In: Beyer,
L.; Frick, D.; Gadatsch, A.; Maucher, I.; Paul, H. (Hrsg.):
Vom E-Business zur E-Society. New Economy im Wandel,
München und Mering: Hampp 2003 , S. 175-194
Dieser
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1. Zusammenfassung
Das Thema „Vertrauen“ greift die Orientierungsdefizite
sozialen Handelns auf, welches sich nicht auf die Glaubwürdigkeit
der Medien, sondern auf die interaktiven Medien als einen Ort realer gesellschaftlicher
Komplexität bezieht. Nicht Sicherheitstechniken motivierten Misstrauens,
sondern Vertrauen in soziale Bezüge der Seriosität schaffen
auch im Internet spezifische Handlungssicherheiten. So wären multimediale
Systeme ohne Vertrauensleistungen zwar unterhaltsam sowie konsumierbar,
böten aber selten die Möglichkeiten, Nutzen bei kalkuliertem
Risiko handlungsrelevant werden zu lassen.
1.1. Ausgangspunkt: Soziales Handeln in multimedialen Systemen
Sobald Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft im gegenwärtigen
„Informationszeitalter“ ihre kommunikativen Prozesse elektronisch
unterstützen, beginnt soziales Handeln unter technisch veränderten
Ausgangsvoraussetzungen. Zum einen sind die multimedialen Handlungsräume
als auch die interaktiven Handlungsrahmen durch das Interface und die
Übertragungsrate unterschiedlicher Telekommunikationsgeräte
prädisponiert. Zum anderen bleibt das soziale Handeln der Akteure
elektronisch vermittelt. Des weiteren expandiert die global verfügbare
Information in unüberblickbarer Komplexität und Kontingenz.
Vor diesem Hintergrund komplexer Informationsverhältnissen kann sich
der Einzelne nicht mehr davon überzeugen, ob die Nachricht einer
Wahrheit entspricht, ob sie glaubwürdig ist, ob sie einer Logik folgt
oder eine Notwendigkeit infolge eines faktischen Geschehens ist. Die globalen
Datenbestände haben sich in einer Komplexität und Kontingenz
entwickelt, die oft die kollektiv nachvollziehbare Unterscheidung zwischen
wahrem/unwahrem und logischem/unlogischem Wissen oder realer/fiktionaler
Existenz verhindert.
Dem Knowledge Worker ist es beispielsweise mit genügend
Wissen zweiter Ordnung – d.h. mit dem Wissen, wie man Wissen nutzt
– vielfach ein Leichtes, für ein spezifisches Thema zwei sich
wiedersprechende Studien aufzufinden. Ebenfalls sind Märkte der Konsumwelt
so strukturiert, dass gleiche Verbrauchsgüter in unterschiedlichen
Testzeitschriften voneinander divergierende Ergebnisse erhalten. Verunsichern
lassen sich Internetnutzer auch hinsichtlich der persönlichen Daten,
die sie beim simplen Surfen preisgeben oder gar mit Cookies aktiv zulassen.
Das Vertrauen in Softwareunternehmen muss letztendlich groß sein,
wenn es Akteure nach der Installation eines Softwareprogramms zulassen,
dass eben jener Hersteller diverse Daten über die Konfiguration und
eventuell den Nutzer erhält. Da wirkt es gar zynisch, wenn ein Unternehmen
dem Anwender ein Zusatzprogramm anbietet, das es in dem Menü „Paranoia“
erlaubt, viele Nutzerspuren zu verwischen: Denn wer gründlich Misstrauen
hegt, wird vermutlich verrückt werden, sobald er interaktive Systeme
im Internet nutzen möchte. Wer nicht erkranken möchte, hat die
Chance, in Sicherheitssysteme zu investieren. So hat sich im Netz des
Misstrauens ein Zukunftsmarkt entwickelt, auf dem sich Vertrauensprodukte
in kreativen Spielarten käuflich erwerben lassen.
Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich
ausgerichtet die Formen des Vertrauens sein müssen, um tatsächliche
oder imaginäre Risiken zu kompensieren. Insbesondere multimediale
Systeme bieten dem (sozial) Handelnden eine virtuelle „Lebenswelt“,
deren Unsicherheitsfaktoren und Risiken unvergleichlich höher sind
als in realen Lebenswelten. Vertrauen ist deshalb einer der kritischen
Faktoren für das (soziale) Handeln in multimedialen Systemen. Auf
welcher Vertrauensgrundlage handeln Individuen im Internet, wenn sie die
Ausgangsbedingungen als auch die Resultate ihrer Aktion nicht nach gewohnten
Maßstäben ihrer alltäglichen Lebenswelt betrachten können?
Von dieser Frage ausgehend, möchte ich im Folgenden aufzeigen, wie
und warum Vertrauen einen Teil der Handlungsunsicherheiten absorbiert,
die in der medial vermittelten Interaktion des Internets stärker
auftreten als in der gewohnten Alltagswelt.
Für den Bereich ökonomisch motivierten Handelns
zeigte jüngst Holger Eggs, dass Elektronic Commerce deutlich stärker
Vertrauen beansprucht und auch unterstützt als das traditionelle
Wirtschaften (vgl. Eggs 2001, S. 93). Beispielsweise sind gerade Empfehlungsdienste
wie Amzon.com, CDNOW.com, Dooyoo.de oder Ciao.de deshalb erfolgreich,
weil sie Vertrauen in private Erfahrungsberichte als einen Zukunftsmarkt
für handlungsrelevante Information entwickelt haben. Die opaken Informationsverhältnisse
im Konsumgütermarkt kompensieren handelnde Internetnutzer mittels
ihrer Vertrauensleistung in mutmaßlich Gleichgesinnte. Ohne Vertrauen
wären sie quasi paralysiert und selten bereit in irgendeiner Weise
ökonomisch zu handeln, also etwas zu kaufen. Ebenso wie in der alltäglichen
Lebenswelt ist Vertrauen für sie ein wesentliches Konstituens, mit
dem sie ihr Handeln in künstlichen Interaktionsräumen sinnhaft
orientieren. Doch auf welche Formen des Vertrauens basiert ihr handeln
in künstlichen Interaktionswelten? Und warum benötigten die
bisherigen, unidirektionalen Medien wie beispielsweise Fernsehen, Printmedien
und Radio selten Vertrauen, sondern allenfalls Glaubwürdigkeit, um
Individuen Orientierung zu bieten? Um auf diese beiden Fragen einzugehen,
bedarf es zunächst einführender Überlegungen zur allgemeinen
Funktionalität von Vertrauen.
