Summary
Die Überlegung zur Pragmatik des visuell kommunikativen Bildhandelns
gehen zunächst von der gemeinsamen Basis aus, auf die sich der Pragmatismus
sowie die Pragmatik hinsichtlich der Bedeutung eines Zeichens bzw. Objekts
gründet. Im Anschluss daran folgt eine kurze Darlegung, welcher Interpretantenbezug
eines Zeichens auf die Bedeutung eines Bildes eingeht. Im dritten Schritt
zeigt auf, welche visuell kommunikativen Handlungen mit Bildern vollzogen
werden können.
The first part of the following consideration, the common basis of pragmatism
and of the pragmatical meanings of signs, pictures and objects is outlined.
It is then briefly discusses which mental interpretant of a sign is relevant
for the meaning of a picture. Finally, som types of picture based communicative
actions are analyzed.
Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern
Andreas Schelske
Einleitung
Für Publizisten in den Massenmedien ist die Epoche der Bilder angebrochen.
Das Wissen der Weltgesellschaft wird ihrer Meinung nach zukünftig
bildhaft vermittelt sowie gespeichert. Sie sowie einige Wissenschaftler
stellen den pictural turn über den linguistic turn, indem sie die
erlernte Bild- für wichtiger als die Sprachkompetenz des Individuums
einschätzen. Spontan ist zunächst jedem einsichtig, dass Bilder
über kulturelle Sprachgrenzen hinweg etwas visuell kommunizieren.
Bilder globalisieren und homogenisieren die ehemals kulturell fragmentierte
Kommunikation stärker als die Sprache. Auch dass Bilder spezifische
Erinnerungs- sowie Gedächtnisfunktionen für Kulturen übernehmen,
bestreitet niemand. Aber welche Bedeutungen die Bilder in den jeweiligen
Betrachtungssituationen konkret kommunizieren, überprüfen selbst
Personen gleicher Kultur und Gesellschaft selten untereinander. Meist
nehmen Betrachter an, andere Betrachter des Bildes hätten vermutlich
eine vergleichbare Bedeutung verstanden wie sie selbst. Selten diskutieren
sie ihre interpretierten Bedeutungen. Eher wundern sie sich, dass jemand
über ein Bild lacht, dessen Bedeutung sie eventuell ganz anders verstanden
haben. Die Bedeutung eines Bildes konstituiert sich zwar in der Praxis,
aber befragt wird sie in dieser selten - oft versteht sie jeder unbefragt
auf seine Weise. Wie sich diese vielfältigen Bedeutungen eines Bildes
aus der interpretatorischen Praxis ergeben, möchte ich in folgenden
drei Schritten skizzieren: Der erste Schritt greift die semiotische Definition
der Pragmatik in Bezug zum Pragmatismus auf, der zweite umreißt
einen pragmatischen Zeichenbegriff und der dritte Schritt zu einer Bildpragmatik,
zeigt drei grundlegende Aspekte des visuell kommunikativen Handelns mit
Bildern auf. Alle drei Schritte zielen auf die Darlegung, wie Bedeutungen,
mit der bildhafte Zeichen belegt werden, aus dem pragmatischen Handeln
interagierender Individuen zu verstehen sind.
1. Pragmatismus: Handlung als Bedeutungsinterpretation
Im Anschluss an die pragmatische Wende, die mit der philosophischen Neuorientierung
in den 70er Jahre vollzogen wurde, formuliert HILARY PUTNAM, welches der
zentrale und eben so scheinbar simple Kernpunkt des PRAGMATISMUS ist:
„die Betonung des Vorrangs der Praxis“ (PUTNAM 1995, 61) vor
der Theorie. Theoretische Annahmen sowie Ideen sollen dem „Druck“
der Empirie wiederholt standhalten, um Orientierung und Funktionalität
zu sichern. Aussagen im Pragmatismus spitzen sich daher nicht auf die
innere Konsistenz einer widerspruchsfreien Theorie zu. Denn im gewissen
Sinne geht es dem Pragmatismus weniger um eine ausformulierte Theorie,
sondern wesentlich dringlicher darum, wie sich mit konkreten Problemen
innerhalb eines beobachtbaren Kontextes umgehen lässt. (vgl. REICHARDT
(2000, 163) Einen korrespondenztheoretischen Wirklichkeitsbezug der Erkenntnis
verneint der Pragmatismus. Er formuliert die Erkenntnis der Wirklichkeit
als eine, die auf in Handlungselementen eingewobenen Nützlichkeitszusammenhängen
beruht. (vgl. SANDBOTE 1999)
Diese pragmatistische Grundidee einer Erkenntnis infolge kooperativer
menschlicher Interpretation der soziokulturellen wie natürlichen
Lebenswelt, zieht sich durch den gesamten Pragmatismus. Der Begründer
der pragmatistischen Denkweise ist CHARLES SANDERS PEIRCE. Bereits 1878
formulierte er in der Abhandlung „How to Make Our Ideas Clear“
die zentrale These seiner sogenannten „Pragmatischen Maxime“.
