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Der Titel "Die kulturelle Bedeutung von Bildern" suggeriert eigenständige
Bedeutungssphären, die gegenüber sozialer Pragmatik unabhängig
wären. Warum eine solche Bedeutungssouveränität der Bildkultur
unmöglich ist, zeigte die Auseinandersetzung mit den Kulturdefinitionen
von Eco, Simmel, Weber, Parsons, Geertz und Luhmann [s.S. 237ff., 132].
Das Kulturelle von Bildern verschiebt sich auf syntaktisch-semantische Signifikationscodes,
also auf die kulturelle Semantik. Diese kulturelle Semantik basiert auf
der Bezeichnungsfunktion ikonischer Bilder [s.S. 240ff.]. Kultur als
Semantik ist deshalb mit der Funktion eines ausdifferenzierten Handlungssystems
überfordert. Bildkultur, die im syntaktisch-semantischen Code zu verorten
ist, beinhaltet bei Kommunikation fortwährend irgendeine Pragmatik.
Erst während einer solchen erlangt Kultur das, was Individuen als Bedeutung
bei Verständigungshandlungen interpretieren.
Ist die Pragmatik allerdings ihrerseits von kulturellen Wertpräferenzen
begleitet, ist sie z.B. in den Bezugskontext der Kunst gestellt, dann verändert
sich ihre Bedeutungsinterpretation. Interaktionistischer Pragmatik gelingt
daher Verständigung; sie übernimmt sich aber, wenn sie die kulturelle
Wertpräferenz ihres Verstehensanspruchs in jedem Zeichen mitkommunizieren
soll. Für das Gelingen von Kommunikation, die über Verständigung
hinaus auch interpersonales Verstehen nach sich zieht, ist Bildkultur neben
interaktionistischer Pragmatik oftmals mit kulturellen Wertpräferenzen
verkoppelt. Nur auf diese Weise steigern sich die pragmatischen Erwartungserwartungen
hinsichtlich Bildkultur auf die Wertpräferenz von beispielsweise Kunst.
Fielen diese kulturellen Wertpräferenzen fort, sähe man Bildern
selten an, ob sie in der Kunst, Kindermalerei, im Fernsehen oder für
einen Kult verwendet werden. Somit ermöglicht die Konzeptualisierung
von Bewußtseinsleistungen zwar Verständigung, aber ohne kulturelle
Kontexte bleibt unverbürgt, wie die Verständigungsabsicht zu verstehen
sein soll.
Folgt man mir in der Auffassung, daß Bildkultur sich aus einem syntaktisch-semantischen
Signifikationscode zusammensetzt, so ist deutlich zu erkennen, wie spezifische
Pragmatiken in interaktionistischer Nahorientierung und systemischer Fernorientierung
unterschiedliche Bildformen stabilisieren, bearbeiten, thematisieren, pflegen
und eben kultivieren. Mit einer solchen Betrachtungsweise stellt sich beispielsweise
heraus, daß das soziale System Kunst in seiner kulturellen Wertpräferenz
immer weniger Bildkultur erweitert, erinnert und verwendet; eventuell wird
es in ihm sogar aufgegeben, die Bedeutung von Bildkultur zu stabilisieren.
Kontrastierend dazu setzen heutzutage viele Wissenschaftsdisziplinen zunehmend
auf eine Bildkultur der Zentralperspektive und des Diagramms, wenn sie Anschauungsmaterial
eines indexikalischen Sachverhalts kommunizieren wollen. Ebenso kultivieren
die sozialen Systeme der Politik, Tagesnachrichten, Werbung, Unterhaltung
sowie Religion dann intensiviert Bildkultur, wenn sie das Tempo der Popularität
ihrer Themen forcieren wollen. Die Bedeutung einer Bildkultur hängt
somit nicht von der Kultur selbst ab, sondern von sozialen Systemen, deren
kulturellen Wertpräferenzen und interaktionistischen Handlungsorientierungen
für Bedeutungen sorgen.
Wie begründet [s.S. 238], ist der verwendete Kulturbegriff ambivalent.
Wenn nämlich syntaktisch-semantische Codes als Kultur bezeichnet werden,
so bleiben darin kulturelle Wertpräferenzen, wie etwa Wahrheit, Schönheit,
Realismus, Religiosität oder Erotik unberücksichtigt. Wertpräferenzen
müssen demnach eigens in spezifischen Verwendungszusammenhängen
als kulturelle Orientierung erwartbar sein. Hinsichtlich der Kunst darf
man beispielsweise die kulturelle Wertpräferenz erwarten, daß
schöne oder unkonventionelle Bilder gezeigt werden; im Zusammenhang
mit Wissenschaft steht zu erwarten, daß sie Wahrheit mit realistischen
Bildern untermauert und bei Pornographie ist zu erwarten, daß sie
Bilder von Menschen zeigt, um Erotik zu erzeugen. Kultur beschreibt hier
neben der Semantik auch Wertpräferenzen, wie sie z.B. für Kunst,
Unterhaltung, Pornographie, Ritualisierungen, Religion, Wissenschaft usw.
entstehen, um in sozialen Systemen und für individuelle Handlungen
eine soziale Bedeutung zu stabilisieren. Deshalb fragt derjenige, der nach
der kulturellen Bedeutung von Bildern fragt, danach, für welche sozialen
Systeme mit kulturellen Wertpräferenzen die ikonische Semantik eine
tragende Rolle übernimmt, welche Konsequenzen jene kulturellen Wertpräferenzen
in der Pragmatik von Gesellschaften provozieren und wie Bilder im Verhältnis
zu anderen Thematisierungsformen der Kultur aufzufassen sind. Diesen Fragen
gehe ich im folgenden nach, um im Anschluß daran die unterschiedlichen
Bedeutungen von Bildern aufzugreifen, die sich mit der Unterscheidung zwischen
Sozial- und Systemintegration aufhellen.
In den veränderten Kommunikationsverhältnissen, deren kulturelle
Windrichtung sich Bolz als Triumph über die sogenannte "Gutenberg-Galaxis"
auf die Fahne schreibt, verwirbeln ikonische Bilder einen Teil der Koordinaten,
deren Navigationsleistung für kulturelle Passagen ehemals eine symbolische
Semantik gewährte. Im künftigen Zuschauer vermutet Bolz [vgl.