2. Welche Funktion übernimmt Vertrauen in multimedialen Interaktionsräumen?
Vertrauen ist zunächst eine aktive psychische Leistung, die mitunter
Technologien und spezifischen Zeichen aber vor allem Individuen, Gruppen,
Unternehmen oder ähnlichen Sozialstrukturen entgegengebracht wird.
Individuen finden es nicht mittels einer Suchmaschine im Internet. Vertrauen
kann von Individuen erbracht, geschenkt oder erwiesen werden. Wer Vertrauen
erweist, ist bereit, unter dem Risiko zu handeln, dass er die sozialen
sowie technischen Ausgangsbedingungen und Konsequenzen seines Handelns
nicht vollständig überblickt. Gerade durch den Einsatz des Vertrauens
in beispielsweise eine Computertechnologie, Information oder Sozialstruktur,
gesteht er sich selbst zu, ein meist bewusstes Informationsdefizit in
Kauf zu nehmen, um trotzdem handeln zu können. Ohne diese Kompensation
von Informations und Orientierungsdefiziten durch Vertrauen wäre
der Computer als auch das Internet selten ein Ort, an dem Individuen aktiv
handeln und Entscheidungen treffen.
Vertrauen variiert zwar mit den Handlungsbezügen,
in denen es erbracht wird, aber in seinen Charakteristika bleibt es homogen.
Eine einfache Situation des Vertrauens entsteht beispielsweise folgendermaßen.
Eine Computernutzerin möchte sich neue Hardware kaufen. Zwar hegt
sie die Zuversicht, dass die imagereichen Marken wie beispielsweise Intel
und Sony eventuell dafür sorgen, das Risiko eines Fehlkaufs zu minimieren,
aber die Produktinformationen hinsichtlich der Praxistauglichkeit scheinen
ihr trügerisch. Aus diesem Grund sucht sie nach Newsgroups, von denen
sie erwartet, dass sie die informativsten als auch ehrlichsten Verbraucherberichte
findet. Denn von Newsgroups im Usenet nimmt sie an, dass dort keine Informanten
schreiben, die ein kommerzielles Marketinginteressen vertreten, sondern
so aufrichtig wie ihnen möglich über ihren selbst genutzten
Computer berichten. Die Handelnde kauft schließlich einen spezifischen
Computer, weil sie mehreren Mails vertraut, die die Praxistauglichkeit
des Computers loben.
Mit dem Kauf des Computers ging die Anwenderin ein vorangegangenes
soziales Engagement ein: Sie hat infolge der Praxisberichte den Kauf getätigt
und vertraut darauf, dass sich die positiven Newsgroupbeiträge als
zutreffend erweisen. Hätte sie bloß die Glaubwürdigkeit
der Berichte eingeschätzt, wären diese für sie nicht handlungsrelevant
geworden. Erst in dem Moment, in dem sie der Empfehlung der Praxisberichte
vertraut, fällt sie ihre Entscheidung im Vertrauen darauf, dass die
alltagserfahrenen Computernutzer zutreffender die Informationen über
den Computer einschätzen können als sie selbst. Auf diese Weise
reduziert Vertrauen die Komplexität der potentiell möglichen
und entscheidungsrelevanten Informationen. Zudem verdeutlichen Newsgroups
im Usenet, wie Vertrauen eine wichtige „Socialware“ (vgl.
Hattori et. al,. 1998) hinsichtlich der kooperativen Filterung von entscheidungsrelevanten
Informationen sein kann. Mitunter übernimmt die Socialware sogar
eine so starke Relevanz, dass Konzerne sich außerstande fühlen,
ihre Unternehmenskommunikation vertrauenswürdiger als Verbraucherberichte
zu gestalten.
a) Vertrauen reduziert Komplexität
Unter Einsatz der sozialen Strategie des Vertrauens erzielen Individuen
mehre Vorteile im praktischen Handeln. Zunächst ist die individuelle
Orientierung zu nennen. Wer vertraut, ist gewillt oder gezwungen, darauf
zu verzichten, die Ursachen und Auswirkungen seines Handelns in ganzer
Komplexität zu kontrollieren. Im Vertrauen baut er darauf, das andere
über das Bescheid wissen, was er selbst nicht weiß. Insofern
überwindet ein Individuum mittels Vertrauen seine eigene Ungewissheit,
um zügig zu einer Entscheidung bzw. Handlung zu kommen. Vertrauen
setzt auf diese soziale Strategie, einen angenommenen oder tatsächlichen
Informationsmangel zu kompensieren. In der multimedialen Wissensgesellschaft
erfüllt Vertrauen daher die Aufgabe, trotz der komplexen Informationsflut
rasch Orientierung zu finden. Ein Internetakteur kann kommunikativ oder
ökonomisch handeln, ohne dass es nur im Entferntesten weiß,
welche Konsequenzen sein handeln in technischen und sozialen Systemen
hat. Vertrauen wiegt ihn in der Selbstsicherheit, dass sein angestrebtes
Ziel, wie erwartet eintreten wird, obwohl er weiß, dass das Eintreten
des Ziels von intransparenten Strukturen abhängt.
b) Vertrauen beschleunigt Handeln
Den zweiter Vorteil erbringt Vertrauen infolge der Zeitminimierung für
das eigene Handeln. Derjenige der misstraut, der verliert Zeit während
des Bestrebens, Strukturen zu durchschauen oder sichere, handlungsrelevante
Information zu erhalten. Vertrauen macht schnell, Kontrolle dauert länger.
