Andreas Schelske:
Vergesellschaftung in multimedialer Socialware
1. Multimediale Formen der Vergesellschaftung
Im Jahr 2004 nutzten ca. 10 Prozent der Weltbevölkerung
einen Internetzugang. Im Jahr 2005 werden 800 Millionen Mobiltelefone
weltweit verkauft. Der globale Handel beginnt damit, jede gehandelte
Ware mit RFID-Sendern (Radio Fre-quency Identification-Transponder)
auszustatten. Internet-Applikationen wie z.B. www.friendster.com bringen
Personen automatisch in einen kommunikativen Erstkontakt. Alle Beispiele
deuten an, wie rasch die Informationstechnik fast alle Alltagswelten
verändert. In der Folge begleitet die technische Evolution eine
Evolution des Sozialen. Beide Evolutionen gehen auf zwei qualitative
Sprünge in der computergesteuerten Informationstechnik zurück:
Vernetzung:
Informationstechnik vernetzt sowohl alle Individuen kommunikativ als
auch alle Dinge funktional untereinander.
Computerverarbeitbare Algorithmen:
Automatisierte Handlungsanweisungen (Algorithmen ) für Computer
beeinflussen die Informationstechnik und Formen der sozialen Vernetzung.
(1)
(1.) Ein Algorithmus enthält eine endliche Anzahl
von Handlungsvorschriften, um ein Problem zu lösen. Algorithmen
sind nicht an Computer gebunden. Koch-, Reparatur- und Bedienungsanleitungen
werden ebenfalls als Handlungsvorschriften und damit als Algorithmen
aufgefasst. Mathematiker versuchen für jedes Problem, ein Verfahren
zu finden, mit dem sich quasi jedes Objekt berechnen und konstruieren
lässt. Haben Mathematiker ein Algorithmus gefunden, der einen Computer
in die Lage versetzt, ein Problem zu lösen, ist es ein computerverarbeitbarer
Algorithmus. Nicht berechen-bare Handlungsvorschriften können von
Computern nicht verarbeitet werden.)
Zweifelsohne stehen Gesellschaft und Technik in einem
wechselseitigen Austauschverhältnis. Computertechnik kann die Gesellschaft
nicht determinieren. Trotzdem tendiert die informationelle Netzwerkgesellschaft
zu einer sozialen und technischen Entwicklung, in der die Vergesellschaftung
von Individuen stärker von computergesteuerten Informationstechniken
beeinflusst wird als je zuvor. Wenn Gesellschaft sich aus der Summe
seiner sozialen Wechselwirkungen ergibt, wie Simmel (vgl. 1992, 23)
es klassisch formulierte, dann beschleunigen die algorithmischen Geräte
die Produktion von immer mehr Gesellschaft – ließe sich
denken (vgl. Simmel 1992, 23). Doch diese Beschreibung überzieht
ihre Darstellungskraft. Vielmehr scheinen zwei Fragen der gegenwärtigen
Entwicklung eher gerecht zu werden: Wie unterstützen computergesteuerte
Informationstechniken die Vergesellschaftung in sozialen Beziehungsformen
bzw. sozialen Wechselwirkungen? Was trägt Simmels Theorie über
die Formen der Vergesellschaftung dazu bei, die Informationstechnik
als computergesteuerte Gestaltung der Sozialität sowie im „Social
Design“ zu analysieren. Am Beispiel von „Macht“ und
„Vertrauen“ legt der folgende Text dar, wie Computerprogramme
diese Formen der Vergesellschaftung umformen bzw. nach ihrem Algorithmus,
d.h. ihrer Handlungsanweisung, inszenieren. So stellt sich beispielsweise
die Frage, um welche Formen der Vergesellschaftung es sich handelt,
wenn ein Online Messenger ( www.icq.com) simulierte Aufmerksamkeit mittels
bildhafter Stellvertreter (Avatare) vermittelt oder „social networks“
interpassive Freundschaftspflege automatisieren (z.B.: www.orkut.com,
www.linkedin.com).
1.1. Wie ist eine Netzwerkgesellschaft möglich?
„Wie ist Gesellschaft möglich?“ (1992,
42) fragte Simmel im Jahre 1908 in seinen Untersuchungen über die
Formen der Vergesellschaftung. Seine Antwort lautete. Gesellschaft solle
erstens die Summe der Beziehungsformen sein, vermöge derer sich
Individuen als Gesellschaft organisieren. Und zweitens solle sich Gesellschaft
aus der aktualisierten Formation der jeweiligen Individuen zusammensetzen,
die in den historischen Zeitspannen leben (vgl. Simmel 1992, 23). Würde
man sich alle Wechselwirkungen zwischen Individuen wegdenken, so folgert
Simmel, so bliebe keine Gesellschaft mehr übrig. So liegt es für
Simmel nahe, die Gesellschaft als die Gesamtheit der Wechselwirkungen
zwischen Individuen zu begreifen. Auf die Frage, wie Gesellschaft möglich
sei, antwortet Simmel, dass es die Wechselwirkungen zwischen Individuen
sind, die eine Gesellschaft verwirklichen (vgl. Simmel 1890, 5 u. 130f).
Gemäß seiner Beschreibungsformen assoziiert er emotional
sensibel vielschichtige Wechselwirkungen, auf die eine Gesellschaft
aufbaut. Simpler, funktionaler, unemotionaler, doch mit vergleichbarer
Intention wie Simmel formuliert Niklas Luhmann, dass Kommunikationen
die sozialen Systeme, d.h. Gesellschaft, konstituieren (vgl. Luhmann
1984, S.191 ff.). Kommunikationen im weitesten Sinne bilden für
ihn die Grundlage jeder Gesellschaft. Ebenso basiert für ihn die
Netzwerkgesellschaft auf Kommunikation, doch lässt sich die Frage
nach ihrer Grundlage folgendermaßen spezifizieren. Wie ist eine
Netzwerkgesellschaft technisch und sozial möglich? Diese Spezifikation
impliziert, dass die Beziehungsformen zwischen Individuen von computergesteuerter
Informationstechnik zumindest dort beeinflusst sind, wo sie von ihr
vermittelt sind.