Mit ihr begründet Peirce sowohl seine semiotische Pragmatik als auch
seinen erkenntnistheoretischen Pragmatismus. Sie lautet: „Überlege,
welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten,
wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann
ist unser Begriff dieser Wirkung das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes"
(PEIRCE 5.402; Übersetzung nach OEHLER 1993, 82) Zwar wurde diese
Ausgangsthese von JAMES, DEWEY, MEAD und MORRIS sowie anderen Pragmatisten
unterschiedlich interpretiert und ausgearbeitet, dennoch blieb der Kerngedanke
erhalten. Denn die pragmatische Maxime behauptet, dass die Bedeutung von
etwas der Begriff seiner Wirkung ist.
Unter Bedeutung versteht PEIRCE aber nicht ausschließlich den Begriff
wahrnehmbarer Eigenschaften, sondern Bedeutung umfasst ebenfalls das konzeptuelle
Gefüge von Interpretationen und Zeichenkontexten, in denen die wahrnehmbaren
Eigenschaften z.B. eines Bildes eingebettet sind. Der erkenntnistheoretische
Aspekt des Pragmatismus verdeutlicht, dass Bedeutung aus der jeweilig
aktualisierten Interpretation von etwas in seinem spezifischen Kontext
hervorgeht. Vergleichbares betont ebenfalls der semiotische Aspekt der
Bedeutung eines Zeichens. Dort ist Bedeutung eine Frage der Pragmatik,
wie wir mit den Objekten, Zeichen und Bildern und deren Wirkungen innerhalb
unserer Interpretationen umgehen. Bedeutung schreibt sich nicht unverrückbar
in singuläre Objekte, Zeichen oder Bilder ein, sondern sie konstituiert
sich erst in verschiedenen Herkunfts-, Verwendungs- und Verwertungskontexten,
mit denen sie zweifellos auch differiert. Bedeutungsunveränderliche
Objekte sowie bildhafte Zeichen kommen innerhalb gesellschaftlicher Handlungsfelder
ebensowenig vor wie bedeutungslose. (vgl. PUTNAM 1995, 132; SCHELSKE 1997,
16f.) Die Frage nach der Bedeutung eines bildhaften Zeichens lautet unter
der pragmatischen Maxime nicht: „Was bedeutet das bildhafte Zeichen?“,
sondern sie lautet: Wie werden bildhafte Zeichen in soziokulturellen Kontexten
verwendet, um ihre Bedeutung zu konstituieren und interpersonal mitzuteilen?
Insofern begegnet die Pragmatik ebenfalls dem Untersuchungsgegenstand
der Bedeutung von Bildern in einer unabschließbaren, offenen Fragestellung.
