2.8. Aufmerksamkeit als kommunikative Praxis von Bildern Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Wenn gleich von Aufmerksamkeit als eine kommunikative Praxis zu lesen sein wird, dann impliziert dies den bisher verwendeten Begriff der Kommunikation, deren wichtigste Voraussetzung die Interpretation von Zeichen ist. Trotzdem reduziert sich Aufmerksamkeit, so wie diese bezüglich wahrgenommener Gegenstände jeder erfahren hat, keinesfalls nur auf kommunikative Begebenheiten. Aufmerksamkeit spielt auf mehr an als auf Kommunikation. Deshalb wird Aufmerksamkeit kurz selbst thematisiert, um danach zum weiteren Aufmerksamkeitskomplex die folgenden Fragen aufgreifen: Warum ist das Erwecken von Aufmerksamkeit nicht notwendigerweise Kommunikation? Wie erlangen Bilder ihr kommunikatives Potential über Aufmerksamkeit? Welche nicht mit Aufmerksamkeit belegten kulturellen Sedimentierungen treten notwendigerweise auf, damit eine kommunikative Aufmerksamkeit entstehen kann?

Die psychologische Bestimmung verbindet Aufmerksamkeit untrennbar mit dem Bewußtsein, das einen Gegenstand in seiner Zweitheit per Wahrnehmung konstruiert. Im Wahrnehmungsbewußtsein richtet ein Individuum seine fokale Aufmerksamkeit auf die Merkmale aus, die in kognitiven Schemata differenziert werden können. Die Merkmale, für die keine Schemata verfügbar sind oder gebildet werden, ignoriert ein Individuum unausweichlich. Gedächtnis sowie ein zeitlich limitiertes Kurzzeitgedächtnis erfüllen hier eine Funktion, die für Unaufmerksamkeit und Aufmerksamkeit eines Individuums gleichermaßen fundamental ist. Denn alle Informationen im Aufmerksamkeitsbrennpunkt spielen sich notwendigerweise vor dem Hintergrund der Unaufmerksamkeit ab, der vom gedächtnishaften Mechanismus der wahrnehmungsmäßigen Informationsaufnahme selbst bestimmt wird [vgl. Neisser 1979/68, 140; Gombrich 1984/15; Oeser 1988/143; s.S. 93]. Allerdings fällt in das Wahrnehmungsbewußtsein auch eine gewisse Plötzlichkeit ein, deren »Jetzt« an ein aufmerksamkeitsbedingtes Drei-Sekunden-Fenster anknüpft [s.S. 124 Fußn. 62]. Plötzlichkeit drängt sich in den Aufmerksamkeitsfokus, sobald sie vertraut gewordene Erwartungen durchbricht. Daher erlangen Bilder in denjenigen Merkmalen eine Aufmerksamkeit, denen die konzeptualisierte Wirkungseinschätzung von erfahrenen Bildern entgegensteht. Ihrerseits nutzt aber jede bildbezogene Aufmerksamkeit den Hintergrund der Unaufmerksamkeit, da Individuen sonst von unerwarteter »Plötzlichkeit« (98) derart in Fassungslosigkeit versetzt würden, daß sie kaum zu erkannten Zeichen- und Gegenstandsbedeutungen gelangen könnten. Die Aufmerksamkeit strukturiert deshalb den Fokus des Bewußtseins um, indem sie der "Weiterentwickung des Psychischen" [Ciompi 1992/175] bzw. der affektiv-kognitiven Operationsschemata dient.

Peirce [vgl. 1960/3.433; Schönrich 1990/434] würde den oben verwendeten Begriff der »Plötzlichkeit« semiotisch an den Index in seiner Zweitheit binden, da Plötzlichkeit in direkter Wirkung die Aufmerksamkeit erzwingt und lenkt. Daraus hätte Peirce eventuell gefolgert, daß eine Person ohne konzeptualisierten Hintergrund im Kantschen Sinne blind bleiben würde, weil sie nicht erkennen kann, wie sich jene einmalige Plötzlichkeit (Sinzeichen) zu etwas anderem, zu einem zeichenhaften Objektbezug, verhält. Aufmerksamkeit wird zwar durch ein indexikalisches Sinzeichen erregt, aber es bedarf einer regelhaften Erwartungshaltung, die die indexikalische Bildwirkung mit irgendeiner bereits typisierten Erfahrungssituation vergleicht, damit sich Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund der Unaufmerksamkeit abspielen kann. Wenn eine neue Form, die für einen Bildbetrachter plötzlich auftaucht, ohne regelhaft vertrauten Hintergrund bleiben würde, dann könnte der Betrachter nicht erkennen, daß es sich um eine darstellende Bildform handeln soll. Ein Zeichen zu interpretieren, "... heißt zu wissen, was mit ihm kompatibel ist" [Goodman 1973/199] und was seine kontextuelle "Kompatibilitätsklasse" [Goodman 1973/200] ist. Eine plötzlich neue Situation erregt zwar Aufmerksamkeit, aber sie wird erst dann als ein kommunikatives Zeichen verstanden, wenn in ihr einige Merkmale von Regelhaftigkeit wiedererkannt werden. Die reine Provokation der Aufmerksamkeit durch plötzlich auftauchende und vollständig neuartige Formen erzeugt zwar eine Reaktion, diese erlangt aber erst dann einen kommunikativen Status, wenn jenes mit Aufmerksamkeit belegte Sinzeichen in einem kommunikationsanzeigenden (Bild-)Rahmen von Legizeichen integriert ist, damit angemessen und kommunikativ reagiert werden kann. Dies bedeutet auch, daß eine Person die kulturellen Bildsedimente akkommodiert haben muß, damit sie künftig per assimilatorischer Bildwahrnehmung eine Situation gesellschaftlicher Kommunikation wiedererkennt. Es sind demnach die kulturellen Bildsedimente von Legizeichen, vor deren Hintergrund sich die mit Aufmerksamkeit belegte Bildkommunikation abspielt.

Die mit dem Begriff der »Plötzlichkeit« umschriebene Situation, die, wenn man so will, eine reizgebundene Aufmerksamkeit als Sensation erzeugt, steht allerdings einer Aufmerksamkeit gegenüber, die ein innengeleitetes Moment beinhaltet. Diese innengeleitete Aufmerksamkeit resultiert aus konzeptualisierten Zeichen, d.h. hauptsächlich aus Sprache. Beispielsweise gehen Erwachsene im Unterschied zu Kindern aufgrund ihrer Wahrnehmungs- und Zeichenkompetenz über die visuelle Information schnell hinaus, da sie die optische Wirklichkeit weniger reizgebunden und stärker innengeleitet verstehen [vgl. Neisser 1979/140]. Sie verbreitern daher ihre innengeleitete Aufmerksamkeit auf einer Ebene der internalisierten Kultur. Denn der erfahrene Bildbetrachter sieht in weiten Teilen das, was sein ikonisches und symbolisches Zeichenrepertoire an aktiver Selbstbestimmung erlaubt. Der Bildbetrachter aktualisiert somit ein aktiv-wahrnehmungsmäßiges Sehen [s.S. 103], welches von interpretierten Signifikationscodes seiner Kultur gelenkt ist. Er wird hier in willkürlicher Aufmerksamkeit von den Darstellungsregeln seiner Kultur an die Hand genommen, indem er dem Nachdruck seines beteiligten "Willens" folgt. Denn ein Individuum zergliedert in willkürlicher Aufmerksamkeit die Wahrnehmungswelt in solchem Maße, wie diese konzeptualisierten Zeichenstrukturen - ohne Rücksicht auf anders mögliche Information - entspricht [vgl. Rubinstein 1959/566]. Diese zur Gewohnheit gewordene Aufmerksamkeit erweitert den ikonischen Wissenshorizont sicherlich selten, da sich allein das kulturell Segmentierte und Erwartete erfüllt. Deshalb stellt Rubinstein der willkürlichen die unwillkürliche Aufmerksamkeit gegenüber. Bei unwillkürlicher Aufmerksamkeit drängt sich ein unerwarteter Appell, eine Plötzlichkeit, in die Wahrnehmungswelt eines Individuums. Diese Unterscheidung präzisiert: ein Ego sieht in willkürlicher Aufmerksamkeit das, was es kennt oder weiß, wohingegen es in unwillkürlicher Aufmerksamkeit unbeabsichtigte Überraschungen erfährt, die die Sensibilität gegenüber Neuem erhöhen werden. Die Unterscheidung sieht folgendermaßen aus:

Unwillkürliche Aufmerksamkeit bietet die Möglichkeit von Sinn und Bedeutung in etwas Anwesendem.

Willkürliche Aufmerksamkeit sucht den bekannten Sinn und die schon bekannte Bedeutung in etwas Anwesendem.

Von hier aus wird plausibel, daß sich der Hintergrund der Unaufmerksamkeit bei wachsender Wahrnehmungsroutine fortwährend vergrößert. Denn die vertraut gewordenen Darstellungsstile überraschen den Betrachter jedesmal weniger, infolgedessen er sich auf die kommunikativen Inhalte des ikonischen Bildes konzentrieren kann. Diese Vertrautheit wurde mit dem Begriff des passiv-wahrnehmungsmäßigen Sehens benannt. Der Betrachter schenkt selten den Darstellungsformen eine Aufmerksamkeit, sondern er sieht die Funktion des Bildes darin, welche visuellen Informationen es ihm ermöglicht [s.S. 103]. Ohne eine gewisse Kulturvertrautheit würden z.B. Filmbilder einen Betrachter eher erschrecken als optische Nachrichten mitteilen: dem unerfahrenen Betrachter würde ein Kulturschock widerfahren. Dies ist ein Grund, warum es für alltägliche Bildkommunikation relativ unsinnig wäre, wenn alles an ihr erstmalig wäre oder ihre Darstellungsformen vollständig denen von aktuellen Kunstformen folgen würden. Eine gewisse Stumpfheit der Sinne, eine trivialisierte "Anästhetik" [Welsch 1993/10] von Darstellungsformen, erleichtert alltägliche Bildkommunikation.

Wie erlangen Bilder ihr kommunikatives Potential über Aufmerksamkeit? Wie oben erläutert, bleibt die visuell kommunikative Aufmerksamkeit auf den Hintergrund der Unaufmerksamkeit angewiesen. Borbé erläutert an der Blickfangfunktion von Wahlplakaten lediglich zwei Möglichkeiten, wie unwillkürliche Aufmerksamkeit hervorgerufen wird: "a) Das Plakat hat einen auffallenden Farbgrund [z.B. eine "giftig" gelbe Signalfarbe], b) das Plakat hat eine von den üblichen Normen erheblich abweichende Form" [Borbé 1983/68]. Diese beiden Faktoren betreffen den konventionellen Darstellungscode, der im Stilbruch kraft neuartiger oder ungewohnter Sinzeichen gestört wird. Selbstverständlich wird auch unwillkürliche Aufmerksamkeit darüber erreicht, daß durchaus konventionelle Darstellungsformen in ungewohnten zeichenwirksamen Zeitspannen und Umgebungsräumen auftauchen. Wesentlich bedeutsamer als die Störung von Darstellungskonventionen ist für Bildkommunikation der ikonische Inhalt. Insbesondere bei visuellen Massenmedien weicht der Darstellungscode nur selten stark vom Vorbild ab. Bilder in Massenmedien erlangen unwillkürliche Aufmerksamkeit normalerweise, sobald sie etwas ikonisch eröffnen, was vorher nie oder jedenfalls nie so, wie dargestellt, gesehen wurde. Sie benötigen Sensationen, keine Veränderungen der kulturellen Sedimente. Der strenge Semiotiker könnte berechtigt einwenden, daß Sensationen nur dann von Bildern erzielt werden, wenn deren Legizeichen ein abweichendes Sinzeichen präsentieren. Da aber der Betrachter selten auf Darstellungsmodalitäten achtet, gilt seine unwillkürliche Aufmerksamkeit meist dem ikonischen Objektbezug des sensationellen Bildes. Denn im ikonischen Inhalt zeigt das Bild etwas, was der durch Aufmerksamkeit gebannte Betrachter so meist nicht gesehen hat. Hier kristallisiert sich nochmals der Unterschied von ikonischer und symbolischer Kommunikation: mit Aufmerksamkeit belegen Adressaten (Deutende) die visuelle Kommunikation, wenn diese ihnen im optischen Informationsgehalt des Ikons etwas selten oder nie Gesehenes zeigt. Demgegenüber erlangt symbolisch visuelle und sprachliche Kommunikation eine Aufmerksamkeit, wenn sie im Nachrichtengehalt etwas mitteilt, was so nicht gedacht oder symbolisch begrifflich gewußt wurde. An etwas denken kann man immer, aber etwas sehen, kann man nur, wenn es optisch präsent ist.

Beispielsweise unterliegt Spangenberg [vgl. 1988/781] einer Fehleinschätzung der Aufmerksamkeit bei visueller Kommunikation. Er meint, daß die Bilder vom ersten Weltraumspaziergang einen niedrigen Informationswert haben, weil das öffentliche Interesse an den Sendungen über die Weltraumfahrt mittlerweile nachließ. Obwohl Spangenberg nicht zwischen Information und Nachricht trennt, läßt sich leicht feststellen, daß vorrangig der Nachrichtenwert jener Landung nach einiger Zeit verblaßte, da alle Betrachter von der Mondlandung wußten. Nichtsdestoweniger stößt der optische Informationswert sogar 25 Jahre nach Apollo 11 auf Interesse, denn zahlreiche Betrachter möchten den dramatischen Ausflug ins All nochmals im Film "Apollo 13" visuell erleben. Der Nachrichtenverfall, den jene kommunikative Abwicklung beinhaltet, erscheint darin, daß televisionäre Medieninhalte langfristig keinen symbolischen Status einnehmen. Deshalb symbolisieren die Bilder der Kulturindustrie nach kurzer Zeit auch nichts mehr, woran noch einmal gedacht werden müßte und sollte. Ikonische Bilder erlangen hingegen ihren visuell kommunikativen Wert darüber, daß sie eine Aufmerksamkeit erwecken, indem sie entweder etwas Neues, Aktuelles, Sensationelles, Modernes, Fremdes, Ungesehenes und Ungewohntes oder lange Unwiederholtes und Vergessenes optisch zeigen. Kultureller Wandel im Darstellungscode und neue Ausrichtungen im ikonischen Objektbezug sind folglich das wesentliche Kommunikationsprinzip von Bildern, sobald diese visuell kommunikative Aufmerksamkeit stimulieren wollen. Wenn identische Bilder in Kulturen langfristig von denselben Personenkreisen verwendet werden, dann ist dies entweder ein Fall von symbolischer Kommunikation, die ein ikonisches Trägermedium nutzt, um eine in der Zeit ablaufende Erfahrungsplattform für symbolische "Kultzwecke" oder Herrschaftsabsichten bereitzuhalten, oder von Wiederholung eines seltenen, wertvollen bzw. faszinierenden Seherlebnisses.