Nach Simmel und Luhmann existiert auch die Netzwerkgesellschaft selbstredend
nicht statisch. Dynamik und Wandel der Gesellschaft sehen sie ursächlich
als Folge der Wechselwirkungen, die Individuen im Prozess der Vergesellschaftung
einbringen (vgl. Simmel 1890, 5). Gesellschaft existiert nicht als eine,
die einmal aufgebaut für alle Zeiten Bestand hat. Diese Reproduktion
leisten die sozialen Wechselwirkungen fortwährend mit dem Unterschied,
dass sich in der Netzwerkgesellschaft die computergesteuerte Informationstechnik
an sozialen Wechselwirkungen nochmals stärker beteiligt als beispielsweise
beim Telefon. Informationstechniken inszenieren, beeinflussen und vermitteln
die Vergesellschaftung in ganz unterschiedlicher Weise. Dabei verändern
sie menschliches Handeln gegenüber gegenständlicher Welt ebenso
wie das „soziale Handeln“ zwischen Menschen. Metaphorisch
formuliert Steinmaurer den Einfluss der Informationstechnik dahingehend,
„dass es immer unwahrscheinlicher wird, in der Gesellschaft, aber
außerhalb der Medien [und Informationstechnik] zu leben“
(Steinmaurer 2003, 108). Insbesondere die Begriffe der Medien-, Informations-
und Wissensgesellschaft verweisen darauf, dass wir uns mehr und mehr
mittels der Informationstechnik als Gesellschaft bzw. als Weltgesellschaft
vergesellschaften. Doch wie funktioniert ein Vergesellschaftungs-Gerät,
das eine Netzwerkgesellschaft hervorbringt? Wie gewährleistet sein
Design die sozialen Beziehungsformen?
1.2. Erfand Vannevar Bush ein „Vergesellschaftungs-Gerät“?
Das Internet besteht nicht aus sozialen Wechselwirkungen.
Der Begriff „Internet“ beschreibt Computer, deren Datenverbindungen
vernetzt wurden. Selbst wenn die Gesellschaft plötzlich ausgestorben
wäre, würde das Internet gewissermaßen weiter vorhanden
sein. In der vernetzten Informationstechnik lebt keine Gesellschaft,
kein Individuum. Die aus Kinofilmen bekannte „Matrix“ einer
Computerstruktur, in der Individuen sich als lebend verstehen, ist eben
eine Fiktion. Soziale Wechselwirkungen als Formen der Vergesellschaftung
erfordern die Kommunikation von Zeichen. Die informationstechnischen
Strukturen von Datenverarbeitungsanlagen, Rechengeräten, Computern
und sonstigen Geräten vermitteln Signale, die mechanisch, optisch,
elektrisch oder anders physikalisch miteinander verkoppelt sind. Es
ist nicht das Internet selbst, das menschliche Kommunikation vernetzt.
Vielmehr sind es sinnorientiert gesetzte Marker (Zeichen) in Form eines
Hypertextes, der Texte infolge menschlicher Assoziationen mit anderen
Texten verbindet, d.h. verlinkt.

Vannevar
Bush, As we may think. In: Atlantic Monthly 176, S. 101-108
Vannevar Bush formulierte im Juli 1945, wie ein Gerät
gebaut sein müsste, um menschliche Kommunikation zu vernetzen.
In seinem Artikel „As We May Think“ nannte er das Gerät
„Memex“. Nach dem damaligen Stand der Technik sollte Memex
unterschiedlichste Dokumente fotografieren, speichern und untereinander
mittels Markierungen vernetzen. Memex sollte zu Texten zweiter Ordnung
befähigt sein, die mittels Hyperlinks unterschiedliche Dokumente
in Beziehungen setzen. Die Verknüpfung selbst sollte Memex jedoch
nicht selbstständig setzen, sondern Individuen kraft ihrer Assoziationen.
Dem Individuum sollte es mit dem Vernetzungsgerät ermöglicht
werden, all seine Bücher sowie seine schriftliche und bildhafte
Kommunikation aufzuzeichnen und assoziativ untereinander mit Hyperlinks
(Texten zweiter Ordnung) zu verbinden. Mit Memex erhielt die heutige
Wissensgesellschaft die assoziative Vernetzungsstruktur, die Individuen
im Internet als Hypermediasysteme schätzen gelernt haben. Vor diesem
Hintergrund der von Menschenhand gesetzten Links, die die Individuen
assoziativ verbindet, möchte ich davon sprechen, dass es mit dem
Memex-Gerät begann, Individuen mittels eines computergesteuerten
Hypermediasystems in soziale Wechselwirkungen zu bringen. Das Soziale
im Internet ist daher nicht die Computervernetzung, sondern es folgt
aus den assoziativen Hyperlinks, die für soziale Wechselwirkungen
zwischen Individuen sorgen. Das Memex-Gerät erfüllte eine
wichtige Voraussetzung eines Vergesellschaftungs-Geräts. Es konnte
Zeichen sinnorientiert und vernetzt archivieren, wodurch die Vermittlung
von vergesellschaftetem Wissen wahrscheinlicher wurde. Zudem brachte
es neben Texten auch Individuen in soziale Wechselwirkungen, so denn
die Links von der assoziativen Kraft der Individuen begleitet sind.
1.3. Socialware
Ohne explizites Design der Vergesellschaftungs-Formen
verwirklichen sich für Anwender eher unerwartet soziale Beziehungen
in Hypermediasystemen. Unerwarteten Erfolg hatten beispielsweise E-Mail
und SMS. Welchen spezifischen Formen unterliegt die computerunterstützte
Vergesellschaftung, wenn für multimediale Systeme nach McLuhan
gilt, der Inhalt eines jeden Mediums ist ein anderes Medium. Die Vergesellschaftungs-Formen
eines Mediums sind generell von dessen Formbarkeit abhängig: Im
Hypermedium eines audiovisuellen Chatrooms müssen sich beispielsweise
Töne und Bilder dialogisch gestalten lassen. Soll der audiovisuelle
Dialog wiederum selbst ein Medium sein, dann müssen sich Vertrauen
erwecken oder Macht als Formen der Vergesellschaftung umsetzen lassen.
