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Wenn gleich von Aufmerksamkeit als eine kommunikative Praxis zu lesen sein
wird, dann impliziert dies den bisher verwendeten Begriff der Kommunikation,
deren wichtigste Voraussetzung die Interpretation von Zeichen ist. Trotzdem
reduziert sich Aufmerksamkeit, so wie diese bezüglich wahrgenommener
Gegenstände jeder erfahren hat, keinesfalls nur auf kommunikative Begebenheiten.
Aufmerksamkeit spielt auf mehr an als auf Kommunikation. Deshalb wird Aufmerksamkeit
kurz selbst thematisiert, um danach zum weiteren Aufmerksamkeitskomplex
die folgenden Fragen aufgreifen: Warum ist das Erwecken von Aufmerksamkeit
nicht notwendigerweise Kommunikation? Wie erlangen Bilder ihr kommunikatives
Potential über Aufmerksamkeit? Welche nicht mit Aufmerksamkeit belegten
kulturellen Sedimentierungen treten notwendigerweise auf, damit eine kommunikative
Aufmerksamkeit entstehen kann?
Die psychologische Bestimmung verbindet Aufmerksamkeit untrennbar mit dem
Bewußtsein, das einen Gegenstand in seiner Zweitheit per Wahrnehmung
konstruiert. Im Wahrnehmungsbewußtsein richtet ein Individuum seine
fokale Aufmerksamkeit auf die Merkmale aus, die in kognitiven Schemata differenziert
werden können. Die Merkmale, für die keine Schemata verfügbar
sind oder gebildet werden, ignoriert ein Individuum unausweichlich. Gedächtnis
sowie ein zeitlich limitiertes Kurzzeitgedächtnis erfüllen hier
eine Funktion, die für Unaufmerksamkeit und Aufmerksamkeit eines Individuums
gleichermaßen fundamental ist. Denn alle Informationen im Aufmerksamkeitsbrennpunkt
spielen sich notwendigerweise vor dem Hintergrund der Unaufmerksamkeit ab,
der vom gedächtnishaften Mechanismus der wahrnehmungsmäßigen
Informationsaufnahme selbst bestimmt wird [vgl. Neisser 1979/68, 140;
Gombrich 1984/15; Oeser 1988/143; s.S. 93]. Allerdings fällt in
das Wahrnehmungsbewußtsein auch eine gewisse Plötzlichkeit ein,
deren »Jetzt« an ein aufmerksamkeitsbedingtes Drei-Sekunden-Fenster
anknüpft [s.S. 124 Fußn. 62]. Plötzlichkeit drängt
sich in den Aufmerksamkeitsfokus, sobald sie vertraut gewordene Erwartungen
durchbricht. Daher erlangen Bilder in denjenigen Merkmalen eine Aufmerksamkeit,
denen die konzeptualisierte Wirkungseinschätzung von erfahrenen Bildern
entgegensteht. Ihrerseits nutzt aber jede bildbezogene Aufmerksamkeit den
Hintergrund der Unaufmerksamkeit, da Individuen sonst von unerwarteter »Plötzlichkeit«
(98) derart
in Fassungslosigkeit versetzt würden, daß sie kaum zu erkannten
Zeichen- und Gegenstandsbedeutungen gelangen könnten. Die Aufmerksamkeit
strukturiert deshalb den Fokus des Bewußtseins um, indem sie der "Weiterentwickung
des Psychischen" [Ciompi 1992/175] bzw. der affektiv-kognitiven Operationsschemata
dient.
Peirce [vgl. 1960/3.433; Schönrich 1990/434] würde den oben verwendeten
Begriff der »Plötzlichkeit« semiotisch an den Index in
seiner Zweitheit binden, da Plötzlichkeit in direkter Wirkung die Aufmerksamkeit
erzwingt und lenkt. Daraus hätte Peirce eventuell gefolgert, daß
eine Person ohne konzeptualisierten Hintergrund im Kantschen Sinne blind
bleiben würde, weil sie nicht erkennen kann, wie sich jene einmalige
Plötzlichkeit (Sinzeichen) zu etwas anderem, zu einem zeichenhaften
Objektbezug, verhält. Aufmerksamkeit wird zwar durch ein indexikalisches
Sinzeichen erregt, aber es bedarf einer regelhaften Erwartungshaltung, die
die indexikalische Bildwirkung mit irgendeiner bereits typisierten Erfahrungssituation
vergleicht, damit sich Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund der Unaufmerksamkeit
abspielen kann. Wenn eine neue Form, die für einen Bildbetrachter plötzlich
auftaucht, ohne regelhaft vertrauten Hintergrund bleiben würde, dann
könnte der Betrachter nicht erkennen, daß es sich um eine darstellende
Bildform handeln soll. Ein Zeichen zu interpretieren, "... heißt
zu wissen, was mit ihm kompatibel ist" [Goodman 1973/199] und was seine
kontextuelle "Kompatibilitätsklasse" [Goodman 1973/200] ist.
Eine plötzlich neue Situation erregt zwar Aufmerksamkeit, aber sie
wird erst dann als ein kommunikatives Zeichen verstanden, wenn in ihr einige
Merkmale von Regelhaftigkeit wiedererkannt werden. Die reine Provokation
der Aufmerksamkeit durch plötzlich auftauchende und vollständig
neuartige Formen erzeugt zwar eine Reaktion, diese erlangt aber erst dann
einen kommunikativen Status, wenn jenes mit Aufmerksamkeit belegte Sinzeichen
in einem kommunikationsanzeigenden (Bild-)Rahmen von Legizeichen integriert
ist, damit angemessen und kommunikativ reagiert werden kann. Dies bedeutet
auch, daß eine Person die kulturellen Bildsedimente akkommodiert haben
muß, damit sie künftig per assimilatorischer Bildwahrnehmung
eine Situation gesellschaftlicher Kommunikation wiedererkennt. Es sind demnach
die kulturellen Bildsedimente von Legizeichen, vor deren Hintergrund sich
die mit Aufmerksamkeit belegte Bildkommunikation abspielt.
Die mit dem Begriff der »Plötzlichkeit« umschriebene Situation,
die, wenn man so will, eine reizgebundene Aufmerksamkeit als Sensation erzeugt,
steht allerdings einer Aufmerksamkeit gegenüber, die ein innengeleitetes
Moment beinhaltet. Diese innengeleitete Aufmerksamkeit resultiert aus konzeptualisierten
Zeichen, d.h. hauptsächlich aus Sprache. Beispielsweise gehen Erwachsene
im Unterschied zu Kindern aufgrund ihrer Wahrnehmungs- und Zeichenkompetenz
über die visuelle Information schnell hinaus, da sie die optische Wirklichkeit
weniger reizgebunden und stärker innengeleitet verstehen [vgl. Neisser
1979/140]. Sie verbreitern daher ihre innengeleitete Aufmerksamkeit auf
einer Ebene der internalisierten Kultur. Denn der erfahrene Bildbetrachter
sieht in weiten Teilen das, was sein ikonisches und symbolisches Zeichenrepertoire
an aktiver Selbstbestimmung erlaubt. Der Bildbetrachter aktualisiert somit
ein aktiv-wahrnehmungsmäßiges Sehen [s.S. 103], welches
von interpretierten Signifikationscodes seiner Kultur gelenkt ist. Er wird
hier in willkürlicher Aufmerksamkeit von den Darstellungsregeln seiner
Kultur an die Hand genommen, indem er dem Nachdruck seines beteiligten "Willens"
folgt. Denn ein Individuum zergliedert in willkürlicher Aufmerksamkeit
die Wahrnehmungswelt in solchem Maße, wie diese konzeptualisierten
Zeichenstrukturen - ohne Rücksicht auf anders mögliche Information -
entspricht [vgl. Rubinstein 1959/566]. Diese zur Gewohnheit gewordene Aufmerksamkeit
erweitert den ikonischen Wissenshorizont sicherlich selten, da sich allein
das kulturell Segmentierte und Erwartete erfüllt. Deshalb stellt Rubinstein
der willkürlichen die unwillkürliche Aufmerksamkeit gegenüber.
