bedeutungskontexte einbringen,
als diejenigen, die seinerzeit der Bildproduzent konstruierte. Schon die
Unbeendbarkeit iterativer Bedeutungsanalysen von Zeichen verhindert identische
Erinnerungen und historische Bedeutungsübertragung [s.S. 21].
Hinzu kommt, daß der ikonische (im Gegensatz zum symbolischen) Signifikationscode
von Bildern von sich aus rhematisch zu interpretieren ist, d.h., seine Bedeutung
folgt einem offenen Konnex, dem es an regelhaften oder eindeutigen Verknüpfungsregeln
fehlt. Deshalb können Betrachter auf die offene Bedeutung von Bildern
sowohl individuell - meist emotional motiviert - als auch kollektiv
und interpersonal verständlich reagieren [hierzu Blumer 1973/137].
Aber auch historische Bild-Symbole, z.B. ein Bild eines Papstes, erlangen
ihre Bedeutung darüber, zu welcher symbolischen Geschichte (Sprachspiel)
sich die jeweilige Gesellschaft angeregt fühlt. Bildliche Kulturformen
leisten deshalb ein soziales Gedächtnis, das Bedeutungen in halbwegs
solider Verwandtschaft intakt hält, allenfalls in derart allgemeinen
Aussagen, wie etwa die Feststellung einer kulturellen Zeichenhaftigkeit
oder, wesentlich instabiler, in unhinterfragten Etikettierungen, wie z.B.:
"Das ist der Papst", oder "das symbolisiert ihn." Womit
auch die Illusion der unsterblichen Bedeutung eines künstlerischen
Werks beendet sein sollte. Denn das soziale Gedächtnis kann nicht mit
der Lagerung oder Speicherung historischer Bilder stabil bleiben, weil es
infolge der sprachlosen Nichtsprache der Bilder unabwendbar ist, daß
die Erinnerungslosigkeit der ursprünglichen Bedeutungen einsetzt.
Die historische Instabilität der Bedeutungen liegt daran, daß
kommunikative und somit soziale Bedeutungen erst mit denjenigen Interpretationen
entstehen, die die Betrachter im jeweiligen Zeitalter vereint entwickeln,
d.h. gesellschaftsabhängig vitalisieren. Deshalb sollte es niemanden
überraschen, wenn Bilder mit langen kulturellen Traditionen und beispielsweise
private Fotos eines alten Freundes in den (emotions-)motivierten Bedeutungen
variieren. Der kulturelle Aspekt kann allerdings von solchen Bedeutungsschwankungen
unberührt bleiben, wenn er unter jeweiligem Gesichtskreis zu kommunikativen
Bedeutungen und optisch vergessenen Einblicken führt, die als ikonisches
Wissen der Vergangenheit interpretiert werden. Bildkultur speichert somit
keine Bedeutungen von ikonischem Wissen, sondern bietet regelhafte Sinnstrukturen,
die sich der jeweilige Betrachter als Information bzw. Nachricht konzeptualisieren
und erdeuten muß. Von daher betonen Hejl [vgl. 1991/324] und Luhmann
[vgl. 1992/62] zutreffend, daß es für Gesellschaften und damit
für ein soziales Gedächtnis keine materielle Speicherung von Wissen
gibt, obwohl materialisierte Kulturformen geschichtlich überdauern.
Kultur als Gedächtnis ist deshalb keine Wissensspeicherung von Bedeutungen,
sondern eine erinnerungsmögliche Darstellungsregel, deren widernatürliche
Daseinsweise auf die Bedeutungsanimation im kommunikativen Bezugsrahmen
jeweiliger Gesellschaften wartet, um eine Erinnerungskonstruktion an vergangene
Sozialstrukturen und deren Wissen zu speisen.
Es gibt jedoch Unterschiede des sozialen Gedächtnisses in Abhängigkeit
der verwendeten Kulturformen. Für eine rein mündliche Kultur ohne
zeitstabile Materialisierungen wurde gesagt, daß die historischen
Erinnerungen kaum mehr als acht Generationen zurückreichen. Indessen
können Schriftkulturen ihre Erinnerungen in einer Art archivieren,
die zwar keine Bedeutungsidentität garantiert, die aber einen wesentlich
stärker normierten Interpretationsrahmen vorgibt als eine reine Bildkultur.