Ohne Vertrauen in die Informationstechnik würde beispielsweise
kaum jemand seine Texte auf digitale Datenträger archivieren wollen.
Das Medium der Hypermediasysteme lässt sehr viele Formen der Vergesellschaftung
zu, die an Zeichen gebunden sind.
Gegenwärtig werden vernetzte Hypermediasysteme für soziale
Kommunikationsformen entwickelt, die kraft ihres Interfaces umdefinieren,
wie Vertrauen, Verantwortung, Glaubwürdigkeit, Macht, Liebe, Emotionen,
Werte, Gewalt, Rollen, Gruppen, Community etc. sich entwickeln. Die
Formen der Vergesellschaftung – wie sie Simmel ansprach, wandeln
sich in Hypermediasystemen zu sozialen Wechselwirkungen, wie sie die
Technik selbst erlaubt. All diese informationstechnisch katalysierten
Formen der sozialen Wechselwirkungen bezeichnen Funakoshi und Hattori
mit dem Begriff Socialware (vgl. Funakoshi 2001; Hattori 1998). Socialware
verdeutlicht, was die Hypermediasysteme in der Sozialbeziehung der Individuen
erzwingen und ermöglichen.
Provokativ gefragt: Benötigt die Soziologie ein Konzept von Socialware,
um die computerunterstützte Koordination von Personen als Sozialität
zu gestalten? Diese Frage möchte ich weniger aus einer Perspektive
beantworten, die die „Gestaltung sozialverträglicher Computersysteme“
(Rolf 1995, 6) als ein Bemühen verstand, das sich den sozialen
Prozessen angleichen wollte. Weniger die Angleichung ist heutzutage
vorzufinden, sondern oftmals werden mittels Hypermediasystemen die sozialen
Prozesse selbst(-bewusst) gestaltet, formalisiert und automatisiert.
Der Unterschied zwischen Sozialverträglichkeit und einer Gestaltung
der Vergesellschaftung selbst ist nicht neu, sondern nuanciert stärker
die motivationalen Pole softwaretechnischer Gestaltung (vgl. Rolf 1995,
11). So polarisiert lautet meine Frage einerseits: Was leistet die Gestaltung
und Formalisierung von Socialware? Andererseits impliziert diese Frage
ihre Umkehrung: Wie fungiert Software als Social Design computerunterstützter
Sozialität (Socialware)?
Der Begriff der „Socialware“ skizziert in Anlehnung an Funakoshi,
dass die Formen der Vergesellschaftung von der Vernetzung in Hypermediasystemen
geprägt werden (vgl. Funakoshi 2001; Hattori 1998). Socialware
in multimedialen Computernetzen meint die sozialen Aktivitäten
und sozial motivierten Voraussetzungen, die Individuen in und durch
vernetzte Hypermediasysteme realisieren. Socialware kennzeichnet somit
die Formen der Vergesellschaftung, die mittels vernetzter Hypermediasysteme
initiiert werden. Socialware meint nicht Konzepte – wie z.B. „Social
Navigation“ (Höök 2003) – die Spuren von Anwendermassen
visualisieren, aber selten soziale Beziehungen zwischen Anwendern herstellen.
Im Vordergrund der Socialware stehen Formen der Kommunikation, die soziale
Koordination, Zusammenarbeit, soziale Unterstützung und Communities
verwirklichen. Dazu gehören ebenfalls die kommunikationsverändernden
Einflüsse von z.B. Erwartungen, Emotionen, Lebensweltkonstruktionen,
Pragmatik der Zeichen sowie der Kultur. Die Automatisierung des Sozialen,
wie z.B. in Empfangsbestätigungen einer Mail oder die automatische
Kommunikation von Anwesenheit im www.ICQ.com („I Seek You“),
markiert, wo Randbereiche der Vergesellschaftung von informationstechnischen
Algorithmen gesteuert werden.
„Socialware“ berührt Forschungsbereiche, die z.B. in
Computer Supported Social Networks (CSSNs), Computer Supported Cooperative
Work (CSCW) oder Computer Supported Cooperative Learning (CSCL) untersucht
werden. Aus soziologischer Perspektive müssen die Theoreme von
computerunterstützter Kooperation verändert werden, um zu
Konzepten zu kommen, die die sozialen Veränderungen der „informationellen
Gesellschaften“ und „sozialen Netzwerke“ infolge der
computervermittelten Kommunikation umsetzen helfen (vgl. Castells 2003,
22). Wenn Wellman beschreibt, dass Computernetze soziale Netze unter-stützen,
so ist menschliche Kommunikation trotzdem nicht mit Metaphern des vernetzten
Datenaustausches zu beschreiben (vgl. Wellman 1998). Ebenfalls neigen
Anleihen an soziologische Begriffe, wie „Rolle“ oder „Gemeinschaft“,
dazu, dass zwar das Soziale, z.B. im Wissensmanagement oder kollaborativen
Lernen, formuliert und in Beiträgen (vgl. z.B. Herrmann 2003) berücksichtigt
wird. Doch jene traditionsreichen Fachtermini für einfache Sozialsysteme
können selten der sich verändernden informationellen Sozialität
gerecht werden, die sich gegenwärtig infolge vernetzter Hypermediasysteme
vollzieht. Nach empirischen Erhebungen in Email-Foren stellt Stegbauer
berechtigt fest, dass allenfalls Grundmuster der Gemeinschaft, Gruppensoziologie
bzw. der Großgruppensoziologie noch adäquate Beschreibungen
bieten (vgl. Stegbauer 2001, 92).