1993/231] den 'zappenden' Pfadfinder, der sich mittels ikonischer Benutzeroberflächen
seine soziokulturelle Orientierung bahnt. Unzweifelhaft bieten ikonische
Kartographien Orientierung. Auf dem Bildschirm laufen allerdings die Ikons,
hinter denen sich die computerisierten Programmbefehle verstecken, auf dem
gleichen Niveau, wie dem des Illusionsmarketings der Werbeindustrie. Denn
hinsichtlich beider Schaustellungen artikuliert sich durch bloßes
Zeigen auf das Bild der dekontextualisierte Wille eines kindlichen Habenwollens,
dem die binären Codierungen des Computers bzw. des Geldsystems nebulös
vorkommen. Die ikonischen Benutzeroberflächen der Computer und ebenso
die Werbeindustrie illustrieren eine kulturelle Wertpräferenz, in der
man zu sehen bekommt, was man wird haben wollen, ohne daß man angeblich
teleologisch wissen müßte, wozu und wann man das braucht, auf
das man ein Auge "geworfen" hat. Auch wenn Bolz vorhersieht, daß
Hypertexte die Kommunikation (z.B. auf CD-ROM) ein wenig dekontextualisieren,
und sie deshalb das traditionelle Buch entmachten werden, wird diese Prophezeiung
sicherlich vom Absterben der Menschheit gefährdet, sobald eine pure
Bilder-Gesellschaft ihre symbolische Koordination dadurch unterschreitet,
daß sie mit Euphorie ihre Fragestellungen ausschließlich in
ikonisch-indexikalischen Fieberdiagrammen mißt bzw. beantwortet. Wer
im vorsymbolischen Tun mißt, daß er Fieber hat, wird es nicht
dadurch heilen, daß er es am nächsten Tag nochmals mißt.
Kleinkinder am Beginn ihres Spracherwerbs wissen ohnehin nicht, was es bedeutet,
Fieber zu haben, und wonach sie sich richten sollen, wenn sie es haben,
es messen oder ein Bild davon sehen. Im Vergleich zur Gutenberg-Galaxis
liegt denn auch die Attraktivität von Bildern darin, daß diese
ihr Wissen zur begriffslosen Anschaulichkeit bringen können. Die Sichtbarkeit
von ikonischem Wissen verführt deshalb zu einer Orientierung, bei der
man sieht, was man zu wissen meint, ohne daß man begrifflich weiß,
was man sieht.
Bolz irrt nicht in dem Gedanken, daß "... man Information
in numerischen Bildern [d.h. Diagrammen, Kartogrammen] viel stärker
verdichten [kann] als in Sprache" [Bolz 1993/228], aber er geht in
der Einschätzung fehl, daß jenes ikonische Wissen den gleichen
Abstraktionsgrad wie symbolisches Wissen darstellen kann. Letzteres ermöglicht
schließlich Nachrichten bzw. kontextualisierte Argumente und nicht
nur sichtbare Informationen bzw. dekontextualisierte Rhemata, deren Bedeutung
ein soziales Gedächtnis kaum beansprucht [s.S. 279]. Das ikonische
Wissensdesign von beispielsweise fraktaler Geometrie (Mandelbrotmenge) oder
Wettervorhersagen kartographiert komplexe Sachverhalte derart, daß
am Ende deren dekontextualisierte Schönheit, aber nicht deren Wahrheitsthematik
für unmathematische Gemüter überzeugend ist. Dieses einer
Wahrheitsthematik entledigte Wissensdesign wird einer ikonisch informativen
Allegorie überantwortet, die sich im vermeintlichen Anderssagen ihres
Sagens enthält. Denn das Sagen entschwindet mit der sprachlosen Nichtsprache
eines Zeigens von behaupteter Ähnlichkeit, dem Schönheit und Sichtbarkeit
als Begründungszusammenhang seiner dekontextualisierten Einsichten
ausreicht. Die Wahrheitsthematik von Begründungskontexten haftet indessen
an ikonischer Kartomantie, d.h. an der »Kunst des Kartenlegens«,
dessen Wahrsagekraft im Vertrauen auf den subjektiven Eigenbeitrag des Zeichendeuters
begründet sein muß. Denn nur dem monopolistischen Seher ist die
symbolische Interpretation der Karten vorbehalten, in denen er - für
Außenstehende selten überprüfbar - seine indexikalischen
Meßwerte kartographierte. Die Bolzsche Begeisterung für Kartomantie
verdeutlicht, wie das ästhetisierte "Software-Design" einer
"... Theorie ihren Instrumentenflug beginnt ..." [Bolz
1993/233], weil es am Krisenphänomen fiebriger Überkomplexität
und der symbolvertexteten Reduktion von Bild-Geschwindigkeit abzustürzen
meint [s.S. 184]. In Idolatrie, also in erlebnisorientierter Bildverehrung
ohne symbolische Götzen, meint man, den besänftigenderen Notausgang
gefunden zu haben, obwohl gerade dieser der Eingang in die Not der sozialen
Orientierungslosigkeit sein wird.
Bei aller Kritik an idolisierter Kartomantie muß man aber bei Adorno
nachlesen, um nicht dem Verifikationsglauben zu verfallen, daß der
kritische Rationalismus den Alleinanspruch auf symbolisierte Zusammenhänge
von "Gesetzmäßigkeiten" besitzt und fürwahr unumstößliche
Tatsachen in systematischen Beobachtungsresultaten konstruiert. Keineswegs
muß gegessen werden, was auf dem rationalistischen Tisch zum Unionsgedeck
angerichtet wurde; Bilder, Kunst und andere mimetische Formkonzepte demonstrieren
ihre ureigene Plausibilität. Nur sollten diese Kartographien nicht
die einzigen sein, um soziale Koordination zu verwirklichen, weil erstens
privilegierte, dem Papst benachbarte Seher den immunisierten Alleinvertretungsanspruch
von symbolischen Plausibilitäten hätten, sofern sie etwas aus
ikonischen Konzepten herauslesen, was niemand sonst sah und deuten konnte,
und weil zweitens ohne soziales Gedächtnis in vertexteten Symbolen
gleichfalls kollektive Lernprozesse über mehrere Generationen hinweg
ausblieben. Und drittens kommt hinzu, daß Bilder im Gegensatz zu verbalen
Symbolen beliebig kombinierbar sind, wodurch sie Komplexität auf einem
negationsunfähigen Niveau sowohl reduzieren als auch inszenieren.
Auch wenn sich manche eine ikonische Kartomantie wünschen, so bleiben
damit Präferenzen der kulturellen Wertbestimmungen noch recht unartikuliert.