Hat nämlich eine vitale Gesellschaft eine in sich verkettete Symbolcodierung
archiviert, die einer eng geregelten Syntaktik und Semantik folgt, dann
funktioniert ihr soziales Gedächtnis im Inhalt des interpretierten
Wissens vergleichsweise abgestimmter, weil sich die symbolischen Kombinationsmöglichkeiten
durch annähernde Interpretationsiterationen rasch auf wenige Bedeutungsfelder,
wenn auch nicht auf absolut eindeutige Felder eingrenzen lassen. Von einem
solchen handlungspragmatischen Minimal-Konsens gehen Mead [vgl. 1988/86ff., 108]
und Habermas [vgl. 1988b] aus, obwohl sie ihn in bezug auf synchronische
Kommunikation unrichtigerweise als kollektive Bedeutungsidentität des
"signifikanten Symbols" idealisieren. Trotzdem ist z.B. der Erfolg
von numerischen Codierungen in den Naturwissenschaften darauf zurückzuführen,
daß im Vergleich zu verbalen Symbolcodierungen der Konsens über
die Interpretationsgrenzen der mathematischen Bedeutungen verhältnismäßig
eng ist. Im Vergleich zu Bildern hält ebenso das Sprachspiel Schrift,
das als kulturelle Gedächtnisform in Büchern verkörpert ist,
die Bedeutungen im engeren Interpretationsraum. Deshalb wäre es von
uns unvernünftig, wenn wir Hejl [vgl. 1991/333] darin folgen würden,
daß vertextete Schrift ein Code sein solle, der Prozesse des Nachdenkens
und des Erinnerns völlig anspruchslos nach Gutdünken anregen würde.
Zum Nachdenken und Erinnern regt selbst das Lesen im Kaffeesatz an. Dies
ist gewiß aufmerksamkeitsheischend polemisch, aber es verdeutlicht,
warum vergesellschaftete Schrift die Interpretationsakte des Nachdenkens
und Erinnerns auf erheblich engerem Denkraum hält als viele andere
Kommunikationscodes. Unsere Gesellschaft wäre ohne Schrift zweifellos
nie an der Stufe der sozialen Evolution angelangt, auf der sie steht. Nichtsdestoweniger
widersetzen sich schriftliche Artefakte einer Bedeutungsidentität,
die nur eine einzige Interpretationsmöglichkeit zuläßt.
Ohne jede Bedeutungsidentität ist jedoch die Annahme von Habermas zu
verwerfen, daß kulturelles "Wissen ... in Form von Technologien
und Strategien" bzw. in "Theorien gespeichert" werden kann
[Habermas 1988a/447, vgl. 90; s.S. 21]. Die Speicherung von identischen
Bedeutungen ist für das soziale Gedächtnis weitestgehend undurchführbar,
weil Bedeutungsidentität bereits für synchronische Kommunikation
einem Approximationsoptimismus gleichkommt. Was bedeutet dies für das
soziale Gedächtnis einer Bildergesellschaft?
Die Bedeutung eines einzelnen Symbols läßt sich nicht aus diesem
selbst erdeuten, wenn es weder im Bild noch anderswo kontextuell mit anderen
Symbolen verbunden ist. Um die Bedeutung eines Einzelsymbols angemessen
zu verstehen, muß eine kontextuelle Einbindung vorhanden sein, die
eine Gesellschaft in komplexeren Interaktionen, wie etwa Ritualen oder Schrift
codiert hat. Denn ohne Ritual kann beispielsweise die rituelle Kunst schlechthin
nicht verstanden werden [vgl. Gehlen 1986/19f.]. Würden also kontextuelle
Bedeutungsstützen verschwinden, die eine Gesellschaft institutionalisierte,
dann ließe ein Bild lediglich eine ikonische Bezeichnung erkennen,
die zwar ihren monosemantischen Bezug durchblicken ließe, die aber
polypragmatisch im jeweiligen Gesellschaftskontext zur Bedeutung käme.
Deshalb wird eine Gesellschaft aufgrund konventionsloser Bedeutungen eine
beliebig konstruierte Vergangenheit erinnern, ohne daß für sie
kombinationslogische Widersprüche auftauchen. Aus diesem Grund schreibt
man neuerdings auch gerne Geschichte, indem man Bilddokumente heranzieht.
Solche überlieferten Bilddokumente lassen nämlich die Paramnesie
("Erinnerungstäuschung") über Bedeutungen unentdeckt,
da diese ohne Gegenargument nach zeitgenössischen Plausibilitätskriterien
vorgetragen werden können.