2. Pragmatik der bildhaften Zeichen
Semiotische Untersuchungen liefern zwar, sofern sie im Pragmatismus von
CH. W. MORRIS und CH. S. PEIRCE verwurzelt sind, die nicht unumstrittenen
Unterscheidungen, wie sich Zeichen in den Kategorien der Syntaktik, Semantik
und Pragmatik unterscheiden lassen, doch was insbesondere das begriffliche
Konzept der Pragmatik zu leisten imstande ist, bleibt in den Theorien
zur bildhaften sowie verbalen Kommunikation weithin undeutlich. Über
das Beschreibungsfeld der Syntaktik sind sich Semiotiker und Linguisten
verhältnismäßig einig, dass hier die Beziehungen der Zeichen
untereinander zum Untersuchungsgegenstand gehören. Bei dem Gegenstand
der Semantik besteht bereits Uneinigkeit. Die Standarddefinition bietet
Morris an, in dem er die Semantik als eine definiert, die die Beziehung
der Zeichen zu den Gegenständen thematisiert. (vgl.: MORRIS 1988,
90ff.) Strittig ist in den wissenschaftlichen Disziplinen, welche semantischen
Beziehungen die Zeichen zu den Gegenständen eingehen. Ist es eine,
die Bedeutung grundsätzlich impliziert oder lässt sich die semantische
Beziehung auch als eine der Bezeichnungsfunktion ohne Bedeutung auffassen?
(vgl. SCHELSKE 2001)
Linguistisch orientierte Theoretiker sehen in der Semantik ausschließlich
die Ausdrücke, wie sie in den Beziehungen zu ihren Gegenständen
eine Bedeutung erlangen. Danach wäre Semantik die Lehre über
die Bedeutung und die Wahrheitsbedingungen von Zeichen. Demgegenüber
formulieren die Semiotiker BENSE und WALTHER (vgl. 1973) eine Semantik,
die ausschließlich die Bezeichnungsfunktion eines Zeichens erfasst
und Bedeutung vollständig dem pragmatischen Zeichenaspekt überlässt.
Semantik in diesem semiotischen Sinne beinhaltet ausschließlich
die Bezeichnungsfunktion von semantischen Strukturen einer Sprache oder
eines kulturellen Bildstils. Im gleichen Zuge überantworten BENSE
und WALTER alle Bedeutung eines Zeichens der Dimension der Pragmatik.
In dieser semiotischen Dimension der Pragmatik konstituiert sich die Bedeutung
eines Zeichens über die Handlungsaspekte, die ein Interpret während
seiner Interpretation der syntaktisch-semantischen Bezeichungsrelation
in das Zeichen hineinlegt. Mit diesem Schritt richtet sich die semiotische
Pragmatik, die sich von PEIRCE ableitet, gegen die linguistische Auffassung,
die unter Pragmatik nur jene Bedeutungsaspekte zu verstehen versucht,
die in eine Semantiktheorie der Bedeutung nicht zu integrieren sind. Pragmatik
in linguistischer Betrachtungsweise könnte dann sozusagen nur noch
als unreine Resttheorie fungieren, die man benötigt, um die Semantik
in scheinbarer Brillanz der Erklärungskraft erhalten zu können.
Diese unglücklich gewählte Unterscheidung vorrangig linguistischer
Theoriebildung ist unter semiotischen Gesichtspunkten einer PEIRCE Interpretation,
wie sie BENSE und WALTER vornehmen, nicht aufrechtzuerhalten.
Mit dem Linguisten LEVINSONS (vgl. 1994, 32) lässt sich zwar noch
sagen, Pragmatik beschäftigt sich mit den Bedeutungen, die von einer
Semantik und deren Wahrheitsbedingungen nicht erfasst werden. Aber in
der rigorosen Begriffsverwendung der semiotisch definierten Pragmatik,
übernimmt die Semantik lediglich eine Bezeichnungsfunktion, die in
Verwendungskontexten der (bildhaften) Zeichen zu einer pragmatischen Bedeutung
gelangt. Wahrheitsbedingungen der Zeichen lassen sich zwar für semantische
Zeichenstrukturen formulieren, genauer gesagt, sind sie von symbolischen
Bezeichnungen abhängig, aber ohne die pragmatische Interpretation
der Bedeutung lassen sich auch Wahrheitsbedingungen nicht erkennen. Insofern
ist LEVINSON zuzustimmen, dass Pragmatik sich mit der Bedeutungsfunktion
der Zeichen minus Semantik beschäftigt. (vgl. LEVINSONS 1994, 32)
Gleichwohl wendet sich der hier forcierte Pragmatikbegriff dagegen, dass
Pragmatik nur die besonderen Bedeutungsaspekte von Zeichenhandlungen thematisiert,
die man mit der Semantik einer direkten Referenz und spezifischen Wahrheitsbedingungen
- z.B. eines Satzes - nicht erklären kann. Denn die isolierte, semantische
Bezeichnungsfunktion vollständiger Zeichen ist außerstande
von der Pragmatik autonome Bedeutungsaspekte anzugeben oder zu überliefern.