Mittels erbrachten Vertrauen umgehen Individuen einerseits ihr angenommenes
Informationsdefizit, und wirken andererseits dem potentiellen Zeitverlust
bei ihrer Entscheidungsfindung drastisch entgegen. In einer Terminologie
der Geschwindigkeit beschrieben, lässt sich annehmen, dass Vertrauen
das praktische Handeln von Individuen beschleunigt, indessen Mißtrauen
sowie Unvertrauen es verlangsamt. Virtuelle Teams profitieren beispielsweise
von swift trust (Sofortvertrauen) in ihre soziale Organisationsstruktur,
um ohne Umwege das Thema ihrer Zusammenarbeit anzugehen (vgl.: Meyerson
et. al., 1996).
c) Vertrauende erwarten eine sichere Zukunft
Der dritte Aspekt des Vertrauens zeigt sich darin, dass jemand, der vertraut,
Zukunft vorweg nimmt. „Er handelt so, also ob er der Zukunft sicher
wäre.“ (Luhmann 2000, S. 9) Individuen nehmen diese Handlungssicherheit
im Vertrauen darauf an, dass das Handlungsziel so eintreten wird, wie
sie es selbst erwarten. Sie erwarten daher, eigene Risiken reduziert zu
haben, indem sie es anderen überantwortet haben. Scheitert der andere
an den übergebenen Risiken kommt es zum Vertrauensbruch. Vertrauensbruch
beinhaltet die Nichterfüllung von Erwartungen.
d) Vertrauen impliziert Risiken
Der vierte Aspekt betrifft das Risiko des im vertrauen Handelnden. Jemanden
zu vertrauen impliziert, das Risiko einzugehen, die Zukunft unzutreffend
zu erwarten. Beispielsweise tritt das erwartete Handlungsziel nicht ein,
weil ein mit Vertrauen bedachtes Mitglied eines virtuellen Teams unzureichend
informiert war. Vertrauensverlust oder gar Mißtrauen gegenüber
diesem virtuellen Mitglied tritt dann vermutlich zügig ein und ist
nur durch besondere Zusatzleistungen auszugleichen, um die aufgezeigten
Vorzüge des Vertrauens als Socialware zu nutzen. Grundsätzlich
ist Vertrauen an das Risiko gebunden, falsch zu handeln bzw. eine unrichtige
Entscheidung zu treffen. Vertrauen steht daher in deutlicher Abhängigkeit
der jeweiligen Risikokommunikation und individuellen Risikoeinschätzung.
Erst in diesem risikobereiten Handeln zeigt sich der Akteur als ein vertrauender.
Im Ecommerce lässt sich beispielsweise eine angemessene
Kundenzufriedenheit und Kundenbindung kaum erzielen, sobald die Kompetenz
und Zuverlässigkeit des Anbieters in Frage steht. Abbildung 1 veranschaulicht
schematisch, wie bei als unsicher geltenden Geschäften im Internet
ein hohes Vertrauen mit dem Risikokalkül des zu erwartenden Nutzen
verbunden sein kann. Sofern geschäftliches Handeln erforderlich ist,
bezieht sich Vertrauen auf die wechselseitige Relation des jeweiligen
Nutzens und des möglichen Risikos. Erst in diesem risikobereiten
Handeln zeigt sich der Akteur als ein vertrauender.
Abbildung 1: Nutzen versus Risiko (nach:Frank
Reese)
Handeln in multimedialen System impliziert keineswegs
„blindes Vertrauen“, sondern stets riskiertes. Die Internetakteure
bemühen sich mittels Vertrauen innerhalb multimedialer Systeme, eine
soziale Ordnung und virtuelle Sinnwelt zu stabilisieren und zu sichern
(vgl. Misztal 1996, S. 11). Auf diese Weise kompensieren sie den alltäglichen
Informationsreichtum, den sie bei körperlicher Kopräsenz der
Interaktionspartner kennengelernt haben. Im Vergleich zur Kommunikation
in virtuellen Räumen bietet die Face-To-Face Kommunikation zwar noch
wesentlich informationsreichere Anzeichen dafür, dass jemand vertrauenswürdig
handelt (vgl. Greenspan et. al., 2000). Doch zunehmend entwickeln sich
Telepräsenz und Telematik zu einer zweiten sozialen Standardsituation,
in der sich Vertrauen auf sehr unterschiedliche soziale Organisationsstrukturen
ausrichtet (vgl.: Schetsche, 2001). Je nach dem welche qualitativen und
quantitativen Informationen hinsichtlich der sozialen oder technischen
„Organisationsstruktur“ des Vertrauens zu erreichen sind,
bilden sich unterschiedliche Zeichen und Sozialstrukturen des Vertrauens
aus.
Wie sich die medienspezifischen Ausprägungsformen des Handels im
Vertrauen innerhalb interaktiver Systeme entwickelt haben, möchte
ich im folgenden aufzeigen. Zuvor ist kurz darzulegen, warum unidirektionale
Kommunikationsmedien mit der wesentlich risikoärmeren Einschätzung
der Glaubwürdigkeit auskommen und auf (soziales) Handeln als Konstituens
verzichten.