Bei unwillkürlicher Aufmerksamkeit drängt sich ein unerwarteter
Appell, eine Plötzlichkeit, in die Wahrnehmungswelt eines Individuums.
Diese Unterscheidung präzisiert: ein Ego sieht in willkürlicher
Aufmerksamkeit das, was es kennt oder weiß, wohingegen es in unwillkürlicher
Aufmerksamkeit unbeabsichtigte Überraschungen erfährt, die die
Sensibilität gegenüber Neuem erhöhen werden. Die Unterscheidung
sieht folgendermaßen aus:
Unwillkürliche Aufmerksamkeit bietet die Möglichkeit von Sinn
und Bedeutung in etwas Anwesendem.
Willkürliche Aufmerksamkeit sucht den bekannten Sinn und die schon
bekannte Bedeutung in etwas Anwesendem.
Von hier aus wird plausibel, daß sich der Hintergrund der Unaufmerksamkeit
bei wachsender Wahrnehmungsroutine fortwährend vergrößert.
Denn die vertraut gewordenen Darstellungsstile überraschen den Betrachter
jedesmal weniger, infolgedessen er sich auf die kommunikativen Inhalte des
ikonischen Bildes konzentrieren kann. Diese Vertrautheit wurde mit dem Begriff
des passiv-wahrnehmungsmäßigen Sehens benannt. Der Betrachter
schenkt selten den Darstellungsformen eine Aufmerksamkeit, sondern er sieht
die Funktion des Bildes darin, welche visuellen Informationen es ihm ermöglicht
[s.S. 103]. Ohne eine gewisse Kulturvertrautheit würden z.B. Filmbilder
einen Betrachter eher erschrecken als optische Nachrichten mitteilen: dem
unerfahrenen Betrachter würde ein Kulturschock widerfahren. Dies ist
ein Grund, warum es für alltägliche Bildkommunikation relativ
unsinnig wäre, wenn alles an ihr erstmalig wäre oder ihre Darstellungsformen
vollständig denen von aktuellen Kunstformen folgen würden. Eine
gewisse Stumpfheit der Sinne, eine trivialisierte "Anästhetik"
[Welsch 1993/10] von Darstellungsformen, erleichtert alltägliche Bildkommunikation.
Wie erlangen Bilder ihr kommunikatives Potential über Aufmerksamkeit?
Wie oben erläutert, bleibt die visuell kommunikative Aufmerksamkeit
auf den Hintergrund der Unaufmerksamkeit angewiesen. Borbé erläutert
an der Blickfangfunktion von Wahlplakaten lediglich zwei Möglichkeiten,
wie unwillkürliche Aufmerksamkeit hervorgerufen wird: "a) Das
Plakat hat einen auffallenden Farbgrund [z.B. eine "giftig" gelbe
Signalfarbe], b) das Plakat hat eine von den üblichen Normen erheblich
abweichende Form" [Borbé 1983/68]. Diese beiden Faktoren betreffen
den konventionellen Darstellungscode, der im Stilbruch kraft neuartiger
oder ungewohnter Sinzeichen gestört wird. Selbstverständlich wird
auch unwillkürliche Aufmerksamkeit darüber erreicht, daß
durchaus konventionelle Darstellungsformen in ungewohnten zeichenwirksamen
Zeitspannen und Umgebungsräumen auftauchen. Wesentlich bedeutsamer
als die Störung von Darstellungskonventionen ist für Bildkommunikation
der ikonische Inhalt. Insbesondere bei visuellen Massenmedien weicht der
Darstellungscode nur selten stark vom Vorbild ab. Bilder in Massenmedien
erlangen unwillkürliche Aufmerksamkeit normalerweise, sobald sie etwas
ikonisch eröffnen, was vorher nie oder jedenfalls nie so, wie dargestellt,
gesehen wurde. Sie benötigen Sensationen, keine Veränderungen
der kulturellen Sedimente. Der strenge Semiotiker könnte berechtigt
einwenden, daß Sensationen nur dann von Bildern erzielt werden, wenn
deren Legizeichen ein abweichendes Sinzeichen präsentieren. Da aber
der Betrachter selten auf Darstellungsmodalitäten achtet, gilt seine
unwillkürliche Aufmerksamkeit meist dem ikonischen Objektbezug des
sensationellen Bildes. Denn im ikonischen Inhalt zeigt das Bild etwas, was
der durch Aufmerksamkeit gebannte Betrachter so meist nicht gesehen hat.
Hier kristallisiert sich nochmals der Unterschied von ikonischer und symbolischer
Kommunikation: mit Aufmerksamkeit belegen Adressaten (Deutende) die visuelle
Kommunikation, wenn diese ihnen im optischen Informationsgehalt des Ikons
etwas selten oder nie Gesehenes zeigt. Demgegenüber erlangt symbolisch
visuelle und sprachliche Kommunikation eine Aufmerksamkeit, wenn sie im
Nachrichtengehalt etwas mitteilt, was so nicht gedacht oder symbolisch begrifflich
gewußt wurde. An etwas denken kann man immer, aber etwas sehen, kann
man nur, wenn es optisch präsent ist.
Beispielsweise unterliegt Spangenberg [vgl. 1988/781] einer Fehleinschätzung
der Aufmerksamkeit bei visueller Kommunikation. Er meint, daß die
Bilder vom ersten Weltraumspaziergang einen niedrigen Informationswert haben,
weil das öffentliche Interesse an den Sendungen über die Weltraumfahrt
mittlerweile nachließ. Obwohl Spangenberg nicht zwischen Information
und Nachricht trennt, läßt sich leicht feststellen, daß
vorrangig der Nachrichtenwert jener Landung nach einiger Zeit verblaßte,
da alle Betrachter von der Mondlandung wußten. Nichtsdestoweniger
stößt der optische Informationswert sogar 25 Jahre nach Apollo
11 auf Interesse, denn zahlreiche Betrachter möchten den dramatischen
Ausflug ins All nochmals im Film "Apollo 13" visuell erleben.
Der Nachrichtenverfall, den jene kommunikative Abwicklung beinhaltet, erscheint
darin, daß televisionäre Medieninhalte langfristig keinen symbolischen
Status einnehmen. Deshalb symbolisieren die Bilder der Kulturindustrie nach
kurzer Zeit auch nichts mehr, woran noch einmal gedacht werden müßte
und sollte. Ikonische Bilder erlangen hingegen ihren visuell kommunikativen
Wert darüber, daß sie eine Aufmerksamkeit erwecken, indem sie
entweder etwas Neues, Aktuelles, Sensationelles, Modernes, Fremdes, Ungesehenes
und Ungewohntes oder lange Unwiederholtes und Vergessenes optisch zeigen.