Aus diesem Grund möchte ich, obwohl eine eingehendere Begründung
der Thesen vorgebracht werden müsste, für die hier kein Platz
ist, die Pragmatik wie folgt verstehen: Pragmatik umfasst die in ein Zeichenhandeln
eingebettete Bedeutungsfunktion eines Zeichens dadurch, dass ein Zeichenverwender
vermöge seiner Interpretation einen Interpretanten der Bedeutung
eines Zeichens aktualisiert. Pragmatik ist in dieser Definition, als die
Bedeutungsaktualisierung im Zeichenhandeln eines Individuums aufzufassen.
Ein Interpretationsabsolutismus verunmöglicht sich mit dieser pragmatischen
Auffassung einer Zeicheninterpretation.
3. Die pragmatische Zeichendimension
Peirce entwickelte eine triadische Zeichenrelation, die in dem syntaktischen
Gliederungs- bzw. Mittelbezug, dem semantischen Bezeichnungsbezug und
dem pragmatischen Bedeutungs- bzw. Interpretantenbezug aus jeweils drei
Zeichen unterschiedlicher Kategorien bestehen. Obwohl ein vollständiges
Zeichen unabdingbar über einen syntaktischen Mittelbezug als auch
über einen semantischen Bezeichnungsbezug verfügen muss, um
als Zeichen zu fungieren, möchte ich im folgenden lediglich die drei
Zeichenbezüge des Interpretanten vorstellen, um zügig auf das
Thema des Zeichenhandelns zu kommen.
Das Rhema als erster pragmatischer Interpretant ist dadurch kennzeichnet,
dass die Bedeutung, die in Bezug auf eine syntaktisch-semantische Zeichenrelation
interpretiert wird, stets offen ist. Beispielsweise zieht ein perspektivisch
gezeichnetes, ikonisches Bildzeichen immer eine Bedeutung nach sich, die
von dem Interpreten willkürlich gewählt wird, also interpretativ
offen ist und keiner Regel folgt. Ein Rhema kennzeichnet deshalb eine
(ikonische) Aussage, die aussagenlogisch weder wahr noch unwahr sein kann
oder eine logische Widerspruchs- und Negationsmöglichkeit beinhaltet.
Alle Bilder verfügen in ihren ikonischen Bezeichnungsbezügen
der Ähnlichkeit über eine rhematische, also offene, unerwartbare
Bedeutung. Sie behaupten lediglich die bedeutete Identität, das etwas
so sei, wie sie es per Ähnlichkeit bezeichnen. Aufgrund seiner interpretativ
offenen Bedeutung charakterisiert das Rhema den Bedeutungsanspruch von
den meisten Bildern in ihren ikonischen Bezeichnungsfunktionen.
Im Interpretantenbezug des Dicenten können spezifische Bilder einen
Sachverhalt behaupten, dass etwas als eine reale Tatsache so existiert,
wie es gezeigt wird. Das visuell kommunikative Handeln mittels der Lichtbildnerei
behauptet beispielsweise kulturgemäß die Existenz seines bezeichneten
Objekts. Eine solche behauptete Bedeutung kann wahr oder unwahr sein,
weil potentiell entscheidbar ist, ob das bezeichnete Objekt in seiner
Bedeutung als eine Tatsache eingeschätzt wird oder nicht.
Den dritten pragmatischen Interpretantenbezug nennt Peirce „Argument“.
Ein Argument kommt in bildhaften Zeichen nicht ohne eine sprachliche Unterstützung
vor. Es beruht auf einem Symbolrepertoire, das über eine inhärente
Gesetzlichkeit verfügt. Im Gegensatz zur symbolischen Sprache gibt
es für Bilder weder ein Alphabet noch ein überschaubares Zeichenrepertoire,
noch eine aussagenlogische Bezugsordnung. Aufgrund dieser ungeregelten
Bedeutungsfunktionen erhalten Bilder nahezu nie innerhalb eines Arguments
eine Bedeutung. Eher im Gegenteil liegt der herausragende Charakter von
Bildern darin, jede Logik und Plausibilität eines Arguments zu unterwandern.