Jene erfinderischen Beliebigkeiten vermeiden beispielsweise archäologische
Dolmetscher des Mayacodes, indem für sie ein Symbol als "übersetzt"
und verstanden gilt, wenn dessen Bedeutung an drei verschiedenen Vertextungsstellen
annähernd konvergent ist und Sinn macht. Man weiß, wie zwiespältig
und auch phantasiert diese Bedeutungstranspositionen sein können, dennoch
sind solche Kombinationsspiele mit rein ikonischen Bildern unhaltbar, weil
keine Konventionen vorhanden sind, die die ikonische Bezeichnungs- und rhematische
Bedeutungsfunktion aus sich heraus regeln. Und frei von Interpretationsregeln
entsagt sich das ikonische Bild notwendigerweise allen projizierten Bedeutungsidentitäten.
Aufgrund dessen sind Bilder für ein soziales Gedächtnis höchst
ungeeignet. Entschiedener gesagt: eine Bildergesellschaft, deren soziale
Bedeutungserinnerung von einem kulturellen Bildgedächtnis abhängt,
ist eine Gesellschaft des Vergessens. Denn die Bedeutungen, die sie erinnern
würde, müßte sie aus einer Oraltradition rekonstruieren,
die längstens über acht Generationen bruchlos überliefert
sein könnte. Entsagen sich die Individuen außerdem der verbalen
Kommunikation untereinander, dann ist es für eine reine Bildergesellschaft
wahrscheinlich, daß eine ausgeprägte Individualisierung vorangetrieben
wird, die umfangreiche Interpretationsparallelen zwischen Personen aufhebt.
Würde beispielsweise das Internet ausschließlich Bilder übermitteln,
dann könnten schwerlich Bedeutungen in einem kollektiven Bezugsrahmen
erinnert und aktualisiert werden. Diese verhängnisvolle Tendenz bekräftigen
beispielsweise die ungeheuren Mengen privater Erinnerungsfotos und Postkartenbilder,
wie sie in privaten Schubladen und auf öffentlichen Flohmärkten
auftauchen, und von denen wohl niemand behaupten wird, sie würden interpersonal
erinnerungsfähige Bedeutungen wecken. Eine reine Bildergesellschaft
verzichtet demzufolge weitgehend auf ein soziales Gedächtnis, das einzelne
Bedeutungsparallelen über große Zeiträume erinnerungsfähig
hält. Dies macht ein unwahrscheinliches, aber trotzdem mögliches
Risiko für unsere bildgierige Gesellschaft klar, da beispielsweise
seit kurzem unkommentierte Bildnachrichten weltweit ausgestrahlt, und internationale
Zeitschriften ohne Worte (z.B. "Colors" [vgl. Kalman 1995]) angeboten
werden. Dieser televisionäre Bilderstrom ist für Gesellschaften
ein lesmosynischer Strom beschleunigter Vergessenheit kollektiv paralleler
Bedeutungen, er ist kein Strom der Mnemosyne von historischen und vergesellschafteten
Bedeutungen. Oder umgekehrt: einen Mnemosyne-Atlas, ein kartographisches
Werk mit Legende und somit eine Historie der Bilder gibt es erst, seitdem
diese von vertexteten Schriftsymbolen begleitet werden.
Eine wichtige Ergänzung ist hinzuzufügen. Eine bedeutungsvergessene
Bildergesellschaft verliert selten die formulierte Kultur als Gedächtnis.
Nämlich das, was vielfach medientheoretisch als Kulturverfall bezeichnet
wird, sollte als Gesellschaftsverfall, oder besser als Auflösung kommunikativer
Kollektivität und Verbindlichkeit, beschrieben werden. Denn ein minimaler
Konsens über die Bildbedeutungen bleibt in der Sozialstruktur zunehmend
aus und ist in Anbetracht des heutigen Reichtums an kulturellen Zeichenpaletten
außerdem unmöglich. Diese kommunikative Ausdifferenzierung hat
weniger zum Problem, daß ikonische Kulturformen in Vergessenheit geraten,
sondern im Gegenteil: unsere heutige Gesellschaft erinnert eine dermaßen
große Vielfalt an bildlichen Kulturformen, daß lediglich kleine
Gruppen interaktiv verständige Bedeutungen damit verbinden können.