Ebenfalls wäre wenig geklärt, wenn man bezüglich Bildern
in geschmacksverstärkender Theoriestrategie von einer Dagurerre-Galaxis
ikonischer Pertubationen sprechen will. Ersichtlich ist zumindest, daß
sich mit dem partiellen Auswechseln der Gutenberg-Galaxis durch die "Bild-Galaxis"
auch kulturelle Wertpräferenzen umstellen. Diese Neuorientierung erfolgt
nicht gleichlaufend mit der automatisierten Reproduzierbarkeit des Bildes
oder des Buches. Sie erfolgt, sobald z.B. die kulturelle Wertpräferenz
"Schönheit", "Sichtbarkeit" oder "Erlebnishaftigkeit"
gegenüber "Wahrheit" und "Authentizität" an
Tragweite gewinnt, um motivationale Orientierung anzuleiten. Etablieren
sich diese prälogischen Wertpräferenzen, dann bietet Wissen nicht
Orientierung, weil es als wahres Wissen überzeugt, sondern weil es
als schönes, sichtbares oder in seiner Originalität unterhaltsames
Wissen imponiert. Tendenziell gliedern sich Bilder zunehmend in die letztere
Wertpräferenz ein. Sie koordinieren individuelle Handlungen, indem
sie hedonistische Impulse des Beobachters herausfordern. Symbolisches Wissen
könnte nicht genauso schnell verständlich und unproblematisch
emotionale Orientierung erzielen wie ikonisches Wissen. Denn das ikonische
Wissen der Bilder gesteht motivationalen Eigenbeiträgen (z.B. Emotionen)
mehr dekontextualisierten Enfaltungsraum seiner Annahme oder Ablehnung zu.
Um sich an ikonischer Kartomantie zu orientieren, benötigt ein Bildbetrachter
deshalb kaum anonymisierte Fremdorientierung an komplexen Gesellschaftskontexten.
Ihm genügt weitgehend seine subjektive Innenorientierung als Wertpräferenz,
um ikonisches Wissen als schönes Wissen zu durchschauen bzw. als permanente
Non-Ego-Erfahrung zu erleben.
Die engen Kontexte von Wahrheit oder Unwahrheit sind für die individuelle
Orientierung an Sichtbarkeit und Schönheit ohne jede Relevanz. Eskapismus-
und Entpragmatisierungstendenzen hinsichtlich ikonischen Wissens überraschen
daher kaum, weil Bildbetrachter sich nicht von kontextualisierten Wahr/Unwahr-Dichotomisierungen
blockieren lassen, wenn sie sich mit der kulturellen Wertpräferenz
von Sichtbarkeit und eventuell Schönheit begnügen. Mit dieser
bequemlichen Aneignung des ikonischen Wissens dispensieren sich Bildbetrachter
temporär von symbolischen Kontexten der Gesellschaft. Sie (oder wir)
entfliehen den Rationalitätsanforderungen verbalen Verstehens, indem
sie zu wissen meinen, daß etwas so sei, wie sie es im Bild sahen.
Sahen sie es, bietet es Orientierung, weil es schön oder häßlich
scheint, aber nicht weil es wahr oder authentisch ist. Um dem Erfahrungsverlust
von orientierungsrelevanten "Welt"-Erfahrungen nachzukommen, flüchten
sie sich in mimetische Surrogate von "Welt"-Erfahrungen, die keine
Flucht vor der Realität bieten, sondern eine Eskapismustendenz in sich
bergen, die im Gezeigten keine Frage erkennt, die beantwortet werden müßte,
weil die Frage mit dem fraglosen Bild bereits beantwortet ist. So informiert
das ikonische Wissen des Fernsehens über unnegierbare Realitäten,
die außerhalb von normativen und objektivistischen Wahrheitsgeltungen
vorkommunikative Weltpräsenz mimen.
Vielfach - sofern man Simulationen, Fiktionen, Schauspielereien, kartomantische
Wahrsagereien und vergleichbare Existenzvorstellungen betrachtet -
wird das mimetisch Schöne gerade vom "Unwahren" gefördert,
dessen Formenreichtum den des Wahren weit überbietet. Im Unterschied
zu Wahrheitswerten, die einen Allgemeinheitsanspruch hegen, motivieren Schönheitswerte
zur Annahme, weil diese einen Besonderheitsanspruch zu haben scheinen. Hierfür
sind Bilder im Kunstsystem ein gutes Beispiel. Sie reagieren auf die De-Individualisierung
durch Wahrheitswerte überempfindlich, weil sie ausschließlich
in ästhetischer Variation das erreichen können, was ihren individualisierten
Schönheitswert markiert. Das Kommunikationsprinzip von Bildern, also
der Aufmerksamkeitseffekt, trifft insofern mit gegenwärtigen Individualisierungstendenzen
von Personen zusammen. Beide lassen sich von kollektiv geprägten Allgemeinheitsansprüchen
und Wahrheitswerten nicht irritieren, wenn sie subjektive Innenorientierung
(z.B. im Foto) als schönen Augenblick fixieren bzw. erleben. Um der
Erlebnisorientierung gerecht zu werden, fällt die Erzeugung von täglich
variierten Sichtbarkeiten bzw. Schönheiten deutlich leichter, als die
von täglich variierten Wahrheiten. Wie und wann markieren Bilder ihr
kommunikatives Ansinnen aber so, daß nicht ihre Wahrheit oder besser
ihre Realitätsplausibilität, sondern ihre Schönheit, Sichtbarkeit
und optische Erlebnishaftigkeit als kultureller Wert die größere
Präferenz genießt?
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Der Frage nach der Bedeutung der Bildkultur für soziale Systeme begegne
ich im folgenden mit Fragmenten der Systemperspektive von Luhmann. Seine
Theorie baut sich nicht vom Zeichen her auf, sondern umgekehrt von einzelnen
Systemen, in denen unterschiedliche Zeichentypen pragmatische Verwendung
finden. Luhmanns [vgl. 1971/364] Rasterung für soziale Systeme, die
sich von psychischen und maschinellen Systemen unterscheiden, sieht drei
essentielle Mechanismen der Systembildung vor: nämlich Variation, Differenzierung
(Selektion) (116)
und Stabilisierung. Die Variation leisten weitgehend Zeichen, die Differenzierung
gewähren Medien- oder Präferenz-Codes und die Stabilisierung bewältigen
soziale Systeme, die sich infolge funktionaler Erwartungserwartungen entwickeln.