Beispielsweise folgen der computervermittelten Kommunikation in Weblogs
(„öffentliche Tagebücher“) und Smart Mobs soziale
Infrastrukturen, denen hohe Verbreitungsgrade zukommen. Schätzungen
gehen von 3 Millionen Weblogs im Internet aus. Den Erfolg der Softwarelösung
begründet Rheingold damit, das z.B. dass Peer-to-Peer-Verfahren
dafür sorgt, Interaktivität zwischen Individuen abseits von
ökonomischer und juristischer Macht zu erzeugen (vgl. Rheingold
2002). Solche Bottom-up-Technologien, die ökonomischen Basisinteressen
der Anwender entgegen kommen, betonen den hohen Adaptionsgrad der eingesetzten
Software. Ein entgegengesetztes Erklärungsmodell verdeutlicht die
soziologische Perspektive, die analysiert, weshalb innerhalb der Lebensweltorientierungen
von Individuen manche Applikationen stärker motivierend empfunden
werden als andere. Die zu begründende These lautet deshalb: Computerunterstütze
Sozialität (Socialware) beinhaltet eine soziale Dynamik, mit der
Softwarelösungen in Computernetzen erfolgreich werden. Umgekehrt
geben Computersysteme den Personen vor, innerhalb welcher technischen
Restriktionen sie miteinander kommunizieren sollen bzw. wollen. Insofern
gestalten Softwarelösungen ebenfalls Formen der Kommunikation und
der Vergesellschaftung. Diese Gestaltungskraft charakterisiert der Begriff
„Social Design“. Social Design bezieht sich sowohl auf technologische
Charakteristika des Computersystems als auch auf die sozialen Kontexte
in denen es genutzt wird (vgl. Kling 1987). Im Social Design können
Softwarelösungen eine Richtung nehmen, die die Gestaltung von computerunterstützter
Sozialität als „Reduktion von [sozialer] Komplexität“
(Luhmann 1987, 67) konzeptualisiert. Ich werde diesen Punkt der funktionalen
Gestaltung von Software zur Verminderung eines sozialen Möglichkeitsüberschusses
ausführen. Zumindest waren in Computernetzen oftmals Applikationen
erfolgreich, die soziale Komplexität auf grundlegende Interessenlagen
der Anwender reduzierten und dadurch deren Lebenswelt „vereinfachten“.
Folgendes Beispiel der Email skizziert einleitend, was gemeint ist,
wenn Computersysteme soziale Interessenlagen der Anwender schematisieren.
1.4. Beispiel: Email als Socialware
Beispielsweise hat die Anwendung „Email“
im Kern nicht nur deshalb einen hohen Verbreitungsgrad, weil ihre Technik
einfach ist, sondern weil sie als soziotechnisches System den funktionalen
Kommunikationsbedürfnissen der Anwender nachkommt. Mit der Perfektionierung
der Email-Anwendung reagierte Ray Tomlinson im Jahr 1971 darauf, dass
elektronische Nachrichten nicht nur zwischen zwei Computern auszutauschen
sind, sondern plattformübergreifend auf unterschiedlichen Rechnern
im Netzwerk geschrieben und empfangen werden können. Diese Idee
bot einen funktionalen Vorteil gegenüber den bisherigen elektronischen
Nachrichten, da jetzt jeder Absender jeden Rechner im Netzwerk für
personalisierte Nachrichten verwenden konnte. Mitunter wird der Erfolg
der Anwendung „Email“ darauf zurückgeführt, dass
mit ihr orts- und netzwerkunabhängig kommuniziert werden kann und
sie deshalb als besonders schnelles Medium gilt. Zweifelsohne ist das
Medium „Email“ technisch gesehen sehr schnell, doch ihre
gesellschaftliche Durchsetzungskraft beruht nicht nur auf der Geschwindigkeit
der Datenübermittlung.
Der massenhafte Einsatz der Email beruht auf der Entschleunigung sprachlicher
Kommunikation (Telefon) und der Beschleunigung schriftlicher Kommunikation
(Brief). Die sprachliche Kommunikation wird verlangsamt, d.h. entschleunigt,
weil Email das verbale Selektionsniveau und die juristisch wirksame
Erinnerungsfähigkeit gegenüber gesprochener Sprache steigert.
Der Aufbau einer sozialen Beziehung, z.B. Vertrauen, dauert aufgrund
der asynchronen Emailkommunikation indessen wesentlich länger als
beispielsweise beim synchronen Telefonieren. Nach Stegbauer könnte
man sogar behaupten: „Das Verschwinden des Raumes steht in einem
konkreten Verhältnis zur Dehnung der Zeit, die für das Abhandeln
von Problemen in der Gruppe benötigt wird“ (Stegbauer 2001,
47). Neben der Ortsunabhängigkeit begründet sich der Verbreitungsgrad
der Anwendung „Email“ auch in einer neuen Form der Vergesellschaftung,
nämlich Socialware, durch deren Einsatz beispielsweise Macht und
Vertrauen jetzt multimedial in neuer Struktur vermittelt werden. Beispielsweise
organisieren sowohl NGOs als auch Ortsvereine der Partein ihre Macht
global in den Hypermedien und selbstverständlich per Email.
Weiterhin trägt ebenfalls die Entkörperlichung
computervermittelter Kommunikation dazu bei, dass sich Akteure von sozialindizierenden
Risiken der synchronen Face-to-Face-Kommunikation entlastet fühlen
können. Zu dieser Reduktion sozialen Möglichkeitsüberschusses
(Komplexität) durch Entschleunigung und der Konzentration auf rein
schriftlich fixierte Inhalte durch „Email“ kommen zweifelsohne
weitere Faktoren. Dazu gehört beispielsweise die Kompensation von
Macht, indem sich z.B. Newsgroups und Mailinglisten eigene Quellen der
Gewissheiten konstruieren, die abseits professionell genutzter Massenmedien
liegen.
2. Social Design als Reduktion von Komplexität?
Das Verhältnis von „Gesellschaft und Informatik“
konnte 1995 noch in einer Perspektive beschrieben werden, die die Computertechnik
hinsichtlich ihrer Einsatzbereiche ordnete. Dazu gehörten beispielsweise
Logistik, Verwaltung, Kontrollsysteme, Informationssysteme sowie die
Automatisierung von Produktionsstrukturen usw. Die Gestaltung der Computertechnologie
sollte den Maßgaben einer Zweck-Mittel-Optimierung unterliegen.
Berger beschrieb dies wie folgt:
„Technische Entwicklung lässt sich somit
beschreiben als historisch-gesellschaftliches Projekt der Zweck-Mittel-Optimierung,
in dem soziale Akteure entsprechend ihrer jeweiligen gesellschaftlichen
Rationalität Zwecksetzungen entwickeln und zu deren Realisation
spezifische technische Mittel hervorbringen, ihre Zwecke also in ihren
Mitteln vergegenständlichen“ (Berger, P. 1995, 27).
