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c) Zeichen |
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Unter dem pragmatischen Gesichtspunkt wird potentiell alles das zum Zeichen
erhoben, was ein Individuum als mögliches Zeichen für Zeichen
oder für irgend etwas anderes interpretiert. Was aber das Zeichen als
Begriff implizieren soll, ist selbst innerhalb der Semiotik, die sich auf Charles Sanders Peirce (2) bezieht, und ebenso
in seinen eigenen Schriften uneindeutig. Zwei der genauesten Definitionen
des Zeichens von Peirce lauten:
"A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine
triadic relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining
a Third, called its Interpretant, to assume the same triadic relation to
its Object in which it stands itself to the same Object. ... A Sign
is a Representamen with a mental Interpretant." (3) [Peirce 1960/2.274]
"A sign, or representamen, is something which stands to somebody for
something in some respect or capacity. It addresses somebody, that is, creates
in the mind of that person an equivalent sign, or perhaps a more developed
sign. That sign which it creates I call the interpretant of the first sign.
The sign stands for something, its object. It stands for that object, not
in all respects, but in reference to a sort of idea, which I have sometimes
called the ground of the representamen." (4) [Peirce 1960/2.228]
Zusammengenommen beschreiben die Definitionen folgendes: ein Zeichen kann
nur als ein solches benannt werden, wenn es in der Lage ist, einen Interpretanten
für seine Funktion und/oder für etwas anderes, für sein Objekt
hervorzurufen. In dieser Relation zu seinem Objektbezug schildert das Zeichen
keineswegs jeden Aspekt eines wirklichen Gegenstands. Es gibt bezüglich
diesem eine reduzierte Orientierung, indem es im Objektbezug nicht den Gegenstand
nochmals präsentiert oder widerspiegelt, sondern ihn in konstruierter
Hinsicht repräsentiert (5), vertritt, darstellt und kartographisch
schildert. Bilder und Zeichen sind Kartographien, die konstruierte Realitäten
einer Welt repräsentieren. Der Objektbezug des repräsentierenden
Zeichens korrespondiert demzufolge nie mit dem wirklichen Gegenstand; er
ist selbst ein vorgestellter Bezug auf diesen. Mit Eco greife ich deshalb
später den Objektbezug auch als »kulturelle Einheit« [s.S. 133]
auf, weil sich mit ihr verdeutlicht, wie Zeichen auf kulturell erzeugte
Merkmale von existenten und inexistenten Gegenständen hinweisen. Das
Objekt einer Zeichenrelation kann auch ein anderes Zeichen sein, z.B. ein
Wort, ein anderes Bild. Weder Zeichen noch Bilder sind darauf angewiesen,
daß ihre Objektbezüge an empirischer oder körperlicher Erfahrung
orientiert sind. Auch Bilder präsentieren repräsentierende Objektbezüge,
in denen allenfalls alltägliche Wahrnehmungskonstruktionen eines wirklichen
Gegenstandes wiedererkannt werden. Zwecks des einfacheren Verstehens von
Zeichen gebe ich aber manchmal den Anschein vor, als ob in Bildern stets
Objektbezüge wiedererkannt werden, die auch in der Alltagswelt schon
einmal als wirkliche Gegenstände gesehen wurden, obwohl dessen Merkmale
niemals identisch in bildlichen Kartographien aufzufinden sind. Ebensowenig,
das weiß jeder, bezeichnen Bilder stets Gegenstände, die schon
einmal irgendeine Existenz hatten.
Im weiteren geht das Zeichen eine Beziehung zum interpretierenden Individuum
ein, das während seines Erlebens, Verhaltens oder Denkens den Interpretanten
des Zeichens konstituiert. Der Interpretant beschreibt die vom Individuum
als Vorstellung und Bedeutung aktualisierte Verbindung des Zeichens mit
dessen Objekt. Ein Zeichen ist daher an das Bewußtseinserlebnis eines
Interpreten gebunden, der jene Relationen des Zeichens herstellt. Deshalb
steht das Zeichen selbst als Element (6) innerhalb einer Relation, deren zwei
andere Komponenten das repräsentierte Objekt und der Interpretant sind
[vgl. Greenlee 1973/25]. Für das vollständige Zeichen ist grundlegend,
wenn es als ein solches Sinn und Bedeutung erhalten soll, da? es die dreistellige
bzw. triadische Relation erfüllt, indem Zeichen, Interpretant und Objektbezug
untereinander in drei wechselseitige Beziehungen treten, die der Interpret
sich erschließt.
In
der beschriebenen Semiotik wird die Relation von Zeichen, Objektbezug und
Interpretant als ein Dreieck dargestellt [s.Abb. 1]. Das Zeichen steht
dort als Zeichenträger, das als materielles Mittel seine Funktion erfüllt.
Dieses Zeichenmittel tritt in Beziehung zum zweiten Korrelat, also zum vorgestellten
Objekt. Insofern stellt das Zeichen sein Objekt dar, verweist auf dieses,
aber ohne tatsächlich die Kenntnis des Gegenstandes zu vermitteln.
Ausschließlich die direkte körperliche Erfahrung des wirksamen
Gegenstandes kann - was für die kulturelle Bedeutung von Bildern
sehr weittragend wird - eine echte Kenntnis desselben vermitteln [vgl.
Peirce 1960/2.231]. Die Wirkung des Zeichens oder sogenannten Repräsentamens
ermöglicht es einem Betrachter, daß er - beispielsweise
infolge eines Bildes - eine Vorstellung vom Objekt des Zeichens entstehen
läßt. Im Blick des Interpreten evoziert hier also das Zeichen
einen Interpretanten, woraufhin es als die Bezeichnung eines semantischen
Objekts aufgefaßt und in seiner pragmatischen Bedeutungsfunktion aktualisiert
wird, um Orientierung gegenüber einem Gegenstand zu bieten. Erst die
Idee eines Interpretanten stiftet die Bedeutung eines Zeichens und dessen
bezeichnende Beziehung zum Objekt. Die Relation von Zeichen und Objekt ist
demzufolge eine Beziehung, die sowohl mit dem Interpretanten erst hergestellt
wird als auch voraussetzt, daß das Zeichenmittel sich im Sinn auf
ein Objekt bezieht, weshalb diese Relation in der Graphik gestrichelt wurde.
Zeichenmittel ohne eine "Reihe von Sinnen" [Eco 1991/92] bezüglich
eines Objekts enthalten sich ihrer Bedeutung. Um ein Zeichen in seinem Interpretanten,
in seiner Bedeutung zu verstehen, muß man also vorgängig wissen
oder zumindest enträtseln, worauf sich der Sinn des Zeichens im Objektbezug
bezieht.
Obwohl manchmal Peirce, ebenso wie viele andere Semiotiker, die ganze Zeichenrelation
[s.S. 19 Fußn. 6] als ein Zeichen benennt, werde ich zwecks
der Deutlichkeit versuchen, daß das Zeichen als materielles Mittel,
dessen Objektrelation und dessen Interpretant einer Bedeutung gesondert
angesprochen wird. Manchmal kann ich diese Eindeutigkeit nicht durchhalten,
weil der Interpretant im Bewußtsein des Menschen als scheinbares Zeichen
vorkommt und dort wieder durch einen anderen Interpretanten in seiner Bedeutung
interpretierbar wird, wie sich gleich zeigt.
In
der Peirceschen [vgl. 1960/2.303] Theorie, die auch Denken als Zeichenvorgang
beschreibt, liegt ein zentraler Ausgangspunkt darin, daß sich die
Bedeutung eines Zeichens oder eines Gedankens erst infolge eines weiteren
Zeichens oder Gedankens näher bestimmen läßt. Zumindest
im Zeichenverlauf könnte das Wort »Hund« beispielsweise
als »vierbeiniges, kläffendes Säugetier« interpretiert
werden, was wiederum als »auf vier Pfoten laufender, nichtmenschlich
jaulender Milchdrüsenwarmblüter« erklärbar wäre
usw. Wie nebenstehend schematisiert, wird in jener Zeichenabfolge ein Interpretant
von einem zweiten Interpretanten als Zeichen (Repräsentamen) aufgefaßt,
wodurch ersterer als Zeichen einer Reflexion mit neuem Objektbezug im zweiten
Interpretanten interpretiert wird. Diese Zeichenabfolge ließe sich
ohne Ende der Semiose, d.h. des Interpretationsgeschehens, fortführen.
Im Handlungszwang des Menschen bricht dieser Regreß ad infinitium
notwendigerweise ab, obwohl er theoretisch in immer allgemeineren oder scheinbar
ursächlicheren Abstraktionsklassen möglich wäre. Das iterative
Fortschreiten der Zeicheninterpretation belegt, daß zwar die Bedeutung
eines Zeichens in einem Interpretanten verstanden wird, daß aber dieser
Interpretant wiederum zum Zeichen wird, sobald die Bedeutung seiner Bedeutung
in einem nachfolgenden Interpretanten geklärt werden soll. Und damit
begründet sich der "... semiotische Beweis für die prinzipielle
Endlosigkeit jedes Interpretationsprozesses ..." [Oehler 1981/26;
vgl. Simon 1989/6; Eco 1991/92, 102]. Zeichen bedeuten also erstens nichts
anderes als Zeichen und Interpretationen von etwas anderem. Und zweitens
kann ihnen entgegen den Theorien von Habermas [vgl. 1971/189; 1988b/29],
Mead [vgl. 1988/90ff.] und Morris [vgl. 1973] keine intersubjektiv stabile
und endgültige Bedeutungsidentität zugewiesen werden, solange
gesellschaftliche "Lebenszeichen" dem definitiven Stillstand entgehen.
Dies trifft gleichfalls auf Bilder dann zu, wenn sie ausschließlich
als Zeichen behandelt werden, obwohl ihre Materialität zeitweise Vorzeichenhaftes
eröffnet. Denn zumindest ganz allgemein leistet die Materialität
von körperlich erfahrbaren Gegenständen einen Widerstand, der
einem "idealistischen Interpretationsabsolutismus" [Oehler 1994/72]
Einhalt gebietet, sobald direkte Erfahrungswirkungen der zeichenhaften Eigenrealität
kraß entgegenstehen. Die interpretative Dehnung von Zeichenketten
mißglückt daher mitunter beim idealistischen Versuch, sie in
Gegenwart von Dingen ins gummihaft Beliebige zu verformen, obwohl die Dinge
selbst in Relativität zur psychischen Konstruktion existieren.
Vor dem Hintergrund der Peirceschen Zeichentheorie formuliert Max Bense
[vgl. Walther 1974/131; Bense 1976/26ff; Peirce 1960/5.473], da? das menschliche
Bewußtsein stärker von Zeichenwelten als von einer Welt wirksamer
Gegenstände geprägt sei. Obwohl ein Individuum sich mit größerer
Aufmerksamkeit nach interpretierten Zeichen verhält und in geringerer
Aufmerksamkeit zu Gegenständen, wird eine Unterscheidung zwischen diesen
beiden Orientierungen doch notwendig, weil Bilder selbst Gegenstände
sind, auf denen sich Zeichen befinden. Zwar erscheint im Zeichen mehr als
die bare Materialität des Dings für uns, sofern es als solches
figuriert, dennoch sind Bilder sowie Zeichenmittel auf Materialität
angewiesen. Als Materialität des Zeichenmittels verstehe ich im Zusammenhang
mit Bildern sämtliche Gegenstände, Materialien, Farben, Apparate
und Instrumente, die der Bildproduktion dienen. Materialität und deren
Formen, die als Zeichen- bzw. Bildmittel bezeichnet werden, sind die Basisvoraussetzung
jeder Bildkommunikation.
Diese wirklich mit Augen und Körper erfahrbare Materialität nenne
ich im weiteren einen G e g e n s t a n d.
Infolgedessen verwende ich den Begriff des semiotischen »Objekts«
weiterhin immer dann, wenn mit einem Zeichen auf ein künstliches Objekt
oder auf einen realitätskonstruierten Gegenstand in Zeichenwelten Bezug
genommen wird. In einer solchen Situation wird unentwegt ein finaler Interpretant
des Zeichens gebildet. Der Begriff »Gegenstand« wird sich indessen
im folgenden immer mehr dahingehend bestimmen, daß er etwas kennzeichnet,
was vom Individuum nicht als triadisches Zeichen interpretiert, sondern
faktisch erlebt, empfunden und wirklich gesehen wird. Diese Unterscheidung
zwischen Gegenstands- und Zeichenwelt ist für eine soziologische Bildanalyse
unumgänglich. Es wäre eine theoretische Schwäche, wenn Sprach-
oder Zeichen-Kommunikation die einzigen Brennpunkte sein sollten, die ein
Individuum zur Welt aufnimmt. Denn für visuelle Erfahrungen oder Wahrnehmungen
ist sein Körper "... das Werkzeug all ... [seines] 'Verstehens'
überhaupt" [Merleau-Ponty 1966/275 u. hierzu Crespi 1991/112].
Das zeichenrelevante Strukturmerkmal, welches der präsenten Materialität
eines Bildgegenstandes eigen ist, gibt sich zu erkennen, sobald ein Bild
als Ganzes schon mitrepräsentiert, daß es in seiner Funktion
weitere Zeichen repräsentieren wird [vgl. Schönrich 1990/24].
Mit diesem demonstrativen Kommunikationsmerkmal erreicht das Bild den Status
eines Zeichens für die Repräsentation von optischen Zeichen. Gesetzt
den Fall, da? das zeichentragende Merkmal des Bildes unbekannt wäre,
bliebe es für ein Individuum ein flächiger Gegenstand ohne Zeichenrelevanz.
In weiterer Reduktion würde der Gegenstand Bild sogar in seinem Gegenstandsdasein
unbemerkt bleiben, sofern es dem Menschen unmöglich wäre, auch
nur eine seiner Eigenschaften, z.B. die Farbigkeit oder Härte der Fläche,
wahrzunehmen oder zu messen. In Anlehnung an die Kategorien von Peirce muß
der Betrachter eines Bildes, die aufgezeigte Abstufung wieder aufbauend,
als ein »Erstes« eine optische Eigenschaft sensorisch empfinden,
um im »Zweiten« das Bild als einen Gegenstand wahrzunehmen.
Erst in einem »Dritten« versteht er die wahrgenommenen Eigenschaften
des Gegenstandes als Zeichen für Repräsentation, um damit das
Bild in Beziehung zum veranschaulichten Objekt interpretieren zu können,
wodurch er ein Bewußtsein von Zeichen erlangt. Das Bewußtsein
eines Individuums orientiert sich nur dann mehr an einer Zeichenwelt als
an einer Welt der Gegenstände, wenn, wie mit Bense gesagt, immer ein
Drittes, also ein verbindender Interpretant konstituiert wurde.
Die Gegenstandswelt dauert in der Wirklichkeit von erfahrbaren und faktischen
Gegenständen an, die unabhängig davon existieren, wie sie durch
Zeichen dargestellt, interpretiert oder vorgestellt werden. Die innerhalb
der theoretischen Semiotik verwendete Differenzierung zwischen Realitätsthematik
und Zeichenthematik beleuchtet diese Unterscheidung zwischen der Gegenstandswelt
als Problematik der Erkenntnistheorie und Zeichenwelt als Problematik der
Zeichenwahrnehmung. Um mit der anstehenden Untersuchung auf die kommunikative
Situation von Bildern einzugehen, lasse ich die ontologische Bestimmung
des Bildes unbeachtet, da sie aus pragmatischer Weltanschauung bekannt ist.
