a) Erkennen eines ikonischen Signifikationscodes Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Die visuelle Wahrnehmung erlernt ein Individuum partiell unvoreingenommen. Im Gegensatz zu den Positionen von Eco [vgl. 1971/76], Kanngießer u. Kriz [vgl. 1983/93] können die allgemeinen Wahrnehmungsbedingungen von Gegenständen nicht als Wahrnehmungscode aufgefaßt werden. Täte man dies, müßten sogar nie gesehene Gegenstände, das Bildhaft-Neue oder einzelne Phänomene verschiedener Blickrichtungen bereits als vorab in Zeichen codiert gelten; visuelle Akkommodation wäre dann unmöglich. Bildgegenstände konstituieren sich zwar infolge optimierender psychischer Konstruktion, trotzdem erscheint bei einer individuell kreativen oder erstmaligen Wahrnehmung das Feld der Sinnesreize nicht, wie Eco unrichtig hervorhebt, "... als Signifikant [Zeichenmittel] eines möglichen Signifikats [Objektbezugs], über das ich bereits vor dem Wahrnehmungsereignis verfüge" [Eco 1991/222]. Bourdieu mutmaßt sogar noch drastischer: "Es gibt keine Wahrnehmung, die nicht einen unbewußten Code einschlösse" [Bourdieu 1974/162]. Solche Vorstellungen, die rasch im normativen Soziologismus münden, implizieren, daß Personen bis in die Wahrnehmung hinein sozialisiert werden könnten oder bereits mit gesellschaftlichen Wahrnehmungsgewohnheiten im Kopf geboren werden. Dies würde ihnen verwehren, daß sie angeborene Wahrnehmungsfähigkeiten im Lernen optimieren, also einüben, wie vorbewußte Empfindungen zu ordnen sind. Sie hätten von vornherein jede Unterscheidungsleistung als Regel wissen müssen. Eine erste kreative Wahrnehmung impliziert jedoch keine Regel, und deshalb auch keinen Code. So weit, wie das Auge reicht, profitieren beispielsweise künstlerische Gebilde, Satelliten- oder Röntgenaufnahmen von Möglichkeiten, die in kreativer Wahrnehmung zu einer solchen ersten Ordnung erhoben werden, die ein regelloses (Sin-)Zeichen zweiter Ordnung erkennen läßt. Wenn alles in der Welt codiert und regelhaft determiniert wäre, wie sollte jemals etwas Neues oder eine unkonventionelle Idee auftauchen. Wohlgemerkt, ich meine lediglich, daß nicht jede Wahrnehmung vorab codiert ist, denn, wie mit Piaget gesagt, wird sehr vieles unbewußt assimilatorisch ("regelbestimmt ähnlichmachend") wahrgenommen [s.S. 97].

Die Begründung eines Wahrnehmungscodes stößt auf die Schwierigkeit, zu erklären, wo die je nach Raum und Zeit unterschiedlichen optischen Informationen eine Regel aufweisen. Die einzige Regel, die infolge der Wahrnehmung erster Ordnung vorkommt, besteht darin, daß wir im Fluß der wahrgenommenen Informationen vielfach ununterbrochen die gleichen Zeichen zweiter Ordnung wiedererkennen. Sofern wir wahrgenommene Gegenstände tatsächlich mehr als eine Zeichenwelt begreifen - also selten hinsehen, wie etwas aussieht - erscheint der von Eco [vgl. 1971/76; 1972/204, 246; 1991/274] verwendete Begriff des Erkennungscodes geeigneter. Ein Erkennungscode beschreibt eine Regelhaftigkeit der Wahrnehmung dadurch, daß die Wahrnehmungsverhältnisse von bildlichen Zeichen mit einem schon erfahrenen Bedeutungszusammenhang einer kulturellen Einheit/einem kulturellen Signifikat wiedererkannt werden. Wirkt sich im Bewußtsein nämlich eine Erinnerung aus, die sich von einem vorangehenden semiotischen Akt zweiter Ordnung ableitet, dann wird etwas als Zeichen wiedererkannt. Im Wiedererkennen bemerkt man also eine bereits erlernte Wahrnehmungserfahrung, weshalb auf dieser Stufe ein früherer semiotischer Akt den freien Assoziationsablauf mit der erlernten Bilddecodierung unterbricht. Die visuelle Assimilation übergeht hier die visuelle Akkommodation aufgrund des pragmatischen Lernerfolgs eines Wiedererkennens von bekannten Darstellungsformen mit vorrangig ikonischen Objektbezügen. Beispielsweise erkennt man ohne genau hinzusehen sehr schnell den Objektbezug (das Signifikat / die kulturelle Einheit) »Jesus am Kreuz« aufgrund der erlernten Erfahrung mit dem Darstellungscode eines bildlichen Zeichens (Signifikanten) »perspektivisches Bild von Jesus am Kreuz«, weil der Interpretant für »perspektivisches Bild von ..." schon bekannt war. Wie das Antlitz Jesu dargestellt wurde, bleibt dann vorerst unwichtig.

Zurück zum Wiedererkennen: bei diesem Vorgang steht ein erlerntes Wahrnehmungsschema dem primären Darstellungscode des Zeichenmittels gegenüber, was dazu führt, daß der Bildgegenstand schnell decodiert, als Zeichen erkannt und das Signifikat mühelos bestimmt werden kann. Anhand des Wiedererkennens begründet sich ein ikonischer Signifikationscode, der erst dann wirksam wird, wenn ein Individuum kulturell vorgegebene Oberflächensegmentierungen von Bildern und ihre ikonische Beziehung zu kulturellen Einheiten »kennengelernt« hat. Ein solcher ikonischer Signifikationscode verwirklicht, daß »etwas« schlagartig als ein bestimmtes Zeichen mit ikonischem Objektbezug wiedererkannt wird. Insofern löst kein primärer Wahrnehmungscode, sondern ein primärer Erkennungscode die Signifikationsbeziehungen von Bildern aus. Infolgedessen stabilisiert dieser sich im kulturellen Gebrauch als ein konsensueller Bereich der visuellen Kommunikation. Der Erkennungscode verdeutlicht das, was im vorletzten Absatz mit dem von Eco unzutreffend benannten Wahrnehmungscode dargelegt wurde. Wiedererkennen beruht auf einem ursprünglich semiotischen Akt, weil die konzeptualisierte Struktur des Bildes (Zeichenmittels) tatsächlich schon vorab bekannt und erfahren war; eine signifizierende Form und Farbe fällt dann nicht mehr als Gegenstand auf, sondern als vertrauter Zeichencode wieder ein. Der Bildgegenstand wird also sofort als Zeichen einer bildlichen Darstellungsregel wiedererkannt und nicht als repräsentationsloser Gegenstand erfahren. Dieses Phänomen erleben wir täglich, indem wir in Bildern alles mögliche wiedererkennen und die Bedeutung und den Objektbezug der Zeichen angeben können, aber nicht bewußt wahrnehmen, wie die optische Struktur des Bildgegenstandes etwas veranschaulicht hat. Vergleichbar zu den von Piaget beobachteten Kindern, gilt auch für den Erwachsenen: "Wenn das Objekt zu bekannt oder ständig präsent ist, läßt die Automatisierung, die der Gewohnheit eigen ist, keine Gelegenheit zum bewußten Wiedererkennen aufkommen" [Piaget 1974a/17]. Das Wiedererkennen von Signifikationsbeziehungen in einer Kultur stabilisiert sich deshalb auf eine Weise, die dem Betrachter nur selten bewußt wird. Er teilt hier mit allen anderen Betrachtern einen konsensuellen Wahrnehmungsbereich, den sie sich im sprachlichen Konsens nur noch bestätigen, indem sie die bildlichen Zeichen ihrer Kultur aus Gewohnheit für die gegenstandsadäquatesten halten.