Die gesellschaftliche Zweck-Mittel-Optimierung möchte
ich als normativ gemeinte Orientierung verwenden, die in informationellen
Netzwerkgesellschaften selbst kontingent (zufällig) geworden ist.
Diese Kontingenz (Zufälligkeit) verweist darauf, dass gesellschaftliche
Rationalität je nach sozialem Teilsystem anders möglich sein
kann, je nach dem, wie die Norm es vorsieht. Soziale Systeme entwickeln
deshalb ihre eigenen Zweck-Mittel-Optimierungen ohne die Gewissheit
von sicherem Wissen. „Selbst die Naturwissenschaften, selbst die
Physik sehen heute keine Möglichkeit mehr, der Gesellschaft Grundlagen
für Rationalitätsurteile in der Form von sicherem Wissen zur
Verfügung zu stellen (Luhmann 1997, 176). Rationalität muss
mit Luhmann als eine Option der sozialen Systeme aufgefasst werden.
Sie erweitert einerseits die kommunikativen Normen, andererseits führt
sie zu Verunsicherungen hinsichtlich der Gültigkeit von Normen
– also auch der Gültigkeit von gesellschaftlicher Rationalität.
Diese Zunahme an Kontingenz in den sozialen Teilsystemen birgt zunehmend
die Gefahr von Dissensrisiken in den Lebenswelten selbst (vgl. Giegel
1992, 8; Bonacker 1997, 21).
Je größer das Dissensrisiko als Folge der Kontingenzsteigerung
in der modernen Gesellschaft, desto stärker das Streben nach Konsens.
Genau an dieser Schnittstelle setzt Social Design in multimedialen Systemen
ein. Social Design versucht beispielsweise, das Dissensrisiko in der
Alltagswelt zu mindern, indem es die „Information Richness“
in der Kommunikation einschränkt, z.B. durch Entschleunigung, automatische
Antworten, automatisierte Aufmerksamkeit, soziale Stellvertreter (Avatare),
Vertrauens- und Beliebtheitsrankings etc. Gleichwohl sind Dissensrisiken
unvermeidbar. Die gegenwärtige Technikkonstruktion legt Wert darauf,
den Möglichkeitsüberschuss von Sozialität so zu gestalten,
dass Dissens in multimedialer Kommunikation weniger häufig auftritt.
Wie reduziert Technikgestaltung den Möglichkeitsüberschuss
von Dissens bzw. wie schafft sie es, Konsens als Socialware zu organisieren?
Diese Frage erläutern die folgenden Beispiele im Hinblick auf „Macht“
und „Vertrauen“.
2.1. Social Design von Macht
Die Gestaltung von Macht in Computersystemen gehört
zu sensiblen Strategien, die ohne ethische Werte orientierungslos praktiziert
wird. Die politische Verrechtlichung des Internet steht am Anfang. Die
„meisten regulatorischen Mechanismen für das Internet [basieren]
weniger auf formellen Gesetzen, sondern vielmehr auf Prinzipien der
„Selbst-Regulierung“ von Betroffenen und Beteiligten“
(Kleinwächter 2004, 103). Beispielsweise werden Accounts in virtuellen
Kommunikationsforen gelöscht, sobald Anwender aufgrund ihrer Ausdrucksweise
den „Konsens“ der Netiquette (Moral) verlassen. Die Sanktionierbarkeit
von computervermittelter Kommunikation ist in vielen virtuellen Foren
(Chats) und Mailinglisten möglich. Dort erhalten Moderatoren die
technisch umsetzbare Gewalt, Diskussionsteilnehmer aus den Foren zu
eliminieren. In solchen Applikationen wird Macht technologisch konstruiert,
sobald Dissensrisiken in computerunterstützter Vergesellschaftung
unkompliziert eliminiert werden sollen. Die oben genannten Beispiele
gehören zu einfacheren Applikationen, die gesellschaftlichen Dissens
unterdrücken, indem sie ihre technisch durchsetzbare Macht durch
Selbst-Regulierung ausüben. Aber auch die technisch gestützte
Ausübung von Macht folgt der klassischen Definition: „Macht
bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen
Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese
Chance beruht" (Max Weber 1972, 28).
Aus Macht folgt nicht notwendigerweise Herrschaft, die den Gehorsam
jeweiliger Anwender nach sich zieht. Trotz Sanktionen erlaubt die technische
Struktur des Internet, sich vielerlei Herrschaftsinteressen zu entziehen.
Die automatisierte Ausübung der Macht als Kontrolle findet nicht
im Internet statt, sondern wird auf der Ebene der Hypermediasysteme
gestaltet (siehe V. Bush - Memex). Beispielsweise werden unerwünschte
Wörter aus dem Eingabestrom ausgelesen, den Anwender im Dialogfenster
eines Chat-Channels eintippen. Enthält der Eingabestrom unerwünschte
Wörter, die einer syntaktisch organisierten Liste entsprechen,
werden weitere Schritte der Software möglich. Die Sanktionspraxis
von Flirt-Channels sieht bei Verstößen gegen die syntaktisch
geprüfte Norm vor, Anwender aus der Kommunikation auszuschließen
(vgl. Döring 2000, 337). Formen der Macht, die auf syntaktische
Kontrolle beruhen, werden von Anwendern leicht umgangen.
Schwerwiegender wirkt sich die Verbannung von Chat-Channels aus, sobald
Anwender aufgrund ihrer Herkunftsdomain (hostmask) abgewiesen werden.
Diese Technik verwendet mitunter auch die Politik. So war die offizielle
Wahlkampfseite von George W. Bush in den letzten Wochen des Wahlkampfs
für Ausländer unzugänglich. (vgl. www.telepolis.de Ernst
Corinth 27.10.2004) Diese Beispiele technologisch durchgesetzter Kontrolle
zeigen, wie Dissensrisiken der Anwender eliminiert werden, sobald Macht
automatisch ausgeübt wird. Bisher hat die technische Umsetzung
von Macht in virtuellen Sozialgefügen wenig Durchsetzungskraft,
weil virtuelle Identitäten in Form von „gefälschten“
Email-Adressen und Herkunftsdomains so lange zügig gewechselt werden,
wie sie ohne erhebliche Kosten kreierbar sind. Aus diesem Grund fällt
die Kontrolle unterschiedlicher Rechtverstöße im Internet
den jeweiligen staatlichen Organisationen so schwer.