Andererseits kann man schon hier ermitteln, wie Spangenberg bemerkte, daß die Formen der Medien im Wettstreit um die unwillkürliche Aufmerksamkeit des Betrachters immer wichtiger werden, "... weil die Zuschauer bei steigender Medienvielfalt stets knapper werden". (99) Allerdings muß man wissen, welche Formen des Mediums um den Triumph ringen. Das optische Medium "massiert" zwar das aufmerksame Wahrnehmungsbewußtsein des Publikums, wie McLuhan u. Fiore [vgl. 1984/26] schreiben. Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit der Idee, daß jede Form des Mediums eine Botschaft wäre, wie Spangenberg [vgl. 1993/92, 99] meint. Auch McLuhan [vgl. 1968/14] hat erkannt: jedes Medium erhält durch präsente Formen seine Sichtbarkeit, indessen jedes sichtbare Medium infolge kultureller Zeichenkontexte seine Botschaft als Kommunikationsmedium erhält. Ein als Zeichen unverstandenes Medium entsagt sich einer Botschaft, die mehr als dessen Verneinung vermitteln möchte. Deshalb teilt sich die Botschaft eines Mediums mit dessen Toleranz bzw. Intoleranz gegenüber (Ver-)Formungen mit.

Der Unterschied, den Spangenberg in Anlehnung an McLuhan zwischen Medium und Form zu finden meint, besteht in der Differenz von präsentierender und repräsentierender (darstellender) Form [s.S. 164ff.]. Das Medium, oder zu deutsch das Zeichen-Mittel, kann zwar selbst zur Botschaft werden, man muß nur fragen, zu welcher Art von Botschaft. Denn sobald das stilisierte Bildmedium sich im Beziehungsaspekt zum Zeichen personalisierender Selbstdarstellung (z.B. Statussymbol) verwandelt, die im rhematischen (offenen) Interpretantenbezug symbolisiert ist, gerät die ursprüngliche Botschaft und der Inhalt ins Hintertreffen. Eine solche Metakommunikation, die das Medium (Zeichenmittel) auf kommunikative Beziehungsaspekte trimmt, exponiert den Darstellungsstil zur indexikalischen oder sogar symbolischen Botschaft, die in kulturellen oder subkulturellen Stereotypen spontan gedeutet wird. Dies verläuft wunschgemäß dann, wenn der Akzent des Akzents im kulturellen Darstellungsstil (Legizeichen) hervorgehoben wird, da Stereotypen gewisse Erfahrungs- und Erwartungsfestigkeiten benötigen [hierzu Hodge 1988/79]. Auf diese Weise veranlassen feine Unterschiede im Darstellungsstil von Bildern die Klassifikationen, die den Klassifizierenden selbst formsemantisch klassifizieren, wie Bourdieu [vgl. 1982] darlegte.

Mit dem Begriff des kommunikativen »Beziehungsaspekts« [s.S. 114] wurde die metakommunikative Botschaft im syntaktischen Darstellungsstil aufgegriffen. Wie bei der Kleidermode oder der Prestigebedeutung von Autos interessiert dann weniger die Verwendbarkeit des Gegenstandes, sondern der interaktionistische Mitteilungswert der stilisierten Form und Farbe bzw. des Materials oder Mediums; kurz: das Design oder Kulturstyling entzückt, weil beides im kulturellen Beziehungsaspekt die Zugehörigkeit zu einem definierten Lebenskontext in offener und emotionaler Interpretationsmöglichkeit symbolisiert und oft auch nur indiziert. Von hier aus klärt sich auf, warum internationale und lokale Kulturformen, Subkulturen und Kunstrichtungen auf spezifische Bildstile angewiesen sind. Diese indizieren und symbolisieren nämlich die Zugehörigkeitsverhältnisse, die eine Annahme oder Ablehnung eines kulturellen Sinnkonsenses deutlich zeitreduzierter ermöglichen als kommunikative Inhaltsaspekte. Kommunikative Inhaltsaspekte, die zeitaufwendiger nachzuvollziehen sind, erhalten deshalb immer erst infolge der Interpretation des Beziehungsaspekts eine oder eben keine Chance. Die für Bilder mächtigste Symbolfunktion eines kommunikativen Beziehungsaspekts hatte beispielsweise Panofsky [vgl. 1964/99] im Darstellungscode der Perspektive als "symbolische Form" bemerkt. Die Perspektive symbolisiert hier die rational-mathematischen Konzeptualisierungsformen, auf die sich Maler der Renaissance [vgl. Abels 1981/104ff.] festlegten, um im Medium der Malerei einen naturwissenschaftlichen Realitätsfilter einzusetzen, der im Beziehungsaspekt permanent Objektivität mitkommunizieren soll. Wer hingegen in den letzten hundert Jahren im Kunstsystem anerkannt werden wollte, verzichtete am besten auf den symbolischen Beziehungsaspekt der "naturwissenschaftlichen" Perspektive nicht nur in der Malerei, sondern auch im Film und in der Fotografie. Denn ästhetisches Differenzierungsvermögen als Zeugnis kultureller Kompetenz findet seine Anerkennung heutzutage meist außerhalb populärer Zeichensegmentierungen, obwohl die angestrebte Personalisierung im Experimentierfeld einer subkulturellen Standardisierung erfolgt. Dies führen beispielsweise subkulturelle Graffities vor. Sie symbolisieren Zugehörigkeitsverhältnisse, die sich aus einem besonderen Materialgebrauch (Spraydosen) und einem spezifischen Stil ergeben, denen Sinn außerhalb allgemeingültiger Stereotypen zufällt [hierzu Hebdige 1988/89, 101f.]. Offensichtlich beziehen sich Bildsegmentierungen, sobald sie sich als Zeichen eines kulturellen, subkulturellen oder künstlerischen Stils subsumieren lassen, im symbolischen Objektbezug auf Bildproduzenten oder Rezipienten, die ihre Geltungsinteressen im Kreis der Beziehungspersonen und den erwählten Zugang ihrer lebensweltadäquaten Sinnkonstruktion auf diese Weise indizieren und symbolisieren.
Letztere Behauptung läßt sich ebenfalls auf die präsente Form des Bildmaterials übertragen. Wer dies überprüfen möchte, braucht nur darauf zu achten, welche kulturtragenden Gruppen sich durch Ölgemälde, Zeichnungen, Reproduktionen, Druckgraphiken, Videoaufnahmen oder Fotografien symbolisieren bzw. indizieren. Aus diesem Grund mußten künstlerische Fotografien vermutlich noch lange Zeit nach der Erfindung der Farbfotografie schwarz/weiß bleiben, um mit historischer Konnotation zu symbolisieren: "Jetzt kommt detrivialisierte Foto-Kunst". Eine ebenbürtige Botschaft des Fotomaterials erreicht momentan die Cibachrome Farbfotografie, die mit hyperchromer Farbpräsenz und -differenziertheit einen Beziehungsaspekt symbolisiert, der auf hyperreale Sinnkonstruktionen und finanzielle Ehrerbietung hindeutet.
Ebenso wie die stilisierte Optik des Zeichenmittels dirigiert die Wahl des Materials einzelne Auswirkungen, die sich auf Bedeutungen und die unwillkürliche Aufmerksamkeit erstrecken. Da aber die Form wahrnehmungspsychologisch keine eigenständige Bedeutung einnimmt und zumindest mit Gegenstandsbedeutung bzw. Funktion auftreten muß [vgl. Rubinstein 1959/317; Holzkamp 1973/25; s.S. 82, 163], erstaunt es wenig, daß in einer auf Prestige oder Geltungskonsum bedachten Kultur die präsente Form sofort als kommunikatives Zeichen (häufig als Symbol) interpretiert wird. Daß ein solcher Geltungskonsum sowohl den Verlust inhaltlicher Kommunikation als auch manchmal die Untauglichkeit des Gegenstands begünstigt, ist nichts Neues. Eine kommunikationsrelevante Aufwertung des Materials erweckt auch hier eine Aufmerksamkeit, die im kommunikativen Beziehungsaspekt eine rasche Stigmatisierung von Stereotypen feststellt. Auf diese Weise können z.B. Gemälde in Leinöl gruppenbezogenen Kunstverstand symbolisieren. Allerdings setzten und setzen zahlreiche Kulturen Materialien, wie z.B. Gold, Bronze, Seide, Brokat, Elfenbein, Marmor, Ölfarbe, Tusche, Edelstahl, Cibachrome Farbfotografie, Video, Hochglanzdruck, Holzkohle, Blut, Fett usw., als signifizierendes Medium einer kulturellen Botschaft ein. Genaugenommen wird der materielle Zeichenwert von fast allen alltäglichen und künstlerischen Bildern - auch unabhängig von darstellender Form - in abgestufter Relevanz für die willkürliche und unwillkürliche Wahrnehmung kulturalisiert. Der materielle Zeichenwert hat vermutlich schon immer gefühlsmäßige Interpretationen und sensible Beziehungsaffekte provoziert [hierzu Baudrillard 1974/50ff.]. Typischerweise bestimmen sich kulturelle Leistungen nämlich nicht nur in einer Medienkultur, sondern auch in allen anderen Kulturen über formale Anwendungsweisen des (Bild-)Materials. Denn dieses stellt für das passiv-wahrnehmungsmäßige Sehen diejenigen Sedimente bereit, die lediglich bei nicht alltäglichen Ereignissen (z.B. Kunst, Kult, fremde Kulturen) von unwillkürlicher Aufmerksamkeit und bewußt meta-kommunikativen Beziehungsaspekten begleitet sind. Ansonsten trägt das Material selten Botschaften, die in kommunikationsrelvanter Aufmerksamkeit verfolgt werden, wie z.B. die Gewöhnung an elektrische Farbbildröhren bekräftigt.