In diesem flüchtigen Konsens erreichen Bildbetrachter eine Gemeinsamkeit, die sie sich kommunikativ mittels weiterer Zeichen verifizieren. Dies geschieht nach der bürgerlichen Grundregel vornehmlich dann, wenn das weitere Zeichen eines des positiven Schweigens bei fortdauernder Anwesenheit ist. So fungiert z.B. Fernsehen als eine der Beschäftigungen, bei der Individuen ihre Sozialintegration gewohnheitsmäßig ertragen und bestätigen, ohne daß sie miteinander reden müssen und wollen. Gerade Gerede ließe die Nähe gemeinsamer Bildbetrachtung leicht in Konflikt umschlagen. Nur der finale Interpretant "Das war ein schöner Film" unterstützt die Gemeinschaft oder katapultiert denjenigen, der die Filmbilder nicht gegenstandsadäquat fand, auf für die Gemeinschaft unverständliche Weise aus der Konsensprojektion seiner naheliegendsten Sozialintegration. Auf unverständliche Weise deshalb, weil sich der ikonische Signifikationscode nicht logisch, sondern allein als ästhetische Gewohnheit begründen läßt; und wer der Gewohnheit und Vertrautheit entgegenhandelt oder sich diese nicht zu eigen macht, durchbricht zeitweilig jedes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Positives Schweigen hofft daher auf soziale Immanenz, Reden riskiert Differenz. Die Zeremonie der schweigenden Immanenz läßt einen Grund dafür erahnen, daß der Signifikationscode von Foto-, Video- und Computerbildern lange Zeit nicht als Kunst gelten durfte, gemalte Bilder heutzutage unrealistisch erscheinen, die Kunst von fernen Ländern als exotisch gilt und der faschistische bzw. sozialistisch realistische Signifikationscode von Bildern eine "neue", unbefragte und wiedererkennbare Zusammengehörigkeit stabilisieren sollte. In unbefragten Ähnlichkeitserfahrungen festigen Individuen hier ihr kulturelles Kommunikationsmilieu, dessen Erkennungscode zwecks Grenzerhaltung jeden neuartigen Code als Bedrohung der Zusammengehörigkeit und schweigenden Immanenz empfinden läßt, je nachdem ob gesellschaftliche Tradition oder progressiver Wandel angestrebt wird.

Wahrnehmungstheoretisch löst sich der Erkennungscode dadurch ein, daß beim »etwas Kennen« zwar etwas wahrgenommen wird, aber lediglich insofern, daß es in assimilierte Strukturen der visuellen Schemata annähernd paßt, also wiedererkannt oder in Relation zu früheren Schemata akkommodiert wird. Infolge des ständigen Hinzukommens von visuellen Erfahrungen mit Bildern verfeinert und entwickelt sich die Struktur des »etwas Kennens« im Wahrnehmungssystem aktiv und passiv. Ein Individuum erkennt etwas durch das wieder, was es ihm selbst be-deutete, und dies kann einerseits die Gegenstandsbedeutung und andererseits die Zeichenbedeutung sein [vgl. Jörg 1978/118]. Für das Wiedererkennen von Bildstrukturen sind daher drei Aspekte grundlegend:

- Erstens sind die vorbewußten kognitiven Schemata im Wahrnehmungszyklus [Erstheit], aufgrund deren etwas wiedererkannt wird, nicht als ein Wissen über Bildstrukturen bewußt. Die Schemata der assimilatorischen Bilderkennung ermöglichen die Evokation einer Gegenstands- und Zeichenbedeutung.

- Zweitens erreicht der Gegenstand im Wiedererkennen erst durch die eigene Reaktion eine Bedeutung [vgl. Piaget 1974a/16f.]. Auf dieser sensomotorischen Stufe [Zweitheit] - Piaget [vgl. 1974a/343ff.] nennt sie "sensomotorische Intelligenz" - bemerkt eine Person die erfolgreiche Anpassung an das optische Medium Bild. Im übertragenen Sinne Piagets, kommt dieses sensomotorische Kennenlernen keiner Sozialisation des begrifflichen Intellekts gleich, sondern einer praktischen Intelligenz, die im körperlichen Umgang mit den kulturellen Bildgegenständen erlernt wird. Die Konstitution der Wahrnehmungswelt resultiert deshalb aus einer körperabhängigen "visomotorischen Eroberung" [Roth 1991a/237; vgl. Piaget 1974a/346]. Diesen Vorgang hatte ich als strukturelle Kopplung des wahrnehmungsmäßigen Sehens mit dem Gegenstand Bild beschrieben [s.S. 94]. Was das Individuum hier erfährt, ist sein eigenes Wahrnehmenkönnen einer optischen Bildencodierung seiner Kultur [Zweitheit].

- Die dritte und für den Erkennungscode grundlegende Auffassung liegt darin, daß das erfolgreich wahrgenommene »Etwas« als Bezeichnung für »etwas anderes« wiedererkannt wird. Mit dieser semiotischen Konstruktion wird der Darstellungscode des Zeichenmittels dahingehend decodiert, daß der Bildgegenstand und seine optische Struktur sofort als Zeichen wiedererkannt werden und sogleich etwas Erkennbares signifizieren. Mit dieser unkomplizierten Interpretation des Zeichens und seines angestrebten Ikons realisiert sich das Bild [Drittheit]. Selbst ein weißer, quadratisch-flächiger Gegenstand an einer Wand, also in einem zeichenwirksamen Umgebungsraum, wird üblicherweise als ungewöhnliches Bild und damit als Zeichen assimilativ wiedererkannt, weil diese indizierenden Merkmale für bildliche Zeichen typisch sind. Wiedererkennen instituiert somit die kommunikative Verläßlichkeit des kulturellen Darstellungscodes.