2.1. Handeln im Vertrauen versus Glaubwürdigkeit
erleben
Die interaktiven Kommunikationsmedien haben die globale Medienlandschaft
grundlegend verändert. Interaktive Medien lassen sich im Gegensatz
zu klassischen Push-Medien - wie z.B. das Fernsehen - nicht ausschließlich
passiv erleben, sondern sie sind ein virtueller Raum, in dem Individuen
aktiv handeln. Ohne Handeln – und wenn es nur Mausklicks sind –
passiert nichts im Internet. Diesen besonderen Unterschied zwischen Erleben
und Handeln haben Kommunikationswissenschaftler übersehen (vgl. Rössler,
1999). Sie untersuchen bis heute Glaubwürdigkeit der interaktiven
Medien auf gleiche Weise, wie seit Jahrzehnten klassische, unidirektionale
Medien evaluiert wurden. Glaubwürdigkeitsforschung trägt jedoch
nur dazu bei, die Erlebnisqualität von klassischen, unidirektionalen
Medien zu messen. Diese Art der Forschungsrichtung trägt den multimedialen
Orten des interaktiven Handelns in keiner Weise Rechnung. Wie begründet
sich dies?
Der Ausgangspunkt der Kommunikationswissenschaft ist
meist ähnlich. Glaubwürdigkeit sei kein vorfindbarer Zustand
des Kommunikators, sondern eine vom Rezipienten zugeschriebene oder attribuierte
Eigenschaft (vgl.: Schweiger 1998). Mit dem Attribut „Glaubwürdigkeit“
schätzen Mediennutzer demnach anhand der sogenannten CARS-Kriterien
ein, bis zu welchen Graden sie die vom Kommunikator angebotenen Nachrichten
glauben. Zu den vier grundlegenden CARS-Kriterien gehören:
- Glaubwürdigkeit „credibility“:
Bewertung des Autors hinsichtlich Bildung, Organisationszugehörigkeit
und berufliche Position
- Genauigkeit „accuracy“: Mitteilung des
Entstehungsdatums sowie der Versionshistorie der Quellen. Zielpublikum
und Zweck der Veröffentlichung
- Vernünftigkeit „reasonableness“:
Fairness in der Argumentation, eigene Voreingenommenheit prüfen,
Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit der Information
- Belege „support“ (vgl. Harris, 1997;
Rössler, 1999, S. 10)
Die CARS-Kriterien heben hervor, dass mit der Glaubwürdigkeit
eines Sendeformats lediglich der selbstreferente Sinngehalt eines Medienbetrags
geprüft wird. Wie und warum Individuen handeln sollten, geben die
CARS-Kriterien zweifelsohne nicht an. Das Publikum prüft den selbstreferenten
Sinn der Beiträge nach Genauigkeit, Glaubwürdigkeit usw., um
die erfahrbaren Qualitäten des eigenen (Medien-)Erlebens einzuschätzen.
An diesem Punkt des Erlebens und Handelns kristallisiert sich die Differenz
von Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Im „Erleben aktualisiert
(sich) die Selbstreferenz von Sinn“, indessen sich im „Handeln
die „Selbstreferenz sozialer Systeme“ (Luhmann, 1987, S. 124)
aktualisiert. Mit anderen Worten: Mediennutzer überprüfen mittels
der Thematisierung von Glaubwürdigkeit ausschließlich den Sinngehalt
eines Medienbeitrags. Indessen integrieren sich Anwender interaktiver
Medien mittels Vertrauen in soziale Systeme, in denen sie aktiv handeln
und damit verbundene Risiken auf sich nehmen.
Unidirektionaler Medienkonsum ermöglicht risikoloses
Erleben. Als Mediennutzer konsumieren wir beispielsweise sogar unglaubwürdige
Medienbeiträge, ohne dass wir uns in unserer Alltagsorientierung
und -pragmatik beeinträchtig fühlen. Eventuell ist es in manchen
Situationen informativer und interessanter, glaubwürdige Medienbeiträge
zu sehen. Doch die Einschätzung von Glaubwürdigkeit hat per
se keine notwendige Handlungsrelevanz. Aufgrund der mangelnden Konsequenzen,
die die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Medien
hat, verunsichert es Rezipienten auch kaum, die Informationen der unidirektionalen
Medien zu konsumieren, denen sie eine mittlere oder gar geringe Glaubwürdigkeit
zuschreiben. Eher im Gegenteil schützt die Einschätzung der
Glaubwürdigkeit den Rezipienten davor, sich verunsichern zu lassen.
Unterstellte Unglaubwürdigkeit übernimmt deshalb die Schutzfunktion,
etwas zu erleben, ohne eine Konsequenz im sozialen Handeln ziehen zu müssen.
Gegenüber der Einschätzung der Glaubwürdigkeit
birgt Vertrauen die Qualität der sozialen Bezugnahme. So schenkt
jemand Vertrauen auf das eigene Risiko hin, enttäuscht zu werden
und einen Schaden bei Fehleinschätzung davon zu tragen. Demgegenüber
ermöglicht Vertrauen gerade deshalb (soziales) Handeln, weil es die
Einschätzung der Wahrheit, Überprüfbarkeit und Logik eines
Medienbeitrags irrelevant werden läßt. Obwohl es zunächst
eine empirisch zu überprüfende Hypothese ist, liegt es für
interaktiven Multimediasysteme nahe, dass „Wahrheit“ durch
Vertrauen als ein Orientierungsparameter für soziales Handeln ersetzt
wird. Zwar lassen sich die Top 10 Kriterien der Informationsqualität
benennen, aber kein Nutzer multimedialer Systeme nimmt sich Zeit, sie
systematisch abzuarbeiten.
Aufgrund des Zeitmangels- und der Wissenskomplexität in der Informationsgesellschaft
übernehmen beispielsweise einzelne Internetanbote eine informationsfilternde
Funktion, die das Vertrauen der Akteure mit praktikablen Ratschlägen
gewinnen. Solche Portale, Newsgroups und Websites fungieren quasi als
„Knowledge-Trust-Center“, indem sie handlungsrelevante Information
von irrelevanten unterscheiden. Eine vergleichbare mediale Funktion wie
das Internet konnten die klassischen Medien nur bedingt einnehmen. Nicht
mehr Wahrheit oder Glaubwürdigkeit gibt Orientierung, sondern das
Vertrauen, das Akteure ihrem Informationsanbieter schenken. Auch in Newsgroups
und Mailinglisten gelten Privatpersonen als vertrauenswürdige Kompassnadeln
im Konsumdschungel. Vertrauen in diese Socialware gehört zu den grundlegenden
Ressourcen, um in multimedialen Systemen handlungsfähig zu bleiben.