----Fußnoten----

(98) Zu diesem Begriff vgl. Bohrer 1981.


(99) Auf dem Symposium Interface II in Hamburg am 5.2.1993.


   2.9. Bildkultur als anwesende Umwelt Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Dieses Kapitel wird anfangs den soziologischen Kultur- bzw. Gesellschaftsbegriff knapp aufarbeiten und nachfolgend klären, wann Bildkultur wie eine "anwesende Umwelt" [Luhmann 1975/29; s.S. 246] wirkt. Auf diese Begriffsbildungen wird sich dann das Kapitel 2.10. stützen, um Überlegungen anzustellen, wie Bildkultur als Gedächtnis für Gesellschaften fungiert, und wie diese Kultur als Gedächtnis dazu neigt, von Individuen unbewußt gehandhabt zu werden. Die Idee dabei ist, daß, wenn es für die Psyche von Individuen ein kulturell Unbewußtes geben sollte, dieses auf sozialer und kommunikativer Ebene rasch den Status einer »anwesenden Umwelt« erlangen würde. Obwohl Gesellschaften auf das Bewußtsein von Individuen angewiesen sind, so unterscheiden sich Gesellschaften und Bewußtseinsprozesse dadurch, daß nur in letzteren Zeichenkonzepte kreiert und gelernt werden, um gesellschaftliche Kommunikation und die Vergesellschaftung selbst zu verwirklichen. Wenn Gesellschaft sich aber durch das konstituiert, was für Individuen innerhalb sozialer Systeme als erwartungssichere Pragmatik generalisiert ist und wofür Kultur den Signifikationscode parat hält, dann wäre Kultur - so die Hypothese - für den größten Teil gesellschaftlicher Bildkommunikation eine anwesende Umwelt, eine zweite, selten problematisierte "Natur" oder unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit menschlicher Bildkommunikation. Denn zumindest in bezug auf Bilder basieren die überwiegenden Verständigungen darauf, daß kulturelle Darstellungsformen einen Rahmen bieten, der selten selbst Aufmerksamkeit erweckt. Wie sich diese Behauptung begründen läßt, soll im folgenden geklärt werden. Zuvor möchte ich für meinen Zusammenhang abschließend klären, wie Kultur als Signifikationscode und Gesellschaft als Pragmatik miteinander in Beziehung stehen, und wie diese Begriffe sich in bisherige soziologische Theorien einfügen.


   a) Exkurs zur Beziehung zwischen Kultur und Gesellschaft Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Soziologische Klassiker und neuere soziologische Theorien bieten im Zusammenhang mit Bildern nur bedingt brauchbare Begriffe dafür, wie Kultur und Gesellschaft zueinanderfinden. Infolgedessen muß hier nochmals [s.S. 202] umfassender begründet werden, warum Kultur und Gesellschaft in eine Polarität gesetzt werden, obwohl diese theoretische Gegensätzlichkeit sich in Alltagswelten selten entflechten läßt. Die Unterscheidung zwischen Kultur und Gesellschaft involviert ausnahmslos unauflösbare Austauschbeziehungen.

Für einen Begriff der »Gesellschaft« bietet Simmel auch heutzutage eine brauchbare Formulierung, die schon vorwegnimmt, daß "... sich Soziales nicht auf die Bewußtseinsleistung eines monadischen Subjekts zurückführen [läßt]" [Luhmann 1987/120]. Nach Simmels Auffassung beginnt Gesellschaft dort zu existieren, "... wo mehrere Individuen in Wechselwirkungen treten" [Simmel 1992/17/A5/B4]. Diese soziale Beziehung sieht er verwirklicht, sobald "... eine Wirkung von einem [Individuum] auf das andere - unmittelbar oder durch ein Drittes vermittelt - stattfindet ..." [Simmel 1992/19/A7/B6]. Mit der dynamischen ("unmittelbaren") Gegenstandsbedeutung und interpretierten Zeichenbedeutung begründete sich, daß Wirkung eine Frage jeweiliger Pragmatik ist. Deshalb meine ich, obwohl Simmels Anliegen auf diese Weise beträchtlich verkürzt wird, daß sich das Gesellschaftliche und Soziale mit den jeweils aktualisierten Interpretanten verwirklichter Bedeutungen von Bildern konstituiert. Oder umgekehrt, ohne irgendeine, wenn auch "wechselseitig unkontrollierbare" [vgl. Luhmann 1995a/167] Bedeutungsaktualisierung erreichen Bilder nichts, was sinnvoll als soziale oder gesellschaftliche Wirkungsbeziehung, d.h. auch Kommunikation zwischen Personen, benannt werden kann. Die gesellschaftliche Bewegkraft wird demnach von verallgemeinerten und subjektiven Bedeutungen bzw. Wirkungen angestoßen, da Bildkommunikation ohne eines von diesen kaum soziale Wechselbeziehungen herbeiführen würde. Solche Interaktionen entziehen sich allerdings dort dem Gedanken an ein binär codiertes System, wo für beliebige Bildformen ungebundene Wirkungsmechanismen, z.B. Gefühlsinterpretationen, aufzufinden sind. Gleichwohl benötigen Wirkungsbeziehungen von Bildern einen kulturellen Sinn der Form. Und ebenso sind Wirkungsbeziehungen auf individuelle und verallgemeinerte (kulturelle) Wertpräferenzen angewiesen. Was fungiert jedoch als Kultur?