Letzteres verdeutlicht, daß der Erkennungscode auf einer Erfahrungssicherheit der Betrachter aufbaut, die der Produzent infolge einer gemeinsamen Darstellungskultur von Bildern für erwartbar hält. Im alltäglichen Fall vertraut der Bildproduzent darauf, daß seine Kommunikationspartner eine assimilatorische Hypothese antizipieren, die sie als mitlaufendes intentionales Realitätsmodell bereits konzeptualisiert haben und nun angesichts der Sinnesdaten erfolgreich "testen" [vgl. Emrich 1994/116; Roth 1991/364]. Es wird sozusagen, wenn man den Peirceschen Begriff der "Abduktion" (72) variieren darf, mit einer »visuell kommunikativen Abduktion« vom Betrachter gerechnet, d.h., von diesem wird erwartet, daß er sich auf die visuell kommunikative "... Methode [versteht], eine allgemeine Voraussage zu bilden, ohne irgendeine positive Sicherheit dafür, daß sie entweder in einem Spezialfall [der Kunst] oder insgesamt [für alle Kulturen] erfolgreich sein wird ..." [Peirce 1983/136; vgl. 1967 I/373ff.; 1967 II/365ff.]. Ist die »visuell kommunikative Abduktion« des Betrachters erfolgreich, bestätigt er seine allgemeine Hypothese über kulturelle Darstellungscodierung. Er wird diese gegenüber dem gegebenen Bildexemplar assimilatorisch wiedererkennen. Er erwartet hier aus Gewohnheit eine kulturelle Darstellungsregel, deren Resultat zum Wiedererkennen des Bildes führt, woraufhin er den Fall schließt, daß das Bild eine Mitteilung seiner Kultur sein wird. Eine kreative Semiotisierung einer vorerst unbekannten Darstellungsweise bleibt bei Erwartungserfüllung folglich aus. Demgegenüber ermöglicht die »visuell kommunikative Abduktion« aber auch, daß der Betrachter seine kommunikative Kompetenz kreativ erweitert. Kreative Abduktion kommt vor, sobald der Betrachter von (künstlerischen) Spezialfällen etwas in akkommodierender Weise lernt, was seine Erwartungshaltung (Regel) durchkreuzt, weil es ihm zunächst unbekannt war, und nunmehr zu seiner spontanen Überzeugung oder Idee (von einer neuen "Regel") wird [vgl. Pape 1994/30ff.].
Hätte eine Bild keinen Darstellungscode, wäre es als spezifischer Gegenstand der visuellen Kommunikation schwer assoziierbar und müßte immer wieder als kommunikative Mitteilung bestimmt werden. Der visuell kommunikative Darstellungscode erfüllt seine Funktion, indem er grundsätzlich vollständige Übereinstimmungen zu Wirklichkeiten und Gegenständen verhindert. Um seinen kommunikativen Appell nicht zu verwirken, duplizieren beispielsweise auch sehr "realistisch" wirkende Bilder von Tischen nie einen Tisch. Das homöomorphe Duplikat eines Tisches verliert den Zeichenstatus, der im Darstellungscode demonstrativ »bildliche Darstellung« indiziert. Realistisch wirkende Bilder indizieren wiedererkennbare Merkmale einer bildlichen Zeichenfunktion und repräsentieren kulturelle Einheiten, die einem Tisch ähnlich scheinen. Solche spezifischen Bildmerkmale von dem bereits semiotisierten Gegenstand Bild erkennt jeder sofort wieder, wenn sich die Raumperspektive des Bildes bei minimalster körperlicher Bewegung oder der Umstellung von zwei- auf einäugiges Sehen nicht bewegungskonform verändert. Bei Veranschaulichungen in einem stark veränderten Darstellungscode (z.B. besondere Sinzeichen in der Kunst) müssen bildliche Zeichen jedoch erst semiotisiert werden, was einen ästhetischen Erkenntnisprozeß erfordert, damit etwas Unbekanntes als Zeichen für etwas anderes durchschaut oder gegebenenfalls wiedererkannt wird. Auf der anderen Seite können auch ikonische Objekte in Bildern wiedererkannt werden, die schon in der Alltagswelt semiotisiert waren. Jede Semiotisierung basiert aber darauf, daß es Betrachter in ihrer Kultur kennenlernen, wie rein optische Informationen von zweidimensionalen Bildern perspektivisch "durchschaut" werden. Denn von der dreidimensionalen Welt her sind sie nicht darauf vorbereitet, ikonische Objektbezüge in Bildern zu erkennen.

Kinder lernen es frühzeitig, den primären Darstellungscode von bildlichen Zeichen wiederzuerkennen. Sie unterscheiden, bevor sie lesen können, kleine Graphiken von Schrift, wenn sie direkten Kontakt mit graphischen Vorlagen in ihrer Kultur hatten [vgl. E.Gibson 1989/52ff.]. Eine Untersuchung von Greenfield [vgl. 1971/346] bekräftigt, daß afrikanische Kinder, die den Umgang mit Fotografien nicht erlernt hatten, keineswegs die optische Struktur sofort decodieren konnten, um Gegenstände, die in der Alltagswelt bereits semiotisiert waren, auch wiederzuerkennen. Gleichfalls hängt die Wiedererkennungsfähigkeit vom Lebensalter der Betrachter ab. Junge Betrachter erkennen im Unterschied zu älteren in Bildstrukturen weniger und langsamer spezifische Zeichen von etwas [vgl. Potter 1971/167]. Wie mit dem Begriff des ikonischen Objektbezugs formuliert, ist in allen drei Fällen nicht referierende Ähnlichkeit zwischen Bild und Gegenstand für ein Bild konstitutiv, sondern vorrangig die erlernte Wiedererkennbarkeit von primären Darstellungscodes und von kulturellen Objektbezügen in Bildern [s.S. 38].

Ein dem Darstellungscode gegenüberstehender Erkennungscode von Bildern wäre vorhanden, wenn der Decodierungsprozeß des Zeichenmittels so rasch voran schreitet, daß die Struktur über das Quali-, Sin- hin zum Legizeichens sofort als ikonischer Objektbezug erkannt wird. Und genau dies ist der Fall, wenn wir beispielsweise einen Kinofilm betrachten und augenblicklich Personen und sonstige Objekte wahrnehmen können. Bilder im Medium der Fotografie, der Kinematographie und des Fernsehens bereiten uns in der optischen Decodierung in der Regel keine Schwierigkeiten, weil wir aufgrund des akkommodierten Darstellungscodes sofort kulturelle Einheiten des Objektbezugs erkennen können. Diese Beziehung wäre dann tatsächlich ein kennengelernter Signifikationscode, der den Darstellungscode des Bildmittels (Materials) mit dem Signifikat eines Bildes kulturell etabliert. Infolge dieses Codes kann ein Individuum das Bildmittel (Material) und dessen Objektbezug (Signifikat) sofort decodieren und als visuelle Kommunikation seiner Kultur erfassen. Obwohl der Filmtheoretiker Casebier [vgl. 1991/52ff.] zutreffend einwendet, daß in bisherigen Filmtheorien die Unterstellung von Codes wenig fruchtbar war, so basiert visuelle Kommunikation dennoch auf einem Code. Es muß lediglich unterschieden werden, was codiert ist und was nicht. Als Regel behauptet sich der ikonische Signifikationscode ausschließlich in der Darstellungsform von Legizeichen. Im semantischen Bezug zum Objekt bleibt er eine ikonische, also ungeregelte, nicht codierte Möglichkeit unabsehbarer Ähnlichkeitsbeziehungen zum Objekt. Es ist die kulturelle Darstellungsregel des Bildes, die Bedeutung und Funktion signalisiert, obwohl die interpretierbare Bedeutung der ikonischen Bezeichnung selbst unüberblickbar sein wird.