Die drei Bedeutungsklassen der Interpretantenbezüge heben hervor,
dass bildhafte Bezeichnungsweisen vorrangig eine bedeutungsoffene Interpretation
nach sich ziehen. Eine vollständige Pragmatik ist aber gehalten,
neben den Klassen von interpretierten Bedeutungen auch anzugeben, welche
visuell kommunikativen Handlungen mit Bildern vollzogen werden. Dies leistet
der folgende Teil.
4. Visuell kommunikatives Bildhandeln
In der Praxis dominieren Bilder die meisten medialen Kommunikationssituationen.
Doch trotz des Internets antwortet bisher kaum jemand auf ein Bild mit
einem Bild. In den meisten visuell kommunikativen Situationen, in denen
Bilder verwendet werden, reagieren die Rezipienten mit dem Zeichen des
Schweigens, mit einer Geste oder verbalen Äußerungen. Interaktives
Bildhandeln zwischen zwei Individuen, die Bilder mit Bildern beantworten,
kommt selten vor. Denn Bildhandeln beruht zuallererst auf der kommunikativen
Kompetenz des Bildproduzenten. Vom Bildrezipienten fordert die kommunikative
Situation nicht, dass er selbst fähig ist, Bilder zu erstellen. Sein
Bildhandeln kann sich darauf reduzieren, ohne die visuelle Bildkommunikation
selbst zu gefährden, die ihm gezeigten Bilder mit entsprechender
Wahrnehmungs- sowie Interpretationskompetenz zu begegnen. Aufgrund dieser
reduzierten Anforderungen an die Rezipientenseite möchte ich diese
unbeachtet lassen und den Rahmen der pragmatischen Geltungsansprüche
thematisieren, die ein visuell kommunikativ handelnder Akteur einbezieht.
Von der Pragmatik einer sprachlichen Aussage ausgehend, formulierte HABERMAS
drei mögliche Geltungsansprüche. Die kommunikativen Handlungen
eines Akteurs können sich ihm zufolge auf objektive/teleologische,
soziale/normenregulierte und subjektive/dramaturgische Weltkonzeptionen
beziehen. (vgl. HABERMAS 1988b, 18) Wie diese drei kommunikativen Handlungsbezüge
für die visuelle Kommunikation mit ikonischen Objektbezügen
relevant werden, möchte ich im folgenden erproben.
Gemäß HABERMAS (vgl. 1988a, 125ff.; 1988b, 183f.) verfolgt
ein Akteur in teleologischer oder objektivierender Handlungsmotivation
ein Erfolgskalkül bzw. bewirkt das Eintreten eines bestimmten Ziels
mit adäquaten Mitteln. Dieses Ziel strebt er an, wenn er seinem Handeln
die Erwartung zugrunde legt, dass seine Objektivierungen einen anderen
Akteur in dessen Entscheidungen beeinflussen, weil er sich und den anderen
an verwandten Weltmodellen von Objektivierungen orientiert sieht. Unter
dieser Voraussetzung der wechselseitigen Orientierung beansprucht der
Handelnde eine Geltung, die "... nach Kriterien der Wahrheit und
der Wirksamkeit beurteilt werden /.../ [kann oder sein soll]" (HABERMAS
1988a, 130).
Ikonischen Bildern fehlt die grammatikalische Bezugsordnung, um in sich
wahre oder unwahre Aussagen zu machen. Die bildhafte Generalisierungskraft
unterschreitet sogar noch die von situativen Namen. So veröffentlicht
die bildhafte Kommunikation selbst auch keine Argumente. Sie publiziert
singuläre Existenzbehauptung, die in symbolischen Interpretationen
allenfalls ein Argument stützen. Mit bildhafter Kommunikation lässt
sich daher der Effekt erzielen, dass Individuen meinen, eine ikonisch
bezeichnete Welt könnte dem optisch ähnlich sein, wie sie objektivierend
mit dem Bild bezeichnet wurde.