Um den soziologischen Begriff der Kultur zu bestimmen, ist es unzureichend, ihn als bedeutungsgleich mit dem semiotischen Begriff der Semantik aufzufassen. Das genuin Kulturelle von Bildern ist zwar deren syntaktisch-semantischer Code, aber kulturelle Wertpräferenzen, die sich in Erwartungen kollektivierter Werte (wie z.B. Schönheit, Authentizität, Wahrheit, Gerechtigkeit) formulieren, fechten die schlichte Reduktion auf semiotisch verstandene Semantik an. Zweifellos sind kulturelle Wertpräferenzen kommunizierte Zeichenphänomene. Aber der dabei zu unterstellende Wertkonsens, so unbestimmt er auch sein mag, gehört zur Kultur, obwohl er ausschließlich in sozialen Wechselwirkungen, also in aktualisierten Gesellschaften, und nicht in den Bildern selbst stabilisiert wird. Aus der kulturellen Semantik von Bildern sind Wertpräferenzen unter Umständen rekonstruierbar. Soziale Umstände verfügen aber bereits über Wertpräferenzen, nach denen private Malereien, die nie als Ausstellungsstück intendiert waren, beispielsweise dem Völkerkundemuseum zugeschlagen werden, um als valorisierte Kulturleistung eine wissenschaftliche Wahrheit in Gesellschaften zu untermauern. Kultur beschreibt deshalb ein doppeltes Charakteristikum: Kultur ist sowohl in syntaktisch-semantischen Codes als auch in einzelnen Wertpräferenzen der Wahrheit, der Schönheit, der Authentizität usw. stabilisiert. Die pragmatische Bedeutung eines Bildes ist deshalb einerseits von dessen syntaktisch-semantischer Bezeichnungsfunktion initiiert, andererseits ist sie aber auch von kulturellen Wertpräferenzen geleitet, die z.B. ein Bild als wertvolle Schönheit innerhalb des Kunstsystems behaupten. Diese einleitenden Überlegungen zu einem tragfähigen Kulturbegriff möchte ich im folgenden eingehender spezifizieren, indem ich mich an einzelnen Aspekten soziologischer Theorien orientiere.

Zunächst möchte ich den Kulturbegriff von Simmel ansprechen. Sein Begriff der »Kultur« stützt sich auf die "Form", die z.B. in der Sprache eine beharrende Festigkeit erlangt hat. Um Subjektives zu kommunizieren, muß sich nach Simmel [vgl. 1983/183, 204; 1993/90f.] die subjektive Seele in Formen eines objektiv geistigen Erzeugnisses entäußern. Mit diesem Umweg des Subjektiven über objektivierende Kulturformen verdeutlicht er die kulturkritische Paradoxie, daß die objektivierte Kulturleistung auf tragische Weise dem subjektiven Lebensfluß und dem orts- wie zeitbezogenen Beziehungsaspekt formfremd wird, sobald Individuen in normativen Kultur-Formen einer Kulturindustrie den Weg zu ihrer Lebenspraxis nicht mehr zurückfinden. Die Kulturformen, die in einer Unzahl von technisch perfekten Formen auftreten, sprechen hier den einzelnen nicht mehr in ihrer Gesamtheit an, woraufhin sie an Bedeutung und Wert für subjektive Orientierungen verlieren. Simmel nimmt somit den Begriff der Entpragmatisierung von kultureller Bildkommunikation vorweg und sieht, wie die Öffentlichkeit Subjekte dezentriert, wenn sie diese in das Gewohnheitsrecht allgemeinen Mittelmaßes zentrieren will.

Simmel weicht zwar vor der Frage zurück, wie kulturelle Wertpräferenzen in sozialen Wechselwirkungen Stabilität erhalten, aber er erfaßt mit seinem Kulturbegriff, warum Wertpräferenzen nicht in Bildern gespeichert sind. Denn er sieht in kulturelle Codierungen ("Objektivierungen") eine Bedeutungsmöglichkeit hineingelegt, die nicht nur aus der Codierung als solcher ihre gesamte Bedeutung gewinnt. Simmel [vgl. 1983/200] erläutert dies anhand eines Beispiels von einem Weber, der um die Bedeutung seines Webstücks nicht vollständig wissen kann, da er sie nicht in sein Werk einweben kann. Sein Webbild könnte beispielsweise innerhalb von kulturellen Wertpräferenzen ungeahnterweise als Kunst berühmt werden und so eine gänzlich andere Bedeutung für die Kultur erhalten, als sie eine gewöhnliche Handarbeit erhält. Der Weber, ein Künstler sowie jeder einzelne legen daher nicht die öffentliche Meinung fest, wie diese ihre "Webbilder" in kulturelle Wertsphären einordnen wird. Ihre "Webbilder" weisen eine Kontingenz an Bedeutungen auf, die weniger dem syntaktisch-semantischen Gewebe, sondern mehr den kulturellen Wertpräferenzen irgendeines menschlichen Kollektivs gehorcht.

Obwohl die kulturelle Wertpräferenz, die ein Bild als Kunstwerk erachtet, außerhalb subjektiver Wertbehauptungen liegt, möchte Simmel jedoch den eigentlichen Kulturwert in die Subjektivität des Handelnden zurückverlegen. Damit wirft er aber die Frage auf, wie rein individuelle Kulturformen als Kommunikation fungieren können. Beispielsweise verläßt insbesondere Kunst die eindeutigen Verstehenskontexte der visuellen Kommunikation, da sie kommunikative Aufmerksamkeit vordringlich kraft positiver Irritationen der gebräuchlichen Kultur erhält. Visuelle Kommunikation baut deshalb darauf, daß ihre Kulturformen und ihr kultureller Wert von Gesellschaften stabilisiert sind. Das einzelne Subjekt reicht zwar für Anerkennung von Kunst-Verständigung aus, weil sich bei deren Ereignishaftigkeit die subjektiv Beteiligten gerade nicht an der Perspektive des verallgemeinerten Anderen orientieren wollen. Ein Individuum ignoriert dabei aber den Verstehenskontext, in dem sich eine kulturelle Wertpräferenz in sozialer Ko-Orientierung entwickelt hat. Anders beschrieben, hinreichender kultureller Wertkonsens über eine Kulturleistung und deren pragmatische Bedeutungen muß bei sozial orientierten Wechselwirkungen selbst geleistet werden, obwohl Individuen dies nur mit Kultur verwirklichen können.