Aufgrund der ungeregelten ikonischen Objektbezüge können Pasolini und Langer versichern: "Ein Bilderlexikon wäre unendlich ..." [Pasolini 1971/40] bzw. "Photographie hat ... kein Vokabular" [Langer 1984/101]. Inkorrekt folgert Langer sogleich, daß aus jenem Grund auch kulturelle Syntaktiken, die Bedeutungen indizieren, unauffindbar wären. Die Identifizierbarkeit von Kulturen widerspricht allerdings dieser Behauptung. Ein Lexikon der Darstellungscodes von Legizeichen, z.B. eine Katalogisierung der Kunststile, wäre für eine bestimmte Kultur keinesfalls unendlich, sie wäre sogar relativ begrenzt. Daher wären entgegen Langer [vgl. 1984/102] auch "Übersetzungen" in andere Bildstile möglich. Die Kunst dokumentiert zumindest einzelne Versuche, z.B. den von Peter Greenaway, wie ikonische Objektbezüge in andersartige Darstellungscodierungen zu "übersetzen" sind, so man denn eine nachlässige Auffassung von bildlichen oder sprachlichen Übersetzungen hat.

Den Unterschied zwischen Zeichenmittel und Objektbezug haben beispielsweise auch Eco [vgl. 1991/272] und Gombrich [vgl. 1984/274] ungenügend beachtet. Sie hefteten bildliche Konventionen an das Ikon (73), obwohl gerade Konventionen nach stark geregelten Zusammenhängen verlangen, die im Ikon unauffindbar sind. Auch Barthes [vgl. 1964/158ff.; 1988/193ff.] und Schiwy [vgl. 1973/19f., 60ff.] täuschen sich in ihren strukturalistischen Semiologien, die sie in Anlehnung an Saussures sprachbezogenen Zeichenbegriff als System entwickeln. Aufgrund mangelnder Klassifikationsfähigkeiten für nonverbale Zeichencodierungen, verwechseln ihre Theorien neben vielen anderen Faktoren stets symbolische und ikonische Objektbezüge, weshalb auch ihre Begründungen von Konventionen und historischen Bestimmungen im Ikon fehlgehen. Diese Ungenauigkeit wiederholt ebenfalls die Filmsoziologie, die z.B. bei Winter [vgl. 1992/28] mit Christian Metz (74) meint: Filme würden wie Sprache, wie konventionelle Symbole funktionieren. Konträr zum sprachsymbolischen folgt jedoch ein ikonischer Objektbezug keinesfalls einer kulturellen Konvention und Tradition; er folgt höchstens einer subjektiven Wahrnehmungsgewohnheit. Für ikonische Kommunikationscodes, die ja sowieso ohne arbiträren Objektbezug optisch informativ wirken, reicht eine Konvention aus, die ausnahmslos im legizeichenhaften Darstellungscode für kollektive Wohlbekanntheit sorgt. Der Darstellungscode läßt die kulturgebundenen Ähnlichkeitsbeziehungen zum Objekt wiedererkennen, obwohl auf dieses aus diversen Standpunkten und unzählbaren, semantischen Aspektmöglichkeiten Bezug genommen wird. Zum Beispiel gehorcht die Zentralperspektive einer Darstellungskonvention im Zeichenmittel, obwohl die unendlichen Ähnlichkeiten, also die möglichen ikonischen Objektbezüge, keine zwingende Regel aufweisen.

Sobald Individuen jedoch kulturbezogene Wahrnehmungsgewohnheiten ausbilden, folgen beispielsweise farbliche Ähnlichkeitsfeststellungen zu kleinen Graden der Kultur, da sie kulturell und subkulturell schwanken. Gewiß verbietet dies die Behauptung, assoziierte Ähnlichkeitspräferenzen kämen einer starken Konvention und kulturellen Interpersonalität nach, die beide methodologisch allgemein nachprüfbaren Standards standhielten. Doch läßt sich feststellen, daß ausgewählte Ähnlichkeitspräferenzen sozusagen supra-subjektiven Gewohnheiten im Sinne von übergreifenden Beistandsbestätigungen folgen, ohne sich allerdings standhaft umrissenen Plausibilitätskriterien zu beugen. Solche schwachen, da supra-subjektiven Konventionen der kulturellen Ähnlichkeitsbezüge zeigen sich beispielsweise dann, sobald man die alten, farblich grellen Technicolor Filme betrachtet. Diese wirken heutzutage eher unangemessen und überaus ungewöhnlich in der Farbgebung, weil viele von uns die farbliche Präsenz bei gleichzeitiger Kontrastverminderung von Sony-Videokameras aus Gründen bevorzugen, die recht instabil ästhetisch, emotional und geschmacklich motiviert sind.

Wie unkompliziert einzusehen ist, dienen nicht die "weichen" sondern die "harten" Konventionen im Darstellungscode der visuellen Kommunikation. Ausschließlich sie können auf "verabredete" Interpersonalität hoffen. Beispielsweise gelten Bilder von Picasso, Klee, Ernst, van Gogh und Kiefer vielfach als moderne Kunst, weil sie in einigen Gegebenheiten die Darstellungskonvention europäischer Bilder brechen. Sie bringen erfindungsreiche Sinzeichen zur Präsentation, woraufhin unvertraute ikonische Objektbezüge "von allein" sichtbar werden. Inzwischen ist es allgemeine Meinung, daß unsere moderne Kultur, wie bereits einmal in der Romantik, im Bereich der Kunst konventionell antikonventionell eingestellt zu sein hat. Infolge dieser Maßregelung, die die historische Retrospektive in der Kunst verbietet, darf z.B. kaum ein Maler, der seine zurechenbare Wertschätzung anstrebt, Anselm Kiefer im Malstil zitieren, obwohl er es technisch durchaus könnte. Die langen Stilperioden relativ gleichförmiger Darstellungscodes im christlichen Mittelalter, in der Renaissance und im Barock erinnern daran, daß die Suche nach unkonventionellen, stark individualisierten Darbietungsweisen nicht ununterbrochen das dringlichste Problem war, damit zweifelsfreie ikonische Objektbezüge und Inhalte kommuniziert oder als quasi Kommunion empfangen werden konnten [hierzu Hauser 1974/36f.]. Für visuelle Kommunikation sind solche Darstellungskonventionen grundlegend.