In dem Punkt der Überwindung von Informationsdefiziten unterscheiden
sich bidirektionale Medien von unidirektionalen Medien deutlich: Wer vertraut,
hat eine Handlungsabsicht. Wer lediglich die Glaubwürdigkeit eines
Medienbeitrags einschätzt, bildet sich eine Meinung ohne weitere
Konsequenzen zu unternehmen. Er konsumiert die Information, die der Medienbeitrag
in seine Richtung anbietet
.
3. Formen des Vertrauens in multimedialen und interaktiven Systemen
Eigentlich bezieht sich Vertrauen auf „andere“. In speziellen
Fällen zielt es auf technische sowie materielle Objekte. Selten ist
Vertrauen eine besondere Frage des Designs einer Website. Design signalisiert
meist Vertrautheit oder Vertrauenswürdigkeit, die beide nur die Bereitschaft
zum Vertrauen erhöhen können (vgl. Karvonen, Parkkinen, 2001;
Cheskin Research, 1999). In welchen spezifischen Formen sich Vertrauen
auf „etwas“ innerhalb interaktiver Medien ausrichtet, möchte
ich Anlehnung an die Unterscheidungen von Sztompka (1999, S. 41ff.) aufgreifen.
Im Anschluß an folgende Benennung der Vertrauensformen werde ich
jede einzelne erläutern.
1. Interpersonales Vertrauen
2. Vertrauen in soziale Gruppen
3. Vertrauen in soziale Kategorien
4. Vertrauen in strukturale Rollen
5. Institutionelles Vertrauen
6. Prozedurales Vertrauen
7. Symbolvertrauen
8. Systemvertrauen
9. Vertrauen in technologische Systeme
Diese Vertrauensformen implizieren selten, dass sie isoliert voneinander
fungieren, vielmehr greifen sie insbesondere im Internet ineinander oder
durchdringen sich wechselseitig.
3.1. Interpersonales Vertrauen
Interpersonales Vertrauen benennt die größte Hürde in
interaktiven Medien, weil es alltäglicherweise mit der Kopräsenz
der Face-To-Face Situation und der sozialen Identität der Aktionspartner
entsteht. In bisher seltenen Ausnahmefällen stellen Akteure in multimedialen
Systemen ihre soziale Identität mittels geprüfter Identitätsausweise
und den dazugehörigen Lesegeräten her. Auf Kopräsenz müssen
Internetakteure verzichten. Doch gerade Kopräsenz bietet den so vertrauenserweckenden
Informationsreichtum (Informations Richness: vgl. Daft et. al., 1986),
den Personen preis geben, wenn sie ihre Stimme, ihre Gesten, ihre körperliche
Ausdrucksmöglichkeiten, ihre Kleidung, ihre Hautfarbe, ihr kulturelles
Kapital usw. unbeabsichtigt präsentieren. Bereits an der Interaktion
in Kopräsenz ist zu erkennen: je mehr der physisch präsente
Informationsreichtum abnimmt desto schwieriger ist interpersonales Vertrauen
in Personen zu erzielen. Um die Verbindlichkeit der herkömmlichen
Face-To-Face Kommunikation zu substituieren, sind Internetnutzer oftmals
bereit, informationsärmere Zeichen heranzuziehen oder sozial vernetztere
Vertrauensformen als Garanten zu nehmen. Sind Nutzeridentität sowie
sozial vernetzte Vertrauensindikatoren, wie z.B. Unternehmenszugehörigkeiten,
spezifische Berufsrollen, nicht zu erzielen, dann sind für interpersonales
Vertrauen folgende Kriterien von besonderer Relevanz:
- Kommunikative Performanz und Kompetenz des Mitteilenden
wie des Adressaten (Beherrschung der multimedialen Kommunikationstechnik)
- Kontextsicherheit und inhaltliches Involvement des
Mitteilenden (z.B. Beherrschung des Themas)
- Kongruenz der kommunikativen Beziehungs- und Inhaltsaspekte
beider beteiligten Personen
Alle drei Kriterien benennen sehr sensitive Informationsmöglichkeiten,
um Vertrauensbeziehungen zu ermöglichen. Interpersonales Vertrauen
baut zwar auch auf Identität, doch eine entsprechende, elektronische
Identitätskarte kann den Effekt physischer Präsenz nicht ersetzen.
Identitätskarten erhöhen nur das Vertrauen in die personale
Zurechenbarkeit einer Information, sie erhöhen beispielsweise nicht
das Vertrauen in die Kompetenz eines Individuums. Trotzdem kann der persönliche
Wert in einer Mail wesentlich größeres Vertrauen genießen
als die Information einer bekannten Zeitungsagentur beispielsweise, weil
letztere selten den unverfälschten, nicht redaktionell überarbeiteten
Blick nur eines einzigen Individuums veröffentlichen.
3.2. Vertrauen in eine soziale Gruppe
Vertrauen in eine soziale Gruppe nimmt Bezug auf eine Pluralität
von Personen, die sich miteinander verbunden meinen oder fühlen (vgl.