Simmels [vgl. 1983/206] Interesse für Subjektivität in der Kultur begründet sich im Kunstwerk, das seines Erachtens menschlicher Arbeitsteilung unzugänglich sei, und deshalb den subjektiven Schöpfer auf das Innigste bewahren soll. Hiermit spricht er das maßgebliche Problem seines Kulturbegriffs an. In keineswegs fernem Abstand zur Schillerschen Meinung, daß der Künstler den "Stoff", den Inhalt und die Materie "... von der Gegenwart nehmen [wird], aber die Form von einer edleren Zeit ..." [Schiller (1905) 1984/32], sieht Simmel [vgl. 1983/142, 153, 185, 206] die Form und den Stil. Simmel nimmt die Form und den Stil zwar nicht als historisch edlen, aber als bewegten und zeitbezogenen Wahrheitsgaranten, der den gepflegten Eigenwert der Kultur von der schlichten Kultiviertheit der Techniken trennt. Das bildungsbürgerliche Element des hochkulturellen Werts, welches Simmel auch in einzelnen Bildstilen erkennt, schwebt sozusagen am Kulturhimmel exquisiter Stilideale über dem Profanen. Somit beschreitet er den "deutschen Sonderweg", den Schnädelbach [vgl. 1991/528] darin bemerkt, daß Kultur immerwährend das "Höhere", die "ewigen Werte" meinte. Solche geadelten Paradegleise führen am Kulturellen von Bildern insgesamt vorbei, weniger weil Alltagskultur "aus dem Spiele" [Simmel 1983/193] gerät, sondern besonders, weil kulturelle Werte im Sozialen der Gesellschaft keine Stabilität gewinnen.
Gegenüber Simmel dirigiert Max Weber den Begriff der "Kultur" in eine Wertbestimmung, die dem anvisierten Bestimmungsort näher kommt. Weber versteht unter Kulturformen nicht nur hochkulturelle Werterscheinungen, sondern nimmt deren Existenz als ubiquitäre Wertideen, "... welche das Stück Wirklichkeit, welches in jenen [kulturellen] Begriffen gedacht wird, für uns bedeutsam machen" [Weber 1956/223]. Die kulturelle Methode präjudiziert die Wertdifferenzierungen, die wir in sozialen Kontexten mit Bedeutungen belegen. Obwohl Weber »Gesellschaft« dem Begriff der »Kulturgemeinschaft« überantwortet, gilt ihm doch Kultur als "... ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens" [Weber 1956/223]. Vorschnell könnte man bei Weber zur Auffassung tendieren, daß Kultur quasi zum gesellschaftsunabhängigen Wertbegriff aufrückt. Jedoch befindet Weber für die Kulturträger, also die sozialen Akteure, daß für diese die Wirkungen der kulturellen "... Leistungen in spezifischer Art zugänglich ..." [Weber 1972/530] sein müssen. Kultur als Wertbegriff meint, daß nicht etwa Kultur selbst Bedeutung beinhaltet, sondern eine programmatische Heraushebungsweise und Wertidee bereitstellt, unter deren Kulturperspektiven etwas zur Bedeutung kommt [vgl. Weber 1956/217f.]. Kultur übernimmt - so weit möchte ich Weber interpretieren - das präformierte Repertoire der jeweiligen Ausschnitts- oder Thematisierungsformen. Diese implizieren Wertideen dadurch, daß allein das, was unter jenem präformierten Themenfokus steht, überhaupt nur zum Wert und zur sozialen Wirkung kommen kann. Kurzum, Kultur übernimmt konsensfähige Wertdirektiven (z.B. fotografischen Realismus für Authentizität), insoweit Kultur die gewünschte Art und Weise vorstrukturiert, »w i e« etwas in der Gesellschaft als pragmatische Bedeutung verankert werden kann. Und dieses »Wie« findet für Bilder seine Bestimmung im ikonischen Signifikationscode, weshalb dieser einen Teil des Kulturellen als Semantik, als syntaktisch-semantischen Bezeichnungscode, beschreibt. Deshalb ist entgegen Habermas [vgl. 1988a/125], der kulturellen Werten grundsätzlich Darstellungsfunktionen abspricht, zumindest hinsichtlich Bildern darauf zu verweisen, daß deren kulturelle Semantik eine Darstellungsfunktion übernimmt. Trotzdem ist die kulturelle Semantik darüber hinaus von kulturellen Wertpräferenzen, wie etwa Wahrheit in der Wissenschaft oder Schönheit in der Kunst, begleitet. Kulturelle Wertpräferenzen übernehmen also keine Darstellungsfunktion, da sie sich im kritisierbaren Selbstverweis nicht auf "Entitäten" einer äußeren oder inneren Welt beziehen, sobald beispielsweise der Kunststatus in Frage steht.

Trotz allen Insistierens auf Codierungen ist zu beachten, daß Kultur ihren Gegenbegriff nicht in codeloser "Unkultur" hat. Außerdem substituiert der Codebegriff weder den Gesellschaftsbegriff, wie Friedrich [vgl. 1994/160] meint, noch füllt er den Kulturbegriff komplett aus, da Kultur nicht ohne Wertpräferenzen auskommt. Semiotische Codes registrieren ausschließlich partielle Regelmäßigkeiten, von denen sich - auch laut Friedrich - Positionen der Subjektivität ohne weiteres dispensieren. Insbesondere Kunstbilder führen unmißverständlich vor, daß der "uncodierte" Gegenpol zur sozial eingespielten Kultur im Neuen, im Sinzeichen und im individuellen Stil zu finden ist. Aus diesem zunächst normdistanzierten Potential der Kunst erwächst oft erst das, was generalisierbare Thematisierungsformen einer Kultur ermöglicht. Wer von "Unkultur" spricht, versucht Individuen als "Unmenschen" und "Unpersonen" abzudrängen, um meist innenorientierte Kreativität mit normativen Wertimperativen zu entmutigen. Von daher dürfte die »freie« Kunst ihrer Bestimmung ausschließlich dann gerecht werden, wenn es für sie nichts gibt, was nicht Kunst ist. Einen Versuch zu diesem kulturellen Kehrum, das die individuell codierte "Gegenkultur" propagieren sollte, unternahm z.B. Beuys. Er forderte die kreative Souveränität des Individuums gegenüber dem Kunstsystem mit dem Grundsatz: "Jeder Mensch ist ein Künstler ..." [Beuys 1984/121]. Das ausdifferenzierte Kunstsystem, in dem Kunst dann ermessensfrei sein darf, wenn Kunst schon Kunst sein soll, ließ sich aus ökonomischen Traditionen und nötigem Verzicht auf Beliebigkeit nur stückweise auf die Forderung ein, daß jeder Mensch seine individuelle "Kultur" zur Kunst erheben darf. Deshalb wird jedoch nicht der kulturelle Stillstand eintreten, der die individuelle Kreativität kraft soziokultureller Kontrolle und institutionalisierten Codes beherrscht.