Beispiele, die die objektivierende Bedeutung visuell kommunikativen Bildhandelns
unterstreichen, bieten Markenstrategien der Werbung. Um ein Produkt zu
verkaufen, bauen Werbestrategen ihren Erfolg darauf, dass der Betrachter
einen Gegenstand erwerben möchte, weil er zwischen diesem und einer
bildhaften Darstellung von ihm eine Ähnlichkeit erwartet. In Werbestrategien
soll aber nicht nur das Produkt verkauft werden, sondern zudem dessen
Markenzeichen mit einer Sozialdimension verbunden werden, deren symbolisierter
Lebensstil sich mit dem Produktkonsum einstellen soll. In solch teleologischer
Orientierung handelt man im Illusionsmarketing nach dem Prinzip: sehen
Sie ihre Stars mit dem von ihnen begehrten Produkt und Sie könnten
beim Kauf dieser wie jene aussehen oder wenigstens Star-Lebenskontexte
kommunikations- und integrationswirksam symbolisieren. Ohne Sprache oder
zumindest ohne soziokulturelles Hintergrundwissen, das die öffentliche
Bedarfsbeeinflussung in ihrer Bedeutung markiert, wäre zwar die Verkaufsbotschaft
unverstanden, aber der Effekt des Bildes hätte trotzdem ausgereicht,
um den Betrachter zur Existenzannahme einer bestimmten Person oder Sache
zu bewegen. Insofern erlangen manche Bilder eine Wirksamkeit, die als
Objektivierung einer optisch wahrscheinlichen Welt gelten kann.
In dieser objektivierenden Bedeutung nehmen Bilder eine herausragende
Stellung in der gesellschaftlichen Kommunikation ein, weil ihr ikonisches
Wissen meist glaubhafter als sprach-symbolisches Wissen die Existenz einer
Sache beweisen soll. Mit anderen Worten: In teleologischer Handlungsmotivation
evoziert das visuell kommunikative Bildhandeln eine Bedeutung, die innerhalb
der Sozialintegration etwas Abwesendes zur unnegierbaren Anwesenheit einer
sozialkommunikativen Kopräsenz verhilft.
Mit dem Begriff des normenregulierten/sozialen Handelns spricht HABERMAS
einen Akteur an, der sein Handeln an Normen und Werten seiner sozialen
Gruppe ausrichtet. Alle Handelnden, die die jeweiligen Normen in ihrer
Gültigkeit akzeptieren und als gesollt anerkennen, gehören nach
HABERMAS derselben sozialen Welt, demselben Kreis von individuellen Adressaten
an. Die "... Norm besteht oder [genießt] soziale Geltung ...,
wenn sie von den Normadressaten als gültig oder gerechtfertigt anerkannt
wird" (HABERMAS 1988a, 132, vgl. 127ff.; 1988b, 183).
Für das ausschließlich visuell kommunikative Handeln lassen
sich solche Normen nur bedingt beschreiben, weil ästhetische Normverletzungen
z.B. in der Kunst, Werbung und im Fernsehen besonders anerkannt und dem
bildinhärenten Kommunikationsprinzip »Aufmerksamkeit«
förderlich sind. Rein ästhetische Kontexte, in denen mit ikonischen
Bezeichnungsformen visuell kommuniziert wird, können allenfalls hinsichtlich
bildhafter Stilnormen nach ihrer normativen Angemessenheit beurteilt werden.
Der Begriff des normenregulierten Handelns ergründet deshalb weniger
ikonische Bilderwelten, sondern stärker Legitimationen und normative
Angemessenheiten einer symbolisch konstruierten Sozialwelt. Die ikonische
Kommunikation ist demgegenüber in der Lage, symbolische Normierungen
subversiv zu unterlaufen, sofern ihre bedeutungsoffenen Formen im Ikon
jeden eindeutig symbolischen Status zurückweisen können.