Kultureller Wandel im Darstellungscode und neue Ausrichtungen im ikonischen
Objektbezug sind folglich das wesentliche Kommunikationsprinzip von Bildern,
sobald diese visuell kommunikative Aufmerksamkeit stimulieren wollen. Wenn
identische Bilder in Kulturen langfristig von denselben Personenkreisen
verwendet werden, dann ist dies entweder ein Fall von symbolischer Kommunikation,
die ein ikonisches Trägermedium nutzt, um eine in der Zeit ablaufende
Erfahrungsplattform für symbolische "Kultzwecke" oder Herrschaftsabsichten
bereitzuhalten, oder von Wiederholung eines seltenen, wertvollen bzw. faszinierenden
Seherlebnisses.
Andererseits kann man schon hier ermitteln, wie Spangenberg bemerkte, daß
die Formen der Medien im Wettstreit um die unwillkürliche Aufmerksamkeit
des Betrachters immer wichtiger werden, "... weil die Zuschauer
bei steigender Medienvielfalt stets knapper werden". (99) Allerdings muß
man wissen, welche Formen des Mediums um den Triumph ringen. Das optische
Medium "massiert" zwar das aufmerksame Wahrnehmungsbewußtsein
des Publikums, wie McLuhan u. Fiore [vgl. 1984/26] schreiben. Dies ist aber
nicht gleichbedeutend mit der Idee, daß jede Form des Mediums eine
Botschaft wäre, wie Spangenberg [vgl. 1993/92, 99] meint. Auch McLuhan
[vgl. 1968/14] hat erkannt: jedes Medium erhält durch präsente
Formen seine Sichtbarkeit, indessen jedes sichtbare Medium infolge kultureller
Zeichenkontexte seine Botschaft als Kommunikationsmedium erhält. Ein
als Zeichen unverstandenes Medium entsagt sich einer Botschaft, die mehr
als dessen Verneinung vermitteln möchte. Deshalb teilt sich die Botschaft
eines Mediums mit dessen Toleranz bzw. Intoleranz gegenüber (Ver-)Formungen
mit.
Der Unterschied, den Spangenberg in Anlehnung an McLuhan zwischen Medium
und Form zu finden meint, besteht in der Differenz von präsentierender
und repräsentierender (darstellender) Form [s.S. 164ff.]. Das
Medium, oder zu deutsch das Zeichen-Mittel, kann zwar selbst zur Botschaft
werden, man muß nur fragen, zu welcher Art von Botschaft. Denn sobald
das stilisierte Bildmedium sich im Beziehungsaspekt zum Zeichen personalisierender
Selbstdarstellung (z.B. Statussymbol) verwandelt, die im rhematischen (offenen)
Interpretantenbezug symbolisiert ist, gerät die ursprüngliche
Botschaft und der Inhalt ins Hintertreffen. Eine solche Metakommunikation,
die das Medium (Zeichenmittel) auf kommunikative Beziehungsaspekte trimmt,
exponiert den Darstellungsstil zur indexikalischen oder sogar symbolischen
Botschaft, die in kulturellen oder subkulturellen Stereotypen spontan gedeutet
wird. Dies verläuft wunschgemäß dann, wenn der Akzent des
Akzents im kulturellen Darstellungsstil (Legizeichen) hervorgehoben wird,
da Stereotypen gewisse Erfahrungs- und Erwartungsfestigkeiten benötigen
[hierzu Hodge 1988/79]. Auf diese Weise veranlassen feine Unterschiede im
Darstellungsstil von Bildern die Klassifikationen, die den Klassifizierenden
selbst formsemantisch klassifizieren, wie Bourdieu [vgl. 1982] darlegte.
Mit dem Begriff des kommunikativen »Beziehungsaspekts« [s.S. 114]
wurde die metakommunikative Botschaft im syntaktischen Darstellungsstil
aufgegriffen. Wie bei der Kleidermode oder der Prestigebedeutung von Autos
interessiert dann weniger die Verwendbarkeit des Gegenstandes, sondern der
interaktionistische Mitteilungswert der stilisierten Form und Farbe bzw.
des Materials oder Mediums; kurz: das Design oder Kulturstyling entzückt,
weil beides im kulturellen Beziehungsaspekt die Zugehörigkeit zu einem
definierten Lebenskontext in offener und emotionaler Interpretationsmöglichkeit
symbolisiert und oft auch nur indiziert. Von hier aus klärt sich auf,
warum internationale und lokale Kulturformen, Subkulturen und Kunstrichtungen
auf spezifische Bildstile angewiesen sind. Diese indizieren und symbolisieren
nämlich die Zugehörigkeitsverhältnisse, die eine Annahme
oder Ablehnung eines kulturellen Sinnkonsenses deutlich zeitreduzierter
ermöglichen als kommunikative Inhaltsaspekte. Kommunikative Inhaltsaspekte,
die zeitaufwendiger nachzuvollziehen sind, erhalten deshalb immer erst infolge
der Interpretation des Beziehungsaspekts eine oder eben keine Chance. Die
für Bilder mächtigste Symbolfunktion eines kommunikativen Beziehungsaspekts
hatte beispielsweise Panofsky [vgl. 1964/99] im Darstellungscode der Perspektive
als "symbolische Form" bemerkt. Die Perspektive symbolisiert hier
die rational-mathematischen Konzeptualisierungsformen, auf die sich Maler
der Renaissance [vgl. Abels 1981/104ff.] festlegten, um im Medium der Malerei
einen naturwissenschaftlichen Realitätsfilter einzusetzen, der im Beziehungsaspekt
permanent Objektivität mitkommunizieren soll. Wer hingegen in den letzten
hundert Jahren im Kunstsystem anerkannt werden wollte, verzichtete am besten
auf den symbolischen Beziehungsaspekt der "naturwissenschaftlichen"
Perspektive nicht nur in der Malerei, sondern auch im Film und in der Fotografie.
Denn ästhetisches Differenzierungsvermögen als Zeugnis kultureller
Kompetenz findet seine Anerkennung heutzutage meist außerhalb populärer
Zeichensegmentierungen, obwohl die angestrebte Personalisierung im Experimentierfeld
einer subkulturellen Standardisierung erfolgt. Dies führen beispielsweise
subkulturelle Graffities vor. Sie symbolisieren Zugehörigkeitsverhältnisse,
die sich aus einem besonderen Materialgebrauch (Spraydosen) und einem spezifischen
Stil ergeben, denen Sinn außerhalb allgemeingültiger Stereotypen
zufällt [hierzu Hebdige 1988/89, 101f.]. Offensichtlich beziehen sich
Bildsegmentierungen, sobald sie sich als Zeichen eines kulturellen, subkulturellen
oder künstlerischen Stils subsumieren lassen, im symbolischen Objektbezug
auf Bildproduzenten oder Rezipienten, die ihre Geltungsinteressen im Kreis
der Beziehungspersonen und den erwählten Zugang ihrer lebensweltadäquaten
Sinnkonstruktion auf diese Weise indizieren und symbolisieren.