Sztompka, 1999, S. 43). Beispielsweise vertrauen sich die Teilnehmer einer
Mailingliste hinsichtlich der sensiblen Informationen, die sie austauschen
und die nicht extern kommuniziert werden soll. Oder die Teilnehmer einer
Newsgroup vertrauen sich darin, ein Problem einer Open Source Software
in Teamarbeit zu lösen. Beide Beispiele rekurrieren darauf, dass
Ansätze einer virtuellen Community anzutreffen sind, deren kooperative
Infrastruktur auf soziales Vertrauen beruht. Mit anderen Worten bietet
Vertrauen in eine Gruppe eine Socialware, die darauf basiert:
- zu wissen, wer etwas weiß
- abzuschätzen, was der kooperative Kontext ist
- sich mit der laufenden Diskussion zu identifiziert
- Problemlösungs- u. Handlungskapazitäten
der Gruppe abschätzen zu können (vgl. Hattori et. al., 1998,
S. 330)
Vertrauen in eine soziale Gruppe hat vermutlich die
Kraft, andere Vertrauensarten zu beeinflussen oder gar zu überdecken.
Beispielsweise haben Unternehmen größte Schwierigkeiten, die
Meinungsführerschaft von privat geäußerten Mitteillungen
in einer Newsgroup zu entkräften, weil innerhalb dieser Gruppen mitunter
eine Form von überzeugter Seriosität gepflegt wird, die unternehmerische
Professionalisierung nur vorspielen kann. Ebenfalls ist Sofortvertrauen
(„Swift Trust“: vgl. Meyerson et. al., 1996) ein Beispiel
dafür, wie interpersonale Vertrauensbeziehungen zu Gunsten der Gruppe
übergangen werden können. Das Vertrauen in die Gruppe - nicht
in die Person - garantiert hier das Gelingen der Kooperation. Ebenfalls
verliert interpersonales Vertrauen seinen Vorrang, sobald die moralische
Selbstkontrolle einer Netikette für die Rechtschaffenheit einer virtuellen
Gruppe steht. Allerdings zeigt der Fall der Netikette auch, dass soziale
Regel und Kontrollen dazuführen können, Vertrauen in die Gruppe
durch Vertrauen in moralische Institutionen zu ersetzten. Hinsichtlich
moralisch motivierten Handelns fällt zudem auf, dass soziale Gruppen,
wie beispielsweise die NGOs www.indymedia.org oder www.motherearth.org
gerade deshalb um Vertrauen in moralische Institutionen ringen, weil sie
Menschen ansprechen möchten, die tatsächlich handeln und die
nicht bloß erschauern vor der Ungerechtigkeit in der Welt.
3.3. Vertrauen in soziale Kategorien
Kann man einem OS/2 oder einem Modem-Nutzer noch vertrauen? Auch in virtuellen
Interaktionsräumen fließen soziale Kategorien in soziales Handeln
ein. Beispielsweise hängt Vertrauen bzw. Mißtrauen davon ab,
auf welches Geschlecht die Emailadresse verweist; auf welche Rasse und
Land die Toplevel-Domain der Mailadresse hindeutet; welche Sprache jemand
spricht oder welches Betriebs- oder Mailsystem er nutzt. All diese sozialen
Kategorien basieren zumeist auf Stereotypen und Vorurteilen (vgl.: Sztompka,
1999, S. 42). In virtuellen Interaktionssystemen erzeugen soziale Kategorien
vermutlich unerwartet Vertrauen, da bisher nur wenige Stereotypen vorherrschen,
die besagen könnten, ob Linux, Windows oder Macintosh-Nutzern zu
vertrauen ist. Wer weiß schon, dass AOL-Nutzer einen missgünstigen
Spitznahmen in Usenetgroups haben und dort selten großes Vertrauen
genießen, weil sie meist unorientierte Newbees (Newest Members)
im Internet sind. Alltägliche Stereotypen zeigen vermutlich deutlicher
ihre Wirkung als die spezifischen des Internets, jedoch sind sie leicht
von Nutzern zu fingieren. Beispielsweise lässt sich die soziale Kategorie
„Deutscher“ mit einer fingierten Emailadresse vortäuschen.
Wie sich stereotypische Vorurteile gegenüber sozialen Kategorien
im virtuellen Systemen auswirken, ist bisher unsicher, da sie im sehr
ausdifferenzierten Internet kaum allgemeine Bekanntheit erzielen.
3.4. Vertrauen in strukturale Rollen
Eine weitere Stufe des Vertrauens bezieht sich auf strukturale
Rollen. In der alltäglichen Lebenswelt gehören strukturale Rollen
zu Bestandteilen sozialer Systeme. Solche Rollen sind beispielsweise Mutter,
Doktor, Richter, Pastor oder Autoverkäufer, Bankangestellter usw.
Vergleichbare strukturale Rollen treffen Akteure auch im Internet an.
Beispielsweise kann der Webmaster, Programmierer oder Diskussionsleiter
mit Vertrauen bedacht werden. Doch selten finden sich klassische Rollen
im virtuellen Raum unverwandelt wieder: Bei der Kirchenpage trifft der
Nutzer keine Pastoren, bei der virtuellen Bank keine Schalterbeamten und
Autoverkäufer bleiben anonym. Selbst auf privaten Homepages ist es
oft uneindeutig, welche strukturalen Rolle jemand beispielsweise im Berufsleben
einnimmt. Viel deutlicher zeigt sich auf privaten Sites, dass jemand Vertrauen
genießen möchte, wenn er die strukturale Rolle des Taubenzüchters,
des Kinderschokoladen-Überraschungsei-Sammlers, des Literatur- oder
Musikfreaks usw. einnimmt. Diese private Rollenmobilität koppelt
sich an eine mediale Veröffentlichungspraxis, die erst mit dem Internet
auch interaktiv vermitteltes Vertrauen genießen konnte. Zu untersuchen
wäre, warum Vertrauen auf professionelle Websites selten über
strukturale Rollen erzielt werden soll, indessen private Homepages auf
strukturale Rollen und das damit verbundene Vertrauen größten
Wert legen.
3.5. Institutionelles Vertrauen
Schulen, Universitäten, politische Parteien, Banken oder die Polizei
genießen je nach gesellschaftlicher Stellung institutionelles Vertrauen.