Primär lenkt die Systemperspektive den Variationsmechanismus auf die
Sprache. Deren variierende Aufgabe wird darin begriffen, wie sie ein Überangebot
an auswählbaren Möglichkeiten über das Wahrnehmbare hinaus
denkbar hält. Variation meint daher, daß eine Vielzahl von annehmbaren
und unannehmbaren Möglichkeiten als Zeichen präsent bleiben. Ohne
feste Bindung an soziale Systeme, die nach stabilisierten Präferenzen
differenzieren, variieren Sprache und Bilder alles ihnen mögliche,
vergleichbar einem "variety pool" [Luhmann 1971/377], der in semiotisch
codierten Kontexten interaktionistisch sprudelt. Semiotische Codes sind
somit kein System [s.S. 177, 301 Fußn. 111].
Allerdings bestehen Unterschiede zwischen bildlichen und sprachlichen Variationsmechanismen.
Bilder konkurrieren nicht im organisierten Komplexitätsgrad mit Sprache;
Sprache weist im Symbolischen und in der Leistung des Negierens einen höheren
Organisationsgrad auf. Innerhalb der Bildkommunikation gibt es keine Verneinungsbilder,
keine Gegenbilder und Antonyme, sondern bei nachlässiger Begriffsführung
allenfalls ikonische Synonyme. Bilder konkurrieren jedoch dort mit Sprache,
wo sie ein Reservoir von Sichtbarem virtualisieren, dessen auswählbare
Möglichkeiten die aktualisierte Praxis sogar oft dominieren. Ein ökonomisches
Beispiel hierfür ist der richtungsweisende Einfluß, den Bilder
in der (Konsum-)Praxis effizieren, wenn sie infolge eines umfassenden Merchandising
den Absatz von Batman-Mützen, -Tassen und -T-Shirts beschleunigen.
Gleichfalls ist unübersehbar, daß Radiomoderatoren, Hörspielsprecher
oder Zeitungsjournalisten weniger Bücher anbieten, vielleicht aber
auch nur weniger dafür werben, als Fernsehmoderatoren, Schauspieler,
telegene Politiker und Sportler. Letztere haben nämlich außer
ihrem Namen weiterhin ein zeichenwirksames Gesicht, das, wenn man Luhmanns
[vgl. 1987/178] heitere Wendung bemüht, als sozial identifizierbare
"Erwartungskollage" in ikonischen Interaktionszusammenhängen
fungiert. Allerdings wird Bildern auch in den Bereichen, in denen Unzulässiges
oder Unerwünschtes kommuniziert werden soll, der Variationsmechanismus
übertragen, der Tabuiertem, Abschreckendem, Unerfreulichem, Ungesetzlichem,
Unmoralischem usw. im Schutz des Bildschirms vorsprachlich zur lustvollen
Anschauung verhilft. Insbesondere Fernsehbilder beantworten im Übermaß
die hier metaphorisch gemeinte Suggestivfrage: "Willst Du etwa das,
was wir Dir darstellen, tatsächlich erleben?" Es scheint aus all
den genannten Gründen zumindest fraglich, ob tatsächlich Sprache
in Zukunft der vorrangige Variationsmechanismus bleibt, der für Individuen
potentiell Auswählbares kartographiert. Sollte Sprache ein primärer
Variationsmechanismus bleiben, dann ist abzusehen, daß sie in unserer
Informationsgesellschaft vorzugsweise ursächliche Bild- und weniger
ursächliche "Welt"-Erfahrung konzeptualisieren wird.
Nach welchen kulturellen Wertpräferenzen wird jedoch potentiell Auswählbares
differenziert? Für diese differenzierende Funktion entfaltet Luhmann
Medien-Codes, die "... regulieren, welche Reduktion des Erlebens
bzw. Handelns in sozialen Systemen übertragbar gemacht werden und welche
anderen, obgleich sprachlich [bildlich] möglich, an ihrer Nichtübertragbarkeit
in sozialen Systemen scheitern" [Luhmann 1971/366]. Ein Beispiel hierfür
ist die Malerei von "Geistesgestörten", die Art brut. Die
Übertragbarkeit ihrer Konzeptualisierungen läßt das Kunstsystem
daran scheitern, daß ihr der interpersonale Erfolg in prästabilisierten
Sinntautologien der Kunst verweigert wird. Solche desorientierten Malereien
sind praktisch ohne kommunikative Adresse, wenn sie nicht in die "charaktervolle"
Kunstsprache passen, der Adorno und Dewey große Präferenz beimaßen
[s.S. 307, 96]. Ebenso geht es Kunstwerken aus nichtwestlichen Ländern.
Sie sortiert das Kunstsystem meist als ethnologische Zeugnisse aus. Bilder
von "Verrückten" und nicht westlich orientierten Künstlern
sind demzufolge - so differenziert es der binäre Code des Kunstsystems -
erst dann schön, wenn sie als Kunst behauptet werden; sie sind nicht
schon deshalb schön, weil es schöne Bilder sind. Kunst ist somit
keine Leistung - wie von Künstlern gern versichert - die
im Auge des Betrachters oder im Denken eines kreativen Menschen entsteht
[s.S. 52]. Sie ist eine Leistung der ihr zugrundeliegenden Wertpräferenzen,
die erst dann nicht zur Aussonderung desorientierter Bildkonzepte von kreativen
Ahnungslosen führen, wenn besondere Legitimationsparolen - wie
z.B. jeder Mensch ist ein Künstler - sporadisch gedeihen. Solche
Widerstandsforderungen bringt das Kunstsystem aus Angst vorm Menschen rasch
zu Fall, indem es Bildkonzepte, die ihm gegenüber vollständig
autonom auftreten, diskriminiert. Individuelle Autonomie und Beliebigkeit
grenzt das Kunstsystem infolge interner Wertpräferenzen aus. Soll diese
Unfreiheit der freien Kunst bestätigt werden, sind die am Ausstellungsbetrieb
beteiligten Künstler zu fragen, warum sie nicht all die Werke zeigen
wollen (bzw. können), die sie zeigen können (bzw. wollen).