Bilder sind für den Betrachter unbefragt vorhanden. Zu beachten bleibt,
daß für den Wahrnehmenden der Bildgegenstand einer der Kontakt-Erfahrung
sein muß, damit er als Träger von Zeichen fungieren kann. Deshalb
kann die Bildbetrachtung dort mehr ein Phänomen der Zeichenwelt als
eines der Gegenstandswelt sein, wo die ontologische Entität des bezeichneten
bzw. des veranschaulichten Sachverhalts für die kulturelle Bedeutung
von Bildern keine Rolle spielt. Insofern wird der Übergang von einer
seinsthematischen zu einer zeichenthematischen Auffassung des Bewußtseins
reduktiv abgewendet, indem die ontologische Realität veranschaulichter
Gegenstände weitgehend unberücksichtigt bleibt [vgl. zur Realitätsthematik
Bense 1976; Bense 1979].
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d) Erstheit, Zweitheit, Drittheit |
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Eine Untersuchung der Wahrnehmungs- und Kommunikationssituation von Bildern
kommt an der zeichenthematischen Auffassung des Bewußtseins nicht
vorbei. Im Bewußtsein des Individuums laufen alle Stränge der
Bildgegebenheiten zusammen. Die zeichenthematische Auffassung des Bewußtseins
baut auf drei ("universalen") Kategorien auf, die implizit in
der Triade: Zeichen (Zeichenmittel), Objektbezug und Interpretant vorausgesetzt
wurden. Ein Zeichen als Ausdrucksmittel wurde als ein Erstes bezeichnet,
welches auf ein Zweites, das Objekt, hinweist und in einem Dritten seinen
Interpretanten findet. Diese Stufenfolge basiert auf den Peirceschen Kategorien
Erstheit, Zweitheit und Drittheit, die im folgenden erklärt und für
alle weiteren Untersuchung fundamental sein werden.
Erstheit bezeichnet die Kategorie eines einstelligen Seins, das selbständig
für sich allein existiert, das weder auf etwas verweist noch hinter
etwas anderem steht; z.B. die Qualität (das Gelbliche) der gelben Farbe
an sich, die unabhängig davon vorausgesetzt wird, ob sie wahrgenommen
wird oder nicht. Mit der Erstheit beschreibt Peirce [vgl. 1960/1.302, 1.1365,
1.531] auch die Kategorie eines Unmittelbaren, das unanalysiert zu einem
Gefühl oder einer Empfindung führt, welche beide noch unverwirklichte
Möglichkeiten in der Qualität beinhalten. Die Erstheit von unverwirklichten
Möglichkeiten (Freiheiten) benennt die qualitativen Eigenschaften,
die bei visuellen Zeichen als Mittel empfunden werden. Unter dem Aspekt
des Bildes werden als Zeichenmittel alle Gegenstände, Dinge, Farben
und visuellen Ereignisse aufgefaßt, soweit sie dem Betrachterauge
allein potentiell visuelle Empfindung ermöglichen. Diese Möglichkeitsbedingungen
der visuellen Empfindung einerseits und der Qualität von Farbe und
Form andererseits beschreiben die beiden Pole, die die Erstheit von potentiellen
Bildqualitäten betreffen.
Die absolute Qualität beinhaltet eine Problematik. Sie charakterisiert
als solche kein pragmatisch verwendbares Zeichenmittel, sondern kennzeichnet
von diesem nur seine abstrakte Möglichkeit und Potentialität.
Denn ein Individuum erlangt optische Empfindungen von Qualitäten allein
der Möglichkeit nach, weil es unfähig ist, in einer undissoziierten
Erstheit irgendeine Differenz zu erfahren. Insofern hinterläßt
die visuelle Empfindung als der Stift auf dem Blatt des Bewußtseins
seine unsichtbaren Erregungszustände [vgl. Peirce 1986/109]. Ein Bewußtsein
von kommunikationsdienlichen Zeichenmitteln, dem wir optischen Informationsgewinn
zuschreiben, verwirklicht sich erst in der Wahrnehmung von Differenzen auf
der nächst höheren Stufe der Zweitheit [vgl. Peirce 1983/56; Luhmann
1987/13]. Empfindungen und Qualitäten können demnach nicht als
Wahrnehmung gelten, da wir in verwirklichter Wahrnehmung von Rot und Grün
auf bereits empfundene Qualitäten oder Eigenschaften abstraktiv schließen.
Dies betonen Peirce [vgl. 1960/1.422] sowie Merleau-Ponty [vgl. 1966/22]
ausdrücklich, wenn sie Qualitäten nicht den Status von Bewußtseinselementen
zuschreiben, sondern sie als rein abstrakte Potentialität von möglichen
Eigenschaften eines Gegenstandes beschreiben. Insofern beschreibt der Begriff
»Qualität« die abstrakte Voraussetzung, daß diverse
Möglichkeiten dafür bestehen, wie wir Bildmittel wahrnehmen und
bildliche Materialorganisationen für Informationsvermittlungen produzieren.
Definitionsexkurs: visuelle Empfindung oder Wahrnehmung?
Von visueller Empfindung läßt sich sprechen, wenn eine überschwellige
Reizenergie eine Antwort im sensorischen Apparat des Auges verursacht. Sobald
dieser Empfindungszusammenhang gemäß der individuellen Struktur
des kognitiven "Apparats" zur Gestalt gegliedert ist, kommt es
zum Bewußtsein einer visuellen Wahrnehmung. Ein Individuum kann demnach
visuelle Empfindungen [Erstheit] erlangen, ohne daß es etwas wahrgenommen
[Zweitheit] hätte oder auf etwas aufmerksam geworden wäre. Ein
weiterer Aspekt liegt darin, daß Wahrnehmung im beschriebenen Sinne
immer auch mit der unmittelbaren Überzeugung der augenblicklichen Existenz
eines Objekts verbunden ist. Mit einem Satz: Wahrnehmung ist differenzierte
Empfindung. Visuelle Empfindungen lassen sich demnach nicht sehen, sondern
nur Differenzierungen sind wahrnehmbar [s.S. 87ff.].
Peirce beschreibt hier die Kategorie der Zweitheit oder Wirklichkeit als
eine Erfahrung, die aus der Unterscheidung zwischen zwei Situationen qualitativer
Empfindung resultiert [vgl. Pape 1989/175]. Zweitheit meint hier keine Vorstellung
oder Idee, das wäre Drittheit, sondern die Aktualität der körperlichen
Erfahrung eines Gegenstandes. "Zweitheit gibt es nur, während
es sie aktual gibt. Dasselbe kann niemals zweimal passieren" [Peirce
1983/56]. Die Aktualität der Erfahrung involviert für Peirce das,
was er und auch jeder andere ganz pragmatisch als alltägliche Existenz
des Gegenstandes erleben. Insofern schichtet sich aus den möglichen
Qualitäten in der Erstheit der Gegenstand für das Subjekt dahingehend
auf, daß diesem in der Zweitheit der Gegenstand als eine körperliche
Erfahrung von Unterschieden widerfährt. Das Individuum erzeugt also
Informationen über einen Gegenstand, indem es Unterschiede der Form/Farbe
in der Materialität des Bildes wahrnimmt. So kann die Möglichkeit
der Qualität »Härte einer Wand« unbemerkt bleiben;
läuft man jedoch dagegen, wird die Qualität »Härte«
in unsere Erfahrung von deren Existenz einfließen. Zur Zweitheit gehören
daher Erfahrungen, die innerhalb spezifischer Raum-Zeit-Koordinaten reaktiv
erfolgen und die infolge individueller Differenzerlebnisse eine Wirklichkeit
erzeugen. Diese visuell wahrgenommene Wirklichkeit schreibt die Kategorie
Zweitheit dem Subjekt als unwiederholbare Erfahrung zu, weil der Gegenstand
Bild sich für das Subjekt jeweils aktual aus vorab unüberblickbaren
Möglichkeiten der Erstheit ereignet. Die subjektive Erfahrung in der
Zweitheit gehört damit nicht zur Welt der Zeichen, "... sondern
es ist eine Grenze der Welt" [Wittgenstein 1990/Nr. 5.632]. Dies meint,
daß das Subjekt zwar private Erfahrungen macht, diese aber grundsätzlich
nicht in kommunizierbare Zeichen und Bilderwelten gleichwertig überführen
kann.
Der Begriff des Subjekts kennzeichnet die Erfahrung, die zwar vermöge
dessen Bewußtseins erlebt wird, aber noch nicht im intentionalen Denken
reflektiert wurde. Erfahrung ist vielmehr das, was das Denken in Zeichen
überraschen kann. Die Erwartung einer vertrauten Erfahrung, die sich
ein Individuum erdenkt, besteht nach Peirce in der inneren Welt, welche
sein Ego ausmacht. Die äußere Welt liegt im Non-Ego einer direkten
Erfahrung von Gegenständen [vgl. Peirce 1967 II/285, 319; Karger 1981/150].
Der Unterschied zwischen Non-Ego und Ego liegt darin, daß im Ego eine
direkte Erfahrung nicht realitätsgemäß in Zeichen und Bildern
vorgestellt werden kann, woraufhin die Wahrnehmungsinhalte der Erfahrung
das Ego überraschen. Denn "nur unter Bezugnahme auf Nicht-Identität
ist es möglich, die wesensbestimmende Ambivalenz zu erfassen, die für
die Beziehung zwischen Subjekt und symbolischer [Zeichen-]Ordnung charakteristisch
ist" [Crespi 1991/114]. Mit dieser Unterscheidung wird betont, daß
sich einerseits die Identität (Ego) von kulturellen Sozialisationsmedien
ableitet, daß sich aber andererseits individuelle Erfahrungen nicht
bruchlos in sozialen Zeichen und Bilderwelten wiederfinden. Aus diesem Grund
erfüllen Bilder eine Funktion, die das Ego mit optischen Konzepten
über die Welt benachrichtigt, obwohl sich die kommunikativen Entwürfe
nicht mit der Non-Ego-Erfahrung einer realen Welt decken müssen. Das
wirksam Reale überrascht das zeichenhaft Veranschaulichte oder Gedachte.
Beispielsweise teilen Massenmedien Bildkonzepte mit, aus denen sich oft
unzutreffende Vorstellungen herleiten, die sicherlich die Migrationsbewegungen
von Ost nach West bzw. Süd nach Nord und die die Tourismusbewegungen
in Gegenrichtung partiell provozieren und lotsen. Ein Europäer hat
beispielsweise Fotografien und Filme über die indische Stadt Neu-Delhi
gesehen und möchte nun das unverdorbene Land der Maharadschas, der
duftenden Gewürze und leuchtenden Seide besuchen; er vermutet zwar
eine chaotisch anmutende Lebenspraxis der Menschen in diesem Land, dennoch
wird er aufgrund unzureichender Vorstellungskraft einen Kulturschock erfahren,
wenn er auf dem Markt von Neu-Delhi inmitten eines gewaltigen Menschenknäuels
bei 45°C im strömenden Regen neben einer anhänglichen Kuh
stehend eigentlich nur ein Brot kaufen möchte, wobei aus dem Hintergrund
zwei Fahrradrikschafahrer unablässig ihre Hilfe lautstark anbieten,
indessen der vom tüchtigen Brotverkäufer längst herbeigerufene
Freund an den Taschen zupft, um sie in sein rasselndes Taxi zu verfrachten.
Ein weniger drastisches, aber ähnliches Szenario läßt sich
im übrigen erfahren, wenn man statt Fotografien von Gemälden die
Gemälde direkt ansieht. In allen Vorfällen ist es die äußere
Welt des Non-Ego, welche die innere Welt der Vorstellungen und Erwartungen
eines besseren belehrt. Die Gedanken des Ego sind außerstande, den
realen Erfahrungen vorzugreifen, weshalb das Ego in der primären Wirklichkeitserfahrung
überrascht bleibt. Abstrakter formuliert, entsteht die Erfahrung von
Gegenständen in der Zweitheit als eine erste Differenzwahrnehmung ohne
Denken, Vorstellungen und Zeichen. Gleichfalls können Bilder in der
Wirksamkeit ihrer Gegenständlichkeit bewußt erfahren werden und
ein Ego (z.B. im Kino) überraschen.
Drittheit charakterisiert die eigentliche Kategorie der Zeichen, des reflexiven
Denkens vermittels Zeichen und der Kommunikation durch Zeichen. Sie kommt
als Realitätskonstruktion überall dort vor, wo ein Erstes mit
einem Zweiten in einer Relation zum vollständigen Zeichen verbunden
wird. Das Sein der Relation in der Drittheit besteht nach Peirce [vgl. 1960/1.342;
1983/57] darin, eine Zweitheit zu differenzieren, also zu unterscheiden
und zu bezeichnen. Diese abstrakte Beschreibung verfremdet den im gewissen
Sinne einfachen Vorgang, daß zum Beispiel das gedachte Wort Eisen
in seiner Bedeutung die Relation zwischen dem Gegenstand Eisen und der Qualität
seiner Härte herstellt, also Gegenstand und differenzierte Eigenschaft
im Begriff bezeichnet und in Beziehung setzt. Die Drittheit umschreibt grob
die Weltkonstruktionen des Ego, in der Denken, Vorstellung, Erkenntnis,
Regelhaftigkeit, Gesetzmäßigkeit und Repräsentation aufgehoben
sind, wie beispielsweise das Denken des Begriffs Eisen gezeigt hat. Als
Form der Drittheit ereignet sich Denken als relationaler Faktor einer Erkenntnis
in verbalen Begriffen, individuell motivierten Vorstellungen, Bildern und
interpretierten Zeichen, also Interpretanten. Insofern involviert jedes
vorstellend Geistige Drittheit, da hier eine Wahrnehmung aus einer Empfindungsqualität
differenziert und mit einem realitätskonstituierenden Zeichen belegt
wurde [vgl. Peirce 1985/149]. Zeichen reduzieren demzufolge die Komplexität
der Wahrnehmungswelt auf kommunizierbare Merkmale, so wie manchmal kinematographische
oder fotografische Bildzeichen von der wirksamen Wahrnehmungswelt einige
unterschiedene Aspekte kartographieren. Ohne Realitätskonstruktionen
in der Drittheit wäre eine Reduktion auf kommunizierbare Zeichen verhindert.
Folglich gilt für das reflexive Ego "..., daß ohne
bestimmte Identität Bewußtsein nicht zu denken wäre"
[Crespi 1991/118].
Reflexive Identität erreichen Individuen teils über individuell
motivierte Vorstellung und vorrangig über verallgemeinerte Vorstellungen
der kommunizierten Zeichenwelten ihrer Kultur. Was aber nicht zum Ausdruck
bringt, daß Denken bzw. Vorstellen "... einfach ein nach
innen verlegtes oder implizites Gespräch des Einzelnen ..."