Nimmt man Kommunikation leidenschaftslos wahr, dann kann man schwerlich meinen, wie etwa Hans Scheurer aus dem Blickwinkel einer bürgerlich kritischen Soziologie im vermeintlichen Sinne Adornos spekuliert, daß die im Qualitätsanspruch stark individualistisch ausgerichtete und sogenannte "Hochkultur" die eigentlichen Bildinhalte kommuniziert. Scheurer [vgl. 1987/142ff.], der aus pessimistischer Überzeugung Bildung und Kunst durch technische Kommunikationsmedien verhindert sieht, also gewissermaßen Kommunikation selbst schlecht findet, ignoriert neben der Tatsache, daß durchaus anspruchsvolle Künstler technische Medien nutzen, außerdem daß Bildinhalte ohne konventionelle Darstellungsformen nur stark verlangsamt oder gar nicht vermittelt werden können. Im Sinne der Mitteilung von Nachrichten sind jedoch die Bilder einigermaßen unkommunikativ, die sich stark individualisierte Bildstile oder moderne Kunstbilder zum Vorbild nehmen. In ihnen muß man sich viele Zeichen aus dem Horizont der "höheren" Bildung ersinnen und zeitraubend erklären. Künstlerische Freiheit beinhaltet deshalb stets ein kommunikatives Risiko von Fehldeutungen. Trotzdem trifft Adornos Meinung zu, daß "in oberster Instanz die Kunstwerke ... [weniger] [ - Adorno schreibt: nicht - ] ihrer Komposition sondern ihrem Wahrheitsgehalt nach [rätselhaft sind]" [Adorno 1973/192]. Aber eine optisch rätselhafte und symbolisch wahrheitsverklärte Darstellungsweise macht visuelle Kommunikation keinesfalls kommunizierbarer. Im Vergleich zur trivialen Nutzung von Massenmedien wächst in der Kunst allenfalls manchmal der intellektuelle Gewinn und der Bildungsanspruch mit gleichlaufender individueller Isolation. Beim Kunstwerk bleibt somit manchmal die "kritische Wahrheit" in der innenorientierten Gefühlswelt stecken. Dies ist gewiß keine Katastrophe, sondern betont die rebellische Dynamik eines Werks, das sich den bereits legitimierten Kommunikationsformen und anderen Kunst-Ismen verweigert [s.S. 44]. Denn das Rätsel des Kunstwerks ist als kulturelles Zeichen ohne interpersonale Lösung und ohne vergesellschaftete Bedeutung im Subjekt fokussiert.

Dieser kurze Exkurs verdeutlicht, daß visuelle Kommunikation deutlich leichter erreicht wird, wenn das Zeichenmedium konventionalisierten Codes gehorcht. Die Frage nach Konventionen von ikonischen Signifikationscodes ist jedoch eine der regelhaften Darstellungslösungen, also der syntaktischen Formationsregeln der Farbe und Form, aber nicht der Objektbezüge, die z.B. bei der symbolischen Sprache neben den Legizeichen partiell geregelt sind. Und dennoch unterliegen die ikonischen Objektbezüge der Kultur. Ihre Ähnlichkeitsbeziehungen differieren kulturell und historisch, wie man bei kulturfremden oder älteren Bildern erkennen kann, die z.B. unschön oder unrealistisch erscheinen, weil wir neuere Darstellungslösungen akkommodiert haben. Ich möchte nicht behaupten, daß Ähnlichkeitsbeziehungen, die stark von individuellen Assoziationen und Wahrnehmungsfähigkeiten abhängen, eine Konvention sind; gleichwohl bin ich der Meinung, daß einem Individuum - bei der Wahrnehmung von Bildern - im legizeichenhaften Darstellungscode ikonische Ähnlichkeitsbeziehungen nahegelegt werden, wodurch es kulturelle Einheiten, also kulturelle Merkmale der dargestellter Ähnlichkeit, im Objektbezug wahrnehmend internalisiert. Würden Individuen diese Fähigkeit nicht ausbilden, wären sie außerstande, ein Zeichen als Zeichen von etwas anderem zu erkennen, sie hätten keine Idee, was die Bildfläche repräsentieren könnte.

Beispielsweise ist den meisten Europäern unverständlich, worauf sich die verbalen Symbole von Tibetern beziehen, obwohl sie legizeichenhafte Laute hören und auch als Sprache identifizieren. In gleicher Weise können Individuen erst etwas anderes als das Präsente im Bild entdecken, wenn sie im bildlichen Darstellungscode ein Objekt oder »etwas« wiedererkennen. Und genau diese Ähnlichkeitsfeststellung ist ein ikonischer Objektbezug, der zumindest ein optisches Quali- und Sinzeichen oder aber ein konventionelles Legizeichen zum Anlaß hat. Die Individuen müssen nämlich im Wahrnehmungszyklus akkommodiert haben, welche bildlichen Zeichen eine wiedererkennbare Ähnlichkeit repräsentieren sollen. Wäre dies nicht der Fall, würden Bilder grundsätzlich nichts repräsentieren, wenn man davon absieht, daß sie vieles auch einfach nur präsentieren, wie z.B. in der konkreten Malerei. Wenn also ein kultureller Bildstil relativ gleichförmig bleibt, dann erscheinen ebenfalls die ikonischen Objektbezüge in der Ähnlichkeitsbeziehung einheitlich. Und dies ist nichts anderes als ein ikonischer Signifikationscode, der im Darstellungscode eine Ähnlichkeitsbeziehung zu Objekten wiedererkennen läßt. Die Frage ist somit weniger, was alles ähnlich sein könnte, sondern sie besteht darin, welche Ähnlichkeitsbeziehung uns das Bildmittel noch erlaubt. Denn im Fall von kulturellen Darstellungscodes (Legizeichen) sind die Phantasien, was das Bild ikonisch darstellen könnte, durchaus limitiert [hierzu Fyfe u. Law 1988/2; Casebier 1991/5]. Daß solche Ähnlichkeitsbeziehungen im Ikon individuell, kulturell und historisch für uns divergieren, stärkt die Hypothese, die ikonische Objektbezüge von kulturellen Konventionen im Darstellungscode suggeriert sieht. Die Besonderheit der visuellen Kommunikation kommt nicht dadurch zustande, wie vielfach zu lesen ist, daß die Objektbezüge - also das, was Bilder veranschaulichen - codiert wären, sondern die Eigenheit ikonischer Bilder liegt darin, wie sie in der kulturellen Darbietungsform codiert und wie stark sie konventionalisiert sind. Der kulturelle Darstellungscode gibt den relationalen Rahmen vor, »wie« (nicht »was«) unüberblickbar viele Ähnlichkeitsbezüge kommunikativ zu konzeptualisieren sind.

Ein an die Kultur gebundener ikonischer Signifikationscode erfüllt seine Funktion, wenn wir in ihm augenblicklich in verschiedenen Graden einzelne Ähnlichkeitsbeziehungen zu Objekten wiedererkennen. Diese Funktion erfüllt er problemlos auch dann, wenn die ikonisch bezeichneten Objekte real inexistent sind. Eben weil ein ikonischer Signifikationscode auf faktische Merkmale von realen Gegenständen verzichtet (z.B. Räumlichkeit, identische Farbe u. Form, Oberflächentextur, Helligkeit, Größe, Anordnung), stellt er eine Möglichkeit dar, abwesende oder fiktionale Dinge einer Kultur zu repräsentieren. Und dies ist nichts anderes als eine kulturgebundene Kommunikationsmöglichkeit, deren Unähnlichkeit im kulturellen Zeichen eine optische Ähnlichkeit von etwas anderem kommuniziert. Von hier aus betrachtet, erlaubt visuelle Kommunikation eine Komplexität, die keinesfalls darauf angewiesen ist, daß Bilder irgendeine objektivierbare Ähnlichkeit mit irgend etwas anderem belegen. Lediglich ihre kommunikative Methode behauptet, als ob eine Ähnlichkeit so gegeben sei, wie sie bezeichnet ist [s.S. 43 (Rhema)]. Bildliche Ähnlichkeit zum Objekt ist deshalb eine kulturelle Idee, die es Bildern erlaubt, über ikonische Sachverhalte etwas Veranschaulichendes zu kommunizieren. Die visuelle Kommunikation benachrichtigt auch über ikonische Sachverhalte, die sie innerhalb ihrer Methode erst herstellt. Sie benötigt also absolut keine relationale Entsprechung oder faktische Ähnlichkeit zu Weltwirklichkeiten, um ihre kommunikative Funktion zu erfüllen.