Das Prinzip von Hypertext und Vernetzung wendet sich gegen die Vorstellung
von Deleuze, dass Individuen, wie auf einer Autobahn, perfekt kontrollierbar
wären, wenn sie sich im Freiheitsgefühl selbstbestimmter Geschwindigkeit
alle in eine einzige Richtung bewegen (Deleuze 1998, 62). Die Metapher
der Datenautobahn beschreibt nichts von dem, was vernetzte Hypermediasysteme
sind und wie sie technische Kontrolle zumindest hemmen. In diesem Punkt
erkennt Gansing (2003, 45) zutreffend, dass multidimensionale Richtungen
von Interaktivität sowie Kommunikation in Hypermedien nicht automatisch
kontrollierbar sind. Macht kristallisiert sich nicht an den informationstechnischen
Vermittlungsknoten, sondern in der Verwaltung von vergesellschafteten
Hyperlinks, wie z.B. bei Suchmaschinen, Portalen und anderen vergesellschafteten
Knotenpunkten. Die technischen Sachzwänge der Chip- und Netzarchitektur
würden überschätzt werden, wenn sie als Mittel der Machtentfaltung
fungieren sollten (vgl. Bühl 2000, 312). Macht in Hypermedien greift
dort, wo ihre Formen vergesellschaftet sind. Ohne vergesellschaftete
Formen erlangt die Informationstechnik keine Macht. Macht organisiert
die Netzwerkgesellschaft innerhalb ihrer Sozialität – Vergesellschaftungs-Geräte
sind ihr dabei behilflich.
Anders als hinsichtlich automatischer Kontrolle und Machtausübung
sieht es in der Durchsetzung von Machtinteressen beispielsweise in Onlinerollenspielen
aus, wie z.B. Ultima Online (www.ultimaonline.org). In Onlinerollenspielen
dauert es mitunter sehr lange, um seine Identität (d.h. den Charakter)
mit dem richtigen Potenzial an kommunikativer Anknüpfbarkeit zu
versorgen. Haben Akteure ihren Charakter ausgebildet, sind sie zweifelsohne
kaum gewillt, diese Identität zu verlieren. Je zeitintensiver Individuen
sich daher zurechenbare Identität in multimedialen Systemen aufbauen,
umso stärker sind sie den Chancen der Macht ausgeliefert. Zeit
als irreversible Ressource ist daher in multimedialen Systemen als ein
besonders effektiver Faktor, Macht in partielle Herrschaft über
Individuen umzusetzen. Aus diesem Grund setzen beispielsweise die Channel-Operatoren
ihre Macht effektiv durch, sobald sie mit der Verbannung einer virtuellen
Identität drohen, deren Aufbau sehr zeitintensiv war. Social Design
von Macht in vernetzten Hypermedia-Systemen beruht nach wie vor auf
soziokulturellen Strukturen, die als Socialware technisch unterstützt,
aber nicht kontrolliert werden können.
Studieren lassen sich Machtstrukturen in abenteuerorientierten Onlinerollenspielen,
in denen Gilden und Bünde eine Kultur „zwischen Selbstverwaltung
und Selbstjustiz“ (Lischka 2002, 114) etabliert haben. Zwar hat
niemand die Funktionen der Gilden konkret geplant, doch haben sie ein
Social Design für multimediale Systeme ausgebildet, wo Personen
sich in einem komplexen Geflecht realer Vergesellschaftung organisieren.
Macht dient in den Online-Gruppen dazu, soziale Komplexität durch
legitime und illegitime Durchsetzungskraft zu reduzieren. In ethischer
Perspektive kann die Gestaltung von computerunterstützter Sozialität
auch eine Richtung einschlagen, Anwender in Prozesse multimedialer Vergesellschaftung
zu involvieren. Solche ethischen Argumente wirken schwach gegenüber
der informationstechnischen Stärke, mit der Dissens in multimedialer
Kommunikation eliminiert wird.
2.2. Social Design von Vertrauen
Gegenüber der Gestaltung von Macht in Hypermediasystemen
benötigt das Social Design von Vertrauen eine wesentlich sensiblere
Umsetzung. Vertrauen durch Social Design lässt sich nicht erzwingen
oder mit Macht und Herrschaft umsetzen. Auch die Kontrolle von Vertrauen
sichert nicht dieses selbst, sondern erzeugt Misstrauen. Misstrauen
wiederum provoziert den unerwünschten Effekt, dass sich der Informationsbedarf
der Akteure als auch die Kosten des Informationsanbieters drastisch
erhöhen (vgl. Luhmann 2000). Um Vertrauen als Socialware mittels
multimedialer Systeme zu gestalten, sind demzufolge etliche soziologische
Perspektiven zu beachten. Trotzdem wird das funktionale Motiv in sozialen
Systemen deutlich: Vertrauen verfügt über das Potenzial, informationelle
Risiken und soziale Komplexität zu kompensieren. Im Misstrauen
steigt der Informationsbedarf und sinkt die Bereitschaft, unter riskant
empfundenen Bedingungen in multimedialen Systemen zu handeln.
Vertrauen kann in Hypermediasystemen auf einer Gestaltung computerunterstützter
Sozialität beruhen, die den Möglichkeitsüberschuss von
Handlungssituationen minimiert. Wer misstraut, will viel wissen (Kontrolle),
wer vertraut, benötigt wenig Informationen, um handeln zu können.
Beispielsweise reduziert Vertrauen den Informationsbedarf bei der Bestellung
eines Fernsehers im Internet. Das individuelle Risiko besteht neben
anderen z.B. darin, den Fernseher bezahlt zu haben, ohne ihn testen
zu können und Pixelfehler auf dem Bildschirm in Kauf zu nehmen.