An der weitreichenden Diskriminierung der meisten Bildvariationen läßt
sich die Kunst als System identifizieren. Wie oben gesagt, stabilisieren
sich soziale Systeme infolge der Wertpräferenzen, mit denen sie Variationsmechanismen
der (Bild-)Zeichen differenzieren und aussondern. Bilder dürfen beispielsweise
meist dann Kunst sein, wenn sie Kommunikation über Kommunikation darstellen
oder wenn sie Kommunikation stören, um Kommunikation über Bildkommunikation
anzuregen. Kreativ Ahnungslose verstehen es selten, eine innovative Kommunikationsform
über Kommunikation im Sinne des Kunstsystems herzustellen. Sie kommunizieren
über irgend etwas Anschauliches oder "Verrücktes". Sie
thematisieren oder erweitern deshalb selten die Kommunikation über
Kommunikation, weil sie nicht am Kunstsystem, sondern an ihrem Gegenüber
oder an sich selbst orientiert sind. Kunst schwimmt daher in der Gesellschaft
wie eine fetthaltige Perücke, die sich gegen das "sozial Verwässernde"
hydrophobiert, indem sie sich aus diesem an ihren eigenen Haaren herauszuziehen
versucht. In dieser Orientierung an sich selbst zupft sich die Kunst zwar
ein stilistisches Haar nach dem anderen aus, aber dieser Formenverschleiß
[s.S. 210] hat bisher kaum merkbaren Einfluß darauf, daß
sich ihr binärer Präferenz-Code als erwartbare Hydrophobie des
Kommunikationssystems »l'art pour l'art« destabilisieren könnte.
Am Ende aller ideenverschleißenden Frisiererei, wäre die artifizielle
Zweitfrisur womöglich schmucklos, aber mitnichten in Kunstlosigkeit
versunken. Käme es tatsächlich soweit, dann wäre die "freie"
Kunst der Kunst ihrer menschlich subjektiven Wahlfreiheit restlos entledigt;
Kunst wäre an Kunst, Kommunikation wäre an Kommunikation orientiert,
aber kaum an irgendeiner Subjektivität von Individuen.
Im Sinne Luhmanns [vgl. 1975/175] sind diese am Kunstsystem aufgezeigten
kulturellen Wertpräferenzen - divergierend vom semiotischen Code-Begriff -
eine Folge ausdifferenzierter Medien-Codes. Deren Wert/Unwert-Dichotomisierung
unterscheidet nach Präferenzen, wie z.B. schön oder häßlich
für die Kunst, wahr oder unwahr für die Wissenschaft und metaphorischer
(hinsichtlich der fetthaltigen Perücke) fetthaltig oder wasserhaltig.
Am obigen Beispiel der Art brut war zu erkennen, daß Sprachlichkeit
ebensowenig wie Bildlichkeit kulturelle Wertpräferenzen erzeugt. Semantische
Sprach- und Bildleistungen sind keine Systemleistungen, vielmehr sind sie
"...indifferent gegen Wahrheit und Falschheit" [Luhmann 1971/339]
bzw. indifferent gegen den Medien-Code von Schönheit oder Häßlichkeit.
Um Bilder in Systemleistungen zu integrieren, die sich ausschließlich
durch Grenzerhaltung des Werts stabilisieren, bedarf es eines Medien-Codes,
der "... zwei mögliche Ausprägungen bereitstellt"
[Luhmann 1991/246], wie beispielsweise wichtig/unwichtig und schön/häßlich
im Kunstsystem oder wahr/unwahr im Wissenschaftssystem. Unschwer ist zu
erkennen, daß die Mehrzahl von Bildleistungen im Kunstsystem keinen
Halt finden. Die wenigsten Bildkonzeptionen wollen Kunst sein, und die,
die Kunst sein wollen, finden im gegenwärtigen Kunstsystem zunehmend
weniger Anerkennung. Demzufolge müßten Bilder in binärer
Dichotomie des avantgardistischen Kunstsystems häßlich sein oder
gar als Beispiel des Unzulässigen, des Formverschlissenen gelten, wozu
die gegenwärtige Auffassung von ihnen in jenem sozialen System auch
tendiert. Daß diese Tendenz absolut nichts über den Wert von
Bildern aussagt, versteht sich aus dem Kunstsystem selbst. Bilder grenzt
das Kunstsystem zunehmend aus, weil sie seinem stilistischen Innovationsanspruch
kaum standhalten können. Sie deklassiert die Kunst gegenwärtig
als stilistischen Unwert, was der künstlerischen Spannung durchaus
zuträglich sein kann.
Wenn Bilder im Kunstsystem kaum sinntautologische Anerkennung finden, welches
soziale System hat dann aber Verwendung und einen Präferenz-Code für
sie? Ob sich Bilder überhaupt in großem Maße in soziale
Systeme mit fest binarisiertem Medien-Code integrieren lassen, scheint zumindest
fraglich. In den meisten Fällen integrieren sich Bilder in Kontexte
einfacher Interaktion, die die ikonische Fern- als mimetische Nahorientierung
auf der Basis von bildlicher Anwesenheit verwirklicht. Dank dieser mimetischen
Anwesenheit überlappen Grenzen der Wahrnehmung von Bildern mit denen
der einfachen Interaktion. Soziale Systeme treten dabei weit in den Hintergrund.
Die an ihnen ausgerichtete Fernorientierung fällt daher kaum als mediencodierte
Kommunikation auf, obwohl diese vielfach unausweichlich, jedoch meist unbewußt
vorhanden ist. Diese These möchte ich am Beispiel der televisionären
Massenkommunikation, also an den Bildvariationen des besonders bildfürsorglichen
Fernsehens erläutern, damit deutlich wird, welche Bedeutung Bildern
in der Gesellschaft zukommt.
Obwohl das Fernsehen zwar viele Bilder diskriminiert, durfte es sich dennoch
nicht ihre vollständige Diskriminierung leisten. Visuelle Wahrnehmbarkeit
bildlicher Variation ist sein unentbehrlicher Ausgangspunkt. Das System
»Fernsehen« ist daher - wie jeder weiß - das
soziale System, welches dem Variationspool der Bilder die größte
Bedeutung zugesteht. Damit televisionäre Massenkommunikation sich aber
als System stabilisieren konnte, benötigten ihre Bilder einen binären
Medien-Code. Diese Codierung übernahm ihre Realismusbehauptung, die
die Zentralperspektive sinntautologisch erweckte [s.S. 176]. Kraft
dieser Tautologie, in der Sinn Sinn macht, behauptet die Fernsehkommunikation
etwas Sichtbares, das durch den perspektivischen Realismus der Bilder realistisch
wirken soll. Der binäre Medien-Code des Systems »Fernsehen«
fungiert also in der kulturellen Wertpräferenz realistisch/unrealistisch.