Der Gedanke von Nachahmung der Natur und künstlerischer "Mimesis", wie er etwa bei Platon (75), Adorno [vgl. 1973] und Gombrich [vgl. 1984/274] auftaucht, errettet sich für Bilder dort seine Überzeugungskraft, wo nicht irgendwelche natürlichen Gegenstände, sondern die ikonischen Legizeichen von Bildern einer Kultur nachgeahmt werden, damit ein Bild als Bild und Kunst als Kunst so wirken, daß ein Ähnlichkeitsbezug zu etwas anderem entsteht [s.S. 170 (Sinn hat Sinn)]. Bildner repetieren Bilder ihrer Kultur selbstverständlich selten komplett, denn sonst hätte ihre Kommunikation nichts schöpferisch eigenes. Was Bildner vollbringen, ist, daß sie die visuell kommunikative Methode ihrer Kultur teilweise nachahmen, um mittels optischer Zeichen eine schöpferische Idee zu erzeugen, die irgendwelchen kulturellen Objekteinheiten imitierend ähnlich sein kann, aber nicht muß. Jede kulturelle Darstellungsmethode erlaubt die Lüge, die ikonische Inhalte ohne korrespondierende Referenz kommuniziert. Würden Bilder in allen Eigenschaften natürliche Gegenstände oder in allen Eigenschaften unbekannte Formen wiedererkennen lassen, wäre ihr kommunikativer Appell verloren. Sie wären als anthropogene Bilder (Zeichen) nicht wiederzuerkennen. Das Prinzip der visuellen Kommunikation impliziert, daß erstens ein kultureller Darstellungscode wiedererkennbar nachgeahmt wird, und daß zweitens ikonische Objektbezüge visualisierte und realitätsüberschreitende Vorstellungen (Ideen) einer Ähnlichkeit wiedererkennen lassen. Mimesis oder Nachahmung steht daher für ein kulturelles Kommunikationsprinzip, welches Objektbezüge durch eine visuell erkennbare und kulturell etablierte Darstellungskonvention erhält. Die kommunikative Kompetenz, jene Idee von konstruierter Ähnlichkeit nachzuvollziehen, erwirbt der Bildbetrachter zweifelsohne im Prozeß der visuellen Kommunikation. Denn die von ihm erfahrenen Kulturtechniken legen es ihm nahe, wie er die semantische Idee von Ähnlichkeit auf den Darstellungscode projizieren wird, damit er den ikonischen Inhalt des Bildes interpretativ freilegen kann. Ob er den erkannten Inhalt verbal, emotional oder durch eine direkte Handlung pragmatisch interpretiert, hängt dann davon ab, welche möglichen Bedeutungskontexte ihm im Augenblick der Anschauung relevant erscheinen.

Eine Besonderheit der visuellen Kommunikation tritt dort hervor, wo der ikonische Signifikationscode aus visueller Gewohnheit nicht kommunikativ, sondern direkt als Bildgegenstand in Anspruch genommen wird. Ein solcher vorkommunikativ gewordener Signifikationscode tritt auf, sobald wir - wie bei einem Trompe-l’œil [s.S. 77] - das ikonische Objekt sogleich als Gegenstand wahrnehmen können und die Trennung zwischen Zeichenmittel und Objektbezug nahezu in Vergessenheit gerät. In dieser Eigenschaft bezeichnet das Bild etwas anderes ohne Zeichenbedeutung oder finalen Interpretanten [s.S. 129]. Hieran läßt sich erkennen, daß ein Signifikationscode in Bildern auf ikonischen Legizeichen basiert. Deren konventionalisierte Darstellungscodierungen und deren optisch wiedererkennbare Objektbezüge sorgen dafür, daß wir das Bild mit dem Gegenstand verwechseln können. Selbstverständlich passiert uns dies selten vollständig, trotzdem ist jene Zeichenvergessenheit für visuelle Kommunikation zeitweilig unentbehrlich. Ansonsten würde man schlicht wahnsinnig werden, wenn man einen Film in Sinne des Kantschen Verstandesbegriffs verfolgen würde und alle Wahrnehmungen auf den Begriff bringen müßte. Im Sinne des Kantschen Verstandesbegriffs und des Zeichenbegriffs sollte besser davon ausgegangen werden, daß Filmbilder stückweit "geistlos" oder "gedankenlos" ohne finale Interpretanten vorkommunikativ wahrgenommen werden müssen, damit in groben Details »etwas« ikonisch Repräsentiertes wahrgenommen werden kann.

Im pragmatischen Auge des vorkommunikativen Bildbetrachters weichen die Behauptungen Luhmanns auf, daß erstens jede Kommunikationsform Wahrnehmungen detrivialisieren müßte, daß zweitens Erkenntnis "keine 'Ähnlichkeiten' mit der [anwesenden] Umwelt tolerieren" [Luhmann 1990/51] könne, und daß drittens "fast nichts, was real passiert, ... Eingang in die Kommunikation" [Luhmann 1992/566] fände. In unserer Zeit widerspricht diesen Behauptungen zumindest die visuelle Kommunikation. Deren figurativen Erkenntnisse unterliegen nämlich gerade dann der Trivialisierung durch Wahrnehmung, wenn ihre Bilder die visuell kommunikative Aufgabe durch größtmögliche Ähnlichkeit zur Umwelt am täuschendsten erfüllen. Gerade gut vertraute Darstellungscodes entfalten eine trivialisierende Wirksamkeit, sobald in ihrem kommunikativen Rahmen überkomplexe Bilder ablaufen, die vorkommunikativ wahrnehmen lassen, was scheinbar "real" oder "live" passiert. Damit sich die dargestellte Ähnlichkeit zur Umwelt vorkommunikativ wahrnehmen läßt, achtet man bei televisionärer Bildkommunikation genau darauf, daß der kulturelle Darstellungscode nichts Auffälliges aufweist, um trivial zu erscheinen und um kaum kommunikative Interpretationen zu provozieren. Die gegenstandsimitierende, ikonische Repräsentation von Fernsehbildern beispielsweise, erkennt der durchschnittliche Betrachter so erfolgreich und gewohnheitsmäßig, daß er kaum alle Wahrnehmungen als kommunikative Zeichen interpretiert und überhaupt interpretieren kann und soll. Sobald ihm die Trennung zwischen Zeichen und kartographiertem Gegenstand infolge seiner kommunikativen Kompetenz unproblematisch wird, imitiert ihm die ikonische Darstellungsstruktur des Kino- und Fernsehbildes eine Wirklichkeit, an der er zumindest visuell Anteil nimmt, weil ihm der Gegenstand Bild selbst eine aktual wahrnehmbare Wirklichkeit präsentiert und ist.