Schon die individuelle Kreativität läßt erkennen, warum Individuen den Einflüssen nicht vollständig unterliegen, denen sie in ihrer Kultur und Gesellschaft ausgesetzt sind. In der knappen Explikation der Kulturbegriffe von Simmel bzw. Weber könnte nämlich rasch untergehen, daß beide Theorien eine soziologistische Reduktion des Individuums auf Gesellschaft und Kultur als Unmöglichkeit erachten, was ebenfalls für die Bildkommunikation zu beachten ist. Es entsteht vielmehr eine Dreierbeziehung im Sinne Parsons, "... da sowohl Teile des kulturellen Systems wie der sozialen Struktur in Persönlichkeiten verinnerlicht sind und weil Teile des kulturellen Systems in der Gesellschaft institutionalisiert sind" [Parsons 1972/18]. Gleichfalls vergißt Parsons nicht, daß eine Gesellschaft oder Gruppe differierende Kulturformen z.B. in Ritualen, Zeremonien, Museen und codierten Medien institutionalisieren bzw. daß unterschiedliche Gesellschaftsordnungen weitgehend ähnliche Kulturformen für kommunikative Zwecke nutzen können, wie beispielsweise die deutsche Ost/West-Teilung erkennen ließ. Unweigerlich gilt dies nur für elementare Kulturformen. Es war gerade jener Teilung inhärent, daß der ikonische Signifikationscode relativ zügig deutliche Unterschiede zwischen Ost und West aufwies. Denn die gesellschaftspolitischen Institutionen wollten auf die jeweils eingeführten Thematisierungsformen ihrer optischen Realitätskonstruktion bestehen, um ihrem veränderten Orientierungs- und Wertbedürfnis nachzukommen. Andererseits kann sich auch bei gleichbleibenden Signifikationscodes lediglich die pragmatische Interpretation ändern. Beispielsweise parodiert mittlerweile der sogenannte "Zynische Realismus" von Yu Youhans den chinesischen Personenkult um Mao derart, daß dieser als ikonisches Protestsymbol gegen die herrschende Ordnung interpretiert wird. Darüber hinaus bringen Betrachter bei konvergenten Signifikationscodes (z.B. Massenmedien) durchaus heterogene Reaktionen und Interpretationen hervor, die eher mit Bedeutungsaktualisierungen einer diskursiven Trivialkultur, Subkultur oder Hochkultur harmonieren, je nachdem, wie und welche Sozialisationsinstanzen erfahren wurden.

Zusammengenommen ist die Plausibilität trivial, daß gesellschaftliche Standorte und biographische Lernvorgänge heterogene Interpretationen der kulturellen Signifikationscodes denkbar machen. Die Homogenität der kulturellen (Bild-)Semantik steht in manchen Fällen der Heterogenität von Gesellschaften, Nationen, kleinen Kollektiven oder sozialen Gruppen nicht im Weg. Demgegenüber ist zweifellos einzuräumen, daß lokale Sinnproduktionen einer Subkultur existieren, die sich zwar von einer Hochkultur oder Zivilisation abgrenzen, die aber eine homogene Gesellschaftsordnung soweit akzeptiert haben, daß lediglich einzelne Interpretationen gruppenspezifisch oder individuell stark schwanken. Kultur und Gesellschaft sowie kulturelle Signifikationscodes und pragmatische Interpretationen von Bildern beugen sich nie monokausalen Abhängigkeiten, die das eine auf das andere mit absoluter Erwartungssicherheit folgen lassen. Und doch erheben Gesellschaften, Gruppen und Individuen erst dasjenige zu etwas Kulturellem, was sie als interpretierte Signifikation eines Zeichens bestimmen können. Alles das, was nicht thematisiert wird, wofür kein kultureller Signifikationscode, keine kulturelle oder zumindest individuelle Kartographie besteht, taucht auf kommunizierbarer und damit gesellschaftlicher Ebene nicht explizit auf. Gesellschaft stabilisiert somit syntaktisch-semantische Bedingungen, die sie als Kultur für die pragmatische Produktion und visuell kommunikative Mitteilung von Bedeutungen benötigt.

Die entworfene Korrelation zwischen Kultur und Gesellschaft, die im Unterschiedenen ohne Trennung auskommt, entzieht sich dem Dualismus, den beispielsweise Stagl [vgl. 1986] aufzudecken meint. Denn keineswegs wird Kultur und Gesellschaft derart entzweit, daß "Triebe" und "Interessen" einzig mit sozialen Strukturen zusammenhängen, denen kulturelle Produkte für ein "Orientierungs- und Sinnbedürfnis" gegenüberstehen. "Den Grad der Unabhängigkeit", den Stagl [vgl. 1986/80] zutreffend zwischen Kultur und Gesellschaft bemerkt, möchte ich als einen pragmatischen Interpretationsspielraum gegenüber kultureller Semantik verstanden wissen. Trotzdem ist in jenem Grad der Unabhängigkeit keine Polarität vorhanden, die darauf schließen ließe, daß irgendwelche kulturellen Produkte außerhalb von Gesellschaften ein Eigenleben führen würden. Denn Individuen, die hinsichtlich irgendeiner Kultur (z.B. der Mayakultur s.S. 28) ohne einen einzigen Interpretanten wären, könnten einerseits diese Kulturform keinesfalls als menschliches (An-)Zeichen identifizieren, und sie würden andererseits nicht einmal selbst eine kulturelle Semantik hervorbringen, die durch Kommunikation und Interaktion in der Bedeutung stabilisiert wäre, um irgendwelche Institutionen einer Gesellschaft aufzubauen. Eine Institutionalisierung bildet sich deshalb nicht schon mit Kulturformen oder einer Semantik heraus, da sie prinzipiell von den jeweiligen Teilsystemen der Gesellschaft unter Verwendung von Kultur zu leisten ist [vgl. Schmidt 1991/39]. Gesellschaftliche Institutionen (z.B. Museen, semantische Codes), die sich auf einzelne Bildgenres der Kultur beschränken, nehmen somit paradigmatische Programmteile in den Blick. Institutionen manifestieren nie die Kultur insgesamt, sondern sie geben etwaiger Kreativität einen programmatischen Rahmen für jeweilige Exemplifizierungen in der Gesellschaft. Und eine solche Institutionalisierung können Gesellschaften ausschließlich mit einer Kultur leisten, die ihrerseits in Teilen einen »gesellschaftlich anerkannten« Signifikationscode aufweist. Diese kulturelle Regelverwendung entsteht gleichursprünglich mit der Vergesellschaftung der Regel, wodurch Kultur und Gesellschaft unzertrennlich werden.

Mit den syntaktisch-semantischen Signifikationscodes als Kultur reformuliert die aufgezeigte Terminologie im gewissen Sinne den Kulturbegriff, den Parsons [vgl. 1973/39ff., 1972/10] und Clifford Geertz [vgl. 1983/16] als symbolisches System der Formen bezeichnen und den Luhmann [vgl. 1980/19, 70; 1987/224; 1992/108f.] vermeintlich prägnanter als Semantik anspricht. Denn Kultur in semiotischer Geltung als Semantik [s.S. 16] verstanden, meint die kulturellen Signifikationscodes, die z.B. beim fotografischen Darstellungscode, ein Repertoire an realisierbaren Formen und Modellen offerieren, damit sich Kommunikation in sozialen Situationen auf mitteilbare Themen ausrichten kann. Diese semiotische Deutung der Kultur als Semantik strebt Luhmann allerdings nicht an. Deshalb ist es bei ihm begrifflich unklar, ob Semantik die pure Bezeichnungsfunktion übernehmen kann, die ihr dadurch zusteht, daß erst Gesellschaften bzw. Individuen sie mit interpretiertem Sinn (Bedeutung) belegen. Andererseits konstatiert Luhmann [1980/7ff.] aber, daß Semantik (100) ein kulturelles Aufzeichnungs- oder Bezeichnungssystem ist, welches nicht grundsätzlich bei Wiedereintritt in die gesellschaftliche Realität eine eindeutige Bedeutungskonstituierung gewährleistet, sondern eher zur aktualisierten Bedeutungsfülle neigt. Von Bildern wissen wir inzwischen, daß sich im Verlauf veränderter Verwendungskontexte ihre offene Bedeutung wandelt, obwohl die syntaktisch-semantische Kultur in ikonischer Gegebenheit, was auch die Materialität berührt, merklich beständiger auftritt. Deshalb meint der hier verwendete Kulturbegriff, abweichend von Parsons, Geertz und Luhmann, die semiotisch begründete Semantik, die ausschließlich Bezeichnungsfunktionen in den Blick nimmt.