Unrealistisches, Unperspektivisches bzw. Ungegenständliches ist demzufolge
kein Fernsehen - man würde ja auch "nichts" sehen, sondern
optisches Rauschen wahrnehmen oder eben Kunst und Malerei erkennen, die
von anderen Medien-Codes stabilisiert werden. Beispielsweise behauptet die
Wissenschaft in ihrem System, daß sie eine Wahrheit über etwas
kommuniziert, obwohl sie selbst und auch jeder andere Philaleth, d.h. Wahrheitsfreund,
langsam merkt, daß sie nicht Wahrheit über externes ausspricht,
sondern gemäß interner Kriterien allenfalls eine Plausibilität
verdeutlicht, die manchmal mit empirischen Wahrnehmungen übereinzustimmen
scheint. Gleichermaßen behauptet das Fernsehen, daß es Realistisches
von etwas zeigt, obwohl jeder weiß, daß in ihm nichts genauso
zu erblicken ist, wie es in der Wirklichkeit erfahrbar wäre.
Dem Fernsehen als soziales System ist egal, ob die Sachverhalte, die es
zeigt, tatsächlich existieren oder in der erfahrbaren Wirklichkeit
inexistent sind. Die funktionale Erwartung des Betrachters beruht darauf,
daß er im Fernsehen etwas zu sehen bekommt, was er auch tatsächlich
als optischen Realismus wiedererkennen kann. Ob das optisch Gesehene mit
etwas korrespondiert, das ein Betrachter als mögliche oder unmögliche
Wirklichkeit einschätzt, knüpft sich nicht an die erwartbare Funktion
des Fernseh-Systems. Gegenüber diesem erwartet der vertraute Nutzer
deshalb auch nicht, daß er in das ikonische Bild wie in eine virtuelle
Realität hineinklettern kann [s.S. 78]. Würden all seine
Erwartungen enttäuscht, wenn sein Fernseher beispielsweise lediglich
mit blauer Farbe aufwartet, würde er, sofern ihm der Film "Blue"
von Derek Jarman unbekannt ist, denken: das ist keine Television, das ist
unkommunikativer Nonsens, eine Sendestörung oder ein Defekt des Bildschirms.
Fernsehen als funktionales System hat sich folglich in seiner Sinntautologie
so weit ausdifferenziert, daß jeder die Nonsens-Phobie des Fernsehens
derart erwartet, daß sie jedem als sinnreiche Realismusphilie vorkommt,
wenn man das so beschreiben darf. Auf diese Weise steigerte Fernsehen die
Erwartung, daß realistisch Sichtbares funktional erwartet werden kann,
ohne daß es Unrealistisches oder optischen Nonsens eingrenzt, um ein
grenzerhaltendes System sein zu können. Das funktionale Motiv des Fernsehens
ist, daß perspektivisch Sichtbares zu sehen sein wird. Deshalb ist
- im Gegensatz zum Kunstsystem - das Fernsehen als System innovationsfeindlich.
Hinsichtlich seiner Kultur erwartet jeder, daß das Fernsehen an seinem
perspektivischen Darstellungsstil festhält.
Wie etabliert sich eine Erwartungserwartung, die zur Ausdifferenzierung
des sozialen Systems »Fernsehen« führte? Als Erwartungserwartung
wird eine Situation bezeichnet, in der das handelnde Ego erwartet, "... was
Alter [das andere Ich] von ihm erwartet, um sein eigenes Erwarten und Verhalten
mit den Erwartungen des anderen abstimmen zu können" [Luhmann
1987/412]. In solcher Reziprozität (Wechselseitigkeit) erwartet der
Fernsehmacher, daß sein Tun den funktionalen Realismus-Erwartungen
des Betrachters entspricht. Und auch umgekehrt erwartet der Betrachter vom
Fernsehmacher, daß dieser in seinem Handeln an der Realismusfunktion
des Fernsehens orientiert ist. Beide unterstellen sich also der strukturellen
Orientierung, die das System »Fernsehen« vorgibt, wenn sie in
diesem ihre ikonische Kommunikation als Realismus adressieren. Realismus
im Fernsehen fungiert daher als eine kommunikative Adresse, die zeitübergreifend
strukturelle Orientierung am funktionalen Medien-Code realistisch/unrealistisch
voraussetzt. Selbstverständlich muß die Vorbedingung der interaktionistischen
Erwartungserwartungen erst gebildet werden. Diese müssen durch Reziprozität
von pragmatischen Orientierungen derart angeregt werden, daß sie kommunikative
Anschlußfähigkeit des Systems »Fernsehen« längerfristig
stabilisieren. Ist die Erwartungserwartung halbwegs funktional stabilisiert,
dann erlangen Akteure reziproke Orientierung in Form von Systemintegration,
die über ihr raum-zeitliches Zusammentreffen weit hinausgeht [vgl.
Giddens 1992/81; Arbeitsgruppe Bielef. 1976/65; Habermas 1988b/226; Luhmann
1990/122] Die Systemintegration macht Akteure von Kopräsenz und wechselseitigen
Anerkennungsprozessen unabhängig. Darum nimmt die Fernsteuerungsfunktion
des Systems »Fernsehen« auch keine Rücksicht darauf, wie
Betrachter das Gesehene verarbeiten werden und welche Konsequenzen sie daraus
ziehen. Für den Fernsehmacher genügt die funktionale Erwartung,
daß seine Orientierung am System den Erwartungen der Fernsehbetrachter
entsprechen wird. Er orientiert sich daher am kulturellen Legizeichen »stabile
Zentralperspektive bei bewegten Ikons«, wodurch er die pragmatische
Funktionsbedeutung »Fernsehen« indiziert und den Wertkonsens
»realistische Sichtbarkeit« erfüllt. Systemintegration
berücksichtigt deshalb ausschließlich die Funktion der visuell
kommunikativen Adresse, damit die Zuschauer etwas Realistisches weltweit
zu sehen bekommen. Was die Zuschauer im weiteren innerhalb ihrer landeseigenen
oder gruppenspezifischen Orientierung interpretieren mögen, gehört
zur späteren Erläuterung der Sozialintegration und ist der "Technizität"
[Luhmann 1991/246] der Systemintegration gleichgültig.