Im Social Design begegnet das Versandhaus dem Misstrauen der Akteure
mit diversen Maßnahmen: Es kommuniziert, ob die Ware pünktlich
versendet wurde, ob sie vorrätig ist und welche Bewertungen andere
Kunden abgegeben haben etc. Der Versandhandel erweckt Vertrauen mittels
computerunterstützter Sozialität, um potenzielle Besteller
zum Handeln im Internet zu motivieren. Die Handlungsmotivation selbst
resultiert daraus, dass Akteure ihr Bestellungsrisiko minimiert meinen,
wenn sie Anzeichen für Vertrauen interpretieren können.
In semantischer Übertreibung ließe sich meinen, Social Design
ist die Usability für soziale Systeme, um Dissensrisiken zu vermeiden.
Doch soziale Systeme sind nicht stabil genug, eine effizienzorientierte
Normierung von Vertrauen zu ermöglichen. Trotzdem versucht Araujo
für den internetbasierten Handel einige Richtlinien zu entwickeln,
um für Websites die Vertrauenswürdigkeit zu steigern. Araujo
geht von unterschiedlichen vertrauenserweckenden Anzeichen aus.
There are several ways to build trust on a Web site:
- Communicate a professional appearance
- Match the company bricks-and-mortar image (if
any), by giving the Web site a look similar to that found in the real
store through the use of names, logos, colours, fonts, and so on.
- Present information on the merchant: background,
contact details, performance history, associations, values, accomplishments,
pictures, and so forth.
- Satisfy (or exceed) the visitors’ expectations
about the site” (Araujo 2003, 10).
Die von Araujo benannten Komponenten behaupten, dass
Vertrauen bei computerunterstützter Sozialität darauf angewiesen
ist, zu verstehen, was Anwender an Information benötigen, um zu
vertrauen. Jede Verunsicherung des Anwenders durch multimedial vermittelte
Information, die ihn irritiert, mindert Vertrauen in eine Website. Solange
Vertrauen mittels ausschließlicher Informationsvermittlung erreicht
werden soll, reicht die Fehlerwahrscheinlichkeit der an das Sozialmilieu
orientierten Information vermutlich aus, um Vertrauen zu erzielen. Diese
Behauptung begründet sich dadurch, dass professionelles Aussehen
eben an der Visualisierung von erfolgreichen Unternehmen orientiert
ist. Ebenfalls ist Vertrauen aufgrund des „bricks-and-mortar image“
durch die Visualisierung begründet, die die Erfahrungen örtlicher
Verkaufsräume als soziokulturelle Lebenswelt erinnern hilft. Insofern
die Präsentation mit Geschäftshistorie, Kontaktdetails und
Bildern ausschließlich visualisiert wird, kann noch davon ausgegangen
werden, dass Vertrauen spontan anhand visueller Informationen möglich
wird.
Informationen ohne eigenen, vernetzten Kontext bleiben darauf angewiesen,
spontanes Vertrauen (swift trust) aus sich selbst heraus zu erwecken.
Andere Kontrollmöglichkeiten als das Vorhandene existieren für
spontanes Vertrauen nicht. Für spontanes Vertrauen muss angenommen
werden, dass die visuellen Informationen auf dem Bildschirm es erwecken.
Insofern neigt Vertrauen in multimediale Kommunikationsweisen dazu,
mit dem vergleichbar zu sein, was im soziologischen Kontext für
interpersonales Vertrauen angenommen werden kann. In ihrer Studie zum
Interpersonal Trust wiesen Greenspann et. al. nach, dass synchrone Kommunikation
per Telefon zügiger zu Vertrauensbildungen neigt als asynchrone
Kommunikation per Email. Des Weiteren erweckten die Medien, die die
menschliche Stimme übertrugen, zügiger interpersonales Vertrauen
als diejenigen Medien, die ausschließlich visuell basierte Informationen
anboten (vgl. Greenspann 2000, 251). Aufgrund dieser Studie ist anzunehmen:
Je höher die Fehlerwahrscheinlichkeit interpersonaler Kommunikation
innerhalb eines Kontextes (frames) ist, desto zügiger entwickelt
sich interpersonales Vertrauen. Insofern verweist die Information Richness
eines Mediums auf die Fehlerwahrscheinlichkeit, sozial indizierende
Zeichen nicht kontextadäquat zu setzen. Je informationsreicher
ein Medium etwas kommuniziert, desto wahrscheinlicher werden Fehler
in den Kommunikationsformen. Solche fehlerhaften Kommunikationsformen
gehen selbstverständlich an den soziokulturellen Formen der Kommunikation
vorbei und erzeugen Misstrauen.
Die unterschiedlichen Formen visuell kontrollierten Vertrauens deuten
daraufhin, dass das Social Design von Vertrauen in multimedialen Systemen
nicht an der Gestaltung der bildhaften Benutzungsschnittstelle halt
macht. Vielmehr wäre es ein konzeptioneller Fehler zu vermuten,
Vertrauen ließe sich in multimedialen Systemen rein visuell gestalten
bzw. kontrollieren. So wenig wie die Visualisierung von Macht die Macht
selbst stabilisiert, genauso wenig kann Vertrauen durch Visualisierungen
von Vertrauen stabilisiert werden. Visuell basiertes Vertrauen im optisch
erfahrbaren Design ist zu flüchtig, zu anfällig hinsichtlich
Fehlern in multimedialer Gestaltung, um nachhaltige Stabilität
zu erwirken. Diese Anfälligkeit des Vertrauens gegenüber stilunsicheren
bzw. lebensweltentfernten Gestaltungsmerkmalen begründet sich mit
der Emotionalität spontaner Interpretation. Bereits das 18. Jahrhundert
entdeckte, „dass der Geschmack schneller urteilen kann als die
Vernunft, weil er seine Kriterien individualisiert und durch Selbstbeobachtung
legitimieren kann“ (Luhmann 1987, 76). Das 21. Jahrhundert setzt
Emotionen ein, um Anwender an den Benutzungsschnittstellen (Interface)
zügig zu orientieren. Emotionen als Selbsterfahrung sollen steuern,
wann Kommunikation als vertrauenswürdig oder misstrauenserweckend
angenommen wird, sobald sie sich subjektiv als zugeneigt oder abgeneigt
empfinden lässt. Befragungen verweisen am Beispiel von anthropomorphen
Interface Agenten allerdings darauf, dass es unvorhersehbar bleibt,
„welche (emotionalen) Reaktionen ein spezifisches Verhalten des
Interface Agenten beim Nutzer auslösen wird“ (Krämer,
Bente 2003, 294).