Letztere Behauptung läßt sich ebenfalls auf die präsente
Form des Bildmaterials übertragen. Wer dies überprüfen möchte,
braucht nur darauf zu achten, welche kulturtragenden Gruppen sich durch
Ölgemälde, Zeichnungen, Reproduktionen, Druckgraphiken, Videoaufnahmen
oder Fotografien symbolisieren bzw. indizieren. Aus diesem Grund mußten
künstlerische Fotografien vermutlich noch lange Zeit nach der Erfindung
der Farbfotografie schwarz/weiß bleiben, um mit historischer Konnotation
zu symbolisieren: "Jetzt kommt detrivialisierte Foto-Kunst". Eine
ebenbürtige Botschaft des Fotomaterials erreicht momentan die Cibachrome
Farbfotografie, die mit hyperchromer Farbpräsenz und -differenziertheit
einen Beziehungsaspekt symbolisiert, der auf hyperreale Sinnkonstruktionen
und finanzielle Ehrerbietung hindeutet.
Ebenso wie die stilisierte Optik des Zeichenmittels dirigiert die Wahl des
Materials einzelne Auswirkungen, die sich auf Bedeutungen und die unwillkürliche
Aufmerksamkeit erstrecken. Da aber die Form wahrnehmungspsychologisch keine
eigenständige Bedeutung einnimmt und zumindest mit Gegenstandsbedeutung
bzw. Funktion auftreten muß [vgl. Rubinstein 1959/317; Holzkamp 1973/25;
s.S. 82, 163], erstaunt es wenig, daß in einer auf Prestige oder
Geltungskonsum bedachten Kultur die präsente Form sofort als kommunikatives
Zeichen (häufig als Symbol) interpretiert wird. Daß ein solcher
Geltungskonsum sowohl den Verlust inhaltlicher Kommunikation als auch manchmal
die Untauglichkeit des Gegenstands begünstigt, ist nichts Neues. Eine
kommunikationsrelevante Aufwertung des Materials erweckt auch hier eine
Aufmerksamkeit, die im kommunikativen Beziehungsaspekt eine rasche Stigmatisierung
von Stereotypen feststellt. Auf diese Weise können z.B. Gemälde
in Leinöl gruppenbezogenen Kunstverstand symbolisieren. Allerdings
setzten und setzen zahlreiche Kulturen Materialien, wie z.B. Gold, Bronze,
Seide, Brokat, Elfenbein, Marmor, Ölfarbe, Tusche, Edelstahl, Cibachrome
Farbfotografie, Video, Hochglanzdruck, Holzkohle, Blut, Fett usw., als signifizierendes
Medium einer kulturellen Botschaft ein. Genaugenommen wird der materielle
Zeichenwert von fast allen alltäglichen und künstlerischen Bildern
- auch unabhängig von darstellender Form - in abgestufter
Relevanz für die willkürliche und unwillkürliche Wahrnehmung
kulturalisiert. Der materielle Zeichenwert hat vermutlich schon immer gefühlsmäßige
Interpretationen und sensible Beziehungsaffekte provoziert [hierzu Baudrillard
1974/50ff.]. Typischerweise bestimmen sich kulturelle Leistungen nämlich
nicht nur in einer Medienkultur, sondern auch in allen anderen Kulturen
über formale Anwendungsweisen des (Bild-)Materials. Denn dieses stellt
für das passiv-wahrnehmungsmäßige Sehen diejenigen Sedimente
bereit, die lediglich bei nicht alltäglichen Ereignissen (z.B. Kunst,
Kult, fremde Kulturen) von unwillkürlicher Aufmerksamkeit und bewußt
meta-kommunikativen Beziehungsaspekten begleitet sind. Ansonsten trägt
das Material selten Botschaften, die in kommunikationsrelvanter Aufmerksamkeit
verfolgt werden, wie z.B. die Gewöhnung an elektrische Farbbildröhren
bekräftigt.
----Fußnoten----
(98) Zu diesem Begriff vgl. Bohrer 1981.
(99) Auf dem Symposium Interface II in Hamburg am 5.2.1993.
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Soziologische Klassiker und neuere soziologische Theorien bieten im Zusammenhang
mit Bildern nur bedingt brauchbare Begriffe dafür, wie Kultur und Gesellschaft
zueinanderfinden. Infolgedessen muß hier nochmals [s.S. 202]
umfassender begründet werden, warum Kultur und Gesellschaft in eine
Polarität gesetzt werden, obwohl diese theoretische Gegensätzlichkeit
sich in Alltagswelten selten entflechten läßt. Die Unterscheidung
zwischen Kultur und Gesellschaft involviert ausnahmslos unauflösbare
Austauschbeziehungen.
Für einen Begriff der »Gesellschaft« bietet Simmel auch
heutzutage eine brauchbare Formulierung, die schon vorwegnimmt, daß
"... sich Soziales nicht auf die Bewußtseinsleistung eines
monadischen Subjekts zurückführen [läßt]" [Luhmann
1987/120]. Nach Simmels Auffassung beginnt Gesellschaft dort zu existieren,
"... wo mehrere Individuen in Wechselwirkungen treten" [Simmel
1992/17/A5/B4]. Diese soziale Beziehung sieht er verwirklicht, sobald "... eine
Wirkung von einem [Individuum] auf das andere - unmittelbar oder durch
ein Drittes vermittelt - stattfindet ..." [Simmel 1992/19/A7/B6].
Mit der dynamischen ("unmittelbaren") Gegenstandsbedeutung und
interpretierten Zeichenbedeutung begründete sich, daß Wirkung
eine Frage jeweiliger Pragmatik ist. Deshalb meine ich, obwohl Simmels Anliegen
auf diese Weise beträchtlich verkürzt wird, daß sich das
Gesellschaftliche und Soziale mit den jeweils aktualisierten Interpretanten
verwirklichter Bedeutungen von Bildern konstituiert. Oder umgekehrt, ohne
irgendeine, wenn auch "wechselseitig unkontrollierbare" [vgl.
Luhmann 1995a/167] Bedeutungsaktualisierung erreichen Bilder nichts, was
sinnvoll als soziale oder gesellschaftliche Wirkungsbeziehung, d.h. auch
Kommunikation zwischen Personen, benannt werden kann. Die gesellschaftliche
Bewegkraft wird demnach von verallgemeinerten und subjektiven Bedeutungen
bzw. Wirkungen angestoßen, da Bildkommunikation ohne eines von diesen
kaum soziale Wechselbeziehungen herbeiführen würde. Solche Interaktionen
entziehen sich allerdings dort dem Gedanken an ein binär codiertes
System, wo für beliebige Bildformen ungebundene Wirkungsmechanismen,
z.B. Gefühlsinterpretationen, aufzufinden sind. Gleichwohl benötigen
Wirkungsbeziehungen von Bildern einen kulturellen Sinn der Form. Und ebenso
sind Wirkungsbeziehungen auf individuelle und verallgemeinerte (kulturelle)
Wertpräferenzen angewiesen. Was fungiert jedoch als Kultur?
Um den soziologischen Begriff der Kultur zu bestimmen, ist es unzureichend,
ihn als bedeutungsgleich mit dem semiotischen Begriff der Semantik aufzufassen.
Das genuin Kulturelle von Bildern ist zwar deren syntaktisch-semantischer
Code, aber kulturelle Wertpräferenzen, die sich in Erwartungen kollektivierter
Werte (wie z.B. Schönheit, Authentizität, Wahrheit, Gerechtigkeit)
formulieren, fechten die schlichte Reduktion auf semiotisch verstandene
Semantik an. Zweifellos sind kulturelle Wertpräferenzen kommunizierte
Zeichenphänomene. Aber der dabei zu unterstellende Wertkonsens, so
unbestimmt er auch sein mag, gehört zur Kultur, obwohl er ausschließlich
in sozialen Wechselwirkungen, also in aktualisierten Gesellschaften, und
nicht in den Bildern selbst stabilisiert wird. Aus der kulturellen Semantik
von Bildern sind Wertpräferenzen unter Umständen rekonstruierbar.