Zumindest für das Fernsehen zielt Systemintegration auf Technizität
oder höhere Spezifikation, die die Sichtbarkeit des Realistischen als
erwartbares Ereignis sichert. Insofern berücksichtigt der Fernsehmacher
bei Systemintegration funktionale Beziehungsaspekte, die erfolgsorientiert
für die Vermittelbarkeit der ikonischen Bilder sorgen. Würde der
Fernsehmacher den binären Code verlassen, also Unrealistisches zeigen,
wäre der Betrachter in seiner Erwartung enttäuscht und würde
meinen, daß das Gesehene kein Fernsehen, keine visuelle Kommunikation
ist. Bei Nichterfüllung des binären Medien-Codes auf der ausdifferenzierten
Seite »Realismus« scheitert das kommunikative Ansinnen. Individuelle
Systemignoranz grenzt das soziale System »Fernsehen« als Vertrauensbruch
aus. Sie muß durch andere Systeme, wie etwa Kunst, unangreifbar gemacht
werden. Realismus im binären Medien-Code kommuniziert somit einen operationalen
Konsens, den Fernseh-Macher und Betrachter voneinander erwarten, damit Fernseh-Kommunikation
als solche verstanden wird. Was im Fernsehen an Menschen, Gegenständen
usw. gesehen wird, ist deshalb keine Frage, die die Systemintegration und
den binären Medien-Code realistisch/unrealistisch betrifft. Das System
»Fernsehen« fixiert sich lediglich auf funktionale Integration,
indem es seine funktionalen Beziehungsgrenzen gegen Erweiterung, Aufweichung
und Selbstthematisierung resistent werden läßt. In dieser rigorosen
Ausgrenzung von allem, was auf der Phantasie systemunabhängiger Individuen
[s.S. 218 (Genies)] basiert, ist der Grund zu erkennen, warum das Fernsehen
im Gegensatz zur Kunst erstens fortwährend Bilder mitteilt und zweitens
welche organisiert, die dem restringierten Code »Realismus«
gehorsam sind. Bildsendungen im restringierten Code »Realismus«
sind also die funktionale Erwartungserwartung des Systems »Fernsehen«.
Soziale Systeme, in denen operationale Strukturen reproduziert werden, umfassen
unumgänglich Aktivitäten handelnder Menschen. So unlebendig soziale
Systeme auch funktionieren, so sind sie doch ohne menschliches Leben inexistent.
Die Strukturierung von Systemen muß deshalb in verschiedenen Handlungskontexten
von Akteuren produziert und reproduziert werden, obwohl Systeme über
die Kopräsenz von Akteuren hinausgehen [vgl. Giddens 1992/77f.]. Wer
handelt aber im funktionalen System »Fernsehen«? Im Unterschied
zum Kunstsystem verschwindet der handelnde Bildproduzent im System »Fernsehen«
nahezu vollständig, wenn seine Systemintegration ihn zu einer Unsichtbarkeit
zwingt, bei der ihm seine Handlungen kaum noch zuzuschreiben sind. Er geht
somit im System verloren, weil "man ... Erwartungen nur von jemandem
erwarten [kann], der auch handeln kann" [Luhmann 1987/415]. Derjenige,
der das Fernsehbild erstellt, handelt zwar, aber er handelt meist nur noch
so, wie es das System für ihn generalisiert hat. Er ist zwar der verantwortliche
Autor des Bildes, aber seine Handlung wird infolge der entschlossenen Resistenz
des Systems, dessen Struktur ja die ikonische Semantisierungsmaschine erstellt,
weitgehend unsichtbar. Ich meine mit dem Handelnden schlicht den Kameramann,
der für das Fernsehbild sorgt. Er erfüllt nahezu alle Erwartungserwartungen,
ohne daß seine Leistung zumindest für den Laien große Aufmerksamkeit
erlangt.
Deutlicher wird das Verschwinden des Handelnden im System »Fernsehen«,
sobald man die Bilder von Überwachungskameras und Videokonferenzen
einbezieht. In diesen, einmal installierten Apparaten wird das Sozialsystem
mitvollzogen, ohne daß wahrhaftig noch jemand handelt, obwohl alle
funktionalen Erwartungserwartungen des jeweiligen Bildbetrachters berücksichtigt
wurden. Die ikonischen Semantisierungsmaschinen produzieren anwesende Bildumwelten,
ohne daß ihr "Handeln" von einzelnen Personen verantwortet
wird. Es läßt sich somit erkennen, wie das "Handeln"
des sozialen Systems »Fernsehen« äußerst stabile
Vorkehrungen dafür getroffen hat, daß Differenzierungsleistungen
nahezu vollständig durch das System und nicht durch handelnde Individuen
bestimmt werden [hierzu Luhmann 1975/32]. Das Fernsehbild ist darum eines
seines Systems und kaum eines einzelner Akteure, die die kulturelle Wertpräferenz
der Bildherstellung individuell entscheiden könnten. Der Bildproduzent
geht unauffällig im System verschollen. Seine Stelle nimmt der Betrachter
ein, indem er sich in die optimale Beobachterposition der System-Perspektive
begibt. Und genau dadurch orientiert auch er sich genauso unbedacht am System,
wie der Kameramann es tat. Denn dem Betrachter kommt seine Systemintegration
selten als kommunikativer Akt vor. Für ihn ist das funktional Kommunikative,
also die technisierte Perspektive, nämlich nicht das, was ihn an der
anwesenden Bildumwelt interessiert. Sein Interesse gilt dem ikonischen Wissen,
in dem er Personen, Blumen, Tiere, Häuser usw. mit den Augen erkennt.
Die Systemintegration beider Akteure bietet dafür lediglich den konsensuellen
Beobachterstandpunkt, an dem sie ihren ikonischen, indexikalischen und symbolischen
Interaktionismus orientieren.
Aus der vollständigen Systemintegration, die die kommunikativen Handlungspartner
eingingen, resultiert der Erfolg der Fotografie, Videotechnik und sonstigen
Geräte zur Herstellung perspektivischer Bilder. Diese Bildmaschinen
differenzieren interpersonalen Sinn der Form nahezu unabhängig von
Eigenbeiträgen des Handelnden, indem sie für diesen einen optischen
Realismus unter Verwendung eines Naturgesetzes verfertigen [s.S. 112,
184 (Maschinen), S. 181 Fußn. 88 (Naturgesetz)]. Die menschliche
Konstruktion der optischen Natur scheint mit der Natur selbst konstruiert
zu sein. Wem sonst als dem generalisierten System, welches lineare Lichtausbreitung
zum Bild verarbeitet, sollte zugerechnet werden, wie etwas im maschinell
erstellten Bild zu sehen sein wird? Dieses erwartbare Bildereignis ist dank
der Kenntnis des sozialen Systems »Fernsehen« stabilisiert;
es ist daher wesentlich geringer an eine Erwartung geknüpft, die sich
mit der Autorenschaft des Bildproduzenten verbindet. Denn der Autor soll
überraschen, das soziale System nicht.