Auf diese Weise vermitteln Kinobilder, überdimensionale Wahlplakate, Herrscherbildnisse (76), christliche Ikonen und Bildnisse auf Grabsteinen den optischen Eindruck einer Person und lassen das Erlebnis von gegenwärtiger und manchmal allgegenwärtiger Präsenz (z.B. des Königs Hassan II in Marokko) in der Gesellschaft erlebbar und vorstellbar werden. Mit dieser Substitution von persönlicher Anwesenheit verhelfen Bilder manchem zu einer Autorität, die sich im kulturellen Alltagsleben durch bildliche Präsenz vorkommunikativ stabilisiert, obwohl sie auf kommunikativen Zeichen beruht. In vergleichbarer Eigenschaft ersetzen Videokonferenzen, Bildtelefone, Versandhauskataloge, Tele-Shopping und gleichfalls täglich fortgeführte Fernsehserien ein soziales Alltagsleben, dessen sozial konstruierte Realität in Anwesenheit der Dinge und Personen aufgebaut wird. In eine innere Gegensätzlichkeit der Situation gleiten amerikanische Nutzer von Bildtelefonen ab: sie, die Bildkommunikation längst als Tyrannei ihrer Privatsphäre verspüren, schalten ihre permanente Verfügbarkeit in der kommunikativen Bildrealität schlicht ab.

Die direkte Kontakt-Erfahrung einer visuellen "Welt" hebelt die ikonischen Bilder aus dem Kontext finaler Zeicheninterpretation. Aufgrund der visuellen Gewohnheit mit z.B. Filmbildern braucht man dann nicht mehr zu überlegen, wofür das Zeichen steht, sondern man sieht einfach dem wirklichkeitsähnlichen Geschehen zu, sonst nichts. Wir haben dann das wirklichkeitsähnliche Geschehen aufgrund des Wahrnehmenkönnens ähnlich wie die Wirklichkeit verstanden, insofern wir die visuell erfahrbaren Gegenstände der Welt als scheinbar direkt zugängliche Objekte im Bild wiedererkennen. Beispielsweise können wir die Fahrten eines Achterbahnwagens auf eine der Wirklichkeit scheinbar ähnliche Weise im Rundkino visuell erleben, indem wir den Vorgang aus der Distanz wahrnehmen und als scheinbar gegenstandsidentische Zeichen (Gegenstände) sehen. Allerdings werden wir mittels Zeichen und dem direkten oder bildvermittelten Zusehen aus der Distanz nur unzureichendes Wissen darüber erlangen, warum ein besonders "entspannender Spaß" darin besteht, sich in der Magengegend außergewöhnliche Gefühle zu verschaffen. Diese Qualität eines Erlebens läßt sich nur in körperlicher Erfahrung kennenlernen und als Zeichen kaum wahrnehmen. Solange wie jemand einfach der Bewegung des Achterbahnwagens zusieht, wird wahrscheinlich niemand behaupten wollen, daß etwas kommuniziert wurde. Denn dies würde heißen, daß Gegenstände mit uns kommunizieren. Eine solche Eigendynamik der Gegenstände findet sich lediglich im animistischen Glauben an von Geistern besetzte Gegenstände [vgl. Boesch 1983/218]. Und selbst in diesem letzten Fall kommunizieren Gegenstände (77) und Bildgegenstände erst dann etwas, wenn die Wirkung des (Bild-)Gegenstandes als Zeichen verstanden und interpretiert wurde. Die afrikanischen Songhai interpretieren beispielsweise gegenständliche Filmbilder im Kontext ihres "Besessenheitskultes", der sie wissen läßt, daß solche Bilder schattenhafte Doppelgänger ("bia") von ihnen selbst und von Gottheiten zeigen, weil sie sie sehen und hören können, ohne daß diese Doubles selbst sehen und hören könnten [vgl. Behrend 1990/565f.].

Kulturgemäß läßt sich schon hier erkennen: in jenem animistischen Glauben versteht man veranschaulichte Objekte als kommunikatives Produkt, wenn sie versprachlicht werden. Derartiges überlegt stellvertretend für viele Filmtheoretiker, die Casebier [vgl. 1991] "Nominalisten" nennt, beispielsweise Bitomsky, wenn er dahinterkommen möchte, "... was diese Objekte [»ikonischen Objektbezüge«] unabhängig vom Film selbst sagen ..." [Bitomsky 1973/151]. Was sollten ikonische Bilder jedoch sagen, wenn sie per Bildrahmen oder Darstellungscode appellierend indizieren: Sieh her! So, wie optisch dargestellt, kann etwas aussehen, um der Idee nach irgendeiner Welt "ähnlich" zu sein. Alles, was man in der Wahrnehmungserfahrung eines Bildes sagt, sagt man sich selbst. Ikonische Bilder sagen absolut nichts. Souverän gegenüber jeder Sprache präsentieren sie etwas visuell Wahrnehmbares und optisch Repräsentiertes. Aus diesem Grund kritisiert Alpers [vgl. 1985/199] die ikonologische Schule, die die verborgenen Verschlüsselungen in der niederländischen Malerei zu finden meinte, obwohl diese Kunstform des 17. Jahrhunderts besonders an solchen optischen Beschreibungen interessiert war, die im Stilleben (nature morte) die "Welt zum Schweigen" bringen. Einer animistischen Bildsprache beugt sich ein Bild erst dann, wenn ikonische weitere symbolische Objektbezüge animieren, die sich in sprachlich konstituierten und institutionalisiertem Sinn- bzw. Relevanzstrukturen integrieren. Wer Bilderwelten als Text untersucht, ergründet aber keinesfalls das genuin Bildhafte, sondern beschäftigt sich mit der Kommunikation infolge symbolischer Objektbezüge, die im Wissensgewinn einer kulturellen Sprache aktualisiert bzw. auf- und abgebaut werden. Dieses berechtigte Vorgehen begründet sich damit, daß Bilder vielfach auf mehr hinweisen, als tatsächlich in ihnen zu sehen ist; und dennoch erlaubt die sprachliche Rekonstruktion nicht die Vermutung, man hätte visuelle Kommunikation oder Bilder erkannt, wenn kommunizierte Symbole eines kulturellen Kontextes interpretiert werden. Aus der Differenz von ikonischen und symbolischen Objektbezügen entwickelten sich sogar zwei Berufszweige. Denn Künstler und Kameraleute tradieren ikonische Interpretationen, wohingegen Kunsthistoriker symbolische Interpretationen von Bildern im soziokulturellen Bezugsrahmen halten.