Vertrauen als Socialware mittels Mediendesign zu erzielen, steht aufgrund
zu stark emotionaler Interpretationen auf nicht sehr tragfähigen
Fundamenten. Das Social Design von Vertrauen in computervermittelter
Kommunikation benötigt Vertrauenstypen, die unabhängig von
jeweiligen Gestaltungsmerkmalen äußerst stabil fungieren.
Vertrauen benötigt daher symbolische Zeichen etablierter Sozialkontexte.
Beispielsweise kann Vertrauen als etablierte Socialware einer funktionierenden
Gruppe bereits mittels einer SMS ermöglicht werden, obwohl die
SMS über eine äußerst niedrige Information Richness
verfügt. Dieses Beispiel verweist darauf, dass Vertrauen zum geringsten
Teil eine Frage der Mediengestaltung ist, sondern eine der gesellschaftlichen
Beziehungskontexte. Diese Beziehungskontexte, die Vertrauen als Socialware
etablieren und im Social Design für computervermittelte Kommunikation
zweifelsohne bereits verwendet werden, sind folgende:
1. Soziales Vertrauen: Funktionieren der Gruppe, die
sich verbunden meint. (z.B. Mailinglisten, Newsgroups, Meinungsportale)
2. Vertrauen in soziale Kategorien: Stereotypen (z.B. Modem-, DSL-,
Linux-Anwender)
3. Vertrauen in strukturale Rollen: Abhängigkeit von Rollen (z.B.
Webmaster, Blogger)
4. Institutionelles Vertrauen: Institutionen (z.B. www.wikipedia.de,
www.denic.de)
5. Prozedurales Vertrauen: Prozeduren (z.B. Netiquette, „Gilden“
in Onlinespielen)
6. Symbolvertrauen: symbolisierte Sozialstruktur (z.B. Trusted Shops,
Vertrauensrankings)
7. Systemvertrauen: Sozialsystem (z.B. Staat) (vgl.: Sztompka 1999,
41f.; Schelske 2003, 184 f.)
Die hier skizzierten Formen des Vertrauens greifen
insbesondere in Hypermediasystemen ineinander oder durchdringen sich
wechselseitig. Jede Form des Vertrauens trägt zur Kompensation
von Risiken bei. Das Social Design der Hypermediasysteme nutzt zwar
vergesellschafte Vertrauensformen, doch etabliert es diese mit computerverarbeitbaren
Algorithmen. Zu solchen Methoden gehören beispielsweise Rankings,
die Individuen nach Aussehen, Anzahl der Freunde, Kaufverhalten, Verlinkung
und Geschäftsverbindungen listen. Rankings werten ihre Teilnehmer
auf. Je stärker Individuen technisch und sozial vernetzt scheinen,
desto höher ist ihr bemessener Wert. Sozial vernetzte Individuen
oder Institutionen ohne eine technische Vernetzung oder Auffindbarkeit
in Hypermediasystemen laufen Gefahr, in diesen kein Vertrauen zu erwecken.
Die Informationsgesellschaft setzt die informationstechnische Vernetzung
für die multimedialen Formen der Vergesellschaftung voraus. Vertrauen
lässt sich zwar in traditionellen Sozialkontexten etablieren, wird
aber ohne die technische Vernetzung selten in Hypermediasystemen vermittelbar
sein.
3. Konsequenzen multimedialer Vergesellschaftung
Wir vergesellschaften uns, weil wir in soziale Wechselwirkungen
treten. Hypermediasysteme ermöglichen veränderte Formen der
Vergesellschaftung. Neuerdings treten Individuen in soziale Wechselwirkungen,
wenn sie von Algorithmen zusammengeführt werden. Sie vertrauen
sich, wenn Rankings in Hypermediasystemen über sie Auskunft geben.
Sie üben Macht aufeinander aus, wenn sie sich aufgrund technischer
Kontrollmechanismen in Zugehörigkeiten zwingen oder aus den sozialen
Wechselwirkungen eliminieren können. Die Formen der Vergesellschaftung
änderten sich in den Hypermediasystemen drastisch. Keine Gesellschaft
vorher erfand so viele Kommunikationstechniken, die quantitativ immer
mehr Individuen in soziale Wechselwirkungen bringt und qualitativ den
Informationsreichtum der sozialen Wechselwirkung drastisch reduziert.
Die synthetische Gestaltung der Gesellschaft zu Gruppen oder Verbänden
war für Simmel alltäglich (vgl. Simmel 1992, 24). In Hypermediasystemen
basieren jedoch Gruppen und sogenannte „Communities“ auf
einer computerunterstützten Sozialität, die vorrangig reduzierte
soziale Funktionen einzelner oder mehrere Akteure vorhält und nach
Bedarf weltweit abfragbar hält. Im Zentrum der gegenwärtigen
Gestaltung computerunterstützter Sozialität stehen gegenwärtig
Kommunikation, Koordination, Zusammenarbeit (Kollaboration) und virtuelle
Communities. Von allen vier Bereichen erwartet sich die Netzwerkgesellschaft
eine Steigerung der Sozialität: Kommunikation steigert mittels
„instant messaging“ simulierte Daueranwesenheit. Die Koordination
sich verbunden fühlender Individuen erledigen korrespondierende
Terminkalender. Kollaboratives Wissen erarbeiten Individuen in Weblogs
und Wikis (www.wikipedia.de). Communities agieren als unüberblickbare
Schwärme der Freundschaft, Arbeit, Liebe, des Konsums und sonstiger
Interessen. Hinter all dieser Steigerung der Sozialität steht eine
Gestaltung soziotechnischer Systeme, dessen Algorithmen es Individuen
ermöglicht, sich global zu vergesellschaften.
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