Bei dieser Vertrauensform transferieren die Institutionen ihren sozialen
Organisationsgrad nahezu ungebrochen in die virtuelle Welt, so dass Akteure
sich vermutlich selten auf entsprechenden Websites verunsichern lassen.
Wie sich institutionelles Vertrauen in der virtuellen Welt stabilisiert,
hängt sicherlich davon ab, welches Vertrauen die Institutionen ansonsten
in der Gesellschaft genießen. Andererseits entstehen im Internet
veränderte Institutionen, die sich an Normen, Moral, Kapital, Herrschaft
und Hierarchien koppeln. Beispielsweise genießt die Domain Verwaltungsgesellschaft
„DENIC“ weitgehendes Vertrauen hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit.
3.6. Prozedurales Vertrauen
Prozedurales Vertrauen definiert Sztompka (vgl. 1999, S. 44) als eine
Variante des institutionellen Vertrauens. Er begründet dies damit,
dass sich Institution für gewisse Prozeduren verbürgen und damit
für Vertrauen in diese Abläufe sorgen. Beispielsweise verbürgt
die wissenschaftliche Prozedur der „Peer Review“ eine gewissen
Qualität des Beitrags. In interaktiven Systemen könnte beispielsweise
die Prozedur demokratischer Wahlen dafür sorgen, dass Netizens darauf
vertrauen, dass Mehrheitsinteressen tatsächlich vertreten werden.
Doch bisher sehen Wähler in den technischen Systemen sowie der Datenübertragung
eine mögliche Manipulationsgefahr. Die Vertrauenswürdigkeit
der Institution reicht daher nicht aus, prozedurales Vertrauen in elektronische
Stimmabgabe zu stabilisieren. Soweit ich gegenwärtig sehe, scheint
keine rein netzspezifische Institution vorzuherrschen, die prozedurales
Vertrauen für den Großteil der Netizens stabilisiert. Demgegenüber
existieren eine Vielzahl spezialisierter Reputationsdienste, die unterschiedliche
Prozeduren einhalten, um die Vertrauenswürdigkeit bei Geschäftsabwicklungen
zu prüfen. So verteilt D&B (www.dnb.com) eine sogenannte D-U-N-S
Nummer, mit der Empfehlungen eingeholt werden können, in welcher
Weise ein Geschäftspartner für eine Transaktion geeignet ist.
Diese Prozedur von D&B erzielt Vertrauen, weil das Geschäftsverhalten
eines Akteurs transparent bleibt und gewissenhaft geprüft wird.
3.7. Symbolvertrauen
Das Ringen um Vertrauen in symbolisierte Sozialstrukturen betrifft sehr
viele Aktivitäten im Internet. Beispielsweise symbolisiert das zertifizierte
Gütesiegel „Trusted Shops“, dass die Daten- und Liefersicherheit
im Ecommerce gewährleistet wird. Produktmarken möchten beispielsweise
dafür bürgen, dem Konsumenten stilsichere, haltbare, schöne
und qualitätsvolle Produkte zu überlassen. Wer einer solchen
symbolischen Struktur vertraut, der erwartet, dass aufgrund eines Prüfzeichens
oder einer Produktmarke viele Risiken eines Produkts ausgeschlossen sind.
Er erwartet auch, dass er dem Symbol selbst vertrauen kann - allerdings
besteht genau darin das vertrauens-immanente Risiko. Denn Vertrauen in
Symbole beinhaltet keineswegs auch vertrauenswürdige Prozeduren der
Produktherstellung.
Beispielsweise wirbt ein Unternehmen um das Vertrauen in produzierte Notebooks.
Uninformiert Käufer vertrauen vermutlich darauf, dass viele Komponenten
von dem Unternehmen selbst hergestellt werden und nicht von irgendeinem
beliebigen Hersteller kommen. Öffnet der Käufer jedoch das Gehäuse
seines Notebooks wird er feststellen, dass kaum ein Bauteil von dem Unternehmen
selbst hergestellt wurde. In diesem Fall entsprach der Gegenstand des
symbolisierte Vertrauen nicht dem tatsächlichen Inhalt – Misstrauen
könnte eine Folge sein.
Die Website des Hardwareherstellers zeigt auch beispielhaft
den Transfer symbolisierten Vertrauens auf: Mit seinem guten Namen empfiehlt
das Unternehmen die Umfragen eines Online-Marktforschungsinstitut. Vielen
sozialwissenschaftlichen Online-Forschern blieb aber nicht verborgen,
dass jenes Marktforschungsinstitut selbstselektive Umfragen veranstaltet,
die dem Anspruch an Wissenschaftlichkeit nicht Stand halten. Dies Beispiel
zeigt, wie markenhafte Symbole insbesondere im Internet das Vertrauen
der Nutzer auf nahezu beliebige Produkte transferieren. Denn das Publikum
soll darauf vertrauen, ein guter Computerhersteller könne ebenfalls
brauchbare Umfragen empfehlen.
Der zunehmende Vertrauenstransfer von einem Symbol (Marke)
auf ein anderes Symbol (Marke) übernimmt die Funktion, dem Akteur
innerhalb des komplexen Internets in Sicherheit zu wiegen und ihm Navigations-
sowie Handlungsorientierung zu bieten. Seinen Marktwert erhält Vertrauen
in Symbole darüber, zu welchen sozialen und vor allem ökonomischen
Handlungen es die Akteure im Internet motivieren kann. Werden Akteure
von Symbolen enttäuscht, wird es dem Marketing überlassen, wie
es neue, wieder vertrauenswürdige Symbole für eventuell gleiche
Produkte erfindet. Symbolischer Vertrauenstransfer schafft Flexibilität.