Auch gegenwärtig unterlaufen bedeutungsoffene Bilder vielfach normative
Regulierungen einer symbolischen Weltkonzeption. Beispielsweise darf man
Bilder von nackten, verletzten oder toten Menschen in unterschiedlichsten
Situationen zeigen. Zu sozialen Normverletzungen kommt es alltäglicherweise
erst dann, wenn symbolische Kontexte hinzutreten, in denen kulturelle
Werte symbolisch, also nicht ästhetisch und nicht ikonisch, verletzt
werden. Zum Beispiel empfinden es manche Betrachter als eine Überschreitung
sozialer Normen, wenn die Firma Benetton ihren Namen dadurch positiv zu
etablieren sucht, dass sie Bilder blutiger Kleidungsstücke eines
toten Soldaten mit ihrem Firmenlogo zeigt. Der Begriff des normenregulierten
Handelns erhält daher für die visuelle Kommunikation eine zurückzuweisende
Relevanz: In unserer Kultur erhalten Bilder ihr sozialintegratives Moment
oftmals dann, wenn sie ihre Normdistanzierung vorsymbolisch ausspielen,
indem sie symbolisierte Normen subjektiv einsichtig unterlaufen.
Mit dem Begriff des subjektiven oder dramaturgischen Handelns beschreibt
HABERMAS einen Akteur, der weder Objektivationen noch Normatives in der
sozialen Gruppe thematisieren möchte. Das dramaturgische Handeln
bezieht sich "... auf Interaktionsteilnehmer, die füreinander
ein Publikum bilden, vor dessen Augen sie sich darstellen" (HABERMAS
1988a, 128). In diesem dramaturgischen Handeln versucht der Akteur etwas
zu konzeptualisieren, was er sich selbst und auch jeder andere ihm als
subjektive Expression seiner Wünsche und Gefühle zurechnet.
HABERMAS zufolge "... [setzt] das dramaturgische Handeln ... Sprache
als Medium der Selbstinszenierung voraus" (HABERMAS 1988a, 142).
Wie aber gleich zu zeigen ist, kann das dramaturgische Handlungsmodell
für Bilder auf Sprache und Symbolisierungen als Medium verzichten
und erhält dadurch eine wesentlich größere Wahlfreiheit
der
Inszenierung in stilistischen und ästhetischen Ausdrucksformen.
Die herausragende Attraktivität von Bildern liegt in deren semantischer
Bezeichnungs- und pragmatischer Bedeutungsautonomie. Was man mit einem
Bild ikonisch bezeichnen und rhematisch bedeuten will, muss keiner kollektivierten
Regel, Vorverständigung oder symbolischen Sprache gehorchen. Ein
Individuum kann ein Motiv vollständig subjektiv wählen und trotzdem
erhält dieses infolge der kulturellen Zentralperspektive eine annäherndemonosemantische
Bezeichnungsfunktion, die vieldeutig (polypragmatisch) interpretiert werden
kann. Diese zurechenbare Subjektivität ist beispielsweise mit einem
Fotoapparat zu begründen, der vor keinem ausgewählten Motiv
zurückweicht. Mit ihm kann man alles subjektiv dramatisieren und
doch auf die zuschauerbezogene Stilisierung vertrauen, dass fast alles
im Foto wiedererkannt und visuell verstanden wird. Ob dabei außerdem
die subjektive Expression, so wie gemeint, in der Bedeutung verstanden
bzw. vom Betrachter nachvollzogen wird, ist dabei vollständig offen.
Die Dramatisierungen in Bildern leben davon, dass sie soziologistischer
Symbolinterpretation zu entfliehen suchen. Der individuellen Autonomie,
d.h. ihrer subjektiven Selbstgesetzlichkeit, ist es zu verdanken, dass
ein dramatisierendes Bild einem Individuum und/oder einer individuellen
Situation zugeschrieben wird. Nichts außer der individuellen Subjektivität
und der originell einzigartigen Situationsaufnahme nämlich stehen
dafür ein, was im »Inhalt« des kulturellen »Wie«
eines ikonischen Bildes dramatisiert wird. Die objektivierenden Kulturperspektiven
nehmen keinen Anteil daran, haben keine Emotion dafür, warum sich
die situative Subjektivität eines Bildners mittels des Bildes so
darstellt, wie sie sich darstellt. Die individuelle Situation ist in der
kommunikativen Verständigungsabsicht erfasst, obwohl niemand unverzüglich
symbolisieren kann, wie sie in ihrer Bedeutung zu verstehen ist. Denn
Subjektives ist überdies vom Subjekt erst in seiner Dezentrierung
von sich selbst verbal-symbolisch zu verstehen, indem es sich aus der
Position des verallgemeinerten Anderen fragt, was sagt mir die Emotion,
die mir widerfuhr. Daher sperrt sich der dramatisierende Effekt des Bildes
jeder symbolischen Verortung; entweder man erlebt die Dramatik eines Bildes
oder man erlebt sie nicht. Individuen fühlen sich deshalb innerhalb
ihrer expressiven Subjektivität verstanden und sozial integriert,
sobald sie wechselseitig vermuten, sie hätten Gleiches miterlebt.