Soziale Umstände verfügen aber bereits über Wertpräferenzen,
nach denen private Malereien, die nie als Ausstellungsstück intendiert
waren, beispielsweise dem Völkerkundemuseum zugeschlagen werden, um
als valorisierte Kulturleistung eine wissenschaftliche Wahrheit in Gesellschaften
zu untermauern. Kultur beschreibt deshalb ein doppeltes Charakteristikum:
Kultur ist sowohl in syntaktisch-semantischen Codes als auch in einzelnen
Wertpräferenzen der Wahrheit, der Schönheit, der Authentizität
usw. stabilisiert. Die pragmatische Bedeutung eines Bildes ist deshalb einerseits
von dessen syntaktisch-semantischer Bezeichnungsfunktion initiiert, andererseits
ist sie aber auch von kulturellen Wertpräferenzen geleitet, die z.B.
ein Bild als wertvolle Schönheit innerhalb des Kunstsystems behaupten.
Diese einleitenden Überlegungen zu einem tragfähigen Kulturbegriff
möchte ich im folgenden eingehender spezifizieren, indem ich mich an
einzelnen Aspekten soziologischer Theorien orientiere.
Zunächst möchte ich den Kulturbegriff von Simmel ansprechen. Sein
Begriff der »Kultur« stützt sich auf die "Form",
die z.B. in der Sprache eine beharrende Festigkeit erlangt hat. Um Subjektives
zu kommunizieren, muß sich nach Simmel [vgl. 1983/183, 204; 1993/90f.]
die subjektive Seele in Formen eines objektiv geistigen Erzeugnisses entäußern.
Mit diesem Umweg des Subjektiven über objektivierende Kulturformen
verdeutlicht er die kulturkritische Paradoxie, daß die objektivierte
Kulturleistung auf tragische Weise dem subjektiven Lebensfluß und
dem orts- wie zeitbezogenen Beziehungsaspekt formfremd wird, sobald Individuen
in normativen Kultur-Formen einer Kulturindustrie den Weg zu ihrer Lebenspraxis
nicht mehr zurückfinden. Die Kulturformen, die in einer Unzahl von
technisch perfekten Formen auftreten, sprechen hier den einzelnen nicht
mehr in ihrer Gesamtheit an, woraufhin sie an Bedeutung und Wert für
subjektive Orientierungen verlieren. Simmel nimmt somit den Begriff der
Entpragmatisierung von kultureller Bildkommunikation vorweg und sieht, wie
die Öffentlichkeit Subjekte dezentriert, wenn sie diese in das Gewohnheitsrecht
allgemeinen Mittelmaßes zentrieren will.
Simmel weicht zwar vor der Frage zurück, wie kulturelle Wertpräferenzen
in sozialen Wechselwirkungen Stabilität erhalten, aber er erfaßt
mit seinem Kulturbegriff, warum Wertpräferenzen nicht in Bildern gespeichert
sind. Denn er sieht in kulturelle Codierungen ("Objektivierungen")
eine Bedeutungsmöglichkeit hineingelegt, die nicht nur aus der Codierung
als solcher ihre gesamte Bedeutung gewinnt. Simmel [vgl. 1983/200] erläutert
dies anhand eines Beispiels von einem Weber, der um die Bedeutung seines
Webstücks nicht vollständig wissen kann, da er sie nicht in sein
Werk einweben kann. Sein Webbild könnte beispielsweise innerhalb von
kulturellen Wertpräferenzen ungeahnterweise als Kunst berühmt
werden und so eine gänzlich andere Bedeutung für die Kultur erhalten,
als sie eine gewöhnliche Handarbeit erhält. Der Weber, ein Künstler
sowie jeder einzelne legen daher nicht die öffentliche Meinung fest,
wie diese ihre "Webbilder" in kulturelle Wertsphären einordnen
wird. Ihre "Webbilder" weisen eine Kontingenz an Bedeutungen auf,
die weniger dem syntaktisch-semantischen Gewebe, sondern mehr den kulturellen
Wertpräferenzen irgendeines menschlichen Kollektivs gehorcht.
Obwohl die kulturelle Wertpräferenz, die ein Bild als Kunstwerk erachtet,
außerhalb subjektiver Wertbehauptungen liegt, möchte Simmel jedoch
den eigentlichen Kulturwert in die Subjektivität des Handelnden zurückverlegen.
Damit wirft er aber die Frage auf, wie rein individuelle Kulturformen als
Kommunikation fungieren können. Beispielsweise verläßt insbesondere
Kunst die eindeutigen Verstehenskontexte der visuellen Kommunikation, da
sie kommunikative Aufmerksamkeit vordringlich kraft positiver Irritationen
der gebräuchlichen Kultur erhält. Visuelle Kommunikation baut
deshalb darauf, daß ihre Kulturformen und ihr kultureller Wert von
Gesellschaften stabilisiert sind. Das einzelne Subjekt reicht zwar für
Anerkennung von Kunst-Verständigung aus, weil sich bei deren Ereignishaftigkeit
die subjektiv Beteiligten gerade nicht an der Perspektive des verallgemeinerten
Anderen orientieren wollen. Ein Individuum ignoriert dabei aber den Verstehenskontext,
in dem sich eine kulturelle Wertpräferenz in sozialer Ko-Orientierung
entwickelt hat. Anders beschrieben, hinreichender kultureller Wertkonsens
über eine Kulturleistung und deren pragmatische Bedeutungen muß
bei sozial orientierten Wechselwirkungen selbst geleistet werden, obwohl
Individuen dies nur mit Kultur verwirklichen können.
Simmels [vgl. 1983/206] Interesse für Subjektivität in der Kultur
begründet sich im Kunstwerk, das seines Erachtens menschlicher Arbeitsteilung
unzugänglich sei, und deshalb den subjektiven Schöpfer auf das
Innigste bewahren soll. Hiermit spricht er das maßgebliche Problem
seines Kulturbegriffs an. In keineswegs fernem Abstand zur Schillerschen
Meinung, daß der Künstler den "Stoff", den Inhalt und
die Materie "... von der Gegenwart nehmen [wird], aber die Form
von einer edleren Zeit ..." [Schiller (1905) 1984/32], sieht Simmel
[vgl. 1983/142, 153, 185, 206] die Form und den Stil. Simmel nimmt die Form
und den Stil zwar nicht als historisch edlen, aber als bewegten und zeitbezogenen
Wahrheitsgaranten, der den gepflegten Eigenwert der Kultur von der schlichten
Kultiviertheit der Techniken trennt. Das bildungsbürgerliche Element
des hochkulturellen Werts, welches Simmel auch in einzelnen Bildstilen erkennt,
schwebt sozusagen am Kulturhimmel exquisiter Stilideale über dem Profanen.
Somit beschreitet er den "deutschen Sonderweg", den Schnädelbach
[vgl. 1991/528] darin bemerkt, daß Kultur immerwährend das "Höhere",
die "ewigen Werte" meinte. Solche geadelten Paradegleise führen
am Kulturellen von Bildern insgesamt vorbei, weniger weil Alltagskultur
"aus dem Spiele" [Simmel 1983/193] gerät, sondern besonders,
weil kulturelle Werte im Sozialen der Gesellschaft keine Stabilität
gewinnen.