Im weiteren ist der Kulturbegriff als semiotisch begründete Semantik und Bezeichnungsfunktion von Geertz abzugrenzen. Denn Kultur besteht weder aus "sozial festgelegten Bedeutungsstrukturen" [Geertz 1983/19] noch ist sie ein "Geflecht von Bedeutungen" [Geertz 1983/99] oder ein "historisch überliefertes System von Bedeutungen" [Geertz 1983/46]. Die Bedeutung kultureller Formen entsteht im sozialen Handeln, das Formenrepertoires einer Kultur in Gebrauch nimmt, wie sogar Geertz [vgl. 1983/25] selbst feststellt. Daher folge ich Geertz nicht in der Annahme: "Kultur und Sozialstruktur sind ... nur verschiedene Abstraktionen der gleichen Phänomene" [Geertz 1983/99]. Geertz meint damit, daß einerseits soziales Handeln sich der Bedeutungen bedient, die in der Kultur verankert sein sollen, und daß andererseits die soziale Struktur diejenige Form wäre, "in der sich das Handeln manifestiert" [Geertz 1983/99]. Unter diesen Annahmen wären  z w e i  Zeichenbedeutungen in Kollektiven vorhanden, nämlich eine in der Kultur und eine in der Sozialstruktur. Kultur wäre dann ohne Rückgriff auf Sozialstruktur als autonomes Bedeutungskonstrukt für symbolisch (sozial) Handelnde verwendbar. Wie hätten diese sozial Handelnden jedoch ohne Sozialstruktur die öffentliche Bedeutung irgendeiner Kulturform, die sich ja nur dank vergesellschafteter Bedeutung langfristig behaupten kann, erlernen können? Dies ermöglicht selbstverständlich trotzdem, daß subjektiv Handelnde auch individuell motivierte Bedeutung kreieren. Unsere Soziabilität verwirklicht sich jedoch im Zuge zwischenmenschlich sinnhafter Bedeutungsverwirklichung [vgl. Tenbruck 1990/27]. Es mutet deshalb unglaubwürdig an, daß Sozialstruktur ohne Kultur oder verallgemeinerte Kultur ohne Sozialstruktur bestehen könnte. Wenn man schon vorbringt, "Gesellschaften bergen wie Menschenleben ihre eigene Interpretation in sich ..." [Geertz 1983/260 vgl. 136], dann sollte Kultur auch als das »geordnete Formenrepertoire« verstanden werden, was erst kraft institutioneller, sozial-struktureller oder individueller Aktualisierungen zur pragmatischen Bedeutung in Verwendungskontexten kommt. Somit stellt (Bild-)Kultur diverse Leitmuster (Legizeichen) an syntaktisch-semantischen Signifikationen bereit, mit deren Unterstützung Individuen zu solchen Bezeichnungsformen kommen, die gleichfalls von anderen mit Bedeutungsmöglichkeiten belegt werden. Wobei kulturelle Leit- oder Stilmuster keineswegs auf konkrete Realisationen abzielen, sondern vielmehr den kulturellen Rahmen bewahren, in dem sich die kreative Leistungsfähigkeit einer individuierten Bildkultur (Sinzeichen) potentiell entfalten kann.

Wenn es denn tatsächlich so ist, daß Weber und Simmel nach Auffassung von Thurn ganz geradlinig meinen, "... daß die Gesellschaft mithilfe der Kultur zu ihren Formen finde und daß dementsprechend die vorrangige Aufgabe der Kultursoziologie sei, die Formensprache der sich beschleunigt wandelnden Gesellschaft des 20. Jahrhunderts zu entziffern" [Thurn 1979/443], dann werden offensichtlich kaum Irrwege beschritten. Kultur oder kulturelle Bildformen greife ich deshalb als syntaktisch-semantisches Signifikationsmodell auf, mit dessen Thematisierungsfähigkeiten etwas in der gesellschaftlichen Pragmatik mitgeteilt werden kann. Dies impliziert überdies, daß zumindest Bildkultur seit jeher an Übertragungsmedien gebunden ist. Deshalb werden Medien ohne Kulturformen und kulturelle Kontexte selten etwas Soziales mitteilen können. Hiermit wird das Schlagwort des Kulturverfalls und das pseudokritische Kalkül, das dem Alltag, den Wilden und den Massenmedien jede Kultur abspricht, hoffentlich entauratisiert [zu letzterem z.B. Haefner 1991/215; vgl. Lehmann 1991/62]. Wie Gehlen [vgl. 1986/233] zu bedenken gibt, beendet eine Demokratisierung der Kunst womöglich die Bildung einer avantgardistischen Elite und damit meist auch visionäre Thematisierungen. Jedoch verfällt aufgrund der Standardisierung und Serienfabrikation nicht die Bildkultur, da gerade in dieser Tendenz einzelne Segmentierungen stabilen Traditionen folgen. Denn Gehlens [vgl. 1986a/59] Aufforderung "Zurück zur Kultur" ruft lediglich nach den gesellschaftlichen Institutionen, die ein hochkulturelles Erbe weiterhin stabilisieren und nutzbar halten. Und tatsächlich ist es ein kultureller Wert, wenn sich eine Gesellschaft »kommunikative Satelliten« [s.S. 219] auf planetenfernen Thematisierungsbahnen leisten kann.

Zusammengefaßt benennt der Begriff »Kultur« sowohl kulturelle Wertpräferenzen als auch syntaktisch-semantische Signifikationscodes. Über Darstellungsfunktionen verfügen allerdings ausnahmslos die kulturellen Signifikationscodes, da deren semantische Formen in Bildern etwas als kulturelle Einheit thematisieren. Bezieht man den semiotischen Teil des Kulturbegriffs hier nochmals auf Bilder, so behaupten sich deren Formen nur im legizeichenhaften Darstellungsstil als tradierte Kulturformen; im Sinzeichen treten Bilder als individuierte Darstellungsformen auf und im ikonischen Objektbezug gehen sie kaum konventionsgeleitete Bezeichnungsfunktionen ein [s.S. 208f.]. Demgegenüber verdeutlicht der Begriff »Kultur« in seiner Komponente der Wertpräferenzen, warum (z.B. künstlerische) Bilder umso stärker auf die soziale Stabilisierung von kulturellen Wertpräferenzen angewiesen sind, je unsicherer sie im Signifikationscode als Kultur generalisiert sind. Brechen beispielsweise Bilder im Kunstsystem mit kulturellen Stiltraditionen, dann kann nur die kulturelle Wertpräferenz des Systems die Bilder als Kunst behaupten, da ihr individueller Stil andernfalls die erwünschte Wertschätzung verpaßt. Dies würden die gekritzelten Bilder von Cy Twombly bestätigen, wenn sie außerhalb sozialer Systeme besondere Geltung erreichen müßten


----Fußnote----

(100) Obwohl Luhmann [vgl. 1980/19 Fuß. 70] seinen Begriff der Semantik von Koselleck untermauert wissen will, übernimmt er dessen wie folgt bekundetes Verständnis nicht: "Ein Wort enthält Bedeutungsmöglichkeiten, ein Begriff vereinigt in sich Bedeutungsfülle" [Koselleck 1979/29]. Die ursprüngliche Bedeutung bleibt nie voll erhalten, da bereits "... nach den Grundaxiomen linguistischer Pragmatik jede Veränderung des Verwendungskontextes eines Prädikats notwendig mit einem Bedeutungswandel verbunden ist" [Gumbrecht 1979/99].




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