In ikonischer Subjektivierung sucht man sich dem mimetisch anzunähern,
dem man ansonsten nicht kommunikativ begegnen könnte. In diesem vorsymbolischen
Tun immunisieren sich Bildner gegen sprachliche Konsensbemühungen
und objektivierende Handlungsorientierungen. Sie erwecken ihre subjektive
Bedeutung im dramaturgischen Handeln unmittelbar direkt kraft gegenständlicher
Bildpräsenz eines aktualen Geschehens. Denn Bildbetrachtung ist ausschließlich
als aktuales Wahrnehmungsgeschehen zu erleben, ansonsten ist sie ein Denken,
ein Symbolisieren, aber keine Bilderfahrung eines Wirklichkeitsflusses.
Das dramaturgische Bildhandeln kennzeichnet die herausragende, pragmatische
Bedeutung der Bildkultur für Gesellschaften. Denn Bilder eignen sich
für die dramaturgische Handlungsmotivation besonders, weil sie erstens
der individuellen Selbstinszenierung ein Medium bieten, das innenorientiertem
Darstellungswillen nahezu keine konventionellen Grenzen setzt. Und zweitens,
weil symbolisch definierte Normen mittels ikonischer Subjektivierung im
visuell kommunikativen Bildhandeln anarchisierend unterschritten werden
können.
Bibliographie:
HABERMAS, JÜRGEN (1988a): Theorie des kommunikativen Handelns, Band
1
(1988b): Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2, Frankfurt a.M.,
Suhrkamp
BENSE, MAX; WALTHER, ELISABETH (1973): Wörterbuch der Semiotik,
Köln
LEVINSON, STEPHEN C. (1994): Pragmatik, 2. unveränderte Auflage,
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MORRIS, CHARLES WILLIAM (1988): Grundlagen der Zeichentheorie, Ästhetik
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OEHLER, KLAUS (1993): Charles Sanders Peirce, München: Beck
PEIRCE, CHARLES SANDERS (1931) Collected Papers of Charles Sanders Peirce,
Vol. 1-6, Ed. Charles Hartshorne u. Paul Weis., Cambridge (Mass.): Harvard
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PUTNAM, HILARY (1995): Pragmatismus, Eine offene Frage, Frankfurt/M.:
Campus Verlag
REICHARDT, ULFRIED (2000): Selbstreferenz, Emergenz und die Zeit der
„Neuen Welt“: Zum Verhältnis von Philosophie und Demokratie
im amerikanischen Pragmatismus und in der Systemtheorie, in: Wägenbauer,
Thomas (Hg.): Blind Emergenz? Interdisziplinäre Beiträge zu
Fragen kultureller Evolution, Heidelberg, Verlag der Autoren, S. 163-178
SANDBOTE, MIKE (1999): Pragmatische Medienphilosophie und das Internet
in: Marotzki, Winfried; Sandbothe, Mike (Hg); Digitale Subjektivität.
Bildungsphilosophische Grundlagenprobleme virtueller Welten, Weinheim,
Beltz: Deutscher Studienverlag
SCHELSKE, ANDREAS (2001): Bedeutung oder Bezeichnung, in: Sachs-Hombach,K.;
Rehkämper, K.; Vom Realismus der Bilder: Interdisziplinäre Forschung
zur Semantik bildlicher Darstellungsformen", Magdeburg
SCHELSKE, ANDREAS (1997): Die kulturelle Bedeutung von Bildern, Soziologische
und semiotische Überlegungen zur visuellen Kommunikation, Wiesbaden:
Deutscher Universitäts-Verlag