[Mead 1988/86, vgl. 222] wäre, wie Mead in der Annahme von zwei Ich-Instanzen
meinte. Ein Individuum verfügt in seinem Denken nicht über zwei
Ich-Instanzen, die eine Lüge im inneren Dialog so adressieren können,
daß eine bewußte Instanz wissentlich eine Falschaussage kommuniziert,
die die andere als symbolisierte Wahrheit bewußt annimmt, ohne selbst
etwas von der Lüge zu wissen [Zur Lüge vgl. Ekman 1989]. Ein wirksam
Unbewußtes kann zwar das Bewußtsein und die bewußte Selbstbeschreibung
täuschen, aber dies wäre kein inneres Gespräch, das sich
im Zeichengebrauch durch die Möglichkeit der bewußten Falschaussage
bedingt. Etwas, mit dem man nicht lügen kann, ist kein Zeichen; man
kann mit ihm weder eine Lüge noch eine Wahrheit darstellen: "man
kann es überhaupt nicht verwenden, um »etwas zu sagen«"
[Eco 1991/26]. Wenn ein Individuum sich in seinem Denken nicht bewußt
und gleichzeitig unbemerkt belügen kann, dann kann es auch nicht innerlich
so mit sich selbst reden, wie zwei Individuen; es stellt sich das allenfalls
in Unkenntnis der Lüge, d.h. der Täuschung, so vor. Kommunikation
mittels Zeichen bleibt vom Denken infolge der Zeichen unterschieden. Und
dennoch sind kommunizierbare Zeichen von gedachten "Fiktionen (Vorstellungen)
geprägt" [Derrida 1979/111] bzw. überführen Zeichen
und "Sprache ... soziale in psychische Komplexität" [Luhmann
1987/368] und umgekehrt. Diese "Interpenetration" [Luhmann 1987/558,
566] zwischen Kommunikations- und Bewußtseinsleistungen räumt
Luhmann trotz seiner Kritik an Mead und der Vorstellung eines inneren Dialogs
ein, obwohl er den Zeichengebrauch mit Derridas Analyse des Husserlschen
Zeichenbegriffs als pure Ausdrucksfunktion begründet. Vorstellungen
sind demnach keine gegenständlichen und kommunikativen Bilder, sondern
jene werden von diesen beschrieben. Allerdings nähern sich Bilder und
Zeichen manchmal jenen Vorstellungen an, wenn sie dem Weltmodell eines vorstellenden
Ego entgegen kommen [vgl. Wittgenstein 1990/235(301.), 255(367.)].
Zusammengefaßt sollen mit Drittheit die erörterten Situationen
beschrieben sein, die sowohl das denkende Ego als auch seine kommunikativen
Äußerungen mittels Zeichen kategorisieren. Zeichen können
aus konzeptualisiertem Denken oder spontanen Reaktionen hervorgehen, sie
müssen jedoch stets aus der Drittheit als Zeichen der Kommunikation
erdeutet werden, um als solche zu fungieren. Gegenstände der ausschließlichen
Wahrnehmung [Zweitheit] sind keine Zeichen; sie sind allenfalls Wahrnehmungs-Täuschungen.
Wenn also Zweitheit die Kategorie des vorkommunikativen Subjekts und der
Non-Ego-Erfahrung umgrenzt, dann folgt daraus für kommunizierte Zeichen
und das reflektierende Ego: "Kommunikation [von Zeichen] ist die Verdrängung
des Subjekts" [Schulte 1993/111].
Die Drittheit spielt für die kulturelle Bedeutung von Bildern eine
tragende Rolle. In ihrer Kategorie figurieren Bilder als intentionale Konzeptionen
einer optisch zugänglichen Erfahrungsdarstellung, die den kulturbedingten
Zugang des Individuums zu seiner Welt in visualisierten Zeichen (Bildern)
dokumentiert. Nämlich erst in der Drittheit kann ein Zeichen erklärt,
erstellt bzw. semiotisiert werden. Zur Geltung bringt ein Individuum das
Zeichen, sobald es mit dessen Interpretanten die Relation zum Objekt vervollständigt
hat. Ein Zeichen ohne Relationierung, ohne Bezug zum Interpreten wäre
zwar ein Zeichen, aber es wäre keines, welches durch einen Menschen
als solches interpretiert wäre. Kein Zeichen entsteht unabhängig
von seinem Interpreten, der über den Interpretanten verfügt oder
bei dem er ausgelöst wird. Trotzdem sucht der Interpretant die Gültigkeit
des Zeichens zu sichern, auch wenn der Interpret sich woanders aufhält.
Ohne Drittheit, ohne einen Zeichen setzenden Menschen könnte das kulturelle
Zeichen (z.B. das Bild) zwar nicht entstehen, jedoch bleibt es bestehen,
sogar wenn es mit der menschlichen Existenz vorbei ist. Diese Beständigkeit
intendierte vermutlich die NASA, als sie ein Bild auf Nimmerwiedersehen
in den Weltraum schoß.
Bentele und Bystrina [vgl. 1978/26f.] verweisen darauf, daß Walther
[vgl. 1974/48] eine aufgefundene Tafel unrichtigerweise nicht als Träger
von Zeichen auffaßt, wenn kein Mensch den Zeichenkomplex auf der Tafel
entziffern kann. Mit einer solchen von Walther eingenommenen Haltung wären
nur wenige Kunstwerke, steinzeitliche Tontafeln oder jene besagte NASA-Tafel
noch Zeichenträger, weil für ihre Zeichenkomplexe selten vollständige
Interpretanten gefunden werden. Insbesondere bei Kunstwerken liegt ein ausgeprägter
Sinn darin, daß sie die Möglichkeit oder spontane Freiheit bieten
oder es schaffen wollen, die dargestellten Zeichen für Erfahrungen
und Interpretationen offenzuhalten. Gerade ein unverstandenes Zeichen erweckt
die Frage, wie es zu verstehen sei. Mit dieser Frage ist das Zeichen in
seiner Zeichenfunktion interpretiert, obwohl möglicherweise unverstanden
bleibt, wie dessen weitere, kommunikative Bedeutung zu interpretieren sei.
Im Anschluß an Josef Simon [vgl. 1989/39] bedeutet ein Zeichen das,
was wir von dem Zeichen verstehen, auch wenn wir nur verstehen, daß
es ein Zeichen ist. Von einer vollständigen Zeichenrelation läßt
sich sprechen, wenn die Materialorganisation des Ausdrucks- oder Zeichenmittels
[Erstheit] ein Objekt [Zweitheit] so darstellt, daß sie von jemandem
in dieser Folge interpretiert werden kann und damit Zeichenbedeutung [Drittheit]
erlangt. Dies gilt überdies, sobald das unverstandene Zeichen als Zeichen
erkannt ist, obwohl das Zeichen in diesem Fall nur seine Funktion im Objektbezug
repräsentiert. Auch ein Interpretationsversuch eines unbekannten Zeichens
verläuft in der triadischen Relation, indem jedes korrekt oder inkorrekt
interpretierte Zeichen ein Phänomen der Drittheit bleibt, welches das
Denken des Individuums involviert [vgl. Peirce 1960/2.274]. Mit dieser pragmatischen
Wendung zeigt Peirce, warum nicht das Zeichen als Mittel seine Bedeutung
erlangt, sondern erst in der Zeichenrelation von Zeichen <-> Objektbezug
<-> Interpretant in seiner Bedeutung interpretiert wird. Denken vollzieht
sich demnach in einem Dritten der interpretierten und eventuell verstandenen
Zeichen. So gewendet werden Bilder bzw. Zeichen sowie deren Objekt- und
Interpretantenbezüge im Gebrauch von Individuen bestimmt. Es waltet
deshalb absolut keine Garantie und Notwendigkeit, welche die Gültigkeit
der triadischen Zeichenrelation bis in alle Zukunft gewährleistet.
Die mannigfaltigen Bildinterpretationen von Kunsthistorikern bekräftigen,
daß Bilder (Zeichen) einen interpretativen Möglichkeitsüberschuß
aufweisen. Historiker können immer wieder anderes verstehen und interpretieren.
Infolgedessen kommen Interpretationen (Interpretanten) selbst zeitlich zustande,
gleichwohl der erfahrbare Gegenstand »Bild« (Zeichenmaterial
in seiner Zweitheit) gegen Zeitlichkeit und Interpretationen resistenter
auftritt [vgl. zu "zeitlich" Simon 1989/178; Luhmann 1992a/187f.].
Unter dem Gesichtspunkt der semiotischen Definition, welche eine logische
und ontologische Bestimmung unberücksichtigt läßt, gehören
Denken und Drittheit zur Klasse der Notwendigkeit [vgl. Bense 1976/48].
Mit Notwendigkeit ist zwar auch ein kommunikativer Code, eine erwartbare
Gesetzlichkeit von Zeichen mitgemeint, aber entscheidend ist für sie,
daß sie ein anschließbares Weitermachen impliziert, welches
das Ende von Kommunikation gerade verhindern will. Aufhören wäre
dann "... Zufall, und Weitermachen ist deshalb Notwendigkeit"
[Luhmann 1987/396]. Insofern die repräsentative Kraft mancher Zeichen
einem inhärenten - wenn auch zeitlichen - Code unterliegt,
zeigt sich in diesem Sinne die Drittheit als Notwendigkeit einer anschlußfähigen
Fortsetzbarkeit. Beispielsweise hängt die Sprache von einer solch inhärenten
Gesetzlichkeit aus Gründen der Notwendigkeit ab. Jedoch tritt desgleichen
die repräsentative Kraft eines Stuhlfotos als eine Notwendigkeit auf,
bei der sich kommunikatives Weiterführen selten zufällig ereignet.
Nahezu nie tritt der Zufall ein, daß ein Betrachter, der unserer Kultur
angehört, die optischen Eigenschaften jenes Stuhlfotos nicht als Hinweis
auf die kommunikative Realität dieses Objekts interpretiert, sofern
er die repräsentative Kraft des Bildes und die diesem eigene optische
Gesetzlichkeit (Notwendigkeit) als Zeichen versteht.
Um abschließend den Überblick zu gewährleisten, stelle ich
die bisher verwendeten Begriffe entsprechend der Kategorien wie folgt dar:
Erstheit: |
(Sinnes- oder Gefühls-) Empfindung |
Qualität |
Eigenschaft |
Möglichkeit |
Zweitheit: |
Wahrnehmung (7) in der Erfahrung/ Aktion/Reaktion |
Aktion/Reaktion auf Präsenz |
Gegenstand »Objekt« |
Wirklichkeit Existenz |
Drittheit: |
Denken/Vorstellen Zeichen/Zeichen-Interpretation |
Repräsentation Darstellung Kartographie |
Relation (Beziehung)
Zeichen |
Realität Konstruktion Notwendigkeit Regel, Code |
[In Anlehnung an die Tafel von Walther 1974/46]
Gewiß müssen die Kategorien als durchlässige Einteilungen
verstanden werden. Sie kommen als Wirklichkeit in Form von Vorstellungen
[Drittheit] über die Wirklichkeit vor. Was läßt sich mit
ihnen hinsichtlich Bildern wiedergeben? Wie jeder empfinden, erfahren und
denken kann, finden sich alle drei Kategorien in Bildern wieder. Die Semiotisierung
baut sich wie folgt auf: in der Erstheit empfindet der Betrachter eines
Bildes eine Farbe oder Form, eine Qualität also. Die Qualität
bietet ihm die Möglichkeit, ein Bild wahrzunehmen und zu erfahren [Zweitheit].
Somit kommt eine Reaktion hinzu, die ihn das Bild als wahrgenommenen Gegenstand
erfahren läßt. Bis zum Ereignis der Reaktion spielt sich eigentlich
alles so ab, als ob das Bild ein Gegenstand der Natur wäre. Wie aber
bekannt ist, stellt der Bildgegenstand ein kulturelles Zeichen dar. Es gibt
sich als ein durch Drittheit entstandenes Zeichen zu erkennen, welches Momente
der Zweit- und Erstheit in sich trägt. Drittheit ist auch nach Peirce
[vgl. 1973/135] nichts anderes als ein Synonym für Repräsentation.
Das Bild repräsentiert sich als Zeichen für die Repräsentation
von Zeichen einer visualisierten Vorstellung eines Malers beispielsweise.
Sofern der Maler alle Zeichen auf diesem Bild eigenständig gesetzt
hat, muß er über ein Zeichenrepertoire verfügen, welches
Zeichen der Erst-, Zweit- und Drittheit beinhaltet. Desgleichen verfügt
der Betrachter über ein solches Repertoire, wenn er das Bild in allen
Kategorien nachvollziehen will. Sofern im Idealfall (8) der gemalten Bilder
jeder Schritt der Bildgestaltung durch das Bewußtsein des Bildproduzenten
gelaufen ist, gibt "... es kein Zeichen ..., dessen sich
das Denken nicht bedient" [Keiner 1978/68]. Daher liegen Zeichen sowie
die Kategorien in der Natur des Geistes begründet. Peirce behauptet
somit aus gutem Grund:
"Die Idee von Zweitheit und Erstheit wird nicht nur von Drittheit vorausgesetzt
und involviert, sondern es wird nie möglich sein, irgendeine Zweitheit
oder Erstheit in dem Phänomen zu finden, die nicht von Drittheit begleitet
wird." [Peirce 1973/123]
Eine eingehende Untersuchung dieser Auffassung wäre an dieser Stelle
verfrüht, jedoch verdeutlicht sie, daß ein »Finden«
von darstellenden Zeichen allein in der Drittheit möglich ist. In gewisser
Weise läßt sich deshalb jene Auffassung auch mit der übermütigen
Picassos vergleichen, der sagte: "Ich suche nicht, ich finde."
Beide Sätze implizieren, daß das zeichenkonstituierende Bewußtsein
des Menschen selbst als eine Drittheit vorkommt. Im Sinne der Erst-, Zweit-
und Drittheit reagieren Individuen auf Gegenstände und versuchen, diese
Reaktion in unterschiedlichen Zeichen der Drittheit darzustellen oder zu
begreifen. Ausgehend von der Empfindung [Erstheit] hat ein Künstler
beispielsweise ein Perzept, das er im Wahrnehmungsurteil [Zweitheit] als
sinnliche Erfahrung anerkennt. Dennoch malt der Künstler nicht das,
was er gesehen hat, sondern das, was er innerhalb seines Denkens als die
adäquate Beschreibung des Gesehenen im weitesten Sinne betrachtet.
Insofern findet und bildet der Künstler eine "... Theorie
dessen, was gesehen werden sollte" [Peirce 1973/41]. Ähnliches
vollzieht sich in der Repräsentation einer Erfahrung und eines Gedankens.
Eine Erfahrung oder ein Gedanke wird mittels eines Zeichens so dargestellt,
wie der Künstler die Erfahrung oder den Gedanken selbst in bewußter
Erinnerung konzeptualisieren kann. Repräsentationale Darstellung setzt
demnach grundsätzlich Drittheit von Zeichen voraus.
Werden die abstrakten Kategorien nochmals zueinander in Beziehung gebracht,
enstehen folgende Verbindungen. Nicht jede Erfahrung und jede visuelle Empfindung
muß gleich von einem Denken in der Drittheit begleitet werden. Eine
visuelle Empfindung kann ganz unabhängig bestehen. Sie wird jedoch,
und dies wird sich klären, in der Erfahrung und im Denken unbemerkt
bleiben. Körperliche Erfahrung setzt eine visuelle oder sensuelle Empfindung
voraus, sie wird aber nicht notwendig vom einem Denken begleitet. Ein Gedanke
kann zwar unabhängig von einer Erfahrung und einer Empfindung entstehen,
doch erst dann, wenn ein Individuum jemals vorher eine Empfindung hatte
und daraufhin zur Erfahrung oder Wahrnehmung kam.
Für die weitere Untersuchung der kommunikativen Situation, in der Bilder
wahrgenommen und produziert werden, ergaben sich bisher folgende Ergebnisse:
- Bildgegenstände können von einem Rezipienten in der Erstheit
von Qualitäten visuell empfunden werden.
- Bildgegenstände bewirken in der Zweitheit eine körperliche Reaktion
oder Erfahrung, die das Wahrnehmungsbewußtsein des Rezipienten einschließt,
ohne daß er ein Zeichen notwendig registriert haben muß.
- In der Drittheit sind Bilder von dem Rezipienten in ihrem gedanklichen
Inhalt der Zeichen erfaßbar und erzeugen Vorstellungen/Interpretanten
von »etwas anderem«, etwas Realem oder Unrealem in kartographischen
Darstellungen.
- Sofern Bilder selbst durch Drittheit entstandene Zeichen sind, muß
der Bildproduzent über ein Repertoire an Zeichen verfügen, das
ihm gestattet, eine Erfahrung visualisiert in Zeichen darzustellen.
- Zeichen sind nicht unabhängig von Drittheit durch einen Interpreten
zu setzen, da sie nur in der dreistelligen Relation als solche fungieren
können. Potentiell kann alles zum Zeichen(-Mittel) werden, wenn ein
Interpret, also der Betrachter, irgendeine Relation zwischen Zeichen, Objektbezug
und Interpretant herstellt.
Die drei Kategorien treffen zwar deutliche Unterscheidungen zwischen einzelnen
Phänomenen der Wahrnehmung und des Verhaltens zu Zeichen, dennoch klären
sie nicht, ob sie durch die Wahrnehmungspsychologie begründet werden
können. Eine solche Untersuchung wird nach der Einführung der
Zeichen geleistet werden. Von großer Tragweite ist die Wahrnehmungspsychologie,
weil Betrachter ohne visuelle Wahrnehmung keine Reaktion auf Bilder zeigen
könnten. Daß eine solche Reaktion partiell von einer kulturgeprägten
Perzeption geleitet wird, soll dann begründet werden. Schwieriger,
aber auch schwerwiegender wird die Darlegung sein, warum selbst der Bildproduzent
und Künstler diese kulturgeprägten Perzeptionen reproduziert.
Um diese Thesen zu begründen, müssen die Zeichen differenziert
werden. Bei einer dreistelligen Relation bringt dies ein komplexes Verfahren
mit sich, aber die angestrebten Differenzierungen sind genauer als die der
Theorien, die Zeichen einzig nach Signifikant und Signifikat unterscheiden
können.
----Fußnoten---
(2) Eine kurze,
aufschlußreiche Einführung zu Peirce gibt Nagl [vgl. 1992].
(3) "Ein
Zeichen oder Repräsentamen ist ein Erstes, welches in einer solch wirklichen
triadischen Relation zu einem Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird,
um dadurch imstande zu sein, ein Drittes, das sein Interpretant genannt
wird, dahingehend zu bestimmen, daß dieselbe triadische Relation zu
seinem Objekt, in der es selbst zu dem gleichen Objekt steht, vorausgesetzt
ist. ... Ein Zeichen ist ein Repräsentamen mit einem geistigen
Interpretanten ["Interpreten"]."
(4) "Ein
Zeichen oder Repräsentamen ist etwas, welches für jemanden in
einer gewissen Hinsicht oder Fähigkeit für etwas steht. Es adressiert
sich an jemanden, d.h., es erzeugt im Bewußtsein jener Person ein
äquivalentes oder vielleicht ein weiter entwickeltes Zeichen. Das Zeichen,
welches es erzeugt, nenne ich den Interpretanten des ersten Zeichens. Das
[erste] Zeichen steht für etwas, sein Objekt. Es steht für das
Objekt nicht in jeder Hinsicht, sondern in bezug auf eine Art von Idee,
die ich manchmal den Grund des Repräsentamens genannt habe."
(5) Ich möchte
den mittlerweile umstrittenen Begriff des »Repräsentierens«
als eine Eigenschaft von Zeichen und Darstellungen beibehalten, obwohl er
auf kognitiver und jeder anderen Ebene sicherlich keiner "primitiv-naiven
Abbildtheorie" oder tatsächlichen "Abbildung der Außenwelt"
entspricht, wie Oeser [vgl. 1988/46] klarstellt. Auf der Bewußtseinsebene
meint Repräsentation modifizierte Vorstellung, »eine Art von
Idee« und kognitive Konstruktion einer Außenwelt. Auf der Kommunikationsebene
meint Repräsentation kommunikative Konstruktion einer Außenwelt,
der gegenüber repräsentierende, vertretende "Kartographien"
Orientierung bieten, ohne daß in ihnen die präsente Außenwelt
widergespiegelt wäre.
(6) Der Unterschied
zwischen Zeichenelement und Zeichenrelation könnte hier schnell überlesen
werden. Deshalb sei auf Benteles [vgl. 1984/87-91] Darstellung verwiesen,
in der er bei einigen Semiotikern (u.a. M. Bense, E. Walther,
K. Oehler) bemängelt, daß sie die gesamte Zeichenrelation
zwischen Repräsentamen, Objekt und Interpretant als ein Zeichen benennen.
Obwohl die beiden herangezogenen Zitate von Peirce Benteles Einwand, daß
das materielle Zeichen ein Element der dreistelligen Relation ist, bestätigen,
differenziert Peirce [vgl. 1960/1.540] an anderen Stellen weniger genau,
indem er dort die gesamte triadische Relation als ein einziges Zeichen benennt
[vgl. Greenlee 1973/44].
(7) Bei
Walther steht Wahrnehmung in der Erstheit. Diese Darstellung ist aus wahrnehmungspsychologischer
Sicht unrichtig, weil Wahrnehmung bereits die Widerständigkeit einer
Gegenstandsexistenz beinhaltet und auf der anderen Seite die Differenz von
zwei Empfindungen bemerkt wird, welches bereits eine Erfahrung darstellt
[vgl. Walther 1974/45; Stadler 1975/23]. Wie die fundierte Analyse der Peirceschen
Philosophie von Pape aufzeigt, ergibt sich die Wahrnehmung "... nicht
nur durch die Formung von Empfindungsqualitäten, sondern durch den
dyadischen Charakter dieser »Reaktion« selbst" [Pape 1989/191].
Aus diesem Grund sind die Wahrnehmungsurteile von Zweitheit begleitet.
(8) Auf jeden
Fall gibt es hier reichlich Ausnahmen, wie beispielsweise die expressive
Malerei oder die fotografische und elektronische Bildherstellung dokumentiert.
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1.2. Wie stellen Zeichen in Bildern
»etwas« dar? |
Inhaltsverzeichnis Anfang |
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Eine Reihe von Theorien analysiert Bilder in Analogieschlüssen zur
verbalen Sprache, z.B. Wedever [vgl. 1985] "Zur Sprachlichkeit von
Bildern". In solchen Theorien heißt es, wie sogar auch Eco [vgl. 1972/236]
schrieb, "... daß eine Photographie bereits einer langen
Reihe von Worten entspricht ..." [Bitomsky 1973/149]. Genaugenommen
meinen diese nomenklatorischen Theoretiker, die häufig die französische
Semiologie saussurescher Prägung (vage) beerben, daß die Gegenstände
oder Dinge der Welt in einer langen Reihe von Worten sprechen. Solch linguistische
Erklärungen, die Bilderwelten in Sprache transformieren und dann diese
Transformationen untersuchen, sagen selbstredend wenig über bildliche
Zeichen aus. Für die weitere Untersuchung von Bildern ist z.B. Friedrich
zu widersprechen, daß keineswegs alle Semiotiker vor und nach Saussure
"... vom logischen System der Sprache aus[-gehen], um andere Zeichensysteme
zu analysieren" [Friedrich 1994/26]. Weder ist Sprache ein System,
ein erwartbar vorgeordnetes Ganzes, noch ist sie eine komplett aussagenlogische
Ausdrucksweise, noch ist davon auszugehen, daß überhaupt die
meisten "... Kommunikationserscheinungen mit den Kategorien der
Linguistik erklärt werden können" [Eco 1972/197]. Bilder
figurieren für etwas anderes weder als Sprache noch als System [s.S. 72,
329, 301 Fußn. 111]. Im Unterschied zur verbalen Sprache,
bei der durchaus Unsystematisches (z.B. Worte, Gesten, individuelle Darstellungsstile,
Fehler) sowohl Sinn wie auch kommunikative Bedeutung erhält, wurzeln
wesentliche Merkmale von Bildern innerhalb der Möglichkeiten und Qualitäten
der Mittel, also in der unabhängigeren Wahl und augenscheinlichen Ähnlichkeit
der materiellen Gestaltung. Diese materielle Umsetzung beschreibt eine Theorie
allgemeiner Zeichen adäquater, als unzutreffende Analogien zur verbalen
Sprache und zu Systemen es vermögen.
Beispielsweise konkretisieren Verbalisierungen eine sinnliche Wiedererkennbarkeit
ausnahmslos onomatopoetisch, also lautmalerisch. Wenn ein Bild einen Hund
zeigt, der an einem Hahn vorbei geht, könnte dies in Lautmalerei übertragen
heißen: wau wau tip tap tip kikeriki. Diese Transformation wäre
aber schon stark symbolisch konventionalisiert, indessen Bilder weniger
generalisierte Formen verwenden. Eine auf die konkrete Situation bezogene,
halbkonventionelle Onomatopöie kommt recht selten vor; sie könnte
z.B. lauten: waha waha tabab tabab kokruikrui. Eine nichtkonventionalisierte
Onomatopöie wäre vorhanden, wenn ein Hörer meint, er hätte
draußen auf der Straße seinen eigenen Hahn gehört, obwohl
er simuliert wurde. Bei dieser Situation würde wahrscheinlich kaum
jemand behaupten wollen, es wäre eine Sprache im alltäglichen
Sinne gesprochen worden. Und gerade Bilder zeigen manchmal in ihrer Ähnlichkeitsbeziehung
zum Gegenstand gerade jene zuletzt genannte Situation. Sie beziehen sich
vielfach ganz konkret auf ein situatives und einzelnes Objekt, welches sie
manchmal bei ungenauem Hinsehen sogar täuschend echt als Gegenstand
imitieren. Bereits dieses Beispiel bekräftigt, daß es wenig Sinn
macht, Sprache und Bilder zu vergleichen, weil verbale Sprache bei der sinnlich
erfahrbaren Darstellung der Farben und dem Großteil aller sonstigen
singulären Objekte bzw. Töne verstummt. Sprache vermittelt nie
onomatopoetische Erlebnisqualitäten von stummen und selten welche von
geräuschvollen Gegenständen. Außerdem werden verbale Zeichen
grundsätzlich nie für eine spezielle Situation hergestellt, sondern
sie werden trotz differierender Ereignisse wiederverwendet, um etwas zu
bezeichnen. Moderne Bilder bezeichnen etwas oft situativ. Denn ihr farb-
und formmalerischer Objektbezug kann nur etwas bezeichnen, was genau so
zu existieren scheint, wie er es selbst darstellt [hierzu Morris 1973/296].
Um Bilder zu verstehen, müssen auch andere Zeichentypen berücksichtigt
werden als diejenigen, die in verbalen Sprachen vorkommen. Dies meint zweifellos
nicht, daß das Dreieck auf Seite 19 verbale Zeichentypen ignoriert
und diese nicht als vollständige Zeichenrelationen beschreibt. Jedes
Zeichen verkörpert im Mittelbezug eine Qualität, die in ihrem
Objektbezug für eine Relation steht, in der das Zeichen im Interpretantenbezug
eine Bedeutung vom Interpreten zugesprochen bekommt. Diese triadische Relation
der Zeichenbezüge, die ich jetzt auf Bilder anwende, leitet sich aus
den drei Kategorien der Erst-, Zweit- und Drittheit her. Das heißt,
Erstheit beschreibt ein Bild als »Bildqualität« seiner
materiellen Eigenschaften. Sie charakterisiert das Zeichen bezüglich
seiner syntaktischen Mittel im Mittelbezug ("Signifikant"), indem
sie unterscheidet, wie das Zeichen in Form und Material gegliedert ist.
In der Zweitheit wird das Zeichen im Bild unter dem Aspekt betrachtet, wie
es sich auf ein Objekt bezieht. Diese Beziehung umfaßt die semantische
Bezeichnungsfunktion des Zeichens. Hier wird aufgegriffen, wie das bezeichnete
und hingewiesene Objekt ("Signifikat", "Denotat") im
Objektbezug des Zeichens vorliegt, d.h., was für ein Objekt die Bezeichnung,
der Objektbezug darstellt. In der Drittheit werden die Zeichen im Bild durch
den Interpretantenbezug gemäß ihrer pragmatischen Interpretationsstruktur
der Bedeutung des Zeichens bestimmt. Mit anschaulicheren Worten: die Erstheit
charakterisiert das Bild in seiner Struktur der Farben und Formen; sie beschreibt
also, wie die Zeichen oder Bilder in ihrer Syntaktik aufgebaut sind. Die
Zweitheit charakterisiert, wie die Zeichen (Farbe, Form) sich auf ein Objekt
semantisch beziehen, z.B. durch ein Symbol oder eine nicht-symbolisch veranschaulichende
Bezeichnung. Mit der Drittheit wird darauf Bezug genommen, wie ein Interpret
den Interpretantenbezug zwischen Zeichen und Objekt herstellt oder als Bedeutung
pragmatisch interpretiert, ob er beispielsweise das Bild durch ein Gefühl
interpretiert oder ein Bild im verbalen Kontext der Kunstgeschichte versteht.
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a) Möglichkeiten der Mittel
oder Zeichen auf Bildern |
Inhaltsverzeichnis Anfang |
|
Aus der Erfahrung der Bildbetrachtung und Produktion ist bekannt, daß
Bilder auf ein Medium der materiellen Realisation angewiesen sind. Bilder
sind mittels Druckerfarbe in Zeitschriften gedruckt, mittels der Ablenkung
eines Elektronenstrahls in der Bildröhre eines Fernsehers erzeugt oder
durch das Auftragen von Pigmenten auf Leinwand hergestellt. Alle aufgezählten
Möglichkeiten von Materialorganisationen sichern kommunikative Sichtbarkeit,
indem sie sich nach den visuellen Empfindungskanälen des Menschen in
spezifischen Zeitintervallen und Stofflichkeiten richten. Die visuelle Empfindung
und die Zeichen als solche in ihrem Mittelbezug erscheinen als eine Erstheit
von materiellen Qualitäten. Insofern bietet das Zeichen als ein Erstes
die Möglichkeit, sich auf ein Objekt durch Bezeichnung zu beziehen.
Solche Möglichkeiten von Qualitäten, in denen das Zeichenmittel
oder Zeichen realisiert wird, lassen sich nach drei Klassen ihrer syntaktischen
Erscheinungsweise semiotisch ordnen.
Als allererstes muß jedes Bild eine visuelle Empfindung verursachen
können, es muß eine Farbe haben. Diese empfundene Farbe nennt
Peirce [vgl. 1960/2.243; Walther 1974/56] ein Qualizeichen. Ein Qualizeichen
ist eine Qualität, die vom Zeichen verkörpert wird. Es ist eine
Qualität, die im Farbfleck oder im Bildpunkt des Fernsehens vorkommt.
Qualizeichen sind somit Zeichen, die auf die Qualitäten eines Objekts
hinweisen. Daher verfügen Qualizeichen nicht über die Qualitäten
der wirklichen Welt, sondern über die von wirklichen Bildern. Genaugenommen
kann ein solches Qualizeichen nicht wahrgenommen werden, weil es als einzelnes
eine undifferenzierbare visuelle Empfindung erzeugt. In der wahrnehmbaren
Eigenschaft des Qualizeichens bleibt seine Qualität [s.S. 23f.]
schon vorausgesetzt, wenn der ereignishafte Charakter eines Farbflecks in
der Erfahrung festgestellt wird. Zu jedem Farbfleck und Bildpunkt gehört
die Unterscheidung, die ihnen Wahrnehmbarkeit beimißt, sobald sie
sich in Farbe, Form oder Struktur von einem Hintergrund abheben, so wie
die Stille aufgrund eines Pfeiftons bewußt wird. Ein Qualizeichen
beschreibt demzufolge die Potentialität oder Möglichkeit der Materialorganisation.
Sobald Farbflecken, -punkte und -strukturen in Bildern zu Unterscheidungen
führen, werden sie als Sinzeichen definiert "... (wobei die
Silbe sin in der Bedeutung von »nur einmal vorkommen« aufgefaßt
wird, wie singulär, simpel, Lateinisch: semel usw.) ..."
[Peirce 1983/123; vgl. 1960/2.243ff.; Walther 1974/57]. Ein Sinzeichen benennt
eine einmalig realisierte Materialorganisation, die trotz aller Regellosigkeit
als ein Zeichen zu erkennen ist. Um diese Erkennbarkeit zu erfüllen,
beinhaltet jedes Sinzeichen Qualizeichen, weil Farbqualitäten die Voraussetzung
für die wirkliche Einteilung von Farbflecken sein müssen. Beispielsweise
ist das Porträt der Mona Lisa ein Sinzeichen. In diesem singulären
Bild stehen Farbpigmente in einer Einteilung, die auf einzigartige Weise
die Mona Lisa als unwiederholtes Zeichen-Exemplar darstellt. Auch andere
Bilder der Kunst oder des Kults z.B. treten vorwiegend singulär auf.
Ihre unikale Realisation in singulären Zeichen-Exemplaren macht sie
als individuelles Sinzeichen bestimmbar, weil es von ihnen - im Gegensatz
zur Fotokopie beispielsweise - keine weiteren identischen Exemplare
gibt und geben soll. Im Sinzeichen formuliert sich somit die künstlerische
Freiheit, die eine Möglichkeit [Erstheit] zu einer subjektiven Wirklichkeit
[Zweitheit] formiert. Das Sinzeichen ist deshalb durch sein aktuales Auftreten
in Zeit und Raum definiert.
Indem sich allerdings das Bild der Mona Lisa so darstellt, als ob es dem
Code der künstlichen Perspektive folgt, betrachtet man es semiotisch
unter dem Aspekt des Legizeichen (lat. legis: das Gesetz) [vgl. Peirce 1960/2.246;
1983/124; Walther 1974/57]. Dieses kulturell konstruierte Gesetz, oder besser,
dieser Code der Zentralperspektive wird nicht nur im Bild der Mona Lisa
verwendet, sondern in sehr vielen Bildern innerhalb des Okzidents seit der
Renaissance. Insofern impliziert ein Legizeichen Quali- und Sinzeichen.
Es stellt eine Regel bereit, die die Orientierung dafür bietet, wie
einzelne Bild-Exemplare in Form eines Sinzeichens wiederholt werden können.
Ein Legizeichen benennt infolgedessen die regelhafte Materialorganisationen
des Bildmediums, die als sogenannte »Replica« im Bildexemplar/Sinzeichen
nachgeahmt oder exemplifiziert wird. Wenn Zeichen einem Code folgen, welcher
die Wiederholbarkeit relational gleichförmiger Darstellungsweisen stabilisiert,
dann sind sie Legizeichen, die sich z.B. in graphischen Konventionen materieller
Gestaltung wiederholen. Einen solchen gesetzeshaften Code gibt die Zentralperspektive
vor. Sie wurde kraft ihres unzweideutigen Hauptfluchtpunktes der optimalen
Wahrnehmung zu einem Darstellungsimperativ, der den Menschen seit der Renaissance
in einen verwissenschaftlichten Blick trieb, wodurch sich seine Individualisierung
(im Sinzeichen) bei gleichzeitiger Kollektivierung (im Legizeichen) entwickeln
konnte. Das Legizeichen drängt hier darauf, daß bildliche Veranschaulichungen
kulturellen Darstellungscodes folgen, um ad hoc visuell kommunikativen Kontakt
zum Betrachter herzustellen. Gleichfalls bleibt auch das christliche Kreuz,
welches in irgendeiner Zeit, an irgendeinem Ort und irgendwie exemplifiziert
wurde, fortwährend ein konformes Legizeichen. Desgleichen treten Verkehrszeichen
oder Buchstaben als gesetzmäßig verwendete Zeichen auf, die mit
inhärenter Selbstähnlichkeit dargestellt oder exemplifiziert sein
müssen, wenn sie ihre Bezeichnungsfunktion bewahren sollen. Legizeichen
geben demgemäß kulturelle Orientierung vor, wie die Exemplifizierung
oder Replicabildung im Sinzeichen konkretisiert werden kann, damit ein Kommunikationspartner
vergleichsweise zu regellosen Zeichen zügig an den kommunikativen Sinn
in einer Materialformation Anschluß findet.
Die dreistellige Stufenfolge der Zeichen unter dem Aspekt des Mittelbezugs
zeigt, in welcher Weise das Material geordnet sein muß, um etwas so
zu transportieren, daß es für visuelle Sinne wahrnehmbar wird.
Ohne eine materielle Realisation (Qualizeichen), bliebe beispielsweise das
christliche Kreuz im Imaginären, auf das es zwar hinweisen soll, aber
niemand könnte den Hinweis sehen. Um gesehen zu werden, muß das
Kreuz wenigstens einmal in einer Einteilung von Pigmenten zu einem Sinzeichen
aktualisiert werden. Wenn nunmehr das Kreuz als Sinzeichen immer kreuzähnlich
dargestellt wird, läßt sich diese syntaktische Konvention als
Legizeichen beschreiben. Diese drei genannten Zeichenbezüge, die als
Mittel Sichtbarkeit ermöglichen, gehören zur Kategorie der Erstheit,
indem sie Möglichkeiten der Qualitäten bieten, um sich auf ein
Objekt zu beziehen. Diese Möglichkeiten der Erstheit orientieren sich
allerdings wiederum an den drei Kategorien, was sicherlich nicht ganz einfach
nachzuvollziehen ist. Denn das Qualizeichen bezeichnet eine Erstheit in
der Erstheit, weil es nur die Möglichkeit eines Mittels benennt. Unter
diesem Gesichtspunkt taucht das Sinzeichen als Zweitheit in der Erstheit
auf, indem das Zeichen als Mittel in einer konkreten Form existiert. Und
die Drittheit in der Erstheit zeigt sich im Legizeichen dadurch, daß
ein syntaktischer Code oder eine graphische Konvention die kulturelle Notwendigkeit
einer bestimmten Farbe und Form erkennen läßt.
Der Künstler Gerhard Merz bestätigt die Unterteilung der bildnerischen
Mittel, wenn er feststellt: "Für mich gibt es nur drei Sachen
in der Bildenden Kunst: Maß, Farbe, Licht. Das sind die nackten Waffen
der Kunst; mehr ist nicht los. Kunst als Anordnungs[-not(?)]wendigkeit,
eine Grammatik innerhalb gesetzter Horizonte" [Informationsblatt zu
seiner Ausstellung in Hamburg 1992]. Semiotisch abstrahiert meint Merz,
daß er die Qualitäten Licht, Form und Farbe in Sin- bzw. Legizeichen
segmentiert, um sich innerhalb gesetzter Bezugsrahmen der Kunst mitzuteilen.
Ein "Kunst[-werk] gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar"
[Paul Klee in: Hess 1988/131]. Und ihr vergleichbar kommunizieren auch Bilder
nicht etwas Sichtbares aus der Welt, sondern beziehen sich auf etwas, was
sie innerhalb ihrer Gliederung der Zeichenmittel sichtbar machen können.
Die Welt bleibt in Bildern unsichtbar. Sie schimmert in ihnen nicht wie
durch eine transparente Folie hindurch. Was man im Bild sieht, bestimmt
sich deshalb mit der Sichtbarkeit, die zeichenhafte Bildmittel ermöglichen.
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b) Der Objektbezug von Bildern |
Inhaltsverzeichnis Anfang |
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Korrespondierend zur visuellen Wahrnehmungsfähigkeit eines Menschen
präsentieren dessen Bilder mittels Farbe, Form und Licht eine optische
Einteilung von Zeichen. Diese Bildmittel stehen oft für etwas, worauf
sie sich in ihrer Semantik, d.h. Bezeichnungsfunktion, beziehen. Das Fernsehbild
vom Nachrichtensprecher beispielsweise will im Objektbezug zeigen, wie er
zum Zeitpunkt seiner Visualisierung auf dem Stuhl im Studio sitzt und spricht.
Ebenfalls bezeichnet das Bild der Mona Lisa ein Objekt, nämlich die
Gattin des Florentiners Piero Francesco del Giocondo. Im Objektbezug bezeichnen
Zeichen auch unwirkliche oder imaginäre Dinge, die sich in der Vorstellung
des Zeichenverwenders ereignen. Sie beziehen sich z.B. auf bisher ungesehene
Sachen wie Einhörner, kriegerische Marsmenschen, schwarze Löcher,
genetische Codierungen, Atome, Engel und den Teufel. Für das kommunikative
Funktionieren eines Zeichens ist es unerheblich, ob Dinge im wirklichen
Wahrnehmungskontakt existieren oder inexistent sind. Außerdem kommt
es im Objektbezug nicht darauf an, wie etwas als Bedeutung verstanden wird,
sondern darauf, wie sich auf etwas bezogen wird. Wenn auf einen männlichen
Menschen etwa mit seinem Porträt, mit einem darauf zeigenden Finger
oder mit diesem Marssymbol _ Bezug genommen wird, dann liegen offenkundig
verschiedene Themen vor, die die Bezeichnung darlegt. Das Zeichen steht
für etwas, was es bezeichnet (signifiziert). Auf dieses Signifikat
oder Objekt "männlicher Mensch" kann in vielfältiger
Hinsicht Bezug genommen werden. Der Objektbezug des Zeichens kann zweifellos
nur das Objekt thematisieren und nicht das Kennenlernen jenes Menschen ersetzen.
Wie Barthes [vgl. 1987/37] subsumierte, offenbart das Signifikat eines Zeichens
keinen Gegenstand, keinen leibhaftigen Menschen, sondern eine »psychische«
Vorstellung von einem solchen. Der Objektbezug, das Signifikat hat seinen
Bezug nicht in der wirklichen Welt, sondern in der psychischen Vorstellung
des Betrachters, dessen interne Konstruktion ihn zur Interpretation der
externen Welt bewegt. Die Bezeichnungsweisen, wie Objekte in Zeichen vorliegen,
können mit Peirce in drei Bezügen zum Objekt unterschieden werden,
die alle in der Zweitheit stehen, weil sie eine körperlich erfahrbare
oder vorgestellte Kenntnis von Objekten bezeichnen [s.S. 19 (Dreieck)].
Den ersten Objektbezug nennt Peirce Ikon, welches sich vom griechischen
Eíkõn/Éísko (vergleiche, mache ähnlich)
herleitet [vgl. Keiner 1977/35; Peirce 1960/2.274]. Ein ikonischer Objektbezug
bezeichnet etwas mit seiner ähnlichmachenden Beziehung zum Objekt.
Ein Bildzeichen impliziert das Ikon, sobald es visuell wahrnehmbare Ähnlichkeitsrelationen
seines Objektbezugs augenscheinlich werden läßt. Das Bildzeichen
gibt mit seinem ikonischen Objektbezug also nur vor, als ob es eine dem
Objekt ähnelnde Farbe und Form repräsentieren würde. Außerdem
bezeichnet das Ikon per Ähnlichkeit sein Objekt manchmal so, daß
wir annehmen, es könnte die Präsenz eines vertrauten Gegenstandes
imitieren, weil wir in der Bezeichnung etwas wiedererkennen, was wir schon
einmal in Wirklichkeit gesehen haben. Diese Erinnerung an einen wirklichen
Gegenstand ist für die kommunikative Funktion, die das bezeichnende
Ikon per Ähnlichkeit verwirklicht, aber vollkommen unerheblich. Das
Ikon richtet eine ihm eigene Kommunikation aus. Seinen bezeichneten Inhalt
enthüllt es, sobald wir seine bezeichnende Ähnlichkeit als Sichtbarkeit
des Objekts wahrnehmen, obwohl wir eventuell ein solches Objekt niemals
vorher oder in gegenständlicher Wirklichkeit gesehen haben. Ikons in
Bildzeichen machen etwas sichtbar, ohne die Sichtbarkeit einer Wirklichkeit
widerzuspiegeln oder homöomorph (in Form und Struktur gleichgestaltig)
zu duplizieren.
Peirce meint: als Ikon erscheint ein solches, "... weil es als
ein wahrgenommenes Ding eine Idee wachruft, die naturgemäß (9) mit
der Idee verbunden ist, die das Objekt hervorrufen würde" [Peirce
1986/205]. Diese wachgerufene Idee muß keine einzige Eigenschaft eines
tatsächlich erfahrbaren Gegenstandes aufweisen. Sie benennt, daß
das bildliche Ikon im Individuum eine Vorstellung wachruft, wie diese in
ihm möglicherweise reale oder fiktionale Merkmale von Objekten evozieren
würden. Die Kongruenz eines Bildzeichens und seines ikonisch bezeichneten
Stuhls mit dem wirklichen Gegenstand Stuhl ist eine Idee, keine Faktizität.
Ein Ikon stellt demzufolge etwas anderes so dar, wie dieses andere selbst
im materiellen Bildmittel und dessen Segmentierung zu erkennen ist. Insofern
sieht Peirce an jener Stelle, an anderen aber nicht, daß Bilder und
das Ikon auf keiner faktischen Ähnlichkeitsrelation beruhen, sondern
auf einer kulturellen Idee/Vorstellung von Merkmalen einer möglichen
Ähnlichkeitsbeziehung [s.S. 316]. Die wachgerufene Idee von bildlicher
Ähnlichkeit basiert darauf, daß wir die Selbstähnlichkeit
von zeichenhaften Bildmitteln wiedererkennen und daraufhin ein bisher ungesehenes
Objekt in ihnen erkennen, oder sie basiert darauf, daß wir einen alltäglichen
Gegenstand im Bild wiedererkennen und erst danach erkennen, daß wir
keinen Gegenstand, sondern ein Bild von ihm wiedererkannten.
In Abweichung zu den semiotischen Schriften von Peirce und zu denen, die
sich darauf beziehen, erfüllt ein Bildzeichen seine Bestimmung als
Ikon pragmatisch, sobald Ähnlichkeitsurteile einem optischen Wiedererkennen
folgen. Ohne Wiedererkennen, wie sich noch zeigt [s.S. 147f.], bahnen
sich keine ikonischen Ähnlichkeitsbezüge an. Ikonische Ähnlichkeit
generiert ein Interpret deshalb erstens dann, wenn er die optische Struktur
des Bildmittels wiedererkennt, um etwas ikonisch zu erkennen, oder zweitens
dann, wenn er in einem Gegenstand etwas von etwas anderem ikonisch wiedererkennt.
Erst kraft der Wiedererkennung kann etwas zum (ikonisch bildlichen) Zeichen
seiner Funktion oder zum (ikonisch bildlichen) Zeichen für etwas anderes
werden [s.S. 8 (zweite Prämisse der Bilddefinition)].
Ikonische Bilder können zwar im logischen Sinne weder wahr noch unwahr
sein, weil Unähnlichkeit nicht als negierte Ähnlichkeit gelten
kann und zudem keineswegs irgend etwas anderes als das Präsente optisch
mitteilt. Desto mehr können ikonische Bilder, die eine Idee von Ähnlichkeit
wiedererkennen lassen, jedoch täuschen. Denn im ikonischen Objektbezug
sind Qualitäten (10) repräsentiert, von denen ein Betrachter es im
Fall von Bildern für möglich hält, sie könnten solch
"täuschend" ähnliche Empfindungen erzeugen, wie sie
ein wirklicher Gegenstand oder visionäres Objekt womöglich selbst
verursachen könnte. Wenn Bilder, die der Betrachter im Augenschein
nachkonstruiert, irgendwie einem Objekt ähneln könnten, dann befördern
sie eine ikonische Bezeichnung konstant positiver Ähnlichkeit. Insofern
kennzeichnet der ikonische Objektbezug die Möglichkeit für eine
dem Gegenstand ähnelnde Erfahrung. Beispielsweise ermöglicht ein
Bild von einer schönen Landschaft eine wiedererkennbare Anschauung,
die vorgibt, sie sei der Landschaft ähnlich.
Bereits hier präzisiert sich in ersten Schritten, wie das Bildhafte
am Bild infolge seines ikonischen Objektbezugs sichtbar wird. Die ikonische
Wiedererkennbarkeit verlangt vom Betrachter, daß ihm eine große
Vertrautheit mit den bildlichen Repräsentationsformen seiner Kultur
zu eigen wird. Der ikonische Objektbezug, der in seinen ästhetischen
Bezügen vielfältig dimensioniert sein kann, impliziert eine Fähigkeit
der Nachempfindung, die der Betrachter am Bild selbst entwickelt. Je größer
die Kohärenz der Lebensformen von Bildproduzent und Rezipient allerdings
ist, um so leichter wird letzterer die ikonische Darbietung visuell verstehen.
Nimmt die Kohärenz ab, erfordert dies vom Betrachter ein stärkeres
Assoziationsgeschick. Er muß sich ersinnen, worauf sich das Bild ikonisch
bezieht. Im Anschluß an Wollheim [vgl. 1982/114ff.; Knobeloch 1988/156]
erfordert das Verstehen von ikonischen Zeichen ein Können, das im Training
visueller Wahrnehmungs- und Wiedererkennungsfähigkeit innerhalb einer
Bildkultur erworben wird. Wo Assoziationen durch augenblickliches Verstehen
ersetzt werden, wo die Ähnlichkeit des Zeichens zu seinem ikonischen
Objekt sofort erkannt wird, dort ist das ikonische Zeichen ein Teil einer
äußerst gut vertrauten Bildkommunikation.
Im Unterschied zum Ikon beschreibt der Index einen Objektbezug, bei dem
das Objekt nicht per Ähnlichkeit, sondern im hinweisenden, gestischen,
anzeigenden und messenden Sinn bezeichnet wird. Die Zeichen Rauch und Hitze,
die aus einer Feuersbrunst herrühren, besitzen einen indexikalischen
Objektbezug, weil dieser kraft einer wirklichen Verbindung zum Flammenmeer
"... den Geist dazu zwingt, sich mit diesem Objekt zu befassen"
[Peirce 1986/206; vgl. 1960/2.305; 1983/65]. Diese kausale Verbindung vom
Zeichen zu seinem indexikalischen Objekt gibt zumindest vor, als sei sie
auf das interpretierte Objekt empirisch zurückzuführen, obwohl
möglicherweise der indizierende Rauch auf Rauchbomben beruht. Auch
bei Fehlinterpretationen zeigt das Zeichen im indexikalischen Objektbezug
stets eine kausale und wirksame Verbindung an. Insofern weist ein Index
auf etwas Singuläres hin, was seine Generalisierungskraft im Vergleich
zum Ikon vermindert. Ein Index erfordert, daß er selbst wie ferner
das indizierte Objekt für eine persönliche Erfahrung ausprobierbar
vorhanden sein soll, z.B. ein Dreieck, welches auf eine Gefahr aufmerksam
macht, Rauch, der Feuer indiziert, oder ein Fieberdiagramm, das Meßwerte
eines Thermometers darstellt. Jeder optische Index teilt auf Grund von Konventionen
oder von erlernten Erfahrungen mit natürlichen Wahrscheinlichkeiten
etwas mit. Einen Index trägt ebenfalls das fotografische Lichtbild.
Dessen reaktive Oberfläche spricht auf Wechselwirkungen mit Lichtintensität
an, wodurch es kraft des technisierten Zwangs eine direkte und singuläre
Verbindung zur Wirklichkeit ausmißt. Obwohl Lichtbildnerei auch ikonische
Momente beinhaltet, scheint gerade der indexikalische Bezug zur der (früher
für göttlich gehaltenen) Lichtseite physikalischer Wirklichkeit
ein großes Interesse beim Betrachter zu erwecken. Die andere Seite
physikalischer Wirklichkeit, also die (teuflische?) Dunkelheit findet in
der Lichtbildnerei keine Berücksichtigung. Daß die fotografische
Wirklichkeitsbeschreibung vom Licht dem Unerfahrenen nicht die "wahre"
Realität vermittelt, zeigte das Beispiel des Touristen in Indien [s.S. 25].
Aufgrund ihrer Unerfahrenheit wollen so viele Leute Bilder von Toten sehen,
weil sie das Reich des Todes und des Dunkels nicht ohne Umstände besuchen
können. Welchen Motivationen die Bildbetrachtung jedoch unterliegt,
wird noch beantwortet werden.
Im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Objektbezügen ist die Bestimmung
des Symbols allgemein bekannter. Ein Symbol teilt etwas unabhängig
von Ähnlichkeit oder direkter Verbindung zu seinem Objekt mit. In ihm
ist das Objekt vollständig unabhängig von dessen Existenz bezeichnet,
also gänzlich arbiträr ("beliebig") benannt, so wie
die verbale Sprache ihre Objekte symbolisiert. Im kommunikativen Geschehen
fungiert das Symbol als ein Objektbezug, der Kraft eines Codes, d.h. in
stark konventionalisierter Weise, einige Merkmale eines Objekts benennt,
um so meist bekannte Assoziationen von allgemeinen Ideen in bezug auf das
Objekt zu erwecken [vgl. Peirce 1960/2.247]. Beispielsweise symbolisiert
das Zeichenmittel des christlichen Kreuzes das Christentum oder eine Sonnenuhr
die Zeitmessung, obwohl die Zeit von indizierenden Zeigern (Schattenwürfen)
abzulesen ist. Symbole messen nichts, auch nicht die Zeit. Aufgrund der
großen Generalisierungskraft sind Symbole oft in Bildern aufzufinden,
weil sie ihre Sinnorientierung nicht aus sozialkonstruierter Ähnlichkeit
zur Welt oder direkter Erfahrbarkeit einer Wirklichkeit erhalten, sondern
aus den sozialen Konstruktionen der verbalen (diskursiven) Symbole. Symbole
können weitgehend, jedoch nicht vollständig unabhängig von
jenen beiden vorgängigen Weltbezügen konstruiert werden. Nichtsprachliche
Hinweise auf vorsprachliche Weltkonstruktionen setzt die sprachliche Weltkonstruktion
voraus, weil Drittheit absolut ohne Zeit- und Erstheit ungenerierbar ist
[s.S. 31, 61 Fußn. 19].
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c) Der Interpretantenbezug von Bildern |
Inhaltsverzeichnis Anfang |
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Mit dem Zeichen im Mittelbezug [s.S. 34 (Kap. 1.2.a)] verdeutlichte
sich, innerhalb welcher Möglichkeiten das Material syntaktisch geordnet
ist. Wie das bezeichnete Objekt/Signifikat in diesen Zeichen vorliegen kann,
beschrieb die semantische Zeichendimension von Ikon, Index und Symbol. Bleibt
somit noch offen, wie der syntaktisch-semantische Zusammenhang interpretiert
werden kann, welche Wirkung und Bedeutung er also im Denken, Verhalten und
Erleben des Interpreten hat. Mit der Interpretation eines Zeichens verwirklicht
sich letztlich die Bedeutung eines Zeichens für den Interpreten. Dieser
Interpretantenbezug steht in der Drittheit, d.h., er wird von der Kategorie
beschrieben, in der das Zeichen als solches erst erkannt wird und eine Zeichenbedeutung
erlangt. Insofern die Interpretation und damit die Bedeutungsfunktion von
Bildern erst durch den Interpreten, der einen Interpretanten konstituiert,
geleistet wird, kommen hier auch gesellschaftliche Einflüsse und Systembezüge
zur Sprache, die ein Interpretanten- oder Bedeutungsfeld des Zeichens einbringen,
also die soziale Pragmatik im Umgang mit Zeichen.
Die Bestrebung von Peirce [vgl. 1960/5.472ff; 1967 II/470ff.] war es, eine
universale Semiotik aufzubauen. Darum hat er die visuelle Empfindung [Erstheit]
und die Wahrnehmung bzw. Reaktion [Zweitheit] eines Individuums ebenfalls
als Interpretanten bestimmt. Der erste Interpretant eines Zeichens basiert
natürlich auf einer "korrekten" Empfindungsmöglichkeit
des Zeichenmittels und eines undifferenzierten Gefühls. Diese Empfindungsmöglichkeit
eines Individuums nennt Peirce einen »unmittelbaren oder emotionalen
Interpretanten« eines Zeichens. Um die begriffliche Kompatibilität
zu anderen Theorien zu vereinfachen, beuge ich den Peirceschen Sprachgebrauch
und möchte den unmittelbaren Interpretanten der Qualität des Zeichenmittels
notgedrungen wie bisher als Erstheit der sinnlichen Empfindung oder des
interpretierenden Gefühls benennen. Aus demselben Grund soll auch die
aktualisierte Wirkung eines Gegenstandes nicht allein »dynamischer
oder energetischer Interpretant« heißen, sondern auch Reaktion,
Erleben und Verhalten während einer Wahrnehmung, welche in der Zweitheit
aufgrund eines Bildgegenstandes erfolgt. Nur den letzten »finalen
Interpretanten« eines Zeichens nenne ich weiterhin Interpretant, weil
hier die eigentliche Interpretation eines Zeichens als Zeichen für
etwas anderes von einem Individuum vervollständigt wird [s.S. 19
(Dreieck)].
Zur Verdeutlichung des sogenannten finalen Interpretantenbezugs stelle man
sich das Bild eines bestimmten demokratischen Politikers vor, der in der
expressiven Malweise von Francis Bacon so dargestellt ist, als ob er der
Papst wäre. In diesem Bild thront der Politiker im Meßgewand
und mit den päpstlichen Insignien auf einer herrschaftlichen Sitzgelegenheit.
Zuallererst wird ein naiver Betrachter in jenem Politikerbild etwas wahrnehmen,
was er als die ikonische Beschreibung eines möglichen Aussehens von
einem sitzenden Mann erkennt. Er würde das Bild also so wahrnehmen,
wie dessen Präsenz etwas ikonisch repräsentiert. Jener Betrachter
hat eigentlich nur einen visuellen Eindruck und ein Gefühl von dem,
was er sieht. In seiner sozialen Orientierungslosigkeit wird er nicht wissen,
welche indexikalischen und symbolischen Kontexte das Bild einbezieht. Entsprechend
seiner Alltagserfahrungen wird er einfach einen Mann in seiner bildlich
dargestellten Struktur erkennen. Insofern bleiben mitgemeinte Objektbezüge
und der Interpretantenbezug offen, weil der visuelle Eindruck mit keinem
oder mit einem willkürlichen Kontext verknüpft wurde. Auf dieser
ersten Stufe erscheint dieses Bild, wie auch jedes andere als Einzelzeichen
oder Rhema [vgl. Peirce 1960/2.250, Walther 1974/71].
Das »Rhema« (griechisch "Wort", "Einzelzeichen"
"singulärer Begriff") repräsentiert etwas so, "... als
ob es eine Eigenschaft oder Merkmal wäre (oder als ob es so sei)"
[Peirce 1985/153]. Ein Rhema beinhaltet somit ein Urteil, das aussagenlogisch
weder wahr noch unwahr ist. Es behauptet ohne Widerspruchs- und Negationsmöglichkeit
[s.S. 39] im ikonischen Bild die augenscheinliche Identität von
etwas, weiter nichts. Aufgrund der offenen Interpretationsmöglichkeit
und der widerspruchslosen Identitätsbehauptung von etwas Veranschaulichtem
sind ikonische Bilder in ihrem Interpretantenbezug als prälogisch aufzufassen.
Kunstwerke und andere Bilder zeigen vielfach für die Interpretation
offene, prälogische Zeichen, aus denen Erfahrungen und Bedeutungen
resultieren, die vom Bildrezipienten nicht notwendigerweise, sondern möglicherweise
Bedeutung in seinen willkürlich gebildeten Kontexten erhalten. Der
intendierte Kontext des Bildproduzenten wird daher allenfalls zufällig
berührt. Dies läßt sich leicht nachvollziehen, wenn man
bedenkt, daß die Daseinsweise des Rhemas sich als ein Urteil über
ein wahrgenommenes Gefühl in offener Bedeutung beschreiben läßt.
Aus diesem Grund ist ein Rhema ein Interpretant, der die Möglichkeit
der finalen Interpretation eines Bildes als offene Bedeutung oder Bedeutungsmöglichkeit
charakterisiert. Abstrakter gesagt, ist er eine Erstheit in der Drittheit,
eine Möglichkeit des Gedankens.
Wenn sich Ästhetik vom griechischen »aistetike« - die
Sinne betreffende Wissenschaft - (11) ableitet, dann hat sie ihren finalen
Interpretantenbezug im Rhema, das die beliebigen Möglichkeiten des
Verstehens als eine Erstheit der Drittheit charakterisiert. Denn ästhetische
Schönheit stützt sich auf eine Interpretation, die sich vorwiegend
einer Sinnlichkeit verbunden meint und die ihre Bedeutung zumeist in Begleitung
eines offenen oder zufälligen Gefühls erhält. Das Urteil
über Schönheit, die sich in einer wahrgenommenen, kulturell geprägten
Codierung (Gestaltung) wiederfinden soll, wird deshalb aufgrund kontext-
und kulturwillkürlicher Entscheidung gefällt. Infolgedessen läßt
sich über Schönheit auch streiten: sie ist ohne allgemein anerkannte
Entscheidungskriterien. Aus gleichem Grund ist Schönheit niemals Wahrheit.
Die Plausibilität von kulturgemäßer Schönheit kann
weder bewiesen noch widerlegt werden. Der Wahrheitsbegriff berührt
kulturgemäß viele Problematiken, von denen die wesentliche schlicht
die ist, daß keine universalgültigen Wahrheiten und niemals welche
ohne formale Aussagenlogiken postuliert werden können.
Im Zusammenhang von Schönheit und ästhetischen Kriterien geht
es mir um die Feststellung, daß ihre separierten Kennzeichen keinen
objektivierbaren Operationsregeln gehorchen, die eine binäre Einordnung
von wahr/unwahr, richtig/falsch und künstlerisch/unkünstlerisch
ermöglichen würden. Aus der Schönheit eines Bildes folgt
nicht, daß es auch Kunst sein wird. Deshalb perfektionieren Schönheit
und emotionale Ästhetisierungen von Bilderwelten eine Immunisierungsstrategie
gegen alle kommunikativen Richtlinien, die logischen, apodiktischen, fremdbestimmten,
deindividualisierten und glaubensbegründeten Entscheidungsparametern
folgen. Das rhematische Geschmacksurteil über Schönheit formuliert
sich ohne fremdfixierte Regelhaftigkeit im Interpretanten, obwohl das Zeichenmittel
eventuell einer kulturell orientierten Codierung folgt, die beständig
als ein Exemplar von Schönheit akzeptiert wird. Jedoch fällt ein
Individuum Geschmacksurteile angesichts spezieller Einzelfälle, die
lediglich subjektive Gültigkeiten besitzen [hierzu Scheible 1984/109f.].
Es ist deshalb zu betonen, daß das Gefühl einer subjektiven Bedingung
gehorcht. Diese subjektive Bedingung ist ausschließlich in einer "innenorientierten
Sinngebung" [Schulze 1993/99] bzw. innenorientierten Bedeutungsgebung
behauptet, die mit einer außenorientierten Erlebnisverwirklichung
korrespondiert, in der etwas Kulturelles als spannend, entspannend, faszinierend
oder eben schön erfahren wird. Das Besondere des ästhetisch interpretierenden
Gefühls, welches sich das sinnlich Schöne erschließt, ergibt
sich, indem es unvorhersehbare Möglichkeiten in einer Art Spiel eröffnet.
Dieser Spaß am spielerisch Schönen schließt einerseits
nach Möglichkeit kein wahrnehmendes Individuum aus, andererseits bindet
er aber auch kein Individuum mit regelhafter Notwendigkeit ein [hierzu Bubner
1973/67]. Vorlieben, Neigungen, Stimmungen, Lust usw. befreien sich aus
gebräuchlicher und gebotener Weiterführung mit selbstfideler Leichtigkeit.
Wenn also kulturell geprägte Bildcodierungen existieren, dann entwickelt
sich das subjektive Urteil »Schönheit« aus einer kulturell
etablierten Täuschung ohne einlösbaren Wahrheitsanspruch, der
verbindliche, allgemeine, interpersonale und interkulturelle Plausibilität
besitzen könnte.
Letzteres hat Adorno aufgrund seiner einfühlenden Liebe zu mancher
Kunst enorm verzerrt. Er war der Meinung: "Große Kunstwerke können
nicht lügen. Noch wo ihr Gehalt Schein ist, hat er als notwendiger
eine Wahrheit, für welche die Kunstwerke zeugen ..." [Adorno
1973/196]. Doch spielen Bilder und Kunstwerke einem im Wahrheitsgehalt grundsätzlich
dort etwas vor, wo dieser sich vom Zeichen bestimmen läßt. Wären
Kunstwerke indessen Gegenstände, die sich von Zeichen emanzipiert hätten,
wären sie zwar lügenfrei, aber gleichfalls ohne Gehalt von irgend
etwas anderem als dem präsenten Schein; sie wären unnegierbare
Gegenstandspräsenz. Wie sollte aber Kunstpräsenz ohne Zeichencharakter
einen kollektiv konvergierenden Allgemeinheitsgrad von verbindlicher Wahrheit
und von kommunikativem Anschlußvermögen überhaupt erhalten?
Kunst, die noch indiziert oder noch symbolisiert, "... sie könne
Lüge nicht sein, muß ... [eben im Zeichen] lügen" [Adorno
1973/200]. Kunst verwirklicht erst dann mimetische Magie, sobald sie sich
von der Lüge befreit, zeichenvermittelte Wahrheit zu sein [vgl. Adorno
1993/298]. Lediglich in diesem Verzicht auf Verbindlichkeit, in dieser Entsagung
von regellogischen Wahrheitskontexten und gegenständlicher Unterschreitung
der Zeichenwelt kraft Mimesis drängen Bilder auf ästhetische Erfahrungen,
die insbesondere in Gefühlen prälogische Orientierung ohne Beachtung
von widersprüchlichen Konsequenzen im sonstigen "rationalen"
System-Alltag ermöglichen. Hier erretten sich Kunstwerke in ästhetischen
Gefühlserfahrungen ohne Frage ein wahrheitskritisches Potential, welches
Adorno zutiefst wesentlich war, weil es jenseits von wissenschaftlich und
kollektiv überprüfbaren Wahrheitsgehalten eine Idee von regelwidrigen
und kontrastierenden Wirklichkeiten inszeniert, die fern jeglicher Norm
außergewöhnlich zeitsensibel entstehen können [vgl. Adorno
1973/86]. Gleichwohl ist der ästhetische Zugang zur Welt ein innenorientiert
möglicher, ein potentiell subjektiv allgemeiner, aber kein mit folgerichtiger
Notwendigkeit interpersonal (12) nachvollziehbarer Zugang zu Wahrheitsgehalten.
Eine solch "negative" Wahrheit des ästhetischen Zugangs widerstreitet
somit dem, was die an Wahrheitskontexten orientierte Kommunikation an normativen
Geltungsansprüchen einem Individuum aufnötigen will. Von daher
fordern Kunstwerke die Lernbereitschaft der Betrachter heraus, da jede normative
Erwartung gegenüber neuen und innovativen Kunstwerken ins Leere läuft.
Es darf in der Kunst eben doch etwas sein, was nicht oder noch nicht sein
kann. Dies kann problemlos soweit reichen, daß Kunst ihre gewollte
Nichtkunst wiederum als Kunst unkünstlerischer Kunst behauptet.
Auf ein anderes Problem möchte ich kurz hindeuten. Wie Luhmanns Systemtheorie
behauptet, werden Kunstwerke über die binäre Differenz schön/häßlich
codiert. Diese Einschätzung zeigt, daß seine Theorie zwar Kunst
als Teilsystem im Gesellschaftssystem zu erfassen sucht, aber nicht als
Empfundenes, Wahrgenommenes oder Erfahrenes beschreiben will. Deshalb übergeht
er Kunsterfahrung und deren interaktionistische Kontexte systematisch [vgl.
Luhmann 1991/245]. Die von Luhmann verwendete Begrifflichkeit, die vom binären
Medien-Code im stabilisierten System ausgeht, setzt zunächst einen
semiotischen Code voraus, der wahrzunehmen und zu erleben ist, sobald der
binäre Nachruf blindlings zum Urteil gerinnen soll. Unterlaufen wird
der Transfer von Erleben in binär codierte Wertentscheidungen, sobald
ästhetische Erfahrungsweisen sich in unreduzierter Komplexität
mehr an das Werk als an das System verschenken. So überrascht Luhmann
zwar mit der Feststellung, daß "es ... nicht mehr unwahrscheinlich
[ist], daß durch Auswirkungen von Kommunikation Leben und Bewußtsein
von Menschen gänzlich ausgelöscht wird" [Luhmann 1992/23],
möchte aber andererseits für ästhetische Kommunikation wenig
mehr am Leben lassen als den finalen Binarismus schön/häßlich.
Neben dem, daß für die Systemtheorie (Er-)Leben nur eine Umweltvoraussetzung
ist, die als Marginalität des Systems vorkommt, reduziert diese Theorie
unzweifelhaft die gefühlsmäßige Ursache ästhetischer
Urteile und Wahrnehmungserfahrungen auf Begriffe wie Kunst-"Geschmack"
und Kunst-"Identifikation" in doppelter Ordnung [vgl. Luhmann
1995/117, 326]. Sie übersieht dabei, daß, wollte man binäre
Codierungen "... ästhetisch nennen, man einen Verstand haben
würde, der sinnlich urteilt, oder einen Sinn, der durch Begriffe seine
Objekte vorstellte, welches beides sich widerspricht" [Kant 1974: X/B48
A47,48].
Die Systemtheorie identifiziert zwar soziale Systeme [s.S. 329], aber
sie registriert offenkundig wenig von dem, was qualitative Bilderfahrungen
für ästhetisch bewußte Personen und ihre subjektive Innenorientierung
beinhalten können. Genaugenommen hätte die Systemtheorie dies
beachten müssen, da sie Bewußtsein, Wahrnehmung, Imaginationen
etc. nicht in Kommunikation aufgehen läßt. Es bleibt die Frage,
wozu Bilder und künstlerische Bilder die Wahrnehmung provozieren. Die
Wahrnehmung von ihnen findet in Kommunikationssystemen zwar ihre Grenzen,
aber nicht ihre motivationalen Inhalte und subjektiven Bedeutungen. Im sozialen
System, wie Luhmann es versteht und wie es im "Kunstsystem" vorkommt,
erreichen nur finale Interpretanten eine Relevanz für das System, wobei
für das westliche Kunstsystem seit Duchamp weiterhin die öffentliche
Differenz Kunst/Nicht-Kunst und systemimmanent wichtig/unwichtig prozessiert
werden. Die finale Wertdifferenzierung schön/häßlich schnürt
indessen jede Verständnisbemühung von ästhetischen Bilderfahrungen
ab. Dies erfolgt auch außerhalb des Kunstkontextes, in dem seit der
Moderne sowieso auch Häßliches schön sein darf, um im Vergleich
zu nur Schönem individuelle Reflexivität zu steigern.
Nach dem Exkurs zur Schönheit und dessen offene Bedeutungsmöglichkeit
im Rhema möchte ich nun das Politikerbeispiel [s.S. 42] weiterführen.
Nach kurzer Betrachtungszeit erkennt der Interpret, daß das Bild einen
real existierenden Politiker bezeichnet, der seiner Gesellschaft angehört.
Er stellt somit einen Sachverhalt von Bedeutungen her. In diesem konstruierten
Sachverhalt erscheint ihm das Bild als eine indexikalische Bezeichnung,
die sich auf die reale Existenz des Politikers in ungewöhnlicher Kleidung
bezieht. Das Bild würde der Betrachter insofern als wahr einschätzen,
als daß er den Politiker identifiziert und meint, er hätte zum
Zeitpunkt der Darstellung vermutlich so ausgesehen. Doch ist das Bild, das
in positiver Ähnlichkeit wiedererkannt wird, auch bei dieser Interpretation
weder wahr noch unwahr. Lediglich für eine von außen herangetragenene
Erwartung einer bestimmten Entscheidbarkeit, kann sich ein Bild als unzutreffend
herausstellen. Es könnte zum Beispiel ein Bekannter des Papstes kommen
und feststellen, daß das Bild nicht den amtierenden Papst zeigt. In
diesem Fall wäre das Bild des Politikers selbst weder wahr noch unwahr,
obwohl es gewiß das unzutreffende Bild ist, wenn man mit ihm das Antlitz
des tatsächlichen Papstes visuell kommunikativ mitteilen möchte.
In dieser weiteren Formulierung, in welcher der Betrachter das Objekt identifiziert
und einen Bezugsrahmen oder Sachverhalt herstellt, kommt der Interpretantenbezug
hinzu, den Peirce »Dicent« nennt [vgl. Peirce 1960/2.250, 2.320;
Walther 1974/72]. Ein Dicent (lat. dico: zeigen, sagen, behaupten) sagt
etwas über das Objekt aus, auf das das Beispiel hindeutet, indem das
Objekt des Bildes, also der Politiker eine reale Tatsache sein soll. Als
Dicent behauptet das Bild eine Wirklichkeit, die die Existenz des Politikers
in der Kleidung des Papstes konstatiert. Im Christentum waren lange Zeit
Ikonen ein Dicent, weil sie die Wirklichkeit von Christus als stattgefundene
Existenz darstellten und seine Wahrheit behaupteten [vgl. Belting 1990/176].
Heutzutage fungieren nicht mehr gemalte Bilder, sondern Fotografien im allgemeinen
als ein echter Dicent. Von fotografischer Lichtbildnerei wird noch geglaubt,
daß deren chemophysikalische Reaktion auf die Lichtabstrahlung des
Gegenstandes unverfälscht dargestellt wird. Insofern das Belichtungsmaterial
zu seinem Objekt eine direkte Wechselwirkung eingeht, behauptet das Foto
kulturgemäß die Existenz seines Objekts. Eine solche Behauptung
kann wahr oder unwahr sein, weil sie potentiell entscheidbar ist. Die Interpretation
eines Dicents bedingt sich durch die Herstellung eines potentiell entscheidbaren
Sachverhalts, was ihn als Zweitheit in der Drittheit kennzeichnet, also
als Zeichen oder Repräsentation für eine behauptete Existenz bzw.
Wirklichkeit.
Der letzte Interpretant des Zeichens, das Argument, ist vorab wieder am
Beispiel des Politikerbildes zu verdeutlichen. Der Betrachter hat das Bild
inzwischen innerhalb der Möglichkeit seines Auges wahrgenommen, als
schön befunden und den Politiker in seiner Existenz identifiziert bzw.
auch die merkwürdige Aufmachung realisiert. Der nächste Schritt,
den der Betrachter im Idealfall machen wird, besteht darin, daß er
sein kulturelles Kontextwissen um formale Beziehungen zwischen den Zeichen
einbringt, d.h., er versteht die Syntaktik und Semantik auf codiertem Niveau
seiner pragmatisch interpretierten Kultur. In einem solchen Fall weiß
der Betrachter um die gesellschaftliche Position des Politikers und weiß
zudem, daß das Meßgewand und das Pallium (13) normalerweise der Papst
als konfessionelle Insignien mit sich führt. Der Betrachter kennt demzufolge
neben dem syntaktischen und semantischen auch den pragmatischen Code, also
das gesamte Bedeutungsfeld, welches den Hintergrund für seine spezielle
Interpretation liefert. Aufgrund dieses Hintergrundwissens stellt er fest,
daß der Politiker entweder sich selbst überschätzt oder
daß das Bild eine satirische Karikatur darstellt. Zu dieser Meinung
wird er bezüglich des Politikers neigen, weil dieser mit der Kleidung
des Papstes symbolisiert, seine Entscheidungen wären ebenfalls mit
päpstlicher Unfehlbarkeit getroffen. Der Interpretant Argument tritt
in seinem Objektbezug immer als Symbol auf. Denn erst mit einem codierten
Symbol kann sich das Argument auf einen Kontext stützen, der sich als
ein gesetzmäßiger Zusammenhang behauptet, in dem das Argument
als »notwendig wahr« oder »immer wahr« Gültigkeit
beansprucht. Innerhalb des christlichen Bedeutungsfeldes fungiert die Unfehlbarkeit
des Papstes als ein Gesetz, welches als Argument verwendet wird, das immer
wahr sein soll. Für den Politiker gilt dieses Argument nicht, was daran
liegt, daß Fehlbarkeit die Voraussetzung seines demokratischen Verständnisses
ausmacht, welches in einem anderen gesetzmäßigen Zusammenhang
so behandelt wird, als ob es »immer wahr« wäre.
Wenn man der Meinung ist, daß sogar der Papst nicht unfehlbar ist,
liegt das daran, daß ein Argument aus der Prämisse des Dicents
hervorgeht. Im Dicent kann die Prämisse statuiert werden, der Papst
ist - wie man sieht - ein Mensch, woraufhin ein anderer Gesetzeszusammenhang
folgt, der das Argument verwendet, daß jeder Mensch fehlbar ist. Bei
Argumenten kommt es demnach darauf an, welchen interpretativen Gesetzlichkeiten
sie unterstellt werden. Zum Beispiel ist Geld ein häufig sehr schlechtes
Argument für Liebesbekundungen, wenn man davon ausgeht, daß Liebe
in ihrer bedeutungsvollen Wirkung emotional durch Gefühle oder aus
der Erfahrung von Handlungen interpretiert wird; und aus diesen beiden Prämissen
folgen andere Argumente, als sie für den Gesetzeszusammenhang des Geldes
notwendig sein sollten. Wenn sich der Wert von Bildern der Kunst mehr und
mehr über die Gesetzlichkeit des Geldes bestimmt, dann kann man hier
in gleicher Weise erkennen, daß die Prämissen der Ästhetik
und der gesellschaftlichen Bedeutungen in sozialintegrativen und künstlerischen
Kontexten kaum als Bezugspunkte für die Ausbildung von Argumenten herangezogen
werden.
Wie verdeutlicht, ist das allgemeine Merkmal des Arguments dadurch charakterisiert,
daß es innerhalb einer ihm eigenen Gesetzlichkeit oder Regel fungiert,
in der es sich unter dem Gesichtspunkt der inneren Notwendigkeit eines Zeichencodes
darstellt. Aus diesem Grund versichert Luhmann [vgl. 1992/167] zutreffend,
daß Symbole bzw. Sprache beharrlich wahres Wissen behaupten wollen.
Ein Argument verwendet man nämlich als Drittheit in der Drittheit,
indem es in sozialkonstituierten Gesetzesrelationen eine Notwendigkeit im
symbolischen Denken repräsentieren soll. Die bedeutungsvolle Wirkung
des Zeichens wird im Argument als Gedanke einer aussagenlogischen Interpretation
innerhalb einer als plausibel geltenden Bezugsordnung aufgefaßt. Im
Dicent ist die Existenz von etwas behauptet, wohingegen im Argument dessen
Wahrheit, oder besser, dessen kontextabhängige Plausibilität behauptet
wird [vgl. Peirce 1960/2.250ff.; Schönrich 1990/159ff.].
Mit dem Interpretanten »Argument« sind die möglichen Zeichenklassen
abgeschlossen. Das Zeichen wurde selbst in drei Mittelbezügen beschrieben,
welche in ihren drei Objektbezügen wiederum mit drei Interpretantenbezügen
versehen werden können. Von diesen Zeichenklassen wird die weitere
Untersuchung ausgehen. Für eine soziologische Betrachtungsweise, die
sich mit der kulturellen Bedeutung von Bildern beschäftigt, wird es
im weiteren auch erforderlich sein, die gesellschaftlichen Kontexte der
Zeichenbezüge einzubeziehen. Ich denke, mit der semiotischen Gliederung
von Peirce wird deutlich zur Sprache kommen können, ob und wie die
Mittel der Bildherstellung, die Objektbezüge und die Möglichkeiten
der Interpretation in Dependenz zu Kultur- und Gesellschaftsformen stehen.
Wie diese Abhängigkeiten im genauen innerhalb der soziologischen Betrachtung
von Sozial- und Systemintegration stehen, läßt sich jedoch noch
nicht an dieser Stelle beschreiben. Es sollte aber vorstellbar sein, daß
die Bildherstellung in Volkshochschulkursen andere Mittel, Objektbezüge
und vorrangig Interpretantenbezüge mit sich bringt als die Bilderzeugnisse,
die von Künstlern, Fotografen oder afrikanischen Malern erstellt werden.
Warum diese Unterschiede bestehen, was die Gründe sind, und wie dennoch
Sinn und Bedeutung von all jenen Bildkonzepten auf unterschiedliche Art
und Weise entsteht, behandeln die folgenden Kapitel. Für diese Betrachtung
muß man sich jedoch in zeichentheoretische und allgemein wissenschaftliche
Denkordnungen hineinbegeben, ansonsten führen die Argumente zu Fehlbeurteilungen.
Falls Argumente vorgeben, sie beruhen auf »Tatsachen«, aber
Tatsachen nur wieder aus den Möglichkeiten von Tatsachen geschöpft
sind, bleibt auch diese Arbeit ein Versuch, das Phänomen der Bilder
zu verstehen, auch wenn die vorgestellte Semiotik meines Erachtens nach
besser geeignete Argumente liefert als andere Standpunkte. Ob jedoch etwas
als eine Tatsache behauptet werden kann, sollte nicht die Überzeugungskraft
des Arguments liefern, sondern die eigene Erfahrung mit Bildern, Kultur
und Gesellschaft. Weil die semiotischen Zeichenbezüge sozusagen die
Betriebstheorie aller weiteren Untersuchungen darstellt, sind hier nochmal
alle wichtigen Begriffe schematisch in Beziehung gesetzt.
Darstellung der Zeichen in Kategorien |
Erstheit
Zeichenmittel
("Signifikant")
Eigenschaft
Syntaktik |
Zweitheit
Objektbezug ("Signifikat")
Objekt, Thema, wie es in der Bezeichnung vorliegt
Semantik |
Drittheit
Interpretantenbezug
Bedeutung
Relation
Pragmatik |
[Erstheit]
Möglichkeit
in der: |
Qualizeichen
Farb- u. Form-qualitäten
Farbqualitäten |
Ikon
kulturelle Ähnlichkeit, Wiedererkennbarkeit
Bild des Objekts Mona Lisa |
Rhema mögl. Existenz
offene Bedeutung,
Gefühlsinterpretation
Bild als Einzelzeichen |
[Zweitheit]
Wirklichkeit
Einmaligkeit
in der: |
Sinzeichen
aktuale Einteilung
Bild d. Mona Lisa
|
Index
direkte Beziehung zum Objekt
Rauch, fotograf. Lichtbild |
Dicent Existenz, wahre
o. unwahre Behaupt.
Bild im Verhältnis zur Tatsache |
[Drittheit]
Notwendig-keit, Regel Code
in der: |
Legizeichen
Code, Gesetz
graphische Regel
Gesetz der Perspektive |
Symbol
ikonographische Konvention, arbiträre Regel
christliches Kreuz im Bild |
Argument "Wahrheit"
logische Interpretation
Kontext eines Bildes, Interpretant im symbolischen Bedeutungsfeld |
Obwohl
die weitere Betrachtung selten darauf eingehen wird, ist darauf hinzuweisen,
daß die vollständige Zeichenrelation grundsätzlich durch
das Zeichenmittel, seinem Objektbezug und den Interpretanten bestimmt
ist. Das gemalte Selbstporträt von Vincent van Gogh ist, um nur ein
Beispiel zu nennen, ein rhematisch-ikonisches-Sinzeichen; d.h., die einmalige
Struktur des Mittels (Sinzeichen) bezieht sich durch ikonische Ähnlichkeit
auf das Objekt, wobei die Interpretation offen ist und einem Gefühl
entspringt. Peirce nennt zehn mögliche Kombinationen der Subzeichen
in den drei Bezügen. Es sind zehn, obwohl rein rechnerisch 27 möglich
wären, denn nicht jede Kombination führt zu sinnvollen Ergebnissen.
Beispielsweise kann kein argumentisch-ikonisches-Sinzeichen vorkommen.
Denn dies würde heißen, daß eine unikale Darstellung
seinem Objekt ähnelt und gleich innerhalb eines Gesetzeszusammenhangs
als regelhafte Wahrheit interpretiert wird. Für ein Argument bleibt
es notwendig, daß die Zeichenmittel und ebenso die Objektbezüge
von einem "Gesetz" geregelt sind, wie es im Legizeichen und
Symbol der Fall ist. Die zehn Kombinationen der Subzeichen sind folgende:
Für die Interpretation offene Einzelzeichen:
1) rhematisch-ikonisches Qualizeichen (regellos)
2) rhematisch-ikonisches Sinzeichen (regellos)
3) rhematisch-ikonisches Legizeichen (regelfolgend im Legizeichen)
4) rhematisch-indexikalisches Sinzeichen (regellos)
5) rhematisch-indexikalisches Legizeichen (regelfolgend im Legizeichen)
6) rhematisch-symbolisches Legizeichen (regelfolgend im Symbol und Legizeichen)
Zeichen, die sich auf ein aktuales Faktum oder einen Sachverhalt beziehen:
7) dicentisch-indexikalisches Sinzeichen (regellos)
8) dicentisch-indexikalisches Legizeichen (regelfolgend im Legizeichen)
9) dicentisch-symbolisches Legizeichen (regelfolgend im Symbol und Legizeichen)
Zeichen, die innerhalb eines symbolischen Kontextes als wahr gelten:
10) argumentisch-symbolisches Legizeichen (vollständig regelfolgend)
[vgl. Walther 1974/78ff.]
Diese Kombinationen gehen aus dem nebenstehenden Schema hervor. In der gleich
folgenden Untersuchung der visuellen Wahrnehmung werden die Zeichen von
eins bis sechs maßgeblich sein, weil erstens der grundsätzlichen
Offenheit des visuellen Sinns Rechnung getragen wird, und zweitens, die
ersten Klassen - wie Walther [vgl.1974/79] schreibt - einen stärkeren
"Weltbezug" ausdrücken, also näher am Material orientiert
sind als die letzten Klassen, eben wie die visuelle Wahrnehmung auch.
----Fußnoten---
(9) Für
Bilder muß es hier in fast allen Fällen "kulturgemäß"
heißen.
(10) Die Eigenschaft
von Qualizeichen und Ikon mißversteht Habermas [vgl. 1973/136; Pape
1989/183 Fußn. »Sprachlogik-Kritik«]. Er vollzieht nicht
nach, daß ein Zeichenmittel selbst über eine Qualität verfügt,
die als Zeichen für eine ikonische Qualität stehen kann. Erzeugt
ein Qualizeichen eine Idee eines ikonischen Objektbezugs der Qualität,
dann hat es Darstellungscharakter. Erzeugt ein Qualizeichen aber eine Idee
von Selbstähnlichkeit, indem es einen anderen Gegenstand dupliziert,
also eine identisch scheinende Kopie ist, dann hat sein ikonischer Objektbezug
einen Abbildcharakter, der keinen anderen Gegenstand darstellt, sondern
ein wiedererkennbarer Gegenstand der gleichen Sorte zu sein scheint.
(11) Für
den Begriff der Ästhetik ist es notwendig, zwischen sinnlicher Wahrnehmungsseite
(gr. aístesis "Wahrnehmung") und dem Gedankengebäude
des Erhabenen (Ästhetik) zu unterscheiden [vgl. Welsch 1993/9]. Erstens
ist das Gefühl während der Wahrnehmung nicht selbst die Instanz,
die eine Entscheidung von schön/häßlich trifft, und zweitens
ist Wahrnehmung kein ausschließlicher Denkvorgang in Begriffen, die
kategorischen Rahmen der Kultur folgen.
(12) Hier
greife ich weit vor [s.S. 180]. Den Begriff der »Intersubjektivität«
lasse ich fallen. Denn würden Subjekte im "Inter", im "Zwischen"
zur innerlichen Einheit verschmelzen, verlören sie ihre Vielheiten
und fänden sich in einem einzigen Bewußtsein wieder. Statt dessen
meine ich, daß sich im "Inter" manche Einheiten stabilisieren,
die der Vielheit von Subjekten äußerlich sind. Infolge dieser
wiedererkannten Äußerlichkeiten im "Inter" nehmen sich
Subjekte als Personen und wechselseitig als Zeichensendende wahr. Denn ein
Subjekt ist für ein anderes uneinsehbar. Deshalb übertrage ich
das kommunikative Verhältnis zwischen Subjekten auf Personen [lat.
auch Masken, Rollen von Schauspielern]. Personen sind die Grenze zu dem
kommunikativen Zwischenraum, in dem sie Zeichen stabilisieren. Sind diese
Zeichen so aufgebaut, daß sie viele Personen erwartungssicher ansprechen,
nenne ich das »Interpersonalität«. Inspiriert ist diese
Auffassung von Luhmann [vgl. 1992/34, 111; 1995/142ff.], der nicht
mehr Subjekte, sondern Personen als die Referenz- "Adressen für
Kommunikation" angibt. Von daher begründet sich, daß eine
kommunikative Adressierung allein dann erwartungssicher ihren personalen
Bestimmungsort erreicht, wenn bereits wechselseitige Anerkungsprozesse von
Personen stattgefunden haben, die zumindest zum pragmatischen Konsens über
erwartbare Zeichencodes in Kollektiven führen. »Interpersonalität«
beinhaltet somit einen kommunikativ stabilisierten Zeichencode zwischen
Personen und die bereits kommunizierte Anerkennung zwischen diesen. Im Gegensatz
zur "Intersubjektivität" berücksichtigt "Interpersonalität"
somit die kommunikative Dezentrierung des Subjekts.
(13)
Das Pallium ist ein weißwollenes, mit sechs schwarzen Seidenkreuzen
besticktes, um die Schultern gelegtes Band.
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