3.8. Systemvertrauen
Wer den sozialen Systemen vertraut, der erwartet eine stabilisierte Zukunft,
in der außer Frage steht, ob Menschen zukünftig ein Rechtssystem
haben werden, ob Geld immer ein Zahlungsmittel bleiben wird oder ob Wissenschaft
weiterhin den Versuch unternimmt, etwas Wahres auszusagen. Systemvertrauen
setzt Vertrauen nicht in spezifische Personen voraus, sondern in das Funktionieren
der sozialen Systeme selbst (vgl. Luhmann, 2000, S. 64). Insofern betrifft
Systemvertrauen auch die virtuellen Interaktionswelten, von denen zu erwarten
ist, dass sie auch zukünftig die Kommunikation der Weltgesellschaft
übermitteln.
3.9. Vertrauen in technologische Systeme
Ursprünglich war das Internet eine Erfindung des Misstrauens gegenüber
zentraler Steuerungsgewalt und Kontrolle (vgl. Bechter, 2001, S. 128).
Das amerikanische Militär wollte eine technische Infrastruktur, deren
Vernichtungssicherheit in der Vermeidung einer leicht verwundbaren Hierarchie
lag. Kommunikation sollte in alle Richtungen auch dann noch möglich
sein, wenn einzelne Knotenpunkte ausfielen. Das Internet erlangte das
Vertrauen des Militärs, weil es infolge seiner Struktur einerseits
ein technisches Befehlsmonopol verunmöglichte, und andererseits ein
sozial organisatorisches Befehlsmonopol beließ. Mit anderen Worten,
das Militär misstraute ihrer Kommunikationstechnik, weil es vermutete,
die unsichere Technik könne das Vertrauen in die militärische
Sozialstruktur angreifen.
Vergleichbar der Motivation des Militärs entstehen die spezifischen
Sicherheitssysteme der Datenübertragung als auch der Authentifizierung
im Internet. Die Netizens drängen auf technische Sicherheitssysteme,
weil sie der Kommunikationstechnik misstrauen: sie spüren quasi das
Risiko, dass die Sozialstruktur selbst als auch das Vertrauen in diese
in Gefahr sein könnte. Beispielsweise dienen Identifizierungs- und
Authentifizierungsmechanismen ausschließlich dazu, Vertrauen in
soziale Identität herzustellen, weil diese aufgrund der virtuellen
Kommunikationstechnik simuliert werden könnte. Kryptografie symbolisiert
die Furcht davor, dass unverschlüsselter Datentransfer die Privatheit
eines multimedial vermittelten Gesprächs nicht garantieren kann.
Alle Sicherheitssysteme sind darauf ausgelegt, die ursprüngliche,
private Sozialstruktur des Vertrauens herzustellen, weil die Netizens
der Kommunikationstechnik in den Teilen misstrauen, in denen die Integration
in die geschützte Sozialität der Anderen angegriffen werden
könnte.
Die von sich aus anonymisierten Hackerszenen oder die
globalen agierenden Newsgroupcommunities verzichten selbstverständlich
auf Sicherheitssysteme: Sie vertrauen ihrer Computertechnik als auch dem
Internet. Denn für sie steht die verbindliche Kommunikation und nicht
die verbindliche Sozialintegration im Interessenfocus. Das Internet offenbart
hier den Widerstreit zwischen denjenigen, die sich verbindlich vergesellschaften
möchten und denjenigen, die repressions- sowie herrschaftsfrei kommunizieren
möchten. Denn wer vertrauenswürdige Handlungsorientierungen
mitteilt, der möchte dann anonym bleiben, wenn er seiner repressionsbereiten
Sozialstruktur misstraut. Wer indessen stabile Sozialstrukturen schaffen
möchte, der misstraut dann der Kommunikationstechnik, wenn sie den
Angriff auf den individuellen oder kollektiven Sozialstatus ermöglicht.
Letztere Figur lässt sich auch anders lesen: Wer Sicherheitstechniken
benötigt, um der multimedialen Kommunikation zu vertrauen, der misstraut
der gesellschaftlichen Sozialstruktur, in die er sich integriert meint.
4. Perspektiven des Vertrauens in multimedialen und interaktiven
Systemen
Bei Vertrauen handelt es sich um eine moralische Qualität der sozialen
Bezugnahme (vgl. Köhl, 2001, S. 114). Mit „Glaubwürdigkeit“
beschrieb ich eine traditionelle Medienwirklichkeit, deren Sinngehalt
ausschließlich für den Konsum relevant war. Diese unidirektionalen
Medien kommunizieren „Wahrheit“ als ein Unterhaltungswert,
aber selten als eine soziale Handlungsorientierung. Vertrauen verdeutlichte
indessen, dass Akteure in medial vermittelte Sozialräume einsteigen,
um dort ihr Handeln auf den Sinn von Sozialsystemen zu beziehen. Soll
diese Medienorientierung unter dem Gesichtspunkt einer Verantwortungsethik
beschrieben werden, ist zu erwarten, dass in der „E-Society“
eine moralische Wertverschiebung stattfindet, bei der Glaubwürdigkeit
und „Wahrheit“ der Medien durch Vertrauen in die Seriosität
der Sozialstrukturen ersetzt wird. Es existieren deshalb nur zwei Seiten
der Münze „Vertrauen“. Zum einen bietet die soziale Interaktion
im Internet handlungspragmatische Orientierung, weil sie die weitgehend
herrschaftsfreie Kommunikation im Vertrauen darauf erlaubt, mehr oder
weniger repressionsfrei zu handeln. Andererseits bietet die Interaktion
im Internet nur dann die Möglichkeit einer Vergesellschaftung, wenn
sich zurechenbare Identitäten in eine transparente Sozialstruktur
einbetten. Abstrakter gesagt: Entweder Individuen vertrauen der herrschaftsfreien
Handlungsorientierung im Internet und misstrauen ihrer Sozialstruktur
oder sie vertrauen ihrer Sozialstruktur und misstrauen dem unbeherrschbaren
Internet. Beides zugleich scheint genauso fiktional wie die Unmöglichkeit
einer herrschaftsfreien Gesellschaft.
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