Gegenüber Simmel dirigiert Max Weber den Begriff der "Kultur"
in eine Wertbestimmung, die dem anvisierten Bestimmungsort näher kommt.
Weber versteht unter Kulturformen nicht nur hochkulturelle Werterscheinungen,
sondern nimmt deren Existenz als ubiquitäre Wertideen, "... welche
das Stück Wirklichkeit, welches in jenen [kulturellen] Begriffen gedacht
wird, für uns bedeutsam machen" [Weber 1956/223]. Die kulturelle
Methode präjudiziert die Wertdifferenzierungen, die wir in sozialen
Kontexten mit Bedeutungen belegen. Obwohl Weber »Gesellschaft«
dem Begriff der »Kulturgemeinschaft« überantwortet, gilt
ihm doch Kultur als "... ein vom Standpunkt des Menschen aus mit
Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit
des Weltgeschehens" [Weber 1956/223]. Vorschnell könnte man bei
Weber zur Auffassung tendieren, daß Kultur quasi zum gesellschaftsunabhängigen
Wertbegriff aufrückt. Jedoch befindet Weber für die Kulturträger,
also die sozialen Akteure, daß für diese die Wirkungen der kulturellen
"... Leistungen in spezifischer Art zugänglich ..."
[Weber 1972/530] sein müssen. Kultur als Wertbegriff meint, daß
nicht etwa Kultur selbst Bedeutung beinhaltet, sondern eine programmatische
Heraushebungsweise und Wertidee bereitstellt, unter deren Kulturperspektiven
etwas zur Bedeutung kommt [vgl. Weber 1956/217f.]. Kultur übernimmt
- so weit möchte ich Weber interpretieren - das präformierte
Repertoire der jeweiligen Ausschnitts- oder Thematisierungsformen. Diese
implizieren Wertideen dadurch, daß allein das, was unter jenem präformierten
Themenfokus steht, überhaupt nur zum Wert und zur sozialen Wirkung
kommen kann. Kurzum, Kultur übernimmt konsensfähige Wertdirektiven
(z.B. fotografischen Realismus für Authentizität), insoweit Kultur
die gewünschte Art und Weise vorstrukturiert, »w i e«
etwas in der Gesellschaft als pragmatische Bedeutung verankert werden kann.
Und dieses »Wie« findet für Bilder seine Bestimmung im
ikonischen Signifikationscode, weshalb dieser einen Teil des Kulturellen
als Semantik, als syntaktisch-semantischen Bezeichnungscode, beschreibt.
Deshalb ist entgegen Habermas [vgl. 1988a/125], der kulturellen Werten grundsätzlich
Darstellungsfunktionen abspricht, zumindest hinsichtlich Bildern darauf
zu verweisen, daß deren kulturelle Semantik eine Darstellungsfunktion
übernimmt. Trotzdem ist die kulturelle Semantik darüber hinaus
von kulturellen Wertpräferenzen, wie etwa Wahrheit in der Wissenschaft
oder Schönheit in der Kunst, begleitet. Kulturelle Wertpräferenzen
übernehmen also keine Darstellungsfunktion, da sie sich im kritisierbaren
Selbstverweis nicht auf "Entitäten" einer äußeren
oder inneren Welt beziehen, sobald beispielsweise der Kunststatus in Frage
steht.
Trotz allen Insistierens auf Codierungen ist zu beachten, daß Kultur
ihren Gegenbegriff nicht in codeloser "Unkultur" hat. Außerdem
substituiert der Codebegriff weder den Gesellschaftsbegriff, wie Friedrich
[vgl. 1994/160] meint, noch füllt er den Kulturbegriff komplett aus,
da Kultur nicht ohne Wertpräferenzen auskommt. Semiotische Codes registrieren
ausschließlich partielle Regelmäßigkeiten, von denen sich
- auch laut Friedrich - Positionen der Subjektivität ohne
weiteres dispensieren. Insbesondere Kunstbilder führen unmißverständlich
vor, daß der "uncodierte" Gegenpol zur sozial eingespielten
Kultur im Neuen, im Sinzeichen und im individuellen Stil zu finden ist.
Aus diesem zunächst normdistanzierten Potential der Kunst erwächst
oft erst das, was generalisierbare Thematisierungsformen einer Kultur ermöglicht.
Wer von "Unkultur" spricht, versucht Individuen als "Unmenschen"
und "Unpersonen" abzudrängen, um meist innenorientierte Kreativität
mit normativen Wertimperativen zu entmutigen. Von daher dürfte die
»freie« Kunst ihrer Bestimmung ausschließlich dann gerecht
werden, wenn es für sie nichts gibt, was nicht Kunst ist. Einen Versuch
zu diesem kulturellen Kehrum, das die individuell codierte "Gegenkultur"
propagieren sollte, unternahm z.B. Beuys. Er forderte die kreative Souveränität
des Individuums gegenüber dem Kunstsystem mit dem Grundsatz: "Jeder
Mensch ist ein Künstler ..." [Beuys 1984/121]. Das ausdifferenzierte
Kunstsystem, in dem Kunst dann ermessensfrei sein darf, wenn Kunst schon
Kunst sein soll, ließ sich aus ökonomischen Traditionen und nötigem
Verzicht auf Beliebigkeit nur stückweise auf die Forderung ein, daß
jeder Mensch seine individuelle "Kultur" zur Kunst erheben darf.
Deshalb wird jedoch nicht der kulturelle Stillstand eintreten, der die individuelle
Kreativität kraft soziokultureller Kontrolle und institutionalisierten
Codes beherrscht.
Schon die individuelle Kreativität läßt erkennen, warum
Individuen den Einflüssen nicht vollständig unterliegen, denen
sie in ihrer Kultur und Gesellschaft ausgesetzt sind. In der knappen Explikation
der Kulturbegriffe von Simmel bzw. Weber könnte nämlich rasch
untergehen, daß beide Theorien eine soziologistische Reduktion des
Individuums auf Gesellschaft und Kultur als Unmöglichkeit erachten,
was ebenfalls für die Bildkommunikation zu beachten ist. Es entsteht
vielmehr eine Dreierbeziehung im Sinne Parsons, "... da sowohl
Teile des kulturellen Systems wie der sozialen Struktur in Persönlichkeiten
verinnerlicht sind und weil Teile des kulturellen Systems in der Gesellschaft
institutionalisiert sind" [Parsons 1972/18]. Gleichfalls vergißt
Parsons nicht, daß eine Gesellschaft oder Gruppe differierende Kulturformen
z.B. in Ritualen, Zeremonien, Museen und codierten Medien institutionalisieren
bzw. daß unterschiedliche Gesellschaftsordnungen weitgehend ähnliche
Kulturformen für kommunikative Zwecke nutzen können, wie beispielsweise
die deutsche Ost/West-Teilung erkennen ließ. Unweigerlich gilt dies
nur für elementare Kulturformen. Es war gerade jener Teilung inhärent,
daß der ikonische Signifikationscode relativ zügig deutliche
Unterschiede zwischen Ost und West aufwies. Denn die gesellschaftspolitischen
Institutionen wollten auf die jeweils eingeführten Thematisierungsformen
ihrer optischen Realitätskonstruktion bestehen, um ihrem veränderten
Orientierungs- und Wertbedürfnis nachzukommen. Andererseits kann sich
auch bei gleichbleibenden Signifikationscodes lediglich die pragmatische
Interpretation ändern. Beispielsweise parodiert mittlerweile der sogenannte
"Zynische Realismus" von Yu Youhans den chinesischen Personenkult
um Mao derart, daß dieser als ikonisches Protestsymbol gegen die herrschende
Ordnung interpretiert wird. Darüber hinaus bringen Betrachter bei konvergenten
Signifikationscodes (z.B. Massenmedien) durchaus heterogene Reaktionen und
Interpretationen hervor, die eher mit Bedeutungsaktualisierungen einer diskursiven
Trivialkultur, Subkultur oder Hochkultur harmonieren, je nachdem, wie und
welche Sozialisationsinstanzen erfahren wurden.