Das Verschwinden menschlicher Individualität im System bietet das Motiv,
das den Betrachter zur einverständigen Annahme der Bildkommunikation
bewegt. Denn gegenüber der Fernsehkamera können Bildner und Bebilderte
nur zu einem geringen Grad beschließen, wie das, was sie für
ikonisch ähnlich halten, ins Bild kommen soll. Die Kamera kommuniziert
scheinbar nahezu eigenverantwortlich eben das, was sie darstellen kann.
Wie etwas als ikonisches Zeichen dargestellt wird, kann weder der Betrachter
noch das veranschaulichte Objekt und nur bedingt der Kameramann entscheiden.
Die Produktion ikonischer Anwesenheit wird deshalb hauptsächlich vom
sozialen System »Fernsehen« vorentschieden. Dessen kultureller
Wertpräferenz »Realismus« gilt das fast unerschütterliche
Vertrauen, daß das »Fernsehen« Anwesenheit ohne Ansehen
der beteiligten Personen perspektivisch objektiviert. Beispielsweise wäre
es zwar auf den Kameramann zurückzuführen, wenn er in einer Talkshow
immer die Füße der Anwesenden darstellt. Trotzdem hätte
er das System nicht verlassen, sondern er hätte dessen formregide Perspektivität
verwendet, um ungewohnten Ansichten zur visuell kommunikativen Anwesenheit
zu verhelfen. Die konstruierende Bildmaschine kollektiviert somit die Erwartungserwartungen
für den Betrachter und den Bildproduzenten gleichermaßen zum
sozialen System »Fernsehen«.
Der systemische Kulturcharakter ist für das »Fernsehen«
unumgänglich, da er das Verstehen von anwesenden Bildumwelten strukturiert.
Die Erwartungserwartung gegenüber dem »Fernsehen« provoziert
nämlichen einen Doppelcharakter: einerseits hebt sich die anwesende
Bildumwelt nicht vom direkt Wahrnehmbaren ab, doch andererseits hebt sie
sich von diesem infolge des symbolischen Charakters [s.S. 205] ab,
der die »Fernsehkommunikation« als System verständlich
macht. Systemintegration bietet deshalb den Verstehens-Kontext dafür,
wie innerhalb der kulturellen Wertpräferenz »Realismus«
visuell kommunikative Benachrichtigungen vorgenommen werden können.
Denn verstanden hat der Betrachter die systemische Bedeutung, daß
er in Fernsehbildern eine ikonische Anwesenheit von etwas Abwesendem zu
sehen bekommt. Bilder erhalten also mit der Systemintegrationen eine soziokulturelle
Bedeutung, die den funktionalen Kontext ihrer perspektivischen Differenzierungsweise
erwartbar macht. Jeder weiß hinsichtlich des Fernsehens, wie dessen
optische Anwesenheit einer Ferne gemeint ist. Niemand der Systemintegrierten
läuft beispielsweise weg, wenn Feuerstürme, Explosionswolken oder
rasende Dampflokomotiven in Sichtweite auf sie zukommen.
Mit der Systemintegration klärt sich eine kulturelle Bedeutung von
Bildern, die sich ohnehin schon jeder gedacht hat: in Systemen von funktionalen
Erwartungserwartungen kartographieren Bilder eine symbolisch repräsentierte
Fernorientierung in ikonisch präsenter Nahorientierung. Das einzige
System, in dem Bilder eine optisch präsente Nähe ohne repräsentierte
Ferne bieten und trotzdem als solche verstanden werden, ist die Kunst. Für
diese hat sich deshalb eine andere Medien-Codierung etablieren müssen.
Abgesehen von Spezialfällen der Kunst liegt die systemische Bedeutung
für eine Bildkultur jedoch darin, daß Nichtanwesendes zur visuell
kommunikativen Anwesenheit mittels Ikons gebracht wird. Verlassen Bilder
diese Bedeutung ihrer Kultur, dann verweigern ihnen die meisten sozialen
Systeme spontane Plausibilität und Anerkennung. Das Variationsspektrum
ikonisch sichtbarer Anwesenheit ist für nahezu alle nichtkünstlerischen
Bilder die kulturelle Funktionalitätsprämisse. Diese ermöglicht
ihnen Bedeutung in sozialen Systemen.
Bezieht man das System auf die Möglichkeit eines kognitiv Unbewußten
(s.S. 299), so verdeutlicht sich, warum beispielsweise das System »Fernsehen«
zur unbewußten Institutionalisierung seiner kulturellen Struktur neigt.
Wer nämlich im synchronischen Kulturgedächtnis Bilder erstellt,
also z.B. eine Kamera verwendet, demjenigen wird seine systemorientierte
Handlung selten zugerechnet. Er fungiert innerhalb der Erwartungserwartung,
die das System ihm an die Hand gab, ohne daß der institutionalisierte
Medien-Code »Realismus« eine kritische Bewußtheit erweckt.
Das System überlappt infolgedessen mit dem synchronischen Gedächtnis
der Kultur. Denn das System »Fernsehen« wird nicht von einzelnen
verantwortet, sondern in der Synchronie der gesamten Epoche, die sich im
perspektivischen Stil der Kultur ausdrückt. Daher verliert das System
»Fernsehen« im synchronischen Gedächtnis der Kultur seinen
Aufmerksamkeitseffekt. Es bereitet lediglich vor, wie Fernsehbilder als
anwesende Bildumwelt betrachtet werden können. Denn die Talkshows,
Kriegsschauplätze, Politiker, Landschaften usw., die man situativ im
Fernsehen sieht, werden selten als ein Bild des Systems wahrgenommen, sondern
als eines der jeweiligen Situation. Deshalb sehen wir beim Sehen in die
bildlich dargestellte Ferne nicht dem »Fernsehen« zu, wir sehen
dem zu, was es an Abwesendem zur ikonischen Anwesenheit bringt. Dem System
»Fernsehen« sehen wir meist erst dann zu, wenn seine unbewußt
gewordene Funktion unerfüllt oder verändert ist, und somit unsere
Erwartungen enttäuscht.
----Fußnote----
(116)
Den Begriff von Selektion, der Konnotationen wie Aussonderung und Zuchtwahl
erlaubt, ersetze ich durch Differenzierung im Sinne von Unterscheidung,
Aufgliederung und Aufspaltung, damit keinesfalls geglaubt wird, daß
z.B. kulturfremde Wahrheit (Plausibilität) schlechtere oder gar überlebensunfähigere,
"mutierte" Wahrheit (Plausibilität) wäre.
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