Bei ständigem Zuwachs an bildlichen Kulturformen zerfällt daher
kaum die Bildkultur, sondern eher die Vergesellschaftungsmöglichkeit
über symbolische Sprachformen und die an Plausibilitätskontexten
orientierte Koordination unter den Individuen. Im Extremfall würde
eine Gesellschaft, die sich exzessiv über visuelle Kommunikation definiert,
sogar ihre sozialen Verbindlichkeiten über Bedeutungen und Werte atomisieren.
Denn emotionale und ästhetische Interpretationen [s.S. 43 (Rhema)]
verfügen über Kontingenzen, die interpersonale Interpretationserwartungen
selten normativ beschränken. Geltungssichere Bedeutung würde dann
auf einem eher zufällig passenden Gefühl zur bildlichen Sinnwelt
beruhen. Dies bringt weniger ein Sinnverlust mit sich, sondern zieht einen
Verlust an kollektiver Orientierung und Koordinationen nach sich. Im übrigen
verzichtet eine absolute Bildergesellschaft darauf - wie beispielsweise
schon archaische Bildergesellschaften - daß die Nachwelt symbolisch
gemeinte Bedeutungen auch nur annähernd in ursprünglicher Relevanz
verstehen wird, da semantische Verknüpfungsregeln für die ikonischen
Darstellungen ausbleiben.
Und dennoch können derart bedeutungsvergessene Gesellschaften die Erinnerungsfunktion
ihrer Bildkultur in diachronischen und synchronischen Ausprägungsmodi
intakt halten. Denn trotz aller Schranken, die das aktualisierte Wissen
um die versunkenen Bedeutungen begrenzen, verwirklicht der Bildbeobachter
ein ikonisches Wissen, das ohne ursprüngliche Bedeutung auskommt. Sehen
wird der Betrachter die Bilder, wenn auch assimilatorisch modifiziert, nämlich
nach wie vor. Die materiellen Bilder kommunizieren deshalb zumindest die
Kulturperspektive und das ikonische Wissen bedeutungsverschleiert über
lange Zeitspannen hinweg. Ihre optischen Nachrichten bleiben informativ
präsent und vorkommunikativ einsehbar, d.h. rein visuell decodierbar.
Und das betont nochmals den wesentlichen Unterschied zum symbolisch codierten
Wissen, denn dieses ist ohne annähernd decodierte Bedeutungen uneinsehbar,
also gänzlich unverstanden und ohne Nachricht. Das vorkommunikative
Kulturverständnis eines Bildes zieht demnach nicht notwendigerweise
auch ein kommunikatives Verständnis nach sich, wie jeder psychoanalytisch
ungeschulte Träumer oder Besucher von mnemonischen Pinakotheken und
Höhlenmalereien "weiß", weil er "nichts"
weiß [s.S. 107 Verstehen].
----Fußnoten----
(105)
Mit "Wunderblock" wird bei Freud [vgl. 1994/363ff.] die Maltafel
für Kinder benannt, die Zeichnungen mit farblosen Stift erlaubt,
indem ein farbiges Wachspapier von dem Stift an eine obere Zelluloidplatte
gedrückt wird, um den Strich sichtbar werden zu lassen. Das wichtige
ist, daß das Wachspapier alle (Mal-)Spuren behält, während
auf der Zelluloidplatte stets Zeichnungen gelöscht und neue angefertigt
werden können.
(106)
Diese psychologisch organoide Ausdrucksweise behalte ich mangels einer
passenderen bei, obwohl Gesellschaften oder soziale Systeme allein in
interaktionsfähigen Äußerungen, also außerhalb von
Individuen über die Kultur als Gedächtnis im Sinne eines Organs
("Werkzeuges") verfügen.
(107)
"In the widest sence of the word culture may be understood as non-hereditary
collectiv memory expressed in a definite system of prescriptions and prohibitions"
[Lotman u. Uspenskij 1984/3]
(108)
»Möglichkeit zur Wirklichkeit« meint die Erstheit (Qualizeichen)
als Voraussetzung zur kommunikativen Zweitheit (Sinzeichen) in der Kategorie
Erstheit. »Notwendigkeit zur Wirklichkeit« meint die Replicabildung
oder Exemplifizierung in kommunikativer Zweitheit (Sinzeichen) aus der
Drittheit (Legizeichen) in der Kategorie Erstheit.
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