Zusammengenommen ist die Plausibilität trivial, daß gesellschaftliche
Standorte und biographische Lernvorgänge heterogene Interpretationen
der kulturellen Signifikationscodes denkbar machen. Die Homogenität
der kulturellen (Bild-)Semantik steht in manchen Fällen der Heterogenität
von Gesellschaften, Nationen, kleinen Kollektiven oder sozialen Gruppen
nicht im Weg. Demgegenüber ist zweifellos einzuräumen, daß
lokale Sinnproduktionen einer Subkultur existieren, die sich zwar von einer
Hochkultur oder Zivilisation abgrenzen, die aber eine homogene Gesellschaftsordnung
soweit akzeptiert haben, daß lediglich einzelne Interpretationen gruppenspezifisch
oder individuell stark schwanken. Kultur und Gesellschaft sowie kulturelle
Signifikationscodes und pragmatische Interpretationen von Bildern beugen
sich nie monokausalen Abhängigkeiten, die das eine auf das andere mit
absoluter Erwartungssicherheit folgen lassen. Und doch erheben Gesellschaften,
Gruppen und Individuen erst dasjenige zu etwas Kulturellem, was sie als
interpretierte Signifikation eines Zeichens bestimmen können. Alles
das, was nicht thematisiert wird, wofür kein kultureller Signifikationscode,
keine kulturelle oder zumindest individuelle Kartographie besteht, taucht
auf kommunizierbarer und damit gesellschaftlicher Ebene nicht explizit auf.
Gesellschaft stabilisiert somit syntaktisch-semantische Bedingungen, die
sie als Kultur für die pragmatische Produktion und visuell kommunikative
Mitteilung von Bedeutungen benötigt.
Die entworfene Korrelation zwischen Kultur und Gesellschaft, die im Unterschiedenen
ohne Trennung auskommt, entzieht sich dem Dualismus, den beispielsweise
Stagl [vgl. 1986] aufzudecken meint. Denn keineswegs wird Kultur und Gesellschaft
derart entzweit, daß "Triebe" und "Interessen"
einzig mit sozialen Strukturen zusammenhängen, denen kulturelle Produkte
für ein "Orientierungs- und Sinnbedürfnis" gegenüberstehen.
"Den Grad der Unabhängigkeit", den Stagl [vgl. 1986/80] zutreffend
zwischen Kultur und Gesellschaft bemerkt, möchte ich als einen pragmatischen
Interpretationsspielraum gegenüber kultureller Semantik verstanden
wissen. Trotzdem ist in jenem Grad der Unabhängigkeit keine Polarität
vorhanden, die darauf schließen ließe, daß irgendwelche
kulturellen Produkte außerhalb von Gesellschaften ein Eigenleben führen
würden. Denn Individuen, die hinsichtlich irgendeiner Kultur (z.B.
der Mayakultur s.S. 28) ohne einen einzigen Interpretanten wären,
könnten einerseits diese Kulturform keinesfalls als menschliches (An-)Zeichen
identifizieren, und sie würden andererseits nicht einmal selbst eine
kulturelle Semantik hervorbringen, die durch Kommunikation und Interaktion
in der Bedeutung stabilisiert wäre, um irgendwelche Institutionen einer
Gesellschaft aufzubauen. Eine Institutionalisierung bildet sich deshalb
nicht schon mit Kulturformen oder einer Semantik heraus, da sie prinzipiell
von den jeweiligen Teilsystemen der Gesellschaft unter Verwendung von Kultur
zu leisten ist [vgl. Schmidt 1991/39]. Gesellschaftliche Institutionen (z.B.
Museen, semantische Codes), die sich auf einzelne Bildgenres der Kultur
beschränken, nehmen somit paradigmatische Programmteile in den Blick.
Institutionen manifestieren nie die Kultur insgesamt, sondern sie geben
etwaiger Kreativität einen programmatischen Rahmen für jeweilige
Exemplifizierungen in der Gesellschaft. Und eine solche Institutionalisierung
können Gesellschaften ausschließlich mit einer Kultur leisten,
die ihrerseits in Teilen einen »gesellschaftlich anerkannten«
Signifikationscode aufweist. Diese kulturelle Regelverwendung entsteht gleichursprünglich
mit der Vergesellschaftung der Regel, wodurch Kultur und Gesellschaft unzertrennlich
werden.
Mit den syntaktisch-semantischen Signifikationscodes als Kultur reformuliert
die aufgezeigte Terminologie im gewissen Sinne den Kulturbegriff, den Parsons
[vgl. 1973/39ff., 1972/10] und Clifford Geertz [vgl. 1983/16] als symbolisches
System der Formen bezeichnen und den Luhmann [vgl. 1980/19, 70; 1987/224;
1992/108f.] vermeintlich prägnanter als Semantik anspricht. Denn Kultur
in semiotischer Geltung als Semantik [s.S. 16] verstanden, meint die
kulturellen Signifikationscodes, die z.B. beim fotografischen Darstellungscode,
ein Repertoire an realisierbaren Formen und Modellen offerieren, damit sich
Kommunikation in sozialen Situationen auf mitteilbare Themen ausrichten
kann. Diese semiotische Deutung der Kultur als Semantik strebt Luhmann allerdings
nicht an. Deshalb ist es bei ihm begrifflich unklar, ob Semantik die pure
Bezeichnungsfunktion übernehmen kann, die ihr dadurch zusteht, daß
erst Gesellschaften bzw. Individuen sie mit interpretiertem Sinn (Bedeutung)
belegen. Andererseits konstatiert Luhmann [1980/7ff.] aber, daß Semantik
(100) ein
kulturelles Aufzeichnungs- oder Bezeichnungssystem ist, welches nicht grundsätzlich
bei Wiedereintritt in die gesellschaftliche Realität eine eindeutige
Bedeutungskonstituierung gewährleistet, sondern eher zur aktualisierten
Bedeutungsfülle neigt. Von Bildern wissen wir inzwischen, daß
sich im Verlauf veränderter Verwendungskontexte ihre offene Bedeutung
wandelt, obwohl die syntaktisch-semantische Kultur in ikonischer Gegebenheit,
was auch die Materialität berührt, merklich beständiger auftritt.
Deshalb meint der hier verwendete Kulturbegriff, abweichend von Parsons,
Geertz und Luhmann, die semiotisch begründete Semantik, die ausschließlich
Bezeichnungsfunktionen in den Blick nimmt.