Auf den vorkommunikativen Aspekt von Bildern zurückkommend wird folgendes deutlich: bei einfacher Wahrnehmung von dargestellten Objekten in einem sehr gut vertrauten ikonischen Signifikationscode kann es möglich sein, daß zeitweise keine Nachrichten kommuniziert werden. Die optische Information, die scheinbar von ikonischen Objektbezügen veranschaulicht wird, gibt sich hier fraglos als wiederum scheinbar direkte Gegenstandspräsenz zu erkennen. Dieser gradlinige Zugang des wahrnehmenden Individuums zum ikonischen Objektbezug von Bildern widerspricht der Beurteilung Walthers [vgl. 1974/61], daß der ikonische Objektbezug »unmittelbar kommunikativ« wäre. Wird nämlich der ikonische Signifikationscode direkt wahrgenommen, ermöglicht er pure Wahrnehmung von Informationen, denen kaum eine Zeicheninterpretation mit kommunikativer Nachricht folgt. Dieses Charakteristikum beinhaltet für Bilder, daß sie einen Grad von Neuheit zumindest im Ikon mitbringen müssen, wenn sie nicht fraglos wahrgenommen werden sollen. Bei der visuellen Kommunikation transportiert deshalb vorrangig das Unvorhergesehene eine kommunikative Nachricht, die im Sinzeichen mit ungewöhnlichem Ikon Aufmerksamkeit erregt. Ausschließlich unzureichende Innovationen verhindern das kommunikative Element in der visuellen Kommunikation. Von hier aus beantwortet sich die Frage von Nöth [vgl. 1985/115] nach dem Wandel ikonischer Zeichen. Denn ihr Wandel folgt dem Wandel der Bildstile, die Aufmerksamkeit aus ihrer kommunikativen Zielsetzung heraus erreichen müssen. Dies führen beispielsweise Werbeagenturen vor. Sie durchbrechen graduell in ihrer visuellen Reklame vertraute Signifikationscodes mit neuartigen oder in Vergessenheit geratenen Codes. Moderne Künstler dürfen hingegen kraft bestehender Bildtraditionen wenig Rückgriffe wagen. Sie verwenden hauptsächlich innovative Codes oder neue Bildstile, um nicht der Ausdruckslosigkeit anheim zu fallen [s.S. 117 (Innovation)]. Werbeagenturen und Künstler beachten jedoch, daß ikonische Signifikationscodes nicht vollständig verlassen werden. Würden sie sie verlassen, wäre ein Bild als Bild und die Veranschaulichung von »etwas« nicht wiederzuerkennen.

Trotz eines Signifikationscodes können Anliegen im Sinzeichen durchaus und im ikonischen Objektbezug sowieso ganz individuell artikuliert werden. Knops irrt darum, wenn er im ikonischen Signifikationscode eine Verdinglichung erkennt, die keine innovative "Auseinandersetzung mit erlebter Geschichte" [Knops 1986/87f.] darstellt. Wenn nämlich Bildproduzenten (z.B. Kinder) Darbietungen ohne Signifikationscodes entwickeln würden, dann lägen sie mit diesem Ansinnen zunächst jenseits von kommunikativen Zeichenkontexten ihrer Kultur; sie wären also zunächst kommunikativ isoliert. Der Gedanke von der Autonomie der Kunst, die auch Benjamin [1963] als "Schein" sah, relativiert sich hier. Denn Kunstwerke, die absolut unabhängig von kulturellen Signifikationscodes auftreten, werden sicher nicht als solche anerkannt. Die einzige Autonomie, die Bilder und Kunstwerke kommunizieren, ist die gegenüber erfahrener Gegenständlichkeit [Zweitheit]. Kommunikative Zeichen haben anfänglich grundsätzlich sich selbst, also ihre Kultur und nicht die Natur oder einen Gegenstand zum Vorbild. Überstiegen wird diese kritische Grenze zwischen Natur und Bild immer nur dann, wenn das Bild einer Natur mit der Natur angeblich identisch sein soll, und demzufolge die vorgetäuschte Nachahmung als natürlicher Gegenstand erlebt wird und als Bild scheinbar nichts mehr kommuniziert.
Die beiden letzten Absätze verdeutlichten nochmals: sobald Individuen ikonische Signifikationscodes so gut kennen, daß sie Bilder fraglos wahrnehmen, kann dieser sehr vertraute Code als ein vorkommunikativer Code bezeichnet werden. Auf vorkommunikativer Ebene vermitteln Bilder keine kommunikativen Nachrichten, sondern Informationen über einen Gegenstand in einem ikonischen Darstellungscode, dem ein Erkennungscode auf seiten des Betrachters gegenüber steht. Diesen Erkennungscode lernt der Betrachter durch körperliche Anwesenheit gegenüber den Bildern seiner Kultur kennen. Was der Betrachter aber aufgrund der Wahrnehmungserfahrung als Wissen behält, sind im günstigsten Fall Zeichen von dem, wie etwas in einer Darstellung aussieht und was es bedeutet. Dieses Residuum einer Wahrnehmung ergründet das übernächste Kapitel mit der Frage: Wie wissen Bilder etwas von etwas? Da Wissen aber nur über Zeichencodierung vermittelt werden kann, wenn diese in ihrem »Sinn der Form« kommunikativ anschlußfähig sind, wird zuvor dieser funktionale Sinn konkretisiert.


----Fußnoten----

(71) Ein vorzügliches Beispiel hierfür geben brillenlos sichtbare 3-D Bilder [vgl. Baccei 1994].


(72) Im Unterschied zum Schlußverfahren der Deduktion und der Induktion benennt Peirce das Schlußverfahren der "Abduktion" als eine Hypothese folgender Art: "Regel. - Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Resultat. - Diese Bohnen sind weiß. .•. Fall. - Diese Bohnen sind aus diesem Sack" [Peirce 1967 I/367].


(73) Der Unordnung im Werk von Peirce folgte eine unzureichende Rezeption, die einen monumentalen Sumpf heraufbeschwörte, der darin besteht, daß viele Autoren die Objektbezüge (Ikon, Index, Symbol) noch nachvollziehen konnten, dann aber diese Objektbezüge als vollständige Zeichen ohne Zeichenmittel und Interpretantenbezug behandelten. Diese wissenschaftlich tradierte Konfusion mündete zuletzt darin, daß Scholz in seiner an Goodman orientierten Bildtheorie den "... Eindruck ... [hat], von der Trias Ikon - Index - Symbol bliebe nur die Unterscheidung zwischen Index und Symbol übrig ..." [Scholz 1991/150].


(74) Metz schrieb auch, Kino wäre eine "Sprache ohne Sprache" [Metz 1972/95] im Sinne Saussures von langage (menschliche Rede/Ausdrucksweise) ohne langue (konventionelle Sprache).


(75) Recki schreibt: schon Platon löste sich von der Vorstellung, "... wonach Mimesis oder Nachahmung der Natur ... auf die genaue Abbildung von der 'Vorderseite der Dinge' ... festgelegt wäre" [Recki 1991/118].


(76) Zur Bildpropaganda von Herrschaft siehe Belting [vgl. 1990/23] und - trotz einiger semiotischer Fehlschlüsse - Hoffmann [vgl. 1982/258ff.].


(77) Was A. Assmann irrtümlich als "Sprache der Dinge" [Assmann 1988a/244] bezeichnet, kommt allein dort vor, wo "Dinge" versprachlicht werden, wie z.B. "die Schläue des Fuchses".




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