Im weiteren ist der Kulturbegriff als semiotisch begründete Semantik
und Bezeichnungsfunktion von Geertz abzugrenzen. Denn Kultur besteht weder
aus "sozial festgelegten Bedeutungsstrukturen" [Geertz 1983/19]
noch ist sie ein "Geflecht von Bedeutungen" [Geertz 1983/99] oder
ein "historisch überliefertes System von Bedeutungen" [Geertz
1983/46]. Die Bedeutung kultureller Formen entsteht im sozialen Handeln,
das Formenrepertoires einer Kultur in Gebrauch nimmt, wie sogar Geertz [vgl.
1983/25] selbst feststellt. Daher folge ich Geertz nicht in der Annahme:
"Kultur und Sozialstruktur sind ... nur verschiedene Abstraktionen
der gleichen Phänomene" [Geertz 1983/99]. Geertz meint damit,
daß einerseits soziales Handeln sich der Bedeutungen bedient, die
in der Kultur verankert sein sollen, und daß andererseits die soziale
Struktur diejenige Form wäre, "in der sich das Handeln manifestiert"
[Geertz 1983/99]. Unter diesen Annahmen wären z w e i
Zeichenbedeutungen in Kollektiven vorhanden, nämlich eine in der Kultur
und eine in der Sozialstruktur. Kultur wäre dann ohne Rückgriff
auf Sozialstruktur als autonomes Bedeutungskonstrukt für symbolisch
(sozial) Handelnde verwendbar. Wie hätten diese sozial Handelnden jedoch
ohne Sozialstruktur die öffentliche Bedeutung irgendeiner Kulturform,
die sich ja nur dank vergesellschafteter Bedeutung langfristig behaupten
kann, erlernen können? Dies ermöglicht selbstverständlich
trotzdem, daß subjektiv Handelnde auch individuell motivierte Bedeutung
kreieren. Unsere Soziabilität verwirklicht sich jedoch im Zuge zwischenmenschlich
sinnhafter Bedeutungsverwirklichung [vgl. Tenbruck 1990/27]. Es mutet deshalb
unglaubwürdig an, daß Sozialstruktur ohne Kultur oder verallgemeinerte
Kultur ohne Sozialstruktur bestehen könnte. Wenn man schon vorbringt,
"Gesellschaften bergen wie Menschenleben ihre eigene Interpretation
in sich ..." [Geertz 1983/260 vgl. 136], dann sollte Kultur
auch als das »geordnete Formenrepertoire« verstanden werden,
was erst kraft institutioneller, sozial-struktureller oder individueller
Aktualisierungen zur pragmatischen Bedeutung in Verwendungskontexten kommt.
Somit stellt (Bild-)Kultur diverse Leitmuster (Legizeichen) an syntaktisch-semantischen
Signifikationen bereit, mit deren Unterstützung Individuen zu solchen
Bezeichnungsformen kommen, die gleichfalls von anderen mit Bedeutungsmöglichkeiten
belegt werden. Wobei kulturelle Leit- oder Stilmuster keineswegs auf konkrete
Realisationen abzielen, sondern vielmehr den kulturellen Rahmen bewahren,
in dem sich die kreative Leistungsfähigkeit einer individuierten Bildkultur
(Sinzeichen) potentiell entfalten kann.
Wenn es denn tatsächlich so ist, daß Weber und Simmel nach Auffassung
von Thurn ganz geradlinig meinen, "... daß die Gesellschaft
mithilfe der Kultur zu ihren Formen finde und daß dementsprechend
die vorrangige Aufgabe der Kultursoziologie sei, die Formensprache der sich
beschleunigt wandelnden Gesellschaft des 20. Jahrhunderts zu entziffern"
[Thurn 1979/443], dann werden offensichtlich kaum Irrwege beschritten. Kultur
oder kulturelle Bildformen greife ich deshalb als syntaktisch-semantisches
Signifikationsmodell auf, mit dessen Thematisierungsfähigkeiten etwas
in der gesellschaftlichen Pragmatik mitgeteilt werden kann. Dies impliziert
überdies, daß zumindest Bildkultur seit jeher an Übertragungsmedien
gebunden ist. Deshalb werden Medien ohne Kulturformen und kulturelle Kontexte
selten etwas Soziales mitteilen können. Hiermit wird das Schlagwort
des Kulturverfalls und das pseudokritische Kalkül, das dem Alltag,
den Wilden und den Massenmedien jede Kultur abspricht, hoffentlich entauratisiert
[zu letzterem z.B. Haefner 1991/215; vgl. Lehmann 1991/62]. Wie Gehlen [vgl.
1986/233] zu bedenken gibt, beendet eine Demokratisierung der Kunst womöglich
die Bildung einer avantgardistischen Elite und damit meist auch visionäre
Thematisierungen. Jedoch verfällt aufgrund der Standardisierung und
Serienfabrikation nicht die Bildkultur, da gerade in dieser Tendenz einzelne
Segmentierungen stabilen Traditionen folgen. Denn Gehlens [vgl. 1986a/59]
Aufforderung "Zurück zur Kultur" ruft lediglich nach den
gesellschaftlichen Institutionen, die ein hochkulturelles Erbe weiterhin
stabilisieren und nutzbar halten. Und tatsächlich ist es ein kultureller
Wert, wenn sich eine Gesellschaft »kommunikative Satelliten«
[s.S. 219] auf planetenfernen Thematisierungsbahnen leisten kann.
Zusammengefaßt benennt der Begriff »Kultur« sowohl kulturelle
Wertpräferenzen als auch syntaktisch-semantische Signifikationscodes.
Über Darstellungsfunktionen verfügen allerdings ausnahmslos die
kulturellen Signifikationscodes, da deren semantische Formen in Bildern
etwas als kulturelle Einheit thematisieren. Bezieht man den semiotischen
Teil des Kulturbegriffs hier nochmals auf Bilder, so behaupten sich deren
Formen nur im legizeichenhaften Darstellungsstil als tradierte Kulturformen;
im Sinzeichen treten Bilder als individuierte Darstellungsformen auf und
im ikonischen Objektbezug gehen sie kaum konventionsgeleitete Bezeichnungsfunktionen
ein [s.S. 208f.]. Demgegenüber verdeutlicht der Begriff »Kultur«
in seiner Komponente der Wertpräferenzen, warum (z.B. künstlerische)
Bilder umso stärker auf die soziale Stabilisierung von kulturellen
Wertpräferenzen angewiesen sind, je unsicherer sie im Signifikationscode
als Kultur generalisiert sind. Brechen beispielsweise Bilder im Kunstsystem
mit kulturellen Stiltraditionen, dann kann nur die kulturelle Wertpräferenz
des Systems die Bilder als Kunst behaupten, da ihr individueller Stil andernfalls
die erwünschte Wertschätzung verpaßt. Dies würden die
gekritzelten Bilder von Cy Twombly bestätigen, wenn sie außerhalb
sozialer Systeme besondere Geltung erreichen müßten
----Fußnote----
(100)
Obwohl Luhmann [vgl. 1980/19 Fuß. 70] seinen Begriff der Semantik
von Koselleck untermauert wissen will, übernimmt er dessen wie folgt
bekundetes Verständnis nicht: "Ein Wort enthält Bedeutungsmöglichkeiten,
ein Begriff vereinigt in sich Bedeutungsfülle" [Koselleck 1979/29].
Die ursprüngliche Bedeutung bleibt nie voll erhalten, da bereits
"... nach den Grundaxiomen linguistischer Pragmatik jede Veränderung
des Verwendungskontextes eines Prädikats notwendig mit einem Bedeutungswandel
verbunden ist" [Gumbrecht